Für Hetzjagden eigentlich zu alt

von | 22. Juni 2012

Der „Axel Springer“-Verlag begeht am Samstag den 60. Geburtstag seines Boulevard-Blattes. Auch wenn die „Bild“ in Deutschland den Ton angibt - zum Feiern ist nicht jedem zumute.

Kerstin klingt aufgewühlt, als sie sich an die Begegnung mit dem „Bild“-Journalisten erinnert. „Da habe ich gemerkt, wie die von der Presse wirklich arbeiten.“ Die Chemnitzerin hatte vor zwei Jahren bei einer Überschwemmung ihren Schwager verloren. Mit zwei Nachbarn ist er im Keller ertrunken, er wollte nur schnell die Waschmaschine holen.

„Ich ermittle in dieser Sache“, so hat sich der Journalist vorgestellt. Und Kerstin ließ ihn zu sich in die Wohnung – im Glauben, er sei Polizist. „Erst als er komische Fragen stellte und Aussagen traf wie ‚Er war doch so ein guter Mann‘, wurde mir bewusst, dass hier irgendwas nicht stimmte“, erzählt sie heute. Letztendlich hatte sie Glück im Unglück. Sie warf den enttarnten „Bild“-Redakteur aus der Wohnung. Am nächsten Tag fiel der Artikel so etwas kleiner aus. Trotzdem wurden Aussagen verdreht, die Sensationslust ließ sich „Bild“ nicht nehmen.

Kritik an Gratis-„Bild“

Ihren Ruf hat die „Bild“-Zeitung wohl nicht ganz umsonst: Sie ist das meist gerügte Medium des Deutschen Presserats. Anlässlich des 60. Geburtstags wird der „Axel Springer Verlag“ morgen kostenlose Exemplare an die 41 Millionen deutschen Haushalte verteilen lassen.

Nicht jeder freut sich an dem Geschenk; mit einem rechtsgültigen Internet-Formular kann die „Bild“-Lieferung sogar verhindert werden. Diese Dokumente können zum Beispiel bei  „Campact“ oder der Aktion „Alle gegen Bild“ ausgefüllt werden. Bislang haben circa 200.000 Deutsche davon Gebrauch gemacht.

„Die ‚Bild‘-Zeitung verstößt immer wieder gegen grundlegende journalistische Standards, sie missachtet die Menschenwürde, verletzt Persönlichkeitsrechte und verdreht Tatsachen“, erklärt Yves Venedey von „Campact“. „Wir wollen nur, dass sie sich an den Pressekodex hält und das sollte eigentlich nicht zu viel verlangt sein“, fordert der „Campact“-Sprecher. Doch auch Benutzer haben auf den Portalen schon wortreich ihren Boykott angekündigt: „Ich stecke dieses bösartige Lügenblatt gleich wieder in den Briefkasten und schicke es zurück an den menschenverachtenden Absender.“

„Bild“ als Sündenbock für andere Medien

Die Hysterie teilen jedoch nicht alle. Peter Mühlbauer, Redakteur bei „Telepolis“, argumentiert: „Das ‚ZDF‘ kommt ja auch jeden Tag ungefragt ins Haus und man muss dafür sogar noch zahlen. Nicht indirekt über Werbung sondern direkt über Gebühren.“ Die Bürger würden durch diese einseitige Kritik von den Sünden anderer Medien abgelenkt. Diese Sicht teilt auch Kuno Haberbusch, ehemaliger „Zapp“-Chef und heutiges Mitglied im „Netzwerk Recherche“-Vorstand: „Was einfach fehlt in dieser Republik, ist eine intelligente Mediendebatte, wo wir uns mal mit den Medien generell beschäftigen und nicht nur fokussiert auf ‚Bild‘. Je mehr Kritik bei uns stattfindet, umso besser.“

Das schlechte Image der „Bild“ wurzelt in der Geschichte. „Die Zeitung fungiert seit den 1960er-Jahren als Symbol für alles, was in den Medien falsch läuft“, so „Telepolis“-Redakteur Mühlbauer. Gerade im Jahr 1968 prägten die „Bild“-Zeitung krasse Schlagzeilen und Hetzjagden gegen politisch motivierte Studenten. „Der Eindruck ist natürlich bei vielen geblieben. So etwas kann man nicht vergessen“, erklärt „Netzwerk Recherche“-Vorstand Haberbusch. „Und dann kommen natürlich auch immer wieder aktuelle Geschichten dazu.“

Woher kommen die Millionen Leser?

Trotz der Kritik ist „Bild“ das größte Tagesmedium Deutschlands. Kuno Haberbusch: „95 Prozent der Bevölkerung interessiert es nicht, ob wir uns über die ‚Bild‘ aufregen oder nicht.“ Laut dem ehemaligen „Zapp“-Chef sei die Kritik eher ein mediales Problem.

Das weiß auch die Deutsch-Lehrerin Kerstin: „Letztendlich möchte niemand zugeben, dass er die Zeitung liest, aber viele tun es. Das hat einfach mit der Sensationslust des Menschen zu tun.“ Sie selbst nimmt die „Bild“ nur noch in die Hand, wenn sie das Blatt im Unterricht mit ihren Schülern bespricht. Dass sich schon Jugendliche und Kinder mit den Funktionsweisen des Boulevard auseinandersetzen, sei wichtig. „Bei so einem Meinungsaustausch sollte aber nicht nur die Boulevardzeitung im Mittelpunkt stehen. Die ‚Bild‘ ist nicht das einzige Übel“, sagt die Pädagogin.

<h3>Lisa Limbach</h3>

Lisa Limbach