Der Fall Weber: Angst vor der Dudel-Valerie beim WDR?

von | 5. Dezember 2013

Selten hat eine Personalentscheidung für so viel Aufruhr gesorgt: Die Privatradiofrau Valerie Weber soll ab dem 1. April 2014 neue Hörfunkdirektorin des WDR werden. Mitarbeiter fürchten nun, dass sich ihre […]

Selten hat eine Personalentscheidung für so viel Aufruhr gesorgt: Die Privatradiofrau Valerie Weber soll ab dem 1. April 2014 neue Hörfunkdirektorin des WDR werden. Mitarbeiter fürchten nun, dass sich ihre Programme dadurch sprichwörtlich zu „Dudelwellen“ verwandeln und journalistische Qualität völlig verkommt. Ist diese Sorge gerechtfertigt? Ein Kommentar von Adrian Kaesberg.

Die Idee, Valerie Weber als Hörfunkdirektorin zu verpflichten, kam von niemand Geringerem als dem Intendanten selbst. Tom Buhrow hält Weber für eine „vielseitige, leidenschaftliche und analytische Strategin“ und sagt von ihr, sie sei „eine der erfolgreichsten Radiofrauen Deutschlands.“ Das stimmt fast. Weber ist in der Tat – messbar – die erfolgreichste Radiofrau Deutschlands: Sie hat es nicht nur geschafft, den landesweiten Privatsender „ANTENNE BAYERN“, für den sie auch noch heute als Programmdirektorin und Geschäftsführerin arbeitet, zum bayerischen Marktführer zu machen. Der Sender aus Ismaning hat laut der aktuellen „Mediaanalyse Radio“ so viele Hörer wie kein anderer Radiosender in Deutschland, abgesehen vom Syndicator „Radio NRW“.

Doch kommt dieser Erfolg nicht von ungefähr: Weber setzt auf raffinierte – zum Teil auch dubiose – Marketingmaschen, um ihr Programm beim bayerischen Hörer populär zu machen. So laufen regelmäßig Gewinnspiele im Programm; derzeit gibt es eine Aktion namens „ANTENNE BAYERN zahlt ihre Rechnung“. Wer will, kann über die Website des Senders Rechnungen einsenden – einige wenige davon werden irgendwann im Programm gezogen; diese werden, wenn sich der entsprechende gleich Hörer meldet, auch bezahlt. Durch aggressive Promotion wird dem Hörer suggeriert, jede Rechnung würde gezogen, er müsse einfach nur dauerhaft hören. Dabei handelt es sich noch um eine relativ harmlose Marketingaktion, denn Weber ist auch für wesentlich ausgefallenere Ideen bekannt. So soll sie vor einigen Jahren, als sie noch als Programmchefin für „ANTENNE 1“ tätig war, in Stuttgart per Flugzeug Duftstoffe versprüht haben, wie in ihrem Wikipedia-Artikel nachzulesen ist. Das mag jetzt absurd klingen – aber Privatfunk braucht verrückte Ideen, um zu überleben. Gewinnspiele, ausgefallene Höreraktionen und der massive Einsatz von so genannten Claims – also Sprüche wie „80er, 90er und das Beste von heute“ – sind heutzutage mitunter ein Schlüssel für gute Reichweiten. Selbst öffentlich-rechtliche Sender verzichten nicht völlig darauf, wenn sie Wert darauf legen, gehört zu werden. Valerie Weber tut bei „ANTENNE BAYERN“ also nur, was sie tun muss, wenn sie den Sender nicht gerade in eine Pleite führen möchte.

Die WDR-Mitarbeiter nun haben Sorge, dass sich die für journalistisch anspruchsvolles Programm bekannten WDR-Sender in „Dudelwellen“ verwandeln, dass die Programme inhaltsloser Eigenwerbung, Gewinnspielen, Höreraktionen und „Calimerei“ verfallen. Dabei setzten die Kritiker die Person Valerie Weber mit den Marketingstrategien gleich, für die sie beim Privatfunk steht. Als Rupert Murdoch das Wall Street Jounal übernehmen sollte, gab es ebenfalls laute Gegenstimmen. Die Angst vor dieser Veränderung war aber – wie sich herausstellte – nicht gerechtfertigt. Die WDR-Leute können sich eine Frau, die zugegebenermaßen bisher nur Privatradio gemacht hat, einfach nicht im öffentlich-rechtlichen System vorstellen, zweifeln an Ihrer journalistischen Kompetenz. Valerie Weber ist allerdings nicht so dumm, wie mancher glaubt. Sie studierte in Erlangen Germanistik und Kunstgeschichte und volontierte bei einem bayerischen Lokalradio. Nach und nach arbeitete Sie sich über verschiedene private Radiosender nach oben. Seit fast 20 Jahren hat sie Programmverantwortung – und machte alle Sender, für die Sie tätig war, sensationell erfolgreich. Hätte Frau Weber nicht ein exzellentes Gespür dafür gehabt, wie ihre öffentlich-rechtliche Konkurrenz tickt, wäre sie gescheitert und hätte heute sicher einen anderen Job.

Redakteure fürchten Dudelradio – Zahlt „1live“ bald auch deine Rechnung?

Über einhundert Redakteure haben eine Unterschriftenaktion gegen Weber unterzeichnet und machen bei Intendant Buhrow ihrem Ärger Luft. Darin heißt es zum Beispiel: „Wofür soll eine Programmdirektorin zukünftig beim WDR stehen, die bei Antenne Bayern Aktionen wie den ‚Maibaumklau 2013‘ vertreten hat: Wo der Morgenshowmoderator beim Maibaumklau ‚entführt‘ wird und Antenne Bayern ihn dadurch auslöst, dass der Sender den ganzen Morgen nur zwei Lieder spielt: ‚Last Christmas‘ und den ‚Bacardi-Song‘.“ Dass der Sender dies anschließend feiert, man habe ‚ein bisschen Radiogeschichte geschrieben‘ sei nur am Rande erwähnt.“ Die öffentlich-rechtlichen Qualitätsverfechter vergessen in ihrem Schreiben, dass die Ansprüche an ein Privatradio nun einmal völlig andere sind. Hier geht es darum, Gewinne zu generieren. Ich frage mich, was die Redakteure lieber hätten. Eventuell einen 70-jährigen, erfahrenen Journalisten, der zwar klassische journalistische Kompetenz besitzt und schon seit jeher im öffentlich-rechtlichen System zuhause ist, aber nie gelernt hat, wie man erfolgreich hörernahes Radio macht? Der nie etwas anderes gesehen hat als die staubigen Flure öffentlich-rechtlicher Anstalten? Der die Programme so sehr „optimiert“, dass sämtliche WDR-Wellen klingen wie der Deutschlandfunk und sie niemand mehr hören will? Dann doch lieber eine Quergängerin! Die Kritik, Valerie Weber sei ungeeignet, weil sie noch nie im öffentlich-rechtlichen System gearbeitet habe, ist grober Unfug. Wie oben geschildert, kennt sie nach 20 Jahren Führungsverantwortung dieses System besser als mancher Insider. Und außerdem – jeder Personaler weiß: Wer etwas grundlegendes im Unternehmen verändern will, sollte besser auf Externe zurückgreifen.

Frischer Wind ist dringend nötig – gegen die private Konkurrenz tut sich der WDR sehr schwer. Das landesweite öffentlich-rechtliche Äquivalent zu den NRW-Lokalradios „WDR 2“ wird im Vergleich nur mäßig gehört. Valerie Weber ist nicht dumm, sie weiß sehr wohl, dass die Quote im gebührenfinanzierten Radio nicht das Maß aller Dinge ist. Daher weiß sie auch, dass es keine aggressiven Marketingmaßnahmen braucht, um Sender am Leben zu halten. Die Sorge, dass sich WDR-Sender in Dudelwellen verwandeln, ist also absurd. „1live zahlt deine Rechnung“ wird es nicht geben. Auch Valerie Weber wird gezwungen sein, die hohen Qualitätsansprüche einzuhalten. Schafft sie das nicht, wird sie wieder ganz schnell von der Bildfläche verschwinden. Sie wird andere Wege finden, die Wellen erfolgreich zu machen, zumal „aggressive“ Marketingmaßnahmen zum Beispiel auf den Kulturwellen aufgrund deren Formatierung schlicht und einfach nicht möglich sind. Frau Weber wird frischen Wind in das „System WDR“ bringen, indem sie Impulse aus dem Privatradio mitbringt. Privatradio nämlich hat nicht nur negatives: Privatradio weiß besser, was dem Konsumenten gefällt – ganz einfach deshalb, weil es auf ausreichend Konsumenten angewiesen ist. Privatradio ist damit viel näher am Hörer. So unterhält auch „ANTENNE BAYERN“ ein eigenes Korrespondetennetz mit sechs Regionalstudios in ganz Bayern. Stündlich in den Nachrichten gibt es regionale Informationen sehr interessant aufbereitet und alles andere als trocken. Das ist hörernahes Radio.

Keine Angst also vor der Frau aus Bayern: Frau Weber wird es als Herausforderung sehen, sowohl die Programme erfolgreicher, dynamischer und interessanter zu gestalten, gleichzeitig aber auch öffentlich-rechtliche Qualitätsstandards zu halten. Denn was bringt schon ein hochwertiges Programm, das keiner hört?

Text: Adrian Kaesberg, Fotograf: Raimond Spekking, Lizenz: CC-BY-SA-3.0, Quelle: Wikimedia Commons, Bearbeitung: Hanna Frantz

<h3>Adrian Kaesberg</h3>

Adrian Kaesberg

Redakteur