Couchkritik im Januar

Die Zukunft ist jetzt

von | 14. Januar 2022

Heute Smartphone, morgen digitales Jenseits - diese Serien gehören auf Eure Watchlist.

Die Technologie schreitet unglaublich schnell voran. Millionen von Menschen vernetzen sich täglich via Social Media. Sprachassistenten dienen der Interaktion zwischen Mensch und Maschine. Erweiterte Realitäten mischen die reale Welt mit virtuellen Elementen und verändern so unsere Wahrnehmung.  Das alles war vor 50 Jahren noch unvorstellbar. Würde man einer Person aus dem Jahr 1966 erzählen, dass wir 2021 ein handgroßes Gerät und kabellose Knöpfe für die Ohren bei uns tragen, mit denen unter anderem unterwegs kommuniziert werden kann, hätten sie vermutlich gelacht, uns für durchgeknallte Star-Trek-Fans gehalten und ironisch gesagt: „Beam mich rauf, Scotty!“ Einige Visionen von Zukunftstechnologien, die in Filmen und Serien aufgegriffen wurden, existieren mittlerweile in der realen Welt. Dazu zählen zum Beispiel holografische Videobotschaften aus Star Wars oder Roboter in humanoider Form und als programmierbare Zellen. Auch heute fantasieren Serienmacher anhand aktueller Entwicklungen über die Technik von morgen und deren Auswirkung auf die Gesellschaft.

DEVS (2020, verfügbar bei Amazon Prime Video)

Mit der Zeit kommen die traditionellen Computersysteme und aktuellen Rechnerleistungen an ihre physikalischen Grenzen. Die Lösung: Quantencomputer. Diese können mit ihrer enormen Leistungsfähigkeit der Schlüssel für bisher unlösbare Vorgänge sein. Von künstlichen Intelligenzen, die riesige Datenbanken in Sekundenschnelle durchsuchen bis hin zur Simulation von komplexen chemischen Prozessen – diese Technik kann unsere Welt in vielen Bereichen revolutionieren. Auch die US-amerikanische Miniserie „Devs“ von Alex Garland beschäftigt sich mit den Möglichkeiten dieser Zukunftstechnologie – thematisiert aber auch die Gefahren, welche damit einhergehen.

Sergei (Karl Glusman), der Freund und Kollege von Software-Ingenieurin Lily (Sonoya Mizuno), entwickelt ein Computerprogramm für künstliche Intelligenz und wird dafür zum Mitarbeiter der geheimen Devs-Abteilung vom Arbeitgeber „Amaya“ befördert – einem riesigen, hoch angesehenen High-Tech-Unternehmen aus San Francisco. Die Abteilung liegt tief in einem abgelegenen Waldstück. Niemand weiß, woran dort gearbeitet wird. Als Sergei eine weitreichende Entdeckung über die Forschung macht, verschwindet er. Lily begibt sich auf die Suche nach ihrem vermissten Freund und setzt von Folge zu Folge das Puzzle zusammen, in dem ihr Arbeitgeber eine entscheidende Rolle spielt.

 

„Eine Zahl, die sich nicht mehr als Zahl schreiben lässt.“

Die Zuschauer erwartet mit „Devs“ kein actionreiches Abenteuer. Es handelt sich vielmehr um ein schockierendes Werk sowohl mit großem inhaltlichen als auch künstlerischem Anspruch. Die Science-Fiction-Serie thematisiert den Kontrast zwischen Quantenphysik und Determinismus sowie deren wirtschaftliche Auswirkungen. Dabei werden verschiedenste wissenschaftliche und philosophische Ansichten eingebracht, insbesondere die Theorie des Laplaceschen Dämons.

Begriffserklärung: Determinismus versus Quantenphysik

Determinismus beschreibt die Auffassung, nach der das gesamte Geschehen innerhalb des Universums – Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sowie das menschliche Handeln – eindeutig vorherbestimmt sei. Damit schließt es den freien Willen aus.

Dagegen regiert in der Quantenphysik der Zufall. Aussagen werden nicht mit absoluter Sicherheit getroffen und berechnete Wahrscheinlichkeiten sagen voraus, ob und wie ein Ereignis eintreten könnte.

Der Laplacesche Dämon entspringt einem faszinierenden Gedankenexperiment des französischen Astronomen Pierre-Simon Laplace, bei dem das deterministische Argument veranschaulicht wird. Dabei ist ein imaginärer Geist beziehungsweise ein übermenschliches Wesen mit exakter Kenntnis aller aktuell wirkenden Kräfte in der Lage, sowohl die Zukunft als auch die Vergangenheit des Universums bis ins kleinste Detail zu bestimmen.

 

Passend zur Thematik begegnet man in der Serie hochintelligenten Charakteren, was schauspielerisch und hinsichtlich des angewandten Sprachstils sehr gut dargestellt wird. Eine zentrale Rolle spielt Forest (Nick Offerman), Milliardär und CEO des Unternehmens Amaya. Mit seinem verwahrlosten Äußeren und den entzündeten, traurigen Augen wirkt er für diese Position eher ungewöhnlich. Auch die vielfältigen Mitarbeiter wie der junge, clevere Teenager Lyndon (Cailee Spaeny), die nachdenkliche Stellvertreterin des Unternehmens namens Katie (Alison Pill) oder der kultivierte, liebenswerte Steward (Steven Henderson), wurden eher als bodenständige Personen inszeniert. Stereotype wie tollpatschige Nerds mit Hornbrille oder Forscher in weißen Kitteln werden die Zuschauer hier nicht finden.

Besonders die optischen und akustischen Elemente begeistern. Neben der musikalischen Untermalung wird, je nach Szene, Stille als Gegenstück eingesetzt. Ästhetische Schnittbilder wie symmetrische Kaleidoskope und eine warme, goldene Farbgebung in der Devs-Abteilung schaffen eine unwirkliche Atmosphäre. Die Zuschauer erwartet gleichzeitig ein zukunftsorientiertes Setdesign. Die modernen Gebäude ähneln den Konzernen im Silicon Valley. Geometrische, fraktale Figuren im Wald oder die groteske Statue eines Kleinkindes wirken einzigartig. Zur Ideenfindung sagt Regisseur Alex Garland im Interview mit Serienjunkies:

Die Vorlagen kamen immer von realen Dingen. Wenn man früher etwa einen Außerirdischen designen wollte, nahm man sich Insekten oder Kreaturen der Tiefsee als Modell. Wir haben sozusagen das Äquivalent dazu genommen, um die seltsame Schönheit und Struktur der Mathematik und des Ingenieurwesens zu finden.

 

Die Gestaltung ist gerade deshalb so überzeugend, da viele Einstellungen eine symbolhafte Bedeutung haben. So steht die goldene Farbgebung sowohl für Reichtum und Erfolg als auch für Übersinnlichkeit. Die Positionierung von Forest unter einer LED-Lampe wirkt wie ein Heiligenschein und kann mit der Metapher „Gott spielen“ assoziiert werden.

Insgesamt lohnt es sich, einen Blick auf die tiefgründige Serie zu werfen. Trotz langsamer Erzählweise erwartet die Zuschauer in den wenigen acht Folgen der ersten Staffel ein unglaublicher Plot, der zum Philosophieren anregt. „Devs“ könnte daher besonders für Fans von „Westworld“ interessant sein, da es sich hier um eine ähnlich anspruchsvolle Serie hinsichtlich der philosophischen Tiefe handelt.

UPLOAD (2020, verfügbar bei Amazon Prime Video)

Von einer Antwort auf die Frage „Was passiert nach dem Tod mit dem menschlichen Bewusstsein?“ ist die Forschung noch sehr weit entfernt. In Greg Daniels humorvoller Science-Fiction-Serie „Upload“ ist es neben leckerem Essen aus dem 3-D-Drucker und weiterentwickelter Virtual-Reality-Ausrüstung schon im Jahr 2033 möglich, das Bewusstsein aus dem Körper hinaus zu transferieren.

Nathan (Robbie Amell) hat mit einem autonom fahrenden Auto einen schweren und damit eigentlich unmöglichen Verkehrsunfall. Anstatt sich operieren zu lassen, überredet ihn seine Freundin Ingrid (Allegra Edwards), sein Bewusstsein in das digitale Jenseits „Lake View“ zu laden. Dort können die Menschen sorgenfrei ewig weiterleben – vorausgesetzt, sie haben genügend Geld in ihrem Daten-Portemonnaie. Nur wenn er ein volles Konto hat oder seine lebenden Angehörigen für ihn bezahlen können, stehen ihm die luxuriöse Bilderbuchanlage am See mit einem sonnigen Park und köstlichem Buffet zur Verfügung. Während ihm Nora Antony (Andy Allo) vom Kundendienst hilft, sich in seiner neuen Umgebung zurecht zu finden, kommt er mit ihr gemeinsam seiner mysteriösen Todesursache auf die Spur.

Der Tod ist halb so wild

Regisseur Greg Daniels, auch bekannt von „The Office“ oder „The Simpsons“, hat mit der Serie auf Amazon Prime Video ein Werk erschaffen, das ein sehr ernstes, erschreckendes Thema auf leichte, lustige und ironische Weise behandelt. Es geht um eine Zukunft, in welcher der Tod keine große Sache ist. Als Avatar lässt es sich fast wie in der Wirklichkeit leben – Kapitalismus inklusive. Lebensmittel, Miete und Strom müssen als „In-App“-Käufe bezahlt werden. Aus dem Tod wird Profit geschlagen. Die gesamte Idee wurde so ausgestaltet, dass eine solche Zukunft für die Zuschauer tatsächlich vorstellbar wäre. Mit der Serie wird Kritik an unserem Konsumverhalten, der Kommerzialisierung, den Klassenunterschieden und in gewisser Hinsicht den Medien geübt. Das erfolgt in satirischer und humorvoller Art und Weise, wenn zum Beispiel der Kundendienst den Avataren ihre Mittelfinger weg programmiert oder ein Golden Retriever als Psychotherapeut daherkommt. Witzige Dialoge, triefend von Flachwitzen und manchmal etwas albern, setzen das extra i-Tüpfelchen.

Nora Antony: „Hast Du etwas Zeit?“

Nathan Brown: „Ne‘ ganze Ewigkeit…“

 

Neben der Detektivgeschichte rund um den mysteriösen Tod Nathans sowie den Science-Fiction-Elementen enthält „Upload“ eine stereotypische und kitschige, aber aufgrund der Lebenssituation der Protagonisten unkonventionelle Dreieck-Liebesstory. Diese wird mit Sicherheit in einer nächsten Staffel tiefer thematisiert, da ein Cliffhanger viele Fragen offenlässt.

Die Charaktere haben alle bestimmte Eigenheiten, die vielleicht dazu führen, dass die Zuschauer an manchen Stellen die Augen verdrehen. Trotzdem lernt man sie über die Staffel hinweg lieben. Hervorzuheben ist, dass sich die Hauptprotagonisten im Laufe der Geschichte weiterentwickeln. Die schauspielerischen Leistungen sind sehr gut.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Serie sehr unterhaltsam ist und mit unterschwelligem kritischem Inhalt, plattem Humor als auch sympathischen Charakteren punkten kann. Im Vergleich zu „Devs“ erfordert „Upload“ beim Schauen nicht allzu viel Konzentration.

BIOHACKERS (2020, verfügbar bei Netflix)

Gentechnik wird heutzutage bei der Züchtung von Pflanzen angewendet und ist Basis für die Entwicklung des mRNA-Impfstoffs gegen COVID19. Dieses Forschungsfeld eröffnet aber viele weitere Möglichkeiten, beispielsweise die der Genschere, mit der sich medienMITTWEIDA bereits in einem Hintergrundbericht auseinandergesetzt hat. Gleichzeitig wird vieles aus moralischen Perspektiven kritisiert. Die deutsche Science-Fiction-Serie „Biohackers“ thematisiert passend dazu das illegale Experimentieren an Genen.

Mia Akerlund (Luna Wedler) zieht nach Freiburg, um dort an der Universität Medizin zu studieren. Beim Einzug in ihre WG lernt sie die verrückten Mitbewohner Chen-Lu (Jing Xiang), Lotta (Caro Cult) und Ole (Sebastian Jakob Doppelbauer) kennen, die allesamt genial sind. In den Vorlesungen versucht sie, die berühmte Genforscherin Prof. Tanja Lorenz (Jessica Schwarz) zu beeindrucken, die von der Kraft der synthetischen Biologie predigt und diese als Zukunft der Menschheit sieht. Um näher an die Professorin heranzukommen, sucht Mia die Aufmerksamkeit ihres persönlichen Assistenten Jasper (Adrian Julius Tillmann). Doch hinter ihrem Interesse an Lorenz und der Biotechnologie versteckt sich eine dunkle Familientragödie.

Wie weit darf die Wissenschaft gehen, um die Menschheit zu retten?

Auf den ersten Blick wirkt die Serie mit Thriller-Elementen ein wenig kitschig. Die Studierenden werden als hochintelligente, schräge Amateurwissenschaftler charakterisiert, die in ihrer Freizeit mit selbstgebastelten Mikrochips und fluoreszierenden, leuchtenden Mäusen herumhantieren. Auch Kleinigkeiten wie ein vollautomatischer Tesla oder Erstsemesterpartys mit leuchtenden Kopfhörern, tragen zu einer eher realitätsfernen Wirkung bei. Das typische Element der Dreiecksbeziehung findet sich auch in dieser Serie wieder. Allerdings können diese Punkte nicht als Kritik angesehen werden, denn diese werden gebraucht, um die ernsten Szenen aufzulockern. Schließlich wird die Geschichte immer wieder durch Zeitsprünge unterbrochen, die den Zuschauern immer mehr Puzzleteile aus Mias mysteriöser Vergangenheit zeigen.

Die schauspielerischen Leistungen sind erstklassig. Insbesondere die Darstellung der Hauptprotagonistin durch die Schweizerin Luna Wedler, bekannt aus Filmen wie „Dem Horizont so nah“ oder als Sophie Scholl im Social-Media-Projekt „ichbinsophiescholl“ des SWR und BR, ist sehr gelungen.

„Biohackers“ ist insgesamt wahnsinnig spannend und dramaturgisch ideal aufgebaut. Die Inhalte basieren auf echten wissenschaftlichen Erkenntnissen, was durch ein ganzes Konsortium an Beratern in den Credits deutlich wird. Auch durch die Wahl der Drehorte in Freiburg und München wirkt das Geschehen noch interessanter. Die unterschwellig aufgeworfenen ethischen Fragestellungen wie „Dürfen Menschenleben geopfert werden, um schwere Krankheiten für immer zu heilen?“ oder „Was passiert, wenn Forscher Gott spielen?“ regen zum Nachdenken an. Regisseur Christian Ditter fasst im Interview mit mediabiz zusammen:

Natürlich birgt ein Themenfeld wie synthetische Biologie riesige Gefahren. Potenziell steht das auf der offiziellen Risiko-Liste von Dingen, die zum Aussterben der Menschheit beitragen könnten, noch höher als Atomwaffen. Das macht es natürlich auch spannend für eine Serie. […] Ich will weder warnen noch verurteilen. Ich will den Zuschauer in eine Position bringen, wo er vor allem Spaß hat und sich eine eigene Meinung bilden kann.

 

Alles in allem wurde mit der Netflix-Serie ein ganz neues Thema aufgegriffen, das anders ist und etwas Abwechslung in die Branche bringt.

Ob fiktionale Technologien tatsächlich irgendwann einmal real werden oder doch nur Fantasien bleiben, darüber kann nur spekuliert werden. Aber vielleicht wird ja doch das eine oder andere, was heute noch unglaublich erscheint, schon in wenigen Jahren zur Normalität gehören. Sicher ist, dass solche Visionen auch weiterhin die Zuschauenden vor den Bildschirmen fesseln und zum Philosophieren über die Zukunft anregen.

 

Text: Lena Friedrich, Titelbild: Marco Nagel /Biohackers/ Netflix

<h3>Lena Maria Friedrich</h3>

Lena Maria Friedrich

war im Rahmen ihres Medienmanagement-Studiums als Redakteurin bei medienMITTWEIDA tätig. Von Oktober 2020 bis Februar 2021 wirkte sie im Team Lektorat mit. Sie engagierte sich von April 2021 bis Januar 2022 als Leiterin des Bereichs Social Media.