Mitten in der Welt

von | 3. November 2009

Wer glaubt, dass es in der DDR nur politische Presse zu lesen gab, der liegt falsch. "Das Magazin" überzeugte mit Reportagen, Kurzgeschichten, Umfragen und Kunstdrucken.

Wie war es möglich, in einem strengen Regime wie der DDR, eine unpolitische Zeitung zu publizieren? Manfred Gebhardt, der letzte DDR-Chefredakteur von „Das Magazin“, erläutert die Problematik mit einer im ersten Moment unbegreiflichen Logik: Es geschah im Auftrag der SED. Mit den Unruhen vom 17. Juni 1953 musste sich die Partei eingestehen, dass die Bürger ihrer Presse nicht glaubten und sie oft völlig uninteressant fanden. Die Menschen sollten deshalb anders an die Politik herangeführt werden – mit Unterhaltung. „Wir hatten den Auftrag, den Sozialismus attraktiver zu machen, den Menschen Freude und Spaß am Sozialismus zu vermitteln“, erklärt Gebhardt gegenüber medien-mittweida.de. „Das Magazin“ sollte die DDR-Bürger daran hindern „rüber zu machen“, wie er es in einer Lesung seines Buches „Das Magazin – Die Nackte unterm Ladentisch“ salopp formulierte. Dies geschah mit Kochrezepten, Umfragen zur Liebe, Annoncen, Satirischem, Reportagen, Kurzgeschichten, Modethemen und Kultur. Es war eine Zeitschrift für die ganze Familie. Diese Themen lenkten von politischen Gedanken ab und stellten das Leben miteinander in den Vordergrund.

Chefredakteure mit exotischen Lebensgeschichten

Die Aufgabe diese Zeitschrift zu gründen und zu leiten bekam Heinz H. Schmidt im Jahr 1953. Drei Jahre später übernahm Hilde Eisler für 25 Jahre die Chefredaktion. Sie war Jüdin und verlor ihre gesamte Familie durch den Holocaust. Schließlich engagierte sie sich auch an kommunistischen Bewegungen und war illegal als Kurier der KPD beschäftigt. Dafür kam sie für ein Jahr in Haft, danach verwiesen sie die KPD-Gegner aus Deutschland. So flüchtete sie ins Exil nach Frankreich und in die USA. Dort lernte sie perfekt Französisch und Englisch. Ihre Kontakte zu ausländischen Schriftstellern und Künstlern nutzte sie später für „Das Magazin“. Dies stellte eine große Bereicherung dar, welche auch die inhaltliche Form mitbestimmte. Manfred Gebhardt stieß 1962 als stellvertretender Chefredakteur zum Magazin dazu und leitete es ab 1979 ohne Hilde Eisler. Auch sein Leben wurde von Kriegsgeschehnissen geprägt – so musste er fünf Jahre in polnischer Kriegsgefangenschaft überstehen. Nach seiner Freilassung, Weihnachten 1949, arbeitete er als Redakteur und später als stellvertretender Chefredakteur der Tageszeitung „Junge Welt“.

Das Magazin war die erste Zeitschrift im Osten, die über die Beatles berichtete. Auch über die französische Mode schrieben die Redakteure des Magazins und über Städte wie Rom, London und New York. Ebenfalls erschienen französische Reportagen. Dass dadurch manche Leser vermutlich auch dazu ermuntert waren, außerhalb der DDR-Mauer die Welt zu erkunden, streitet Gebhardt nicht ab. Trotz allem kann er sich vorstellen, viele Bürger auf diese Weise beruhigt zu haben: „Wir wollten den Lesern das Gefühl geben: Wir sind mitten in der Welt.“

Nackte Missverständnisse

„Das Magazin“ war vor allem durch das Aktbild bekannt, das in jedem Heft eine Seite füllte. Die meisten ehemaligen DDR-Bewohner reagieren beim Erkundigen nach dem Magazin spontan mit der Frage: „Das Heft mit den Nackschen?“. Diese Seite war ein umstrittener Teil, der auch für einige Missverständnisse nach der Wende sorgte. Magazin-Leser sammelten entweder die Aktfotos oder aber sie fanden diese unmoralisch. Nach der Wende übernahm der Hamburger Verlag „Gruner + Jahr“ das Magazin. Allerdings passte es in kein bekanntes Schema. Schon allein das kleinere Format DIN A5 fiel völlig aus dem Raster, auch weil es aus so vielen unterschiedlichen Beiträgen bestand. Doch ein Aktbild schien etwas Besonderes für die DDR zu sein und war bereits im Westen in ähnlicher Form anerkannt. „Die Zeitschriften, die es in der DDR gab, aber nicht in der BRD, – die gab es nicht“, erklärt sich Manfred Gebhardt die damalige Umgestaltung des Magazins in einen „Ostplayboy“. Vieles im Osten war freizügiger als im Westen Deutschlands. Mit Pornografie hatte das Magazin seiner Meinung nach deshalb nichts zu tun. Vielmehr verband der Akt im Magazin erotische Reize mit einer gewissen Ästhetik.

Erforschte Meinung

Das Magazin nahm sich auch der Aufgabe an, Veränderungen im zwischenmenschlichen Bereich herbeizuführen: Umfragen wie: „Wie bleibe ich meinem Partner neu?“ oder auch imitierte Leserbriefe, die die idealisierten Kontaktanzeigen brüskierten, in denen sich jeder als intelligent und gutaussehend beschrieb. Auf diese Weise erforschten die Redakteure die vorherrschende Meinung im Land, um anschließend eine andere, offenere Meinungsbildung anzuregen. Selbst diese Gedanken hatten einen kommunistischen Hintergrund: Eine Zeitschrift war erst gut, wenn die Leser sich am Inhalt mit beteiligen konnten, wie Gebhardt das kommunistische Ziel der Mitbestimmung interpretierte.

„Das Magazin“ erregte in der DDR aber auch negatives Aufsehen. In einer Reisereportage unterhielt sich der Redakteur mit der fiktiven Figur Kleo, die ein schlaues Kind symbolisierte, über Frankfurt (Oder). Dabei ging es um die Frage, ob es sinnvoll sei, in dieser Stadt ein Hotel zu bauen und warum das noch nicht geschehen sei. Der Sekretär der Bezirksleitung reagierte sehr erbost auf den Artikel, weil zu diesem Zeitpunkt erneut entschieden worden war, kein neues Hotel in Frankfurt zu bauen. Der Chefredakteur des Magazins entschuldigte sich dafür. Dennoch behielten die Redakteure Recht, da nach wenigen Jahren plötzlich doch ein Hotel entstand.

Ein Fehler ist zu viel

Vorzensiert wurde kein Presseprodukt der DDR. Wenn das Zentralkomitee ein Verhör des Chefredakteurs vornahm, dann erst nachdem alle 550.000 Hefte gedruckt waren. Vorher bekam niemand Einblick in die Beiträge. Denn der Zensor eines Presserzeugnisses war der Chefredakteur. Er entschied, was gedruckt und geschrieben werden durfte und was nicht. Jeden Donnerstag um 9.30 Uhr trafen sich die Chefredakteure der zentralen Zeitungen und Zeitschriften in der „Argu“, Kurzform für „Argumentation“, um sich über neue Gebote und Verbote belehren zu lassen. Diese mussten die Informationen schließlich an ihre Redakteure weitergeben, egal, was sie davon für Unsinn hielten. Allerdings gestaltete sich das ganze schwierig, weil die Anweisung lediglich mündlich verlief. Manche Verbote waren frühestens dann bekannt, wenn die Zeitungen diese erst verübt hatten. Wurden Fehler entdeckt, konnte die Redaktion damit rechnen, dass sie die Zeitschrift entweder komplett einstellen mussten oder eine Kommission mehrere Wochen lang ihre Redaktion zu Treffen einberief und damit ihre Arbeit behinderte. In gravierenden Fällen mussten sie ab sofort jeden Text und jedes Bild einem Politkommissar vorlegen.

Papier als Mangelware

Das Presseamt genehmigte lediglich eine Auflage von 550.000 Exemplaren des Magazins, weil nur soviel Papier bereit stand. Der Preis von einer Mark war zwingend einzuhalten, denn „Das Magazin“ galt als „Grundbedarf“ und daher sollte sich jeder DDR-Bürger dieses auch leisten können. Außerdem brauchte es spezielles Papier für farbige Fotos und für Kunstdrucke. Das Papier beorderte die DDR von außerhalb mit Devisen. Allerdings waren diese nur begrenzt verfügbar. Dass am Ende doch mehr Magazin-Hefte entstanden, hatten die Leser der Druckerei in Dresden zu verdanken. Durch Terminverschiebungen von anderen Printprodukten blieb Papier übrig, welches dann für weitere Exemplare des Magazins Verwendung fand. So stieg die Auflage auf mindestens 570.000.

Finanzierung durch Abonnenten anstelle von Anzeigen

In der DDR finanzierte sich das Magazin vorwiegend über Abonnenten. In manchen Testamenten vererbten Verstorbene an ihre Hinterbliebenen ein Abonnement des Magazins. Die Beschaffung eines Heftes war durchaus schwer. Auch heute finanziert sich „Das Magazin“ größtenteils noch aus Abonnenten. Die Auflage liegt derzeit bei 65.000. Renate Müller, Rentnerin aus Löbau, leiht sich die heutigen Magazine manchmal noch aus der Bücherei aus. „Die neuen Ausgaben gefallen mir nicht mehr ganz so gut wie früher. Trotzdem finde ich das Magazin immer noch besser als die vielen bunten Illustrierten, die nur sehr seichte Kost bieten und sich gleichen wie ein Ei dem Anderen.“

Nach der „Ostplayboy“-Phase hat Manuela Thieme, die derzeitige Chefredakteurin, das Magazin übernommen und an das ursprüngliche Bild angepasst. Das bestätigt auch der ehemalige Chefredakteur Manfred Gebhardt. Allerdings betont er, dass das heutige Magazin ein anderes sei als damals, sowie auch das Magazin von 1924, welches seit der Wende auf jedem Heft als Gründungsjahr steht. Das DDR-Magazin zeigte die Gesellschaft und Probleme von damals und sprach damit jeden an. „Man kann das Magazin nur in der Zeit und in dem Land verstehen.“

<h3>Ellen Schaller</h3>

Ellen Schaller