Moralisches Idealbild versus Wirklichkeit

von | 27. April 2011

Im kürzlich veröffentlichten Prüfbericht hat die Kommission für Jugendmedienschutz moralische Verfehlungen der deutschen Fernsehsender im ersten Quartal dieses Jahres bewertet. Jedoch bleibt fraglich, ob die Moralschablone, die dem deutschen Rundfunk auferlegt wird, auch noch zeitgemäß und sinnvoll ist.

Bei der „Super-Nanny“-Folge vom 5. Mai 2010 kritisierten die Prüfer der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) das psychisch und physisch gewalttätige Verhalten einer Mutter: „Vor laufender Kamera wird gezeigt, wie die Mutter ihre fünfjährige Tochter anschreit, ihr mit Schlägen droht, sie ignoriert und sie schließlich schlägt.“ Die ungefilterte Ausstrahlung dieses menschenunwürdigen Verhaltens musste zu einem Bußgeld für den Sender führen.

Für diesen Verstoß habe RTL nach Angaben von Bild.de einen Bußgeldbescheid in Höhe von 15.000 Euro erhalten, ausgehend von der Niedersächsischen Landesmedienanstalt. Ein geringer Betrag, wenn diesem der Gewinn durch die Werbepausen entgegengesetzt wird. „Hauptsache die Quote stimmt“ – das Motto bleibt das altbekannte. Das zeigt jedoch, dass die KJM keine Macht über die Rundfunkanstalten besitzt. Wenn nur niedrige Geldstrafen die Folge von schwerwiegenden Verstößen sind, kann kein Druck ausgeübt werden. Falsche, ungewünschte, sogar gesetzeswidrige Programminhalte werden so niemals verhindert werden können.

Du bist, was du siehst

Die KJM hat im ersten Quartal dieses Jahres insgesamt 32 Verstöße festgestellt, die gegen die Bestimmungen des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags verstoßen haben. Diese wurden aber bereits ausgestrahlt. Da die KJM ein reaktionäres Organ der Landesmedienanstalten ist, kann sie nur nach der Ausstrahlung reagieren. Eine Änderung dieses Verfahrens dürfte unmöglich sein, schließlich würde ein Verbot der Formate vor der Ausstrahlung den Verdacht der Zensur aufkommen lassen.

Um in den deutschen Rundfunk trotzdem wieder Moral, Anstand und vielleicht sogar Qualität zu bringen, müsste der Zuschauer die Sendungen boykottieren. Möglichkeiten der intellektuellen Freizeitbeschäftigung bieten immerhin Spartensender wie 3sat, Arte und Phoenix. Die Entscheidung, was die kommerziellen Sender ausstrahlen, liegt aber weiterhin beim Konsumenten. Denn dieser besitzt mehr Macht als jedes staatliche Kontrollorgan. Es gilt nach wie vor der Grundsatz „Du bist, was du siehst“. Für den Zuschauer, der sein eigenes Verhalten überdenken muss, und die Fernsehsender, die nur ihre guten Quoten im Blick haben.

<h3>Michel Melzer</h3>

Michel Melzer