Digitale Medien sind aus dem Leben der meisten Menschen nicht mehr wegzudenken. Sollten sie daher auch ein Teil des Alltags eines Kindes sein? Oder sollten Kinder vor dem Internet bewahrt werden?
Längst sind Smartphones und Tablets nicht mehr nur die Lieblingsspielzeuge vieler Erwachsener. Die Selbstverständlichkeit, mit der Kinder diese mobilen Endgeräte nutzen, wird so manch selbsternannten Technik-Fan verwundert haben. Ein heute 30-Jähriger musste den Umgang mit den neuen Gerätschaften noch mühevoll selbst erlernen, im Gegensatz dazu wird der derzeit aufwachsenden Generation das Tablet sogar schon mit in die Wiege gelegt. Was nicht im übertragenen Sinne gemeint ist.
Waren vor zehn Jahren beim Kinderarzt die Spielecken noch im Fokus seiner Patienten, so sind es heutzutage oftmals die Smartphones der Eltern, mit denen die Wartezeiten überbrückt werden sollen. Die Gutenachtgeschichte wurde teilweise abgelöst durch die passende App auf dem Tablet. Im Kinderzimmer sind Spiele-Apps mindestens so beliebt wie die klassischen Bauklötzchen.
Zunahme der Internetnutzung
Die jährlich durchgeführte JIM-Studie vom „Medienpädagogischen Forschungsverbund Südwest“ belegt für das Jahr 2013 eine massive Zunahme der Internetnutzung auf Smartphones in der Altersgruppe der Zwölf- bis Neunzehnjährigen. Dazu gehören Online-Funktionen wie das Surfen im Internet, die Nutzung von Communities oder das Schauen von Videos auf mobilen Geräten. Hinzu kommt ein ebenso großer Zuwachs an Endgeräten in dieser Altersgruppe. Außerdem wurde festgestellt, dass die klassische Nutzung wie Telefonieren und SMS schreiben im Vergleich zum vorherigen Jahr abgenommen hat.
„WhatsApp“ hat laut eigener Angabe in Deutschland mehr als 30 Millionen aktive Nutzer und gewinnt gegenüber der SMS immer mehr an Bedeutung. Die ohnehin schon weit verbreitete Plattform „Facebook“ wächst weiterhin, wenn auch ein Nutzerrückgang bei den Jugendlichen zu verzeichnen ist. Jeder dritte Deutsche hat einen Facebook-Account. Weltweit wird „YouTube“ nach eigener Angabe monatlich von mehr als einer Milliarde Nutzern besucht. Rund vierzig Prozent der Nutzung entfällt auf mobile Geräte, gleichzeitig verliert das Fernsehen an Bedeutung. Selbst die einfachsten Funktionen, wie die Weckfunktion, werden vom Smartphone übernommen.
All dies macht einen Trend deutlich: Die Jugend ist online, und zwar dauerhaft und mobil. Sie möchte sich bei der Mediennutzung nicht mehr auf einen speziellen Ort beschränken lassen. Jugendliche möchten nichts mehr vorgesetzt bekommen, möchten selbst wählen, was sie sehen. Außerdem möchten sie mitwirken – ein Teil der Medien sein. Und sie haben ihr Smartphone fast immer in der Hand.
Folgen sind nicht abschätzbar
Tablets werden von Kleinkindern so selbstverständlich bedient wie ein Spielzeugauto. Menschen in jungen Jahren sind ganztags online. Die Kommunikation über soziale Netzwerke ist so natürlich wie das klassische Gespräch. Und es herrscht eine ständige Konfrontation mit einem unerschöpflichen Angebot an Apps und Spielen vor. Welche Auswirkungen all dies zukünftig haben wird, ist momentan nur zu erahnen.
Eine Internetabhängigkeit oder auch Online-Sucht ist schon heute ein Phänomen, welches bei Psychologen bekannt ist. Mögliche Auswirkungen sind die Vernachlässigung von realen sozialen Kontakten, ein generelles Desinteresse an Offline-Aktivitäten, mangelnder Schlaf und ein Nachlassen der gesundheitlichen Verfassung. Welche Folgen langfristig auf die Identitätsbildung und Entwicklung zu verzeichnen sein werden, sind noch nicht präzise abschätzbar. Die Wissenschaft kann noch nicht mit klaren Antworten dienen, da die Langzeitstudien fehlen.
Der Gehirnforscher Manfred Spitzer warnt in seinem umstrittenen Bestseller „Digitale Demenz” vor den hohen Risiken des Medienkonsums. Seine Thesen beruhen darauf, dass den Menschen durch elektronische Geräte das Denken abgenommen wird und dadurch die Hirnfunktion abnimmt. Bei Kindern und Jugendlichen nähme die Lernfähigkeit ab, was zu asozialem Verhalten führe und die Generation systematisch verdummen ließe. Auch wenn seine Aussagen stark überspitzt und polemisch sind, zeigt er damit mögliche Gefahren auf, die übermäßiger Internetkonsum in jungen Jahren zur Folge haben könnte.
Andreas Arnold, Heilpraktiker für Psychotherapie, vergleicht die alltägliche Smartphone-Nutzung mit der Verwendung eines zusätzlichen Gehirns, welches Entscheidungen abnimmt.
„Darin liegt naturgemäß eine Gefahr. Nämlich die, dass ich aus Bequemlichkeit nicht mehr selbst denken will, weil alles bereits gedacht ist und fertig präsentiert wird.“
Ferner betrachtet er die ständige Präsenz von Wettbewerbern kritisch, „[…] weil man gezwungen wird, sich mit allen, die zu diesem Thema etwas geschrieben haben, zu vergleichen, und das weltweit. Das kann man sich ungefähr so vorstellen, als würde ein Junge, der zum ersten Mal am Startblock steht, einen 100 Meter Sprint zu laufen, niemanden weniger als Usain Bolt und alle anderen Super-Sprinter zu Gegnern haben und selbstverständlich jedes Mal von diesen besiegt werden. Das muss frustrierend sein. Es existiert also nicht allein die Chance, sich jederzeit an dem größten Wissen der Welt messen zu können, um daran zu wachsen, sondern gleichzeitig ist es auch ein Fluch, sich messen zu müssen, und das zu jeder Zeit und an jedem Punkt des Projektes.”
Vorteile sind beachtlich
So vielschichtig die Risiken und Gefahren sind, so bedeutend sind auch die Chancen, die sich daraus ergeben. Kinder, die mit dem Internet aufwachsen, erlernen den Umgang damit ganz natürlich und sind somit besser für ihr späteres Leben vorbereitet, in dem das Internet eine zentrale Rolle spielen wird. In der Schule würde ein Tablet all die schweren Schulbücher ersetzen, die der Schüler tagtäglich tragen müsste. Ein spielerisches und multimediales Lernen kann als zusätzliche Motivation eingesetzt werden und zu größeren Lernerfolgen führen. Es bieten sich unzählige Möglichkeiten des kreativen Einsatzes.
Ein Fernhalten von Medien wirkt sich vermutlich negativ aus. Kindern muss frühzeitig der kompetente Umgang mit den neuen Medien gelehrt werden. Die Lebenswelt von ihnen sollte auf das vorbereiten, was zum Leben eines Erwachsenen gehört. Digitale Medien sind zweifelsohne ein großer Teil davon.
Dieser Artikel ist der erste der Serie „Generation online“ auf medienMITTWEIDA, welche sich mit Kindern und Jugendlichen und ihrem Internetverhalten auseinandersetzt.
Text: Philipp Körner, Bild: Vanessa Schwaar