Von Einem, der auszog, Social Media zu berechnen

von | 24. April 2012

Der amerikanische Blog „backupify” hat den Wert von Tweets, Likes und Shares berechnet. Obwohl die Rechnung absurd ist, zitieren deutsche Medien unkritisch aus der Statistik. Eine bunte Infografik leuchtet auf […]

Der amerikanische Blog „backupify” hat den Wert von Tweets, Likes und Shares berechnet. Obwohl die Rechnung absurd ist, zitieren deutsche Medien unkritisch aus der Statistik.

Eine bunte Infografik leuchtet auf dem Bildschirm vor mir. Der Titel klingt viel versprechend: „Was sind soziale Daten wert?” Hat es nun ein schlauer Kopf geschafft, eine hochkomplexe Formel zu entwickeln, die den monetären Wert von Tweets, Likes und Shares berechnet? Rob May hat es zumindest versucht.

Die Frage, welcher Wert mit Hilfe von Social Media tatsächlich geschaffen wird, ist schließlich für jedes Unternehmen interessant, das im „Web 2.0″ aktiv ist. Die Infografik scheint auch hohe Relevanz für die deutschen Medien und den Internetmarkt zu haben. Es handle sich um “einen lesenswerten Blogeintrag”, schreibt Sebastian Matthes von der „Wirtschafts Woche”. „t3n” eröffnet das Thema mit den Worten: „Erstaunliches Ergebnis“. Auch „Computerbild.de” greift die Infografik auf.

Die Statistik ist von „backupify”, einem Anbieter von Datensicherung für Cloud Computing. Sie vermittelt den Eindruck,  Tweets, Check-Ins bei „Foursquare“ und Accounts bei „Facebook“ könnten ebenso verkauft werden wie Tomaten, Eier und Wurst. Ich spinne den Gedanken weiter: Was könnte diese Information für mich wert sein, wenn ich Unternehmer wäre? Immerhin beziffert die Infografik von „backupify” eine „professionelle Suche” auf „Linked in” mit gut zwölf Cent. Lässt sich der Wert einer Marke wirklich dadurch steigern, dass ich eine hohe Anzahl von Suchanfragen generiere? Schon oft wurde berichtet, dass der Beziehungsstatus, Likes oder Fans auf „Facebook“ verkauft werden. Rechtlich gesehen bewegen sich solche Geschäfte allerdings in einer Grauzone.

Gibt es nun eine neue Strategie, mit der ich auf legalem Weg auf Social Media-Plattformen Klicks zu Geld machen kann? Und kann ich sogar mein „Dropbox”-Konto für 80 Dollar verkaufen? Noch nie schien Geld verdienen so einfach.

Ein absurdes Rechenspiel

Auf Nachfrage erklärt Rob Stevens, Senior Vice President Sales & Marketing von „backupify”, wie die Statistik zu verstehen ist. Zur Berechnung zog der Backup-Provider den Marktwert von „Instagram”, „Pinterest” und anderen Web-Diensten heran und teilte ihn durch die Anzahl der vorhandenen Accounts. Dieser Wert dient als Grundlage zur Beantwortung der nächsten Frage: Wie viel mehr Nutzer braucht es, um den Firmenwert der sozialen Netzwerke auf zehn Milliarden Dollar zu steigern? Dazu wird der Unternehmenswert durch die Aktivität der Nutzer geteilt. So entsprechen 9.000 Tweets in etwa zehn US-Dollar.

Die Grafik wirft bei genauer Betrachtung mehr Fragen auf als sie beantwortet. Zum einen: Alle Konten hätten nach der simplen Berechnung gleich viel Anteil an der Gesamtbilanz. Zwar weiß auch Stevens, dass Prominente oder Experten auch im Web mehr Strahlkraft haben, als eine x-beliebige Person. Die Qualität der Social Media-Aktivitäten wird in der Statistik dennoch völlig vernachlässigt.

Die sozialen Netzwerke müssten der Berechnung zufolge ein Eldorado für Anleger sein: hundertprozentige Sicherheit, hohe Rendite. Eine Beispielrechnung verdeutlicht die Absurdität eines linearen Zusammenhanges: „Twitter“  würde seinen Marktwert bei geschätzten 350 Millionen Tweets am Tag zu je 0,001 Dollar jede Woche um mindestens 2,38 Millionen US-Dollar steigern. Ein Kurseinbruch ist nach dieser Logik kaum denkbar. Schließlich kommen jeden Tag immer neue Kurznachrichten dazu. Doch„Internetblasen“ sind schon öfters geplatzt.

Substanzlosigkeit, die begeistert

Die Division von jeweils zwei Zahlen scheint eine gewisse Relevanz für deutsche Medien zu haben. Ich bin schon überrascht, wie unreflektiert die Journalisten ein schnell durchschaubares Zahlenspiel übernehmen. „Keine Ahnung, wie die deutsche Presse unsere Untersuchung dargestellt hat”, gibt Rob Stevens zu. Im Grunde genommen scheint es ihm auch egal zu sein. Es reicht anscheinend, die Worte „Social Media” und „Wert” in einem Titel zu kombinieren, um einigen Journalisten den kritischen Blick auf Inhalte zu verschleiern.

Text: Tim Jungmittag, Bild: flickr.com, Wikipedia, Fotograf: 401K, AMagill, Bearbeitung: Nathalie Gersch, Bildergalerie: backupify, Bearbeitung: Désirée Triemer

<h3>Tim Jungmittag</h3>

Tim Jungmittag