Journalisten hinter der Mauer

von | 28. November 2013

Sie filtern gesperrte Begriffe, greifen in Debatten ein und löschen kritische Kommentare. Von der Regierung werden sie „Analysten für öffentliche Meinung“ genannt. Mittlerweile gibt es bereits zwei Millionen regimetreue Meinungsforscher, […]

Sie filtern gesperrte Begriffe, greifen in Debatten ein und löschen kritische Kommentare. Von der Regierung werden sie „Analysten für öffentliche Meinung“ genannt. Mittlerweile gibt es bereits zwei Millionen regimetreue Meinungsforscher, die mit dem Analysieren fremder Nachrichten ihr Geld verdienen.

Täglich erhalten sie Themen, nach denen sie das soziale Netzwerk durchforsten. Suchprogramme helfen ihnen dabei, die vorgegebenen Stichwortlisten abzuarbeiten. „Ihr Video wurde vom Administrator gelöscht. Grund: Der Inhalt darf leider nicht veröffentlicht werden“, übersetzt Yi Fang, ein Mittweidaer Informatikstudent aus Peking, die Begründung, warum ein Film von Chinas größtem Internet-Videoportal entfernt wurde. In sozialen Netzwerken verbreiten sich Informationen über gesellschaftliche und politische Missstände binnen Sekunden. Um die „nationale Sicherheit“ zu gewährleisten, sind ausländische Nachrichtendienste wie Facebook, Twitter und YouTube grundsätzlich verboten und werden von der „Großen Firewall“ gesperrt.

Aus diesem Grund nutzen rund 400 Millionen Chinesen landeseigene Mikroblog-Dienste. „Sina“ ist solch ein Blog – ein Kurzmitteilungsdienst, der mit Twitter vergleichbar ist: Hintergrund und Farbgebung ähneln dem US-amerikanischen Marktführer. Kurznachrichten dürfen maximal eine Länge von 140 Zeichen haben. Benutzernamen werden durch ein @ und Themen durch Hashtags # gekennzeichnet. Jedoch gibt es einen großen Unterschied zu Twitter – der chinesische Blog wird rund um die Uhr überwacht. Yi selbst nutzt auch den öffentlichen Blog „Sina“ und hat Freunde, die für die Regierung das Netzwerk ausspionieren: „Alle Nachrichten werden auf Falschaussagen kontrolliert. Natürlich wissen die Menschen, dass sie überwacht werden und kennen auch die Konsequenzen.“ Wird ein Blogeintrag veröffentlicht, der angeblich die Stabilität des Landes gefährden könnte, muss der Autor mit einem Bußgeld rechnen. „Bei einer Person mit starkem sozialen Einfluss kann es durchaus vorkommen, dass sie ins Gefängnis gehen muss“, erzählt Yi und erinnert an den chinesischen Schwimmer Sun Yang. Dieser wurde suspendiert, nachdem er Anfang November einen Unfall baute, ohne einen Führerschein zu besitzen. Als zweimaliger Freistil-Olympiasieger und dreimaliger Weltmeister, ist er in China ein gefeierter Spitzensportler, dem großer Einfluss auf die Bevölkerung unterstellt wird. Um zu verhindern, dass Chinesen ohne Führerschein das Handeln von Sun Yang nachahmen, wurde er zu sieben Tagen Haft verurteilt und erhielt eine Geldstrafe von 300 Euro. Yang verschwand in der Versenkung – er darf an keinem Schwimmwettkampf mehr teilnehmen.

„Die Regierung möchte nicht, dass die Bevölkerung nachdenkt. In so einem großen Land kann es schnell zu Aufständen kommen“, erklärt Yi. Die Kommunistische Partei Chinas befindet sich in einem Konflikt. Um soziale Unruhen zu vermeiden, muss die Partei wissen, was das Volk will. Andererseits sind kritische Berichte oder die „Verbreitung von Gerüchten“ verboten. Laut dem chinesischen Politbüro gefährden westliche Strömungen das Land. Um diese staatsfeindlichen Tendenzen zu vermeiden, werden im „Dokument Nr. 9“ die Parteikader vor Themen gewarnt, die eine Gefahr für die Staatsideologie darstellen. Diese Themen dürfen weder von den Medien noch von den Schulen behandelt werden. Dazu zählen die Reizworte: Universale Werte, Zivilgesellschaft, Bürgerrechte, Pressefreiheit, Unabhängigkeit der Justiz, Fehler der Partei in der Vergangenheit und Privilegien der Kader.

„Nicht nur soziale Netzwerke, sondern auch alle anderen Medien werden streng kontrolliert. Zeitungen müssen ihre Texte erst bei der Regierung vorlegen, bevor sie gedruckt werden können“ berichtet Yi Fang. Die Pressefreiheit, in Deutschland ein Grundrecht, ist in der Volksrepublik stark eingeschränkt. Für jedes Interview benötigt ein Journalist eine Genehmigung. In nur sechs anderen Ländern, darunter Iran, Somalia, Syrien und Nordkorea, werden die Medien noch stärker zensiert als in China. Auf der Rangliste der Medienfreiheit von Reporter ohne Grenzen steht China auf Platz 173 von 179 – und das nicht nur wegen Zwangsmaßnahmen: Bei Pressekonferenzen verteilen Unternehmen Geldgeschenke an Journalisten. Diese „roten Umschläge“ sollen eine positive Berichterstattung sichern und die Reporter zum Schweigen bringen. Weist ein Berichterstatter das Bestechungsgeld zurück, wird er von seinen Kollegen gemobbt.

Trotz der bestehenden Zensur wird der Journalismus im Reich der Mitte kritischer und die Bevölkerung kann sich zunehmend über die Vorgänge im Land informieren. Anfang des Jahres veröffentlichte die Wochenzeitschrift Nanfang Zhuomo eine Ausgabe mit dem Leitartikel „Träume sind unsere Verpflichtung, das Nötige zu tun“. Die Mitarbeiter waren überrascht, als sie die Überschrift lasen. Nicht der Titel sorgte für Aufregung, sondern dass die Zeitung ursprünglich anders in Druck gegeben worden war – über Nacht wurde der geplante Artikel „Der chinesische Traum ist eine verfassungsgemäße Regierung“ vom Zensor ausgetauscht und durch den neuen ersetzt. Es kam zu Protesten und Streiks seitens der Redaktion. Auch im Internet gelingt es den Nutzern, die Zensur zu umgehen. Es werden Codewörter für gesperrte Begriffe gewählt, die das Suchprogramm nicht erkennt. So verbergen sich beispielsweise hinter den „sieben Zwergen“ die sieben Mitglieder der Parteiführung.

Auch wenn die „Große Firewall“ den Datenfluss von lokalen IP-Adressen kontrolliert und die Zahl derer mit Zugang zum internationalen Netz begrenzt sind, finden junge Chinesen trotzdem einen Weg, um sich an Facebook und Twitter zu beteiligen – virtuelle private Netzwerke (VPN) und Kommunikationsschnittstellen in einem Netzwerk (Proxy) ermöglichen ihnen den Zugriff auf die gesperrten internationalen Plattformen. „Viele chinesische Studenten und Ausländer nutzen Proxys, um sich auf YouTube Videos anzuschauen oder auf Facebook Spiele zu spielen“, verrät Yi mit einem Schmunzeln im Gesicht. Verbotene Früchte schmecken eben besonders gut.

DIE NOVUM – Text: Vanessa Pohl, Bild: Sara Bieder

<h3>Felix Kraneis</h3>

Felix Kraneis

Stellv. Chefredakteur