„Sternenkinder"

Schwarz-weiß ist alles, was bleibt

von | 12. Mai 2018

"Sternenkinder" überleben ihre Geburt nicht. Ein Foto ist oft die einzige Erinnerung für die Eltern.

Nahaufnahme. Auf ihr zu sehen ist eine Hand, so groß, dass sie schon unscharf ist. Der Fokus liegt auf einem kleinen Fuß, der in der Hand liegt. Winzig, gerade einmal so groß wie die Fingerkuppe der Hand.  Zu winzig. Das Foto zeigt eine der ersten Berührungen zwischen den Eltern und ihrem Kind. Das Foto zeigt eine der letzten Berührungen des Kindes durch seine Eltern. Denn das Kind auf dem Foto lebt nicht mehr. Lilly* ist ein Sternenkind. *Name geändert

„Sie haben den Himmel schon erreicht, noch bevor sie das Licht der Welt erblicken durften.“ Foto: Elisa Matthey

Sternenkinder sind Kinder, die vor, während oder kurz nach der Geburt sterben. Im ursprünglichen Sinn werden Kinder, die weniger als 500 Gramm wiegen, als Sternenkinder bezeichnet. Generell wird der Begriff aber weiter gefasst. Insgesamt kommen in Deutschland jährlich 2.500 bis 3.000 Sternenkinder auf die Welt. Ein Spruch sagt: „Sie haben den Himmel schon erreicht, noch bevor sie das Licht der Welt erblicken durften.“ Die Eltern stehen meistens unter Schock, wenn ihr Neugeborenes leblos auf die Welt kommt, sind zu keinem klaren Gedanken mehr fähig. Ihnen helfen vielleicht nicht gleich, aber später in der Zukunft, Fotos ihres Kindes. Fotos, die würdevoll an das kleine Familienmitglied erinnern, das so zeitig gehen musste.

Der Weg zu den Sternenkindern

Solche Fotos werden ehrenamtlich von Fotografen der Organisation „Dein Sternenkind“ gemacht, wie zum Beispiel von Maika Maudrich aus Chemnitz. Was erst hobbymäßig begann, hat sie, nachdem immer mehr Kunden dazu kamen, zu ihrem Beruf gemacht. 2015 hat sie sich mit Fotografie und Trageberatung selbstständig gemacht. Da sie gern etwas von dem geben wollte, was sie kann, ohne einen Gegenwert zu bekommen, suchte sie nach einer Organisation, die ähnlich der Schweizer Herzensbilder ist. Herzensbilder macht ehrenamtlich Fotos von Menschen, die schwerkrank oder behindert sind und bald sterben. Fündig wurde Maika dann bei der deutschen Organisation „Dein Sternenkind“, die Anfang 2013 von Kai Gebel gegründet wurde. „Seitdem konnte ich schon vielen Eltern Erinnerungen von ihrem Sternenkind schenken.“

Der tragische Fall tritt ein

Maika wird von Chemnitzer Kliniken kontaktiert, wenn ein Kind gestorben ist oder die Klinik weiß, dass eins kommen wird. Entweder sie kann den Fall gleich übernehmen und zusagen oder sie leitet es an die Organisation weiter. Diese besitzt eine Alarm-App, mit der dann alle Fotografen in der Region kontaktiert werden. Meistens findet sich schnell ein Fotograf, der den Fall übernimmt. Danach wird der genaue Termin zwischen der Klinik und dem Fotografen ausgemacht, je nachdem, wann die Eltern bereit sind, das Kind fotografieren zu lassen.

Die schwere Situation für die Eltern

Manchmal bekommt Maika die Eltern des Kindes gar nicht zu Gesicht. „Das ist für mich auch immer seltsam“, sagt sie. Dann wird das Kind nur in irgendeinem Kreissaal fotografiert. Die Eltern wurden entweder schon entlassen oder wollen nicht mit aufs Bild. Dass die Eltern keinen Kontakt wollen, sei aber eher selten. „Meistens ist es so, dass ich mich erstmal den Eltern vorstelle und dann bespreche ich mit ihnen, was sie sich wünschen. Was ich immer gern möchte, ist, dass die Eltern mit dabei sind oder dass ich sie irgendwie mit einbinde, sodass man wenigstens die Hände sieht.“ Mit den Fotos haben die Eltern die Möglichkeit, die Situation nochmals vor sich zu sehen und sich zu erinnern, wie sie ihr Kind gehalten haben. Auch im Nachgang verhalten sich die Eltern unterschiedlich. „Manche reagieren gar nicht auf die Bilder, das ist aber okay. Andere bedanken sich oder schicken eine Karte, ein Foto oder eine Nachricht, dass die Bilder da sind.“

Schwarzweiß ist leichter

Wie die fertigen Bilder schlussendlich übergeben werden, ist Sache des Fotografen. Manche lassen ein paar entwickeln, wieder andere basteln kleine Mappen. Maika verschickt die Fotos meist auf einer CD, auf der sie zwei Ordner erstellt – einen mit schwarzweißen Fotos und einen mit farbigen. „Oft ist es so, dass die Eltern erstmal, um sich heranzutasten, die schwarzweißen Bilder angucken, wenn sie es überhaupt können – und erst später die in Originalfarbe. Die Bilder sehen oft sehr unterschiedlich aus. Manche Kinder sind sehr dunkel und manche sehr rot, manche bluten aus Wunden.“

Doch den Eltern bleibt wenigstens diese eine Erinnerung an ihr Kind. Foto: Elisa Matthey

Ästhetische Bilder im Anblick des schlimmen Schicksals

Deswegen müssen die Fotografen ästhetische Bilder machen, die auch die Eltern als schön empfinden. „Ich versuche dann, das Kind so zu legen, dass es schön aussieht.“ Das geht nicht bei jedem Kind gleich gut. Und auch die äußeren Bedingungen sind nicht immer optimal zum Fotografieren. Die Zimmer im Krankenhaus sind zu dunkel, die Farben ungünstig. Und auch wenn Maika während des Fotografierens merkt, dass das für die Fotos nicht gut ist – ändern kann sie es nicht. Trotz allem setzen Maika die Fotoshootings mit Sternenkindern nicht mehr unter Druck als andere. „Da muss ich ja auch gucken, dass schöne Bilder entstehen.“ Als technisches Hilfsmittel dient ihr einzig und allein ein Blitz. Sie versucht sich so unauffällig wie möglich zu bewegen, lässt die Eltern sich mit ihrem Kind beschäftigen und fotografiert aus der Situation heraus.

„Dein Sternenkind“

Im letzten Jahr wurden Maika und ihre Kollegen ungefähr dreißig Mal in die Chemnitzer Kliniken gerufen. Deutschlandweit sind es mittlerweile ein Drittel aller Sternenkinder, die von Fotografen der Organisation „Dein Sternenkind“ abgebildet werden. Gegründet wurde sie 2013 von dem Fotografen Kai Gebel, nachdem er im Jahr zuvor das erste Mal ein Sternenkind fotografierte. Die Initiative funktioniert über eine Internetplattform, über die man Fotografen kontaktieren kann, die kostenlose Bilder von verstorbenen Kindern machen, um den Eltern Erinnerungen zu schenken. Mittlerweile haben sich über 600 Fotografen registriert. 2017 fand sich für alle angefragten Fälle auch ein Fotograf, der das Kind ehrenamtlich fotografierte. Meist werden die Eltern immer noch von den Kliniken auf die Fotografen hingewiesen, durch Social Media und Reportagen wird das Thema aber auch zunehmend an die Öffentlichkeit gebracht. Das Netzwerk wächst immer weiter, die Fotografen werden von Nähzirkeln unterstützt, die fleißig Deckchen und Mützchen in verschiedenen Größen nähen. Manche sind nur einen Finger lang. Die Fotografie von Sternenkindern und der Umgang mit den Eltern ist Übungssache, sagt Maika. Dennoch ist jede Familie anders. „Es gibt welche, die sagen kein Wort, die können einfach nicht reden – die sind so geschockt, dass nichts mehr geht. Und andere sitzen dort und erzählen mir ihre ganze Lebensgeschichte, das ist schon sehr verschieden. Aber wenn man das mehrmals im Jahr macht, weiß man einigermaßen, was diese Menschen in diesem Moment brauchen.“

Das Sternenkind auf dem schwarzweißen Bild hat die Erde schon längst wieder verlassen. Doch den Eltern bleibt wenigstens diese eine Erinnerung an ihr Kind.

Text und Foto: Elisa Matthey. Teaserbild: Maika Maudrich

<h3>Benjamin Agsten</h3>

Benjamin Agsten

Benjamin studiert an der Hochschule Mittweida Medienmanagement mit der Vertiefung Digital Journalism. Er ist seit April 2018 Ressortleiter für das Ressort "Story" auf medienMITTWEIDA und seit Juli 2018 als freier Journalist für die Freie Presse aktiv.