Provokation um jeden Preis

von | 18. Juni 2010

Am Dienstagabend verabschiedete sich Horst Köhler endgültig von seinem Bundespräsidentenamt. Sein Nachfolger wird am 30. Juni durch die Bundesversammlung in Berlin gewählt. Die Medien sind hautnah dabei, nur der Kandidat der NPD geht dabei unter.

Zur Wahl des neuen Bundespräsidenten sind vier Kandidaten nominiert. Union und FDP schicken den niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff (CDU) ins Rennen. Für SPD und Grüne kandidiert der parteilose Joachim Gauck. Die Linkspartei hat die Journalistin Luc Jochimsen aufgestellt und die NPD favorisiert Liedermacher Frank Rennicke, dessen Texte sich stets hart an der Grenze zur Illegalität bewegen. Einige Veröffentlichungen stehen auf dem Index der Prüfstelle für jugendgefährdende Medien.

Informationen bewusst vorenthalten

In dieser heißen Phase berichten die Medien regelmäßig über die anstehende Bundespräsidentenwahl. Bereits jetzt gelten die Kandidaten Wulff und Gauck als Favoriten mit den meisten Wählerstimmen. Die Minderheiten Linke und NPD geraten bei der Berichtserstattung häufig in Vergessenheit. Rennicke wird in vielen Berichten über die Wahl gar nicht erst erwähnt. So wird er zum Beispiel bei „SPIEGEL ONLINE“ gar nicht als Kandidat aufgeführt. „Die Spiegelredaktion hat sich dazu entschieden über die NPD-Kandidaten nicht zu berichten“, teilte „SPIEGEL ONLINE“ auf Anfrage mit. Von einer solchen Szene wolle man sich deutlich distanzieren, was das gute Recht einer freien Presse sei.

Die Randparteien sehen sich aufgrund dessen als schwarzes Schaf. Ihre Opferrolle wissen sie geschickt zu verkaufen. Es bleibt die Frage, ob das Verschweigen des Kandidaten nicht die Objektivität der Berichterstattung ad absurdum führt. Machen sich die Redaktionen so nicht bewusst zur Zielscheibe der marktschreierischen Parolen von rechts? Nicht alle großen Medien verschweigen den vierten nominierten Kandidaten. In einem kürzlich erschienenen Artikel auf tagesschau.de wird Rennicke genannt. „Wir haben ihn der Form halber mit erwähnt, da er ja als Kandidat mit aufgestellt wird“, heißt es von Andreas Bartels aus der tagesschau.de-Redaktion.

Diskriminierung des Kandidaten?

Bereits im letzten Jahr kandidierte Rennicke als Bundespräsident. Die Medien schenkten ihm kaum Beachtung. Um den Niedersachsen vorzustellen, stellte die Bundestagsverwaltung einen Text ins Internet. Zahlreiche Formulierungen dieses Textes stammten von der NPD-Internetseite. Rennicke wurde unter der Überschrift „Handwerker und Liedermacher“ als „Nationaler Barde“ bezeichnet. Nach 24 Stunden wurde der Text durch eine abgeänderte Version ersetzt.

Eine Reaktion der Rechten folgte prompt. „Nachdem gestern noch der Bundespräsidentschaftskandidat der Nationalen Opposition auf der Netzseite des Bundestages genauso, wie die drei anderen Bewerber dargestellt wurde, veranlasste offensichtlich der Präsident des Bundestages am heutigen Tage eine Zensur“, heißt es in einer Mitteilung der Internetpräsenz der nationaldemokratischen Partei. Zudem drohte der NPD-Franktionsvorsitzende Udo Pästors: „Wir werden juristische Schritte prüfen und gegebenenfalls auch das Bundesverfassungsgericht anrufen. Wir sind nicht bereit die durch die Zensur zum Ausdruck gebrachte Diskriminierung unseres Kandidaten einfach so hinzunehmen.“

Aufmerksamkeit durch Provokation

Auf Vorfälle wie diese angebliche Zensur wartet die NPD. Solche Gelegenheiten nutzt die Partei systematisch, um öffentlich präsent zu sein und sich als Opfer ungerechter Behandlung darzustellen. Dass Rennicke keine Chance hat Bundespräsident zu werden, steht fest. Mit den wenigsten Stimmen kann er sich gegenüber seinen Mitstreitern nicht durchsetzen. Doch die Kandidatur allein ist ein perfekter Anlass sich der Öffentlichkeit zu präsentieren und bewusst gegen das System zu rebellieren. Dafür ist der Liedermacher Rennicke ohne Zweifel der perfekte Kandidat. Provozieren um jeden Preis – über so etwas wird geredet.

<h3>Christina Walther</h3>

Christina Walther