Social Media

Parallelgesellschaften im Netz

von | 22. Januar 2021

Alternative Social-Media-Plattformen werden immer populärer. Was steckt hinter Parler und Co?

Nachdem Anfang Januar eine Demonstration von Trump-Unterstützern eskalierte, ergriffen mehrere Social-Media-Plattformen harte Maßnahmen gegen den Präsidenten. Sowohl Facebook als auch Twitter legten Donald Trumps Konten bis auf Weiteres komplett still. Um diesen Schritt zu rechtfertigen, hat es einen Sturm auf das US-Kapitol gebraucht. Das zeigt, dass selbst der weitreichende Schutz, den Amtsinhaber in den sozialen Medien genießen, nicht grenzenlos ist. Wer diese besonderen Privilegien nicht besitzt, muss allerdings noch deutlich vorsichtiger sein, denn für den durchschnittlichen Nutzer führen schon weitaus geringere Verstöße oft zur permanenten Sperrung des Accounts. Eine Entwicklung, die vor allem von einer Seite des politischen Spektrums beklagt wird.

Bei einer Anhörung des US-Senats im vergangenen November stellten sich die CEOs von Facebook (Mark Zuckerberg) und Twitter (Jack Dorsey) den Fragen von republikanischen Gesetzgebern. Deren Vorwurf: Sowohl Twitter als auch Facebook würden mit ihren Moderationsrichtlinien zur Unterdrückung von konservativen Meinungen beitragen. Zuckerberg und Dorsey wiesen diese Vorwürfe von sich und versicherten, die Moderation ihrer Plattformen erfolge auf neutrale Art und Weise. Ob begründet oder nicht, viele Menschen auf der rechten Seite des politischen Spektrums sind weiterhin der Meinung, ihre politischen Ansichten würden auf den “Mainstreamplattformen” stärker moderiert und ihre Konten schneller gesperrt. Einige gehen sogar noch weiter und fürchten um das Ende der Meinungsfreiheit im Internet. Eine Angst, die in den vergangenen Jahren zur Gründung neuer, alternativer Social-Media-Plattformen geführt hat, die vor allem von Usern mit konservativen bis rechtsextremen Ansichten genutzt werden.

Parler – Das konservative Twitter

Eine dieser Plattformen ist Parler (französisch für „sprechen“,  Anm. d. Red.), ein Twitter-Klon, der 2018 von John Matze, einem amerikanischen Geschäftsmann, gegründet wurde. Das Ziel sei es gewesen, ein soziales Netzwerk zu schaffen, bei dem die Meinungsfreiheit an oberster Stelle steht. Statt einem Tweet senden User sogenannte „Parleys“. Retweets werden durch „Echoes“ ersetzt. Mit über vier Millionen aktiven Usern wird Parler von konservativen und rechten Influencern als Alternative für die „linke Echokammer“ auf Twitter beworben. Als Echokammer bezeichnet man im Internet einen abgegrenzten Raum, in dem Aussagen aufgrund von fehlenden gegensätzlichen Meinungen weiter verstärkt werden.

Wer ein Konto auf Parler erstellt, dem werden gleich nach Abschluss der Registrierung Vorschläge für einen personalisierten Feed angezeigt. Neben der Daily Mail, einer konservativen Tageszeitung aus Großbritannien und PragerU, dem Medienunternehmen eines republikanischen Radiomoderators, werden einem auch die Kommentatoren von Fox News, Tucker Carlson und Sean Hannity, empfohlen. Sogar prominente Politiker wie Ted Cruz, ein republikanischer Senator, sind dort vertreten. Wer allerdings nach Persönlichkeiten sucht, die mittig oder sogar links der Mitte zu verordnen sind, scrollt vergeblich durch die lange Liste an Vorschlägen. Das ist auch nicht weiter verwunderlich, denn den größten Zuwachs verzeichnete Parler kurz vor dem Ende der Präsidentschaftswahlen. Zu diesem Zeitpunkt begann Twitter, Tweets, die Falschmeldungen zur Wahl verbreiteten, als solche zu kennzeichnen und User für wiederholte Vergehen zu sperren.

Nicht sehr ausgewogen. Personalisierung eines Newsfeeds auf Parler. Screenshot: Philipp Leiber

Auch die Rolle Parlers, als Plattform für Verfechter der Meinungsfreiheit, ist eher kritisch zu sehen. Die Regelungen zur Contentmoderation sind dort insgesamt nicht weniger strikt als bei Twitter. So sind unter anderem „obszöne Nutzernamen“, Bilder von Fäkalien und jegliche Art von pornografischem Inhalt ohne Ausnahme verboten. All diese Dinge sind auf Twitter erlaubt, wenn auch meist hinter einer Contentwarnung versteckt. Auch beim Sperren von Accounts scheint Parler nicht zimperlich zu sein, wenn das Gesagte nicht der dort etablierten Weltanschauung entspricht. In seinen Nutzungsbestimmungen behält sich Parler nämlich vor, Accounts „jederzeit und mit oder ohne Grund” zu sperren.  

Die Vorkommnisse in Washington D.C. am 6. Januar haben gezeigt, wie extrem sich zumindest Fans von Donald Trump auf Parler äußern konnten. Während sich Unterstützer des Präsidenten gewaltsam Zugang zum Kapitol verschafften, häufen sich dort Aufrufe zu Gewalt und weiterer Eskalation. Apple und Google entfernten die App daraufhin aus ihren App Stores und gaben als Grund fehlende Richtlinien zur Contentmoderation an. Auch Amazon reagierte wenig später und kündigte am 9. Januar an, Parler binnen eines Tages von ihrem Webhosting-Service zu entfernen. Parlers Geschäftsführer bezeichnete dies als „koordinierten Versuch der großen Tech-Unternehmen, Konkurrenz vom Markt zu drängen“. Parler arbeitet derzeit daran, seine Domain an Epik zu überführen, einen Webhoster, der schon früher als Anlaufstelle für rechtsextreme Plattformen diente.

BitChute – Wo der Volkslehrer noch unterrichten darf

Nachdem YouTube 2017 damit begann, härter gegen Verschwörungstheorien, Rassismus und ähnlichen Content vorzugehen, häuften sich die Sperrungen von rechten und rechtsextremen Kanälen. Das wahrscheinlich prominenteste Beispiel dürfte der Verschwörungstheoretiker Alex Jones sein, der mit seiner Website „InfoWars“ eine der einflussreichsten Persönlichkeiten in der amerikanischen, rechten Szene ist. Profitiert hat davon vor allem ein Videoportal – BitChute. Dort haben Jones und andere Gleichgesinnte eine neue Plattform gefunden, um ihren Content zu verbreiten.

Ähnlich wie Parler verkauft sich auch BitChute als „zensurfreie“ Alternative zu Mainstreamplattformen wie YouTube. Wer Verschwörungstheorien zur US-Wahl, COVID-19, zum Holocaust oder Tiraden gegen Migranten und andere Minderheiten auf YouTube vermisst, wird auf BitChute schnell fündig. Im Gegensatz zu Parler, auf dem fast ausschließlich auf Englisch kommuniziert wird, findet sich auf BitChute auch ein breites Angebot an deutschsprachigem Content.

Tausendfach geklickt. Antisemitische Videos auf BitChute. Screenshot: Philipp Leiber

Produziert wird dieser zum Beispiel von Nikolai Nerling, besser bekannt unter seinem Alias „Der Volkslehrer“. Nerling, ein ehemaliger Grundschullehrer, wurde 2018 fristlos entlassen und 2019 wegen Volksverhetzung und Hausfriedensbruch verurteilt, nachdem er beim Besuch einer KZ-Gedenkstätte den Holocaust vor seinen Schülern leugnete. Auf seinem YouTube-Kanal veröffentlichte Nerling sowohl Interviews mit Holocaustleugnern und Reichsbürgern als auch Videos mit antisemitischen Verschwörungstheorien. Im April 2019 wurde sein Kanal, der zu diesem Zeitpunkt über 60.000 Abonnenten hatte, von YouTube gesperrt. Nach einem erfolglosen Versuch, seine Videos auf einem neuen Kanal verfügbar zu machen, fand Nerling auf BitChute ein neues Zuhause. Dort veröffentlicht er immer noch mehrere Videos pro Woche. Eines davon dokumentiert seine Teilnahme an einer Demonstration im November. Dort bezeichnet er die Verschärfungen des Infektionsschutzgesetz als „Ermächtigungsgesetz” und „Weg in den Faschimus”.

Auch Martin Sellner, ein rechter Aktivist und Sprecher der Identitären Bewegung in Österreich, ist auf BitChute aktiv. Dort verteidigt er in seinen aktuellen Videos Trump und seine Anhänger, vergleicht sogar die Vorkommnisse in und um das Kapitol mit dem Frauenmarsch, der 2017 nach Trumps Amtseinführung stattfand. Im Titel eines anderen Videos stellt Sellner die Frage: „Macht die Impfung uns alle zu Genmanipulierten?“ Wer hofft, diese Behauptung würde im Video entkräftet, wird allerdings enttäuscht. Ähnlich wie Nerling wurde auch Sellner mehrmals auf YouTube gesperrt, bevor er auf BitChute aktiv wurde. Die letzte Sperre erfolgte im Juli 2020. Wenige Tage später nahm auch Sellners Webhoster dessen Website vom Netz.

Galerie: Eine Auswahl von Zitaten aus dem Kommentarbereich unter Sellners Videos. Grafiken: Philipp Leiber

Funktioniert Deplatforming?

Als Deplatforming“ bezeichnet man im Englischen das Entziehen einer öffentlichen Plattform für eine Person oder Gruppe. Genutzt wird dieser Begriff aktuell vor allem im Bezug auf Social Media und andere Internetplattformen. Die Frage, ob dieses Vorgehen funktioniert, lässt sich nicht klar beantworten. Wenn Nutzer von „Mainstreamplattformen” wie Twitter oder YouTube gesperrt werden, verlieren sie an Reichweite. Anhand von Beispielen wie Parler oder BitChute lässt sich aber erkennen, dass alternative Plattformen ihnen weiterhin die Möglichkeit bieten, ihre Ansichten zu verbreiten. Diese entwickeln sich schnell zu Echokammern, in denen sich Nutzer noch schneller radikalisieren. Für extremistischen oder gar illegalen Content ist Deplatforming, schon aus rein rechtlichen Gründen, meist die einzige Lösung. Allerdings ist es fraglich, ob dies auch für weniger extreme Inhalte gelten sollte. Die andauernde Verschärfung von Richtlinien auf Social-Media-Plattformen könnte langfristig dazu führen, dass sich auch moderate Nutzer von diesen abwenden. Die Folge könnte ein geteiltes Internet sein, in dem ein Diskurs zwischen den politischen Lagern nicht mehr möglich ist, da beide Seiten tief in ihren Echokammern stecken.

Was bedeutet das für uns?

Auch wenn diese Probleme momentan vor allem die USA betreffen, lässt sich an BitChute erkennen, dass das Thema auch im deutschsprachigen Raum relevant ist. Politischer Diskurs findet auch hierzulande zunehmend über Social Media statt. Und auch wenn die Spaltung der politischen Lager noch längst nicht so extrem ist wie in den USA, sollte man diese Entwicklungen dennoch genau betrachten, denn die Regeln für Twitter, Facebook und Co. werden nicht hier gemacht, sondern dort. Solange wir Europäer uns ausschließlich auf die Angebote aus Übersee verlassen, werden uns diese Entwicklungen weiterhin direkt betreffen.

Text und Titelbild: Philipp Leiber
<h3>Philipp Leiber</h3>

Philipp Leiber

studiert Medienmanagement im 4. Semester, kommt ursprünglich aus dem Süden von Baden-Württemberg und ist Leiter des Ressorts Medien