Smartphone-Hacking – Vom Hobbyprojekt zum Millionengeschäft

von | 11. Februar 2014

Immer mehr Nutzer installieren auf ihren Handys Programme, die Restriktionen der Hersteller umgehen und so mehr Kontrolle über das eigene Telefon ermöglichen. Doch was bringen „Rooten” und „Jailbreaken” eigentlich? Was […]

Immer mehr Nutzer installieren auf ihren Handys Programme, die Restriktionen der Hersteller umgehen und so mehr Kontrolle über das eigene Telefon ermöglichen. Doch was bringen „Rooten” und „Jailbreaken” eigentlich? Was muss beachtet werden und wer verdient daran?

Es ist ein Gegentrend zu aktuellen Entwicklungen in der Technik-Branche: Während Apple oder Samsung zunehmend geschlossene Systeme etablieren, versuchen die Entwickler hinter „Jailbreak”-Programmen und „Rooting”-Tools dem Nutzer die Kontrolle über das eigene Handy oder Tablet zurückzugeben. Was als Hobbyprojekt von Nerds und Hackern angefangen hat, besitzt mittlerweile Mainstream-Appeal. Grundlage ist bei Android- und Apple-Geräten das „Rooten” beziehungsweise „Jailbreaken”: Ein Prozess, bei dem der Nutzer seine Zugriffsrechte erweitert. So wird – oft durch Ausnutzung einer Sicherheitslücke im System – die volle Kontrolle über das System erlangt.

Der „Jailbreak” − Apples iOS
Der "Cydia"-Store

Der „Cydia“-Store

Zum „Jailbreaken” von iPhone oder iPad führt man auf dem eigenen Computer ein geeignetes Programm aus, das über die USB-Verbindung die von Apple diktierten Einschränkungen entfernt. Nach dem Neustart findet sich dann ein neuer App Store auf dem Homescreen: „Cydia” ermöglicht den Download von tausenden Apps und Erweiterungen, die über iTunes nicht verfügbar sind. Vom Werbeblocker bis zum verbesserten SMS-Programm bieten sich so viele Möglichkeiten, um das eigene Nutzungserlebnis zu verbessern. Die meisten dieser Programme sind nur durch den „Jailbreak” möglich, weil sie tiefer als eigentlich zulässig ins System eingreifen. Viele Features, die mittlerweile fester Bestandteil von mobilen Betriebssystemen aller Hersteller sind, haben ihren Ursprung in der „Jailbreak”-Community.

Das „Rooten” − Googles Android
Eine „Custom Recovery”

Eine „Custom Recovery”

Bei Googles Android-Betriebssystem variiert die Vorgehensweise von Gerät zu Gerät. Grundsätzlich geht es auch hier darum, Administratorrechte zu erlangen − „root” genannt. Ein Unterschied zum Apple-„Jailbreak” ist die Möglichkeit, eine sogenannte „Recovery” zu installieren, über die nun „ROMs” „geflasht” werden können. Oder ohne Anglizismen: Man spielt auf das Gerät ein Programm auf, mit dem man das Betriebssystem des Herstellers durch ein anderes ersetzen kann.

Samsung oder auch LG sind berüchtigt dafür, ihre Smartphones und Tablets mit unnützen Apps auszuliefern, die nicht ohne weiteres entfernt werden können. Eine „ROM” kann da Abhilfe schaffen und nebenbei zum Beispiel Akkulaufzeiten deutlich verbessern. Auf Geräten, die vom Hersteller nicht mehr unterstützt werden, kann in viele Fällen auf diese Weise auch eine aktuelle Android-Version aufgespielt werden.

Einen inoffiziell-offiziellen Store wie „Cydia” gibt es bei Android nicht, stattdessen findet man „ROMs”, Programme und Erweiterungen in Expertenforen, wie „XDA Developers”. Viele nützliche „Root”-Programme, mit denen man zum Beispiel Apps daran hindern kann, Kontaktdaten oder GPS-Informationen zu stehlen, sind aber auch direkt über Googles offiziellen „Play Store” verfügbar.

Hier ein paar nützliche Apps und Erweiterungen für Android und iOS:

Entwickelt werden die „ROMs”, Apps und Erweiterungen von Programmierern aus aller Welt. Meist finanzieren sich die Autoren über Werbeeinnahmen oder Spenden, bei „Cydia” oder im „Play Store” kann aber auch zum Festpreis verkauft werden. Gelegentlich versuchen sich die Entwickler auch an neuen Methoden, um Geld zu verdienen – mit unterschiedlichem Erfolg.

Hacker, Piraten und 1.000.000 Dollar

Als mit „evasi0n7” im vergangenen Dezember der erste „Jailbreak” für Apples mobiles Betriebssystem iOS7 veröffentlicht wurde, war der Aufschrei im Netz groß – nicht nur, weil iPhone-Fans bereits seit Monaten auf das Programm gewartet hatten. Auslöser der Kontroverse war der alternative App-Store „TAiG”, den „evasi0n” bei chinesischen Nutzern automatisch und ungefragt mitinstallierte. „TAiG” ermöglicht den kostenlosen Download von Bezahlsoftware und ist bekannt für systematische Urheberrechtsverletzungen.

Die „evasi0n”-Entwickler liessen sich dafür ordentlich bezahlen: Bis zu einer Million US-Dollar soll Kuaiyong, die Firma hinter „TAiG”, dem Team versprochen haben. Diese Geschäftspraxis stieß im Internet auf wenig „Gegenliebe”, in den sozialen Netzwerken wurden die Programmierer als Sellouts – korrupte Verräter – beschimpft. Die „evad3rs” machten einen Rückzieher. Nur wenige Stunden nach der ursprünglichen Veröffentlichung wurde der App-Store wieder aus dem Programm entfernt. Der Millionendeal kam nicht zu Stande. Die meisten Nutzer zeigten sich von den moralischen Implikationen der ganzen Angelegenheit aber eher unbeeindruckt: Mehr als 7 Millionen Apple-Geräte knackten sie in den ersten vier Tagen nach dem Release.

Hobbyprojekt: Incorporated

Eine deutlich elegantere Methode, um mit Smartphone-Modding Geld zu verdienen, hat „Cyanogen Inc.” gefunden. „CyanogenMod” basiert auf Googles quelloffenem Android-Betriebssystem und ist für hunderte Handys und Tablets verfügbar. Wer die ROM auf seinem Gerät installiert, ersetzt die vom Hersteller vorinstallierte Android-Version vollständig. Das bietet viele Vorteile: „CyanogenMod“ belegt weniger Speicherplatz, ist frei von überflüssiger Software und bietet nützliche Datenschutz-Funktionen. Ältere Handys, die durch Abstürze und lange Ladezeiten kaum noch bedienbar sind, laufen so plötzlich wieder flüssig. Nach eigenen Statistiken hat die Firmware mehr als zehn Millionen aktive Nutzer.

Den Schritt in den Mainstream haben die Entwickler geschafft: ein Gerät des Herstellers „Oppo“ wird bereits mit „CyanogenMod” ausgeliefert, zudem gibt es einen benutzerfreundlichen Universal-Installer, der die Hemmschwelle für potentielle Nutzer senken soll. Über 30 Millionen Dollar haben Risikokapital-Firmen im vergangenen Jahr in das Projekt investiert – aus dem Hobbyprojekt ist ein wichtiger Player in der Mobile-Computing-Branche geworden. Vor kurzem wurde mit „OnePlus“ ein weiterer Hardwarepartner bekannt gegeben.

Die Sache mit der Garantie

Doch hat das Verändern und Ersetzen von Herstellersoftware Einfluss auf die Garantie? Nein, meint die „Free Software Foundation Europe” (FSFE) und beruft sich auf eine EU-Richtlinie. Wenn der Hersteller keinen Zusammenhang zwischen einem Defekt und der Softwareveränderung nachweisen kann, muss er den rechtlich vorgeschriebenen zweijährigen Garantieanspruch würdigen. Verweigert werden darf nur die freiwillige Garantie, die von Hersteller zu Hersteller unterschiedlich ausfällt.

In der Praxis kann man Auseinandersetzungen oft völlig vermeiden, indem man das Gerät vor der Abgabe beim Hersteller auf den Auslieferungszustand zurücksetzt. Denn „Root” und „Jailbreak” lassen sich in den meisten Fällen rückgängig machen, ohne dabei auf dem Handy oder Tablet Spuren zu hinterlassen.

Smartphone-Hacking als Denkanstoß

In Zeiten, in denen Hersteller die Bewegungsfreiheit des Nutzers immer weiter einschränken, werden „Jailbreak” und „Rooting” immer bedeutender. Die Möglichkeiten zur Datensicherung und dem Schutz der Privatsphäre sind angesichts immer neuer NSA-Enthüllungen wichtig wie nie zuvor. „Rooten” kann aber auch ein Statement gegen den Verschleiß sein: Viele der Projekte haben es sich zum Ziele gesetzt, die Lebensdauer von Geräten deutlich zu verlängern. „Whited00r” stattet das über sechs Jahre alte iPhone 2G mit iOS7-Features aus, während „CyanogenMod” betagten Android-Geräten neues Leben einhaucht.

Der Erfolg der Smartphone-Hacker setzt auch ein Zeichen für die etablierten Marken. Von einigen Android-Handys großer Hersteller gibt es mittlerweile „Developer Editions”, die Veränderungen am Betriebssystem vereinfachen. Außerdem hat Google die aktuelle Version von Android für schwächere Geräte optimiert. Das macht Hoffnung auf mehr Transparenz und Nutzerfreundlichkeit auf dem Smartphone- und Tablet-Markt.

Text und Grafik: Clemens Müller; Bild: Kārlis Dambrāns | Quelle: flickr.com/ | Lizenz: CC BY

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Redakteur