Landwirtschaft

Melken und gemolken werden

von | 22. Mai 2018

Traditionelle Milchbauern kämpfen mit schwankenden Preisen. Um das Überleben der Familienbetriebe zu sichern, sind neue Ideen gefragt.

Sechs Uhr, irgendwo in Bayern. Mit Summen, Brummen und Flackern erhellen die Leuchtstoffröhren die morgendliche Dunkelheit. Aufregung und Unruhe machen sich breit. Heidi, Alma, Wicky und die anderen scharren mit den Hufen. Denn sie wissen: Es geht los. Michael und seine Eltern auf der anderen Seite hingegen sind ruhig und routiniert. Fast wortlos arbeiten sie Hand in Hand, damit’s läuft. Eintausend Liter, jeden Tag.

Michael Richtmann ist 27 Jahre alt und Milchbauer. Nach Abschluss seines Landwirtschaft-Studiums steigt er 2015 in den elterlichen Betrieb ein, den sein Vater Hubert über Jahre aufgebaut hat. Von Anfangs zwölf Kühen vergrößerte er die Herde nach und nach auf 100 Tiere, ungefähr die Hälfte davon gibt Milch. Doch lukrativ sei das Geschäft mit dem »weißen Gold« schon lange nicht mehr, zumindest nicht für die Erzeuger. »Wir sind dem Milchpreis sozusagen ausgeliefert«, beschwert sich Michael. Es gebe kein Mitspracherecht, oft aber einen schlechten Preis für die gelieferte Milch zum Monatsende.

Einziger Vorteil: Die Molkerei müsse den Landwirten jede beliebige Menge abnehmen. »Eigentlich ein sicheres Einkommen. Wir wissen eben nur nie, wieviel wir letztendlich bekommen«, scherzt »Rische«, wie er hier nur genannt wird – Galgenhumor.

»Wir sind dem Milchpreis sozusagen ausgeliefert«, sagt Michael Richtmann. Der junge Milchbauer steht im Stall bei seinen Kühen.
Foto: Johannes Zrenner

Die Spielregeln der Molkereien

Der Milchpreis, genauer der Erzeugerpreis, schwankt seit Jahren. »Im Sommer 2016 wurde ein neues Tief erreicht – rund 23 Cent pro Kilogramm Rohmilch. Ende 2017 hingegen war mit 40 Cent pro Kilogramm ein Hoch zu verzeichnen, so Richtmann. »Das sind mit Aufschlägen, zum Beispiel für Fett- und Eiweißgehalt und genfreie Fütterung, über 50 Cent pro Kilo«, weiß der Jungbauer. »Bei solchen Preisen kann man wirtschaftlich sinnvoll arbeiten und Rücklagen bilden, um zum Beispiel Maschinen Instand zu halten oder zu erneuern.«

Die Vergütung je Kilogramm Rohmilch für den Erzeuger setzt die Molkerei nicht willkürlich fest. Der Auszahlungspreis wird von vielen Faktoren beeinflusst, die zu einer kontinuierlichen Anpassung führen. Auf Seiten der Molkereien spielen vor allem die Betriebs- und Personalkosten sowie die kontinuierliche Weiterentwicklung und Neuentwicklung von Produkten eine Rolle. Daneben sind die Preisentwicklungen für Milch und Molkereiprodukte auf dem Weltmarkt von immer größerer Bedeutung. Denn längst werden die in Deutschland produzierten Milchprodukte nicht mehr nur in Deutschland verkauft. Joghurt, Butter und Käse aus deutscher Herstellung konkurrieren im Handel mit ausländischen Produkten.

Gelingt die Sicherung des Einkommens über die klassische landwirtschaftliche Produktion nicht mehr, müssen eben neue Konzepte her, um sich »ein zweites Standbein« aufzubauen. Michael Richtmann beim Bedienen einer Maschine. Foto: Johannes Zrenner

Besonders kleine Betriebe in Gefahr

Dass die Milchbauern teilweise zu kurz kommen, steht seit Jahren im Raum. Bis April 2015 hatte die EU-Agrarkommission versucht, den Preis zu regulieren. Die sogenannte Milchquote war eine Reaktion auf die steigende Milchproduktion Ende der 70er Jahre. Sie bestimmte die maximale Produktionsmenge in den EU-Mitgliedsstaaten. Eigentlich nur für fünf Jahre geplant, wurde die Reglementierung immer wieder verlängert, um für stabile Preise zu sorgen. Das funktionierte nur bedingt, deshalb wurde die Quote letztendlich abgeschafft. Der Deutsche Bauernverband schätzt, dass die Erzeugerpreise für Rohmilch in den 31 Jahren mit Milchquote um bis zu 20 Cent pro Liter schwankten.

Von der Abschaffung proftieren vor allem große Betriebe, die über entsprechende Ressourcen verfügen, um mehr Kühe unterbringen und versorgen zu können. Der Landwirt und Bundestagsabgeordnete der Grünen, Friedrich Ostendorff, sieht besonders die kleinen Betriebe in Gefahr: »Die Abschaffung der Quote bei ungebremster Mengenentwicklung nützt nur den großen Molkereien und ihren Exportinteressen, denn es fehlen wirksame Kriseninstrumente. Wenn die Milchmenge weiter explodiert, werden bis 2020 weitere 20 Prozent der Betriebe aufhören.«
Lösungsansätze gibt es vor allem auf der privatwirtschaftlichen Ebene. Eine Steuerung des Gesamtmarkts in staatlicher Form wird es wohl nicht mehr geben. Die an der Wertschöpfung beteiligten Erzeuger und Verarbeiter haben sehr unterschiedliche Erwartungen und Interessen. Die Überlegungen sind geprägt von Unsicherheiten – zum Beispiel eine erhebliche Ausdehnung der Produktionsmengen, keine Abnahmegarantien durch die Molkereien oder neue Strategien zur Mengenplanung seitens der Molkereien. Aber es gibt auch Modellvorschläge seitens der Erzeugerverbände: Eine freiwillige Begrenzung durch Erzeugerzusammenschlüsse ist denkbar, ebenso eine aktive Steuerung der Milchmengen durch Erzeugergemeinschaften oder auch eine zentrale Verhandlungsführung durch einen Branchenverband, wie beispielsweise in der Schweiz.

Viele kleine Betriebe stehen also vor einer schwerwiegenden Entscheidung: Den Betrieb vergrößern und die Milchproduktion erhöhen, um den schlechten Erzeugerpreis ausgleichen zu können. Oder eben aufhören, so wie viele in den letzten Jahren. Laut Statistischem Bundesamt gab es im Jahr 2007 noch rund 97.000 Betriebe mit Milchkuhhaltung in Deutschland, im Jahr 2017 waren es nur noch rund 66.000. Den Betrieb vergrößern möchte Familie Richtmann nicht, doch an Aufhören ist auch nicht zu denken. Insbesondere seitdem Michael mit neuen Ideen frischen Wind in den Betrieb bringt.

Eine Alternative: Direktvermarktung

Unter der Marke »Milch vom Bauer Richtmann« beliefert der Junior eigens angeschaffte Milchautomaten in mehreren Supermärkten: Frischmilch zum Selbstzapfen. So gelangt die Milch ohne Umwege vom Erzeuger direkt zum Verbraucher. Dabei wird auf eine schonende Verarbeitung geachtet. Die Milch wird pasteuristiert, das heißt für 20 Sekunden auf 72,5°C erhitzt. So bleiben wichtige Nährstoffe erhalten, zum Beispiel auch ein Fettgehalt von mindestens vier Prozent. »Die Milch muss nicht abgekocht werden, nur gute Kühlung ist wichtig. Dann ist die Milch fünf Tage haltbar«, versichert der Jungbauer. Die Milch rahmt auf, so wie früher. Die Kunden seien auch bereit, etwas mehr zu bezahlen. 1,20 Euro€ kostet ein Liter frische Milch aus Richtmanns Automat. Betreiber Stefan Legat sieht die »blecherne Kuh« im eigenen Edeka-Markt nicht als Konkurrenz, sondern als Mehrwert für seine Kundschaft. »Wir setzen auf regionale Produkte«.

Ein zweites Standbein sichert die Existenz

Gelingt die Sicherung des Einkommens über die klassische landwirtschaftliche Produktion nicht mehr, müssen eben neue Konzepte her, um sich »ein zweites Standbein« aufzubauen. Das haben schon andere bäuerliche Familienbetriebe vorgemacht, mit betriebsnahen Alternativen wie Urlaub auf dem Bauernhof oder der regionalen Direktvermarktung. Hans Zettel und Sohn Florian aus Bad Abbach bauen Kartoffeln an. Und auch sie vermarkten ihr Produkt über einen Automaten. In Mantel in der Oberpfalz gibt es Currywurst, Grillfeisch oder Sauerbraten auf Knopfdruck. Die Metzgerfamilie Guber betreibt ihren Automaten seit sieben Jahren.

Und so gibt es in Mantel auch nach Ladenschluss und am Wochenende Wurst-und Fleischwaren. Egal ob Fleisch, Kartoffeln oder Milch, neue Vermarktungsstrategien sind auf dem Vormarsch.
Und so vertreiben die Richtmanns einen Teil ihrer Milch selbst, um sie selbst zu besseren Konditionen an den Mann zu bringen. Damit bieten sie der Berg- und Talfahrt des Milchpreises die Stirn – mit Erfolg. Neben den eigenen Milchtankstellen beliefert der Familienbetrieb dreimal wöchentlich eine ortsansässige Bäckerei mit rund 500 Mitarbeitern und 52 Filialen in der Oberpfalz und in Oberfranken.

Trotz fehlender Mengenbegrenzung durch die Quote wollen die Richtmanns nach eigener Angabe lieber auf Qualität statt auf Quantität vertrauen. Die Landwirtschaft wächst aus der Rolle des herkömmlichen Rohstofferzeugers heraus, hin zum Wirtschaftspartner, der – im Idealfall unkompliziert und auf kurzen Wegen – hochwertige Produkte liefern kann. Michael und sein Vater Hubert versuchen, diese Chance zu nutzen.

Text und Fotos: Johannes Zrenner

<h3>Elisa Raßmus</h3>

Elisa Raßmus

ist 24 Jahre alt. Sie studiert im 5. Semester Medienmanagement mit der Vertiefung Journalismus. Seit 2016 arbeitet sie nebenbei in der Onlineredaktion bei der Freien Presse in Chemnitz. Außerdem hat sie sich für ein Volontariat bei der Mitteldeutschen Journalistenschule entschieden. Dieses läuft seit dem Sommersemester 2018 parallel zum regulären Studium. Seit April 2018 betreut sie das Ressort Story als Ressortleiterin bei medienMITTWEIDA.