Nacho-Time

Von toten Kindern und Verzweiflung

von | 29. Januar 2021

Verzweifle ich an Mitgefühl oder grauenhaften Filmen? Findet es heraus.

Schmeißt das Popcorn in die Mikrowelle und wärmt die Käsesoße auf! Es ist mal wieder Nacho-Time, die letzte Ausgabe in diesem Semester. Während die Kinosäle noch immer geschlossen bleiben, müssen wir uns wohl oder übel weiterhin mit Netflix Originals als die einzigen neuerscheinenden Filme begnügen. Dazu zählen dieses Mal „Pieces of a Woman” und „What happend to Mr. Cha”. Außerdem haben wir mit „Die Gärtnerin von Versailles“ natürlich wie immer einen Hidden Gem für euch dabei, der zwar älter, aber dadurch nicht weniger sehenswert ist.

Wenn Trauer Familien zerstört

Wie geht man mit Trauer um? Welche Auswirkungen kann der Verlust eines Kindes auf eine ganze Familie haben? Mit diesen zentralen Fragen setzt sich das neue Netflix Original „Pieces of a Woman“ auseinander. In dem zweistündigen Drama dreht sich alles um das junge Paar Martha (Vanessa Kirby) und Sean (Shia LaBeouf), die bei einer Hausgeburt ihr lang erwartetes Baby verlieren. Auch die Familie mischt sich schon bald in den Trauerprozess ein und so kommt es zu immer neuen Konflikten und Versuchen, eine Erklärung für das Geschehene zu finden.

Nachdem Shia LaBeouf früher noch für Action-Blockbuster wie „Transformers“ bekannt war, übt er sich in seinen neueren Filmen in Feinfühligkeit. Auch hier schafft er es mit seiner Rolle des Arbeiters aus der Mittelklasse, der in seine Drogensucht zurückfällt, zu überzeugen. Seine emotionsgesteuerten Handlungen, wie unter anderem seine Affäre, bieten einen starken Kontrast zu seinem Pendant Vanessa Kirby. Diese reagiert nicht mit Wut auf die Geschehnisse, sondern mit stiller Trauer, in der sie die Tragödie zu verarbeiten versucht. Hier kommt es zum eigentlichen Konflikt der Handlung. Das Paar und auch die Angehörigen von Martha trauern alle auf sehr unterschiedliche Art und Weise. Während die Mutter nach Gerechtigkeit in einem Prozess gegen die Hebamme sucht, flüchtet sich Sean zurück in die Drogen und Martha sucht sich ein neues Hobby im Apfelbaum-Züchten. Warum, erfahren wir erst später. 

Die Geschichte zieht sich über 127 sehr lange Minuten. Dabei gelingt es nicht, durch die zahlreichen Zeitsprünge die Langeweile zu überbrücken. Mit ausgedehnten Kamerafahrten und nur minimalistischer Einbindung des eigenen Soundtracks lässt der Film viele Atempausen, die sich für den Zuschauer auffällig strecken. Er verrennt sich in dem Versuch, die Gesamtsituation, einschließlich der halbstündig inszenierten Geburt, so realistisch wie möglich darzustellen. Obwohl in der Zusammenfassung der Handlung bei Netflix ein starker Fokus auf Martha gelegt wird, geht dieser schnell unter der Vielzahl an Nebencharakteren verloren. Dadurch schwindet leider auch der emotionale Fokus und es baut sich eine gewisse Distanz zu den Figuren auf. Man bekommt selten die Gelegenheit, an ihrem Schmerz teilzuhaben, weil die wirklich dramatischen Szenen einfach weggeschnitten werden. Dazu zählt auch das abrupte Ende der Geburtsszene zu Beginn, als klar wird, dass das Baby nicht überleben wird. Anstatt die unmittelbaren Gefühle der Eltern zu zeigen, wird direkt auf eine Szene einen Monat später geschnitten.

„Pieces of a Woman“ ist also eine gefühlvolle Geschichte, ohne je wirklich Gefühle beim Zuschauer zuzulassen. Technisch ist der Film einwandfrei produziert. Auch die Schauspieler versuchen ihr Bestmöglichstes, um die ausgedehnte Spiellänge zu überbrücken, dies gelingt jedoch nur in Teilen. Der Versuch, die Story möglichst real darzustellen, verhindert den Spannungsaufbau einer gelungenen Filmgeschichte und schafft es somit nicht, den Zuschauer zu bewegen.

Das Ende einer Karriere?

Wer in nächster Zeit Lust auf einen Film zum Fremdschämen bekommt, ist mit „What happened to Mr. Cha“ genau an der richtigen Adresse. In dem koreanischen Film von Cha In-pyo, in der Hauptrolle mit Cha In-pyo als Cha In-pyo, kämpft ein in die Tage gekommener Schauspieler um seine Stellung in der Unterhaltungsindustrie. Dabei findet er sich in immer unglücklicheren Situationen wieder und muss letzten Endes nicht nur um seine Karriere, sondern auch seinen Ruf fürchten.

102 Minuten fühlen sich wie eine Ewigkeit an, wenn eine Komödie es partout nicht schafft, den Zuschauer zum Lachen zu bringen. Es beginnt mit einer extrem unangenehmen Szene, in der Mr. Cha für einen Werbespot posieren soll. Auch nach mehrfachen Bemühungen des Fotografen legt der Schauspieler mehr Wert auf eine Selbstinszenierung als auf das Produkt. Dies lässt ihn als langjährig erfahrenen Star sowohl in der Film- als auch Model-Industrie unglaubwürdig wirken. Während er versucht, eine Rolle in einer neuen Reality-Show zu bekommen, wird dann auch noch klar, was für eine verzerrte Selbstwahrnehmung er hat. Diese Ungereimtheiten seines Charakters distanzieren den Zuschauer von seiner Rolle und schaffen eine starke Abneigung gegen ihn und seine Handlungen. Wenn er dann auch noch in Hundekot greift, in eine Schlammpfütze fällt und unter den Trümmern einer Mädchen-Sporthalle verschüttet wird, verliert man gänzlich die Lust daran, seine Geschichte weiter zu verfolgen. Und das sind nur die ersten 30 Minuten des Films.

Cha In-pyo

Geboren am 14. Oktober 1967 in Südkorea machte er sein Schauspieldebüt mit dem Drama „Han Ji Bong’s Three Families“ im Jahr 1993. Bereits ein Jahr später gelang Cha In-pyo der Durchbruch mit seiner Rolle in der Serie „All My Love For You“, durch die auch seine bis heute berühmte Geste des wackelnden Zeigefingers entstand. Auf diese wird auch in „What happend to Mr. Cha“ immer wieder angespielt. Danach wirkte er in zahlreichen Filmen und Serien mit, unter anderem auch in amerikanischen Produktionen, wie der Serie „Sense8“. Bereits 2015 bekam er dabei das Drehbuch für sein neues Netflix Original vorgelegt. Damals empfand er die Geschichte jedoch als absurd, insbesondere, weil sie seinen eigenen Namen im Titel trug. In einem Interview gestand er, dass ihm in den darauffolgenden Jahren tatsächlich immer weniger Rollen angeboten wurden und sich das Skript dadurch fast wie eine „selbsterfüllende Prophezeiung“ anfühlte. Somit beschloss er, sich der Rolle schließlich doch anzunehmen, auch um die öffentliche Wahrnehmung ihm gegenüber aufzubrechen und einen Schritt aus seiner Komfortzone zu wagen.

Die folgenden Verstrickungen und Ereignisse bauen nur weiter auf der Schande auf und machen es von Sekunde zu Sekunde schwerer, weiterzuschauen. Während die Nebenfiguren noch einen gewissen Charme besitzen, will Mr. Cha sich einfach nicht ins Positive entwickeln. Durch den starken Fokus auf seine Rolle, gehen dadurch auch alle positiven Aspekte der anderen verloren. Die Kulissen sind dabei genauso langweilig und unkreativ wie die Handlung. 

Man muss sich wirklich fragen, was Cha In-pyo mit seinem neuen Werk bezwecken wollte. Eine ironische Hommage an sich selbst? Eine Rückkehr ins Rampenlicht in einer neuen Hauptrolle? Was auch immer es war, es ist gescheitert. „What happend to Mr. Cha“ ist unangenehm mit anzusehen und macht ihn zu einer Lachfigur im negativsten Sinne, was schade ist, in Anbetracht seiner bis hierhin beeindruckenden Karriere.

Ein Garten zum Verlieben

Die meisten kennen ihn nur als den dunkelhaarigen, grimmigen Severus Snape in „Harry Potter“. Doch Alan Rickman macht auch als extravaganter König und Regisseur eine gute Figur. „Die Gärtnerin von Versailles“ ist der zweite und letzte Spielfilm, bei dem er zu Lebzeiten Regie führte. Dieser entführt uns zurück ins 17. Jahrhundert an den französischen Hof von Ludwig XIV. Hier bekommt die verwitwete Sabine De Barra (Kate Winslet) die einmalige Chance, einen Freilicht-Ballsaal im Garten Versailles für den König zu entwerfen. Während dieser Arbeit stellt sie sich nicht nur den Gespenstern ihrer Vergangenheit, sondern verliebt sich auch in ihren Vorgesetzten, den Gartenarchitekten André Le Nôtre (Matthias Schoenarts).

In diesem einfühlsamen Historiendrama wird man von Kate Winslet als Protagonistin auf einer Woge aus Emotionen durch die Handlung begleitet. Jeder Bildausschnitt ist mit Präzision gewählt und gleicht wahrhaftig einem Gemälde. Mit dem beeindruckenden Schauspiel der Oscar-Gewinnerin und dem imposanten Kulissendesign fühlt man sich direkt in der Zeit zurückversetzt und kann ganz in die Handlung eintauchen. Von ihrer Ankunft am Hof bis zur Fertigstellung des Projekts wirkt Sabine De Barra dabei wie ein bunter Vogel unter dem Gefolge der Majestät. Ihre unscheinbaren Kleider machen sie zur Faszination des Adels, da zunächst niemand ganz versteht, wie sie es an den königlichen Hof geschafft hat. Ihr Charakter lässt uns dabei durch die Augen eines einfachen Bürgers auf die pompöse Umgebung im Schloss Versailles blicken. Dadurch können wir uns leichter mit ihr identifizieren. Auch wenn alle am Hofe eine Rolle zu spielen scheinen, um ihre Gesichter zu wahren, weckt diese Frau dennoch in dem ein oder anderen Adligen einen Hauch von Menschlichkeit. Somit lernt man auch Nebenfiguren, wie den Bruder des Königs, besser kennen, welche die Stimmung auflockern und dadurch zu einem größeren Facettenreichtum der Handlung beitragen. 

Oftmals bleibt die Stimmung jedoch ernst. Sabine trauert um ihre Tochter Claire, die bei einem Unfall ums Leben kam und stürzt sich bei jedem Gedanken an sie erneut in die Arbeit als Gärtnerin. Mit der Zeit hilft die Beziehung zu André ihr jedoch, sich Stück für Stück ihrer Vergangenheit zu stellen. Zunächst ist die Atmosphäre zwischen den beiden noch angespannt. Doch sie nähern sich immer weiter an und tatsächlich wächst dadurch auch die Synergie der beiden Charaktere, sodass sie letzten Endes eine glaubhafte Liebesgeschichte erzählen. Diese bleibt nicht ohne etwaige Zweifel und Rückschläge. Aber auch dies hält für uns als Zuschauer die Spannung, die größtenteils von der Entwicklung der einzelnen Figuren lebt.

Wer sich gerne von prunkvollen Schlössern sowie der Schönheit der Natur verzaubern lässt, wird bei „Die Gärtnerin von Versailles“ auf seine Kosten kommen. Dieser Film zeigt nicht nur das gewaltige Schauspieltalent der Hauptdarsteller, sondern lässt uns auch bedauern, dass wir zu seinen Lebzeiten leider viel zu wenig von Alan Rickmans regiegeführten Werken sehen durften.

Filmweisheit der Woche

„Was soll das bringen, Schuld. Es reicht, dass es überhaupt passiert ist. Es reicht, darüber hinwegkommen zu müssen.“

(Le Nôtre – „Die Gärtnerin von Versailles“)

Text: Clara S. Eckhardt, Titelbild: , Videos: YouTube/Netflix Deutschland, Österreich und Schweiz, YouTube/Netflix Asia, YouTube/KinoCheck

<h3>Clara Sophie Eckhardt</h3>

Clara Sophie Eckhardt

ist aufgewachsen in Schleswig-Holstein und studiert nun in Mittweida Medienmanagement mit dem Schwerpunkt eSports und Games Marketing. Währenddessen engagiert sie sich als Redakteurin und Leiterin des Social Media Bereichs für medienMITTWEIDA.