Wolfgang Herrndorf: Die gedruckten 41 Monate

von | 11. Dezember 2013

„Gestern haben sie mich eingeliefert. Ich trug ein Pinguinkostüm“. Bestsellerautor Wolfgang Herrndorf beginnt so seinen autobiografischen Blogeintrag im März 2010. Der Anfang eines Leidensweges. Von der Diagnose Glioblastom – tödlicher […]

„Gestern haben sie mich eingeliefert. Ich trug ein Pinguinkostüm“. Bestsellerautor Wolfgang Herrndorf beginnt so seinen autobiografischen Blogeintrag im März 2010.

Der Anfang eines Leidensweges. Von der Diagnose Glioblastom – tödlicher Hirntumor, über die Veröffentlichung des vielfach prämierten Bestsellers „Tschick“ bis hin zu seinem Freitod im August diesen Jahres. Der Autor nannte es die „Exitstrategie“. Dokumentiert ist all dies in „Arbeit und Struktur“, dem literarischen Online-Tagebuch Herrndorfs. Traurig und schockierend, aber dennoch mit humoristischen Zügen. Zunächst sollte es Freunde und Familie über den Verlauf seines Kampfes gegen die Krankheit am Laufenden halten. Sechs Monate später war es für die Öffentlichkeit zugänglich und wurde nun auch als Buch veröffentlicht.

Sechs Jahre hatte der Autor die unvollendete Version von „Tschick“ liegen lassen. Mit dem Kampf gegen die Krankheit nahm er aber die Arbeit daran wieder auf und veröffentlichte den Jugendroman 2010 mit großem Erfolg. Die Geschichte über die Freundschaft zweier jugendlicher Außenseiter und deren erlebten Abenteuer begeisterte Millionen Leser. Darauf folgte der Spionagethriller „Sand“, für den er 2012 sogar den Leipziger Buchpreis erhielt. Herrndorf hatte es geschafft. Für seinen Erfolg brauchte er eben eines: Arbeit und Struktur. „Ich arbeite an drei Textstellen, frühstücke und unterhalte mich mit Pfleger und Patienten gleichzeitig, ohne irgendwo den Faden zu verlieren. Auch nicht normal.“ – 12. März 2010. Seine Liebe und Begeisterung zur Literatur war nachlesbar. Für ihn jedoch plötzlich fremd. „Bücher, in die ich mir Notizen gemacht hab, in der Badewanne eingeweicht und zerrissen. Nietzsche, Schopenhauer, Adorno. 31 Jahre Briefe, 28 Jahre Tagebücher. An zwei Stellen reingeguckt: Ein Unbekannter.“ Die Folgen seiner Krankheit wurden immer spürbarer und seine Fähigkeiten immer eingeschränkter. So zerstörte er einige seiner literarischen Mühen, wenn er sich darin nicht wiedererkannte. Er schäme sich, schreibt er. In den letzten Wochen halfen Freunde bei der Fortführung des Tagebuchs, welches immer noch unter www.wolfgang-herrndorf.de einsehbar ist. Ihm allein fehlte die Kraft. Auf eigenen Wunsch wurde sein Blog als gleichnamiges Buch vergangene Woche veröffentlicht. Einige wenige Ergänzungen wurden vorgenommen, ansonsten blieb der Inhalt gleich. „Jeden Abend der gleiche Kampf. Lass mich gehen, nein, laß mich gehen, nein. Laß mich.“ – So sein Eintrag vom zweiten August 2013.

Letztendlich konnte er sich selbst loslassen und die innerliche Zwiespaltigkeit besiegen. Denn, so der letzte Eintrag in seinem digitalen Tagebuch: „Wolfgang Herrndorf hat sich am Montag, den 26. August 2013 gegen 23.15 Uhr am Ufer des Hohenzollernkanals erschossen.“

Text: Christina Clasohm – DIE NOVUM

<h3>Felix Kraneis</h3>

Felix Kraneis

Stellv. Chefredakteur