Guerilla Marketing, Shitstorms & rechtliche Grauzonen

von | 23. Mai 2013

Ein Angebot über käuflich erwerbbare Shitstorms der Guerilla Marketing Agentur „Caveman“ sorgte bei Journalisten und Netzaktivisten tagelang für Aufsehen. Unterhaltungswert oder Überraschungseffekt einer solchen Marketing-Aktion dominieren, doch die Rechtslage tritt […]

Ein Angebot über käuflich erwerbbare Shitstorms der Guerilla Marketing Agentur „Caveman“ sorgte bei Journalisten und Netzaktivisten tagelang für Aufsehen. Unterhaltungswert oder Überraschungseffekt einer solchen Marketing-Aktion dominieren, doch die Rechtslage tritt bei der Planung häufig in den Hintergrund.

Es war am Mittwoch, dem 7. November 2012: Der Suchbegriff „Shitstormagentur“ ist im Google-Index gelistet – die zugehörige URL ab sofort abrufbar. „Wir mussten nur abwarten bis ein Reporter auf das Thema aufspringen würde“, meint Oliver Bienkowski, Geschäftsführer der „Caveman Guerilla Marketing Agentur“. Allerdings erhielt die Seite mit dem angeblichen Angebot über käuflich erwerbbare Shitstorms zu Beginn nur geringe Beachtung.

Am 31. März 2013, fünf Monate später, brachte ein Artikel im Feuilleton der Wochenzeitung DIE ZEIT die mediale Verbreitung des jungen Start-Ups und dessen Dienstleistungen schließlich in Gang. Die Agentur gab an, Obdachlose für Aktionen in dem Online-Rollenspiel „World of Warcraft“ bis hin zur Organisation von Shitstorms in sozialen Netzwerken zu beschäftigen. „Unsere Zielstellung war, mit einem geringen Aufwand ein Thema, das sonst von den Medien sehr vernachlässigt wird, wieder in den Fokus zu rücken“, so Bienkowski.

„Diese Story hat sich meiner Kenntnis nach als ‚Ente‘ erwiesen – damit wollte die Werbeagentur nur auf sich aufmerksam machen“, entgegnet die auf Internet- und Wettbewerbsrecht spezialisierte Rechtsanwältin Eva Dzepina der Kanzlei „BORGELT & PARTNER“. Auch Markus Beckedahl, Netzaktivist und Blogger des bekannten Online-Portals „netzpolitik.org“, wundert sich über die weite mediale Verbreitung dieser Marketing-Aktion: „Alleine, dass die Agentur damit wirbt, aber keine Fotos von Beschäftigten zeigt, hätte Journalisten zum Nachdenken bringen können.“ Das blieb aber erstmal aus.

Trojanisches Marketing statt Guerilla

Noch immer unwissend darüber, dass es sich um eine gezielt verbreitete Falschmeldung handelt, wandte sich die Süddeutsche Zeitung am 4. April 2013 an die fiktive „Shitstormagentur“. Am Tag darauf erschien dazu ein Interview im Feuilleton der Süddeutschen. „Die Platzierung der Story in der ‚Süddeutschen‘ war gezieltes trojanisches Marketing“, so Bienkowski, Geschäftsführer bei „Caveman“. Bei diesem neuen Marketingbegriff handelt es sich um eine Kombination aus „Social Engineering“ – das gezielte täuschen von Personengruppen, um Informationen oder Berechtigungen zu erlangen, alles für eine gute Werbestrategie. „Die Hauptbotschaft wird bei der Veröffentlichung auf einem Köder getarnt.“ Je nach gewünschtem Empörungslevel könne die Geschichte gelüftet und die Kernbotschaft verbreitet werden, erklärt Bienkowski. Im diesem Falle war der Köder die Beschäftigung von Obdachlosen.

Bezahlte Shitstorms sind wettbewerbswidrig

Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gilt zweifellos auch im Internet. Aber der fiktive Vertrieb und Verkauf eigens generierter Shitstorms ist für Rechtsanwältin Dzepina grenzwertig: „Wenn diese Aktion wahr gewesen wäre, hätte sich die Agentur selbst und das Unternehmen, das diese Shitstorms auch bestellt, wettbewerbswidrig und eventuell sogar strafbar verhalten.“

Durch den gezielten Einsatz erworbener Shitstorms ist es durchaus möglich, anderen Wettbewerbern Kunden streitig zu machen und dadurch dem Konkurrenzunternehmen zu schaden. Hier gilt das Gesetz des unlauteren Wettbewerbs: „Das heißt, ich darf Kunden nicht in die Irre führen, über die Herkunft eines Produktes täuschen oder Wettbewerber gezielt behindern“, erklärt Dzepina. Eigene Meinungen werden bei gekauften Shitstorms gar nicht geäußert, aber als solche verkauft. „Strafrechtlich relevant werden unwahre Tatsachenbehauptungen oder sogar Beleidigungen im Netz“, so die Rechtsanwältin. Des Weiteren ist eine ganze Fülle von Rechtsgebieten – wie etwa das Urheberrecht, das Persönlichkeitsrecht und das Markenrecht – zu beachten.

Virale Verbreitung im Sekundentakt

„Werbung muss Unterhaltung und Faszination bieten – quasi als Gegenleistung für das, was einem Werbung nimmt: Zeit und Privatsphäre“, meint David Eicher, Geschäftsführer der Agentur „Webguerillas“ und erkennt somit die Notwendigkeit, Werbemaßnahmen völlig neu zu erfinden. Mittels sozialer Netzwerke und Newsletter verfügen Unternehmen heutzutage speziell im Netz über viele Möglichkeiten, ihre Kunden mit außergewöhnlichen Kampagnen zu erreichen. „Digitale Medien bieten die Chance, Werbeaktionen einem Millionenpublikum blitzschnell zugänglich zu machen und sind für die Verbreitung und Öffentlichkeitsarbeit essentiell“, erklärt Eicher.

Dabei riskieren Unternehmen häufig eine mediale Verbreitung im Netz ohne Genehmigung der dargestellten Personen. „Wo kein Kläger, da kein Richter. Die Leute werden sich schon nicht aufregen und fanden das ja selbst lustig, also riskieren wir das jetzt einfach“, mutmaßt Dzepina über die Einstellung mancher Initiatoren. Häufig werden beispielsweise Gesetzesverstöße bzw. Anwaltskosten bei möglicher Verletzung des Persönlichkeitsrechts in das Budget miteinkalkuliert. „Das ist dann eine absichtliche Rechtsverletzung, die man begeht, weil man weiß, der ‚Return‘ vom Marketing-Effekt hinterher ist entsprechend“, fügt die Anwältin noch hinzu.

Fachgebiet: Journalisten austricksen

Eine Rechtsverletzung der Agentur „Caveman“ liegt nicht vor, da es zu keiner tatsächlichen Umsetzung der „Shitstormagentur“ kam. Nach Oliver Bienkowski diente die Marketing Aktion auch der Demonstration, welcher Problematik die deutsche Medienberichterstattung im digitalen Zeitalter erfährt: „Das ist die Pflicht, Nachrichten zu liefern – Quantität über Qualität.“ Agenturen machen sich das zu Nutze, indem sie der Presse eine außergewöhnliche Story unverbindlich präsentieren.

Generell zeigt sich, dass Geschichten, die das gewohnte Maß an Realität und Bekanntheit übersteigen, vorzugsweise publik gemacht werden. „Ich glaube, der Hauptgrund liegt darin, dass wir gerne Geschichten glauben wollen, die einfach realistisch klingen. Nach dem Motto: ‚I want to believe‘“, erklärt Netzaktivist Markus Beckedahl. Trotz allem muss zukünftig versucht werden, sensibler mit einschlägigen Berichterstattungen umzugehen. „Im Nachhinein können solche Aktionen helfen, dass Journalisten und alle, die selbst zum Sender werden, wieder etwas vorsichtiger werden und sich bewusst machen, dass nicht alles, was glaubwürdig klingt, auch wirklich stimmt“, so Beckedahl.

Text: Annika Hauke. Bilder: Arturo de Albornoz, Christina Aguerrilla, rollingrck, Thomas Høyrup Christensen. Bearbeitung: Susann Kreßner.

<h3>Annika Hauke</h3>

Annika Hauke

Chefredakteurin