IPv6: Anonymität war gestern

von | 27. Juni 2012

Das Internetprotokoll Version 6 ist der neue Protokollstandard im Internet. Das bringt den Usern mehr Kontrolle und den Providern mehr Informationen über das Nutzerverhalten.

Es ist schwer vorstellbar, doch die Kapazitäten des Internets waren bis vor kurzem völlig ausgelastet. Eine Erweiterung war dringend nötig, weil die Adressen für alle internetfähigen Geräte knapp wurden. Die neue Version des Internetprotokolls, IPv6, löste schon am 6. Juni offiziell die Version 4 ab, die seit 1983 in Verwendung war.

Für die Übergangszeit – also dem Wechsel von IPv4 zu IPv6 – ist laut Tony Lehnert, Blogger und Systeminformatiker bei einem Engineering-Dienstleister, gut vorgesorgt: „Beim Entwickeln von IPv6 wurde glücklicherweise an Techniken gedacht, die die Kompatibilität der beiden Protokollversionen sicherstellen. Hierfür werden zum Beispiel Tunnelmechanismen verwendet.“ Diese transportieren neue Datenpakete über die alte Infrastruktur.

Ferngesteuerte Haushalte

Tatsächlich könnten einige IP-gestützte Dienste, wie Voice over IP, von der neuen Technologie profitieren: Der Nutzer kann eigene Prioritäten einstellen, so kann ein Dienst zum Beispiel flüssiger werden. „Hierfür wurden schon Mechanismen in IPv6 implementiert, die sich die Provider aber sicher bezahlen lassen wollen“, schätzt Lehnert.

Anwendungsbeispiele, wie die Fernsteuerung einzelner Haushaltsgeräte, kann er hingegen nur belächeln – zumindest, wenn in Medien behauptet wird, dies werde erst durch IPv6 möglich. „Ich sehe keine Notwendigkeit, die Heizungssteuerung jeder einzelnen Heizung öffentlich zu machen“, argumentiert der Informatiker. Für die Adressierung innerhalb jedes abgeschlossenen Netzwerkes sind nämlich bereits bei IPv4 jeweils 4,3 Milliarden Adressen verfügbar. In dem neu geschaffenen Heimnetzwerk dürften diese locker ausreichen.

Der Provider liest mit

Das „FBI“ beklagte jüngst gegenüber dem US-amerikanischen Medientechnik-Magazin „CNET„, dass eine Überwachung so vieler Adressen nicht zu gewährleisten sei: Ein Sicherheitsproblem für den Geheimdienst. Datenschützer wollen dagegen ein ganz anderes Risiko erkannt haben. „Die nach dem neuen Internetprotokoll IPv6 vergebenen Internetadressen haben das Potential, zu Autokennzeichen für jeden Internetnutzer zu werden“, mahnt der Bundesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit Peter Schaar.

Da eine dynamische Adressvergabe nicht mehr nötig und auch nicht zwingend vorgesehen ist, wäre theoretisch eine eindeutige Identifikation auf einfachster technischer Ebene möglich. Die Folge: Detailliertere Nutzerprofile mit der Differenzierungsmöglichkeit nach verschiedenen angeschlossenen Geräten – eine Art Vorratsdatenspeicherung ohne Einwilligung des Users. Aus diesen Daten Profit zu machen, dürfte ein Leichtes sein.

Dabei bietet IPv6 viele Optionen zur Datensicherheit. So soll die „Privacy Extension“ den zweiten Teil der Adresse verschlüsseln. Diese Optionen benutzerfreundlich umzusetzen und zu kommunizieren liegt aber in der Verantwortung von Providern, Software- und Hardwareherstellern.

Begrenzte Ressourcen

Einer der Mitbegründer des Internets, Vinton Cerf, beschreibt den Grund für die Einführung von IPv6 in einem „Google“-Promotionvideo genauer: „Wir kreierten genug Adressen – wie Telefonnummern – für 4,3 Milliarden Geräte. Ich kann Ihnen sagen, in 1983 erschien uns das, als würde es für immer reichen.“ Zum Vergleich: Es gibt weltweit bereits 5,5 Milliarden Handys.

Im Laufe der Zeit sind mehr und mehr mobile Geräte im Internet angekommen. Nur mit Tricks konnte der Internetzugang aller User bis zuletzt ermöglicht werden. So ist die dynamische Vergabe von IP-Adressen keinesfalls nur ein Aspekt des Datenschutzes. Geht ein Gerät heute online, so bekommt es standardmäßig die Adresse zugewiesen, die gerade verfügbar ist. Das spart Kapazitäten. Bereits am 31. Januar 2011 hat die Vergabestelle „IANA“ die letzten zwei IP-Blöcke dem asiatischen Raum zugewiesen.

Zahlenspielerei

Die neue IP-Version hat 32 Stellen und damit fast dreimal so viele, wie die der alten Identifikationsnummer. „Es hat 128 Bit Adressgröße. Das sind 340 Trillionen Trillionen Trillionen Adressen“, rechnet Vinton Cerf vor. Dass die Version 6 am 6.6. gelauncht wurde, ist ein bloßes Zahlenspiel mit Symbolcharakter. Bislang surfen nur etwa 0,6 Prozent mit IPv6-Adressen.

<h3>Tim Jungmittag</h3>

Tim Jungmittag