Zu Beginn des Medienforums 2015 stand gleich eines der politisch konfliktreichsten Länder im Mittelpunkt: Syrien. Kaum ein Tag vergeht ohne eine neue Schreckensmeldung über Krieg und Terror. Doch wie recherchiert und berichtet man als Journalist aus solch einem Krisengebiet? Hubertus Koch und Majid Al-Bunni hielten Antworten aus erster Hand parat.
Die Flüchtlingsdebatte ist allgegenwärtig. Millionen Syrer flüchten aus ihrer Heimat vor Krieg und Unterdrückung in ihre Nachbarländer und nach Europa. Eine unabhängige Berichterstattung ist dabei kaum vorstellbar. Kein anderer Staat ist für Journalisten derzeit so gefährlich wie Syrien. Das Assad-Regime zensiert und überwacht die Presse, wo es nur geht und auch willkürliche Verhaftungen sind eine gängige Praxis. Laut Reporter ohne Grenzen liegt Syrien in der Rangliste der Pressefreiheit auf Platz 177 von 180 Ländern. Nur Turkmenistan, Nordkorea und Eritrea schränken Journalisten noch mehr ein.
Einfach geraderaus: Filmemacher Hubertus Koch
Er ist jung, authentisch und schonungslos ehrlich: Hubertus Koch. Der 26-jährige freiberufliche Filmemacher sorgte mit seinem Dokumentarfilm „Süchtig nach Jihad. Der Film eines kleinen Jungen“ für Aufsehen. Ohne Auftraggeber und somit komplett eigenfinanziert, reiste der Kölner im Frühjahr 2014 mit dem Münchner Hilfsaktivisten und gebürtigen Syrer Mahmoud Dahi in dessen Heimat. Der eigentliche Plan: Eine Doku über die Hilfe und das Engagement der Familie im Flüchtlingslager Bab Al Salameh im Norden des Landes zu drehen. Doch dann kam alles ganz anders…
Schockiert und überwältigt von den Zuständen in Syrien, musste Koch seinen Plan ändern: “Ich kann nicht einfach nur diese Geschichte über den Hilfsaktivisten zeigen, ich muss meine eigene Geschichte erzählen.” Bereits fünf Stunden nach seiner Ankunft in Syrien sieht man Hubertus Koch in seinem Film auf einer Treppe sitzen und weinen. Die ganzen Eindrücke: Zu viel. Zu viel für einen damals 24-jährigen, der vorher nur über das Universum Fußball berichtete: “Die Mechanismen im Fußballjournalismus sind immer dieselben, nur mit anderen Inhalten.” Wirkliche Tiefgründigkeit: Fehlanzeige. Koch wollte mehr, wollte ein Thema mit Tiefsinn. Wie sehr ihn die Reise und sein Dreh nachhaltig verändern würden, hätte er vorher selbst nicht gedacht.
Schöne neue Medienwelt: Nehmt die Dinge selbst in die Hand!
In seiner Keynote sprach der 26-jährige nicht nur über sein Projekt in Syrien. Vielmehr ging er ebenfalls auf die Medien und speziell die Fernsehbranche ein. Er appellierte an das anwesende Publikum im Studio, sich nicht einfach in die Medien-Maschinerie pressen zu lassen. “Neue Ideen, neue Formate brauchen wir! Macht selbst etwas und lasst euch nicht kleinhalten”. Der Ton seiner Keynote? Immer geraderaus — vorbereitet hätte er für seinen Vortrag lediglich fünf Stichpunkte gestern Abend schnell im Hotel, verrät er medienMITTWEIDA. Sympathisch, der Kerl — und mit seiner lockeren Art trifft er den Nerv der jungen Zielgruppe. Das war im Panel, als auch beim Meet&Greet danach zu spüren.
Die etablierten Medien kamen bei Hubertus Koch dabei nicht gut weg: “Die Angst, die die Medien schüren und nach Europa bringen, steht in zeitlichem Zusammenhang mit Dingen wie Hooligans gegen Salafisten (HoGeSa) oder PEGIDA. Angst ist die stärkste Emotion — ich wollte nicht auf diesen Zug aufspringen.” So zeigt er vielmehr einen unverblümten Blick auf die Realität von Syrien — eine traurige Realität.
70 Euro für sendefähiges Material sind ausreichend
Die Technik großer Produktionsfirmen sei in der heutigen Zeit gar nicht mehr nötig. Seine Doku filmte Koch teilweise nur mit seinem iPhone, einer Kompaktdigitalkamera und einer GoPro. “Von dem ganzen Technikscheiß hab ich keine Ahnung.” Missionieren will Hubertus Koch nicht, aber Bewusstsein für das alltägliche Leid vieler Menschen in Syrien und der Welt schaffen: “Ich muss die Leute erreichen, die sich offensichtlich gar nicht interessieren, was in Syrien passiert. Das war eine Intention des Films.”
Majid Al-Bunni – Radio von Syrern für Syrer, made in Germany
Im zweiten, englischsprachigen Teil des Panels begrüßte das Medienforum einen Mann, der so einiges in den letzten Jahren durchgemacht hat: Majid Al-Bunni. Er moderiert für den syrischen Radiosender Baladna FM. Soweit, so gewöhnlich — doch Baladna FM sendet aus Berlin nach Syrien über eine Entfernung von mehr als 3.000 Kilometern. In seinem Heimatland wurde er verhaftet und gefoltert, weil das Regime keine anderen Meinungen zulässt. Nach seinem Uni-Abschluss ist er aus Syrien geflohen und wohnt mittlerweile in Berlin, doch seine Landsleute hat er nicht vergessen. Meinungspluralismus ist ihm wichtig und diesen hätten die Syrer auch verdient. Deshalb versuchen Al-Bunni und seine Kollegen ein Radioprogramm anzubieten, das vielfältige Meinungen vertritt und sich von niemandem politisch steuern lässt. Mit der Berliner Non-Profit Organisation „Media in Cooperation and Transition“ setzt sich der Syrer für Medienfreiheit in Krisengebieten ein. Als Herausgeber und Social Media Manager des Projekts „Syria Radio Network“ kennt er die Tücken des Journalismus in Syrien.
Syrien – lebensgefährlicher Arbeitsplatz für Journalisten
Mehr als 130 Medienmacher sind im Bürgerkrieg in Syrien bereits gestorben. Die meisten waren syrische Bürgerjournalisten. Doch genau diese Bürgerjournalisten sind wichtig für eine unabhängige Berichterstattung: “Media activists should support the community of the locals.” In seiner Keynote zeigte Al-Bunni, was er und seine Kollegen in Berlin machen: “Radio by Syrians for Syrians.” Al-Bunni sagte schon zu Beginn, dass er nicht gern seine Klappe hält und er deswegen in Syrien Probleme bekam. In Deutschland kann er das aussprechen, was er denkt. Die Wege, seine Meinung nach Syrien zu transportieren, haben allerdings Tücken. Doch Mittel seien vorhanden und Wege würden gefunden werden, um Menschen in seinem Heimatland mit pluralistischen und nicht durch das Regime gesteuerten Informationen zu versorgen. Das Radioprogramm beinhaltet nicht nur reine News. Musik spielt eine ganz wichtige Rolle und auch ein spezielles Programm für Kinder ist in dem wöchentlichen Sendenplan eingerichtet. Eine große Zielgruppe des Senders: Die Flüchtlingslager. “There is a very huge number of listeners and we want to inform them with independent news.” Den Menschen kann somit auch ein Teil des Alltags erleichtert werden. Auch kann Musik aus der Heimat eine kleine Ablenkung vom Grauen sein.
Meinungsvielfalt steht an erster Stelle
Ein Ziel steht dabei über allem: “The main goal is to support independent media.” Doch auch Dinge wie Kontinuität und Professionalität seien dem Radionetzwerk wichtig. Zählen können sie dabei auf die Expertise verschiedener Fachbereiche — egal ob aus technischer oder journalistischer Sicht. Zum Schluss sagte Al-Bunni noch treffend: “Because we care, we’re everywhere”.
Etwas schade, dass in Al-Bunnis Keynote mehr die Arbeit des Radiosenders im Vordergrund stand. Genauere Hintergründe zu Bürgerjournalisten und deren Arbeit in einem Kriesengebiet wie Syrien kamen dabei zu kurz. Immerhin: Das erste Panel des Medienforums Mittweida 2015 bot viel Gesprächsstoff. Ob vor dem Studio, auf dem Gang oder in der Meet & Greet-Area — überall hörte man Menschen diskutieren. Damit dürfte Koch sein Ziel erreicht haben: Bewusstsein schaffen und die Leute dazu bringen, sich mit Syrien und dem Konflikt zu beschäftigen.
Koch schaut seit seinem Aufenthalt in Syrien sehr viel kritischer auf die Welt und das gesamte politische Geschehen. Einige Mittweidaer Studenten und Gäste des Kongresses nun sicher auch.
Text: Florian Kneffel. Bilder: Lisa Rößler.