Altersarmut

Deutschland wohnt sich arm

von | 24. Mai 2019

Bezahlbarer Wohnraum wird immer knapper. Das wird im Alter für viele zum Problem.

Wohnen ist eine teure Angelegenheit: Jeder sechste Haushalt zahlt, laut Welt, mehr als 40 Prozent des Nettoeinkommens für die Kaltmiete. Besonders im Alter, wenn das Einkommen sinkt, wird das zum Problem. Jeder fünfte ist im Alter von Armut betroffen, die Zahl der Betroffenen wird in den kommenden Generationen noch steigen.

Freudestrahlend zeigt Bernd auf das vergilbte Schwarz-Weiß Foto, auf dem seine Ehefrau Gertraude zu sehen ist. „Das war die Feier zur Schuleinführung unserer Tochter im Jahr 1978. Dort hat sie gesessen.“ Er zeigt auf eine nun leere Stelle vor dem Wohnzimmerfenster. Daneben ist die Tür zum Balkon, von dem aus man auf den benachbarten Grundschulhof blicken kann. Im Laufe der Zeit haben Bernd und Gertraude von dort erst ihre Tochter und dann ihre beiden Enkel beim Spielen beobachten können.

Bernd (75) und Gertraude (70) wohnen schon sehr lange zusammen in dieser 47 Quadratmeter großen Wohnung in Dresden. „Das muss man sich mal vorstellen“, erzählt Gertraude aufgeregt. Die beiden haben 1970 geheiratet, bekamen in der DDR aber keine gemeinsame Wohnung und lebten trotz Hochzeit weiter bei ihren Eltern. Erst mit einem Kind wurde ihnen 1972 eine Wohnung von der Betriebswohnungskommission zugewiesen. Damals kostete die Miete nur 39,50 Mark. Heute beträgt die Miete 409 Euro warm, womit es dem Ehepaar noch gut geht. Die beiden leben in einer Genossenschaftswohnung und sind somit vor rapiden Mieterhöhungen relativ gut geschützt. Viele andere Deutsche trifft es härter.

Die Miete frisst die Rente auf

Besonders Rentner haben es schwer. Die Süddeutsche Zeitung berichtet, dass knapp 20 Prozent aller Rentnerhaushalte von Armut bedroht sind. Das bedeutet, dass jeder fünfte der Betroffenen von weniger als 999 Euro im Monat leben muss. Das führt dazu, dass Rentner etwa die Hälfte der Wohngeldempfänger stellen. Rund 271.000 Senioren, berichtet Zeit Online, bekommen vom Staat Zuschüsse, um die Miete bezahlen zu können. Das könnte einer der Gründe sein, warum rund ein Drittel der Rentner seit 30 Jahren in derselben Wohnung lebt und einen Umzug, der oft mit einer höheren Miete einhergeht, scheut.

Auch Bernd, der gelernte Mechaniker und Gertraude, die ihr Leben lang als technische Zeichnerin arbeitete, haben über den Wechsel in eine größere Wohnung oft nachgedacht. Dazu kam es aber nie. „Zu DDR Zeiten fehlte uns das zweite Kind, um überhaupt die Chance auf eine größere Wohnung zu haben“, berichtet Bernd. „In den 90ern haben wir uns nach einer anderen Wohnung umgesehen, doch die Mieten haben uns geschockt“, merkt Gertraude an.

Altersarmut trifft besonders die kommenden Rentner

Ihre Tochter (47) hat sich mit ihrem Lebensgefährten gerade ein Haus am Stadtrand von Dresden gekauft. Sie will damit auch der Altersarmut entkommen und im Rentenalter mietfrei leben. Denn auch ihre Altersklasse wird von Armut im Rentenalter nicht verschont bleiben. Eine 2018 vom Pestel-Institut veröffentlichte Studie zeigt, dass 40 Prozent der heute 45-55-Jährigen weniger als 800 Euro Rente pro Monat zur Verfügung haben werden. „Mit der Rente sackt für diese Menschen das Geld, das sie monatlich zur Verfügung haben, rapide nach unten. Gleichzeitig sind Miete, Heiz- und Nebenkosten weiter fix“, sagte der Leiter des Instituts Matthias Günther der SZ.

Er konstatiert, somit würde die Gefahr bestehen, dass man sich arm wohne. Für Rentner gibt es ein weiteres eklatantes Problem: Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) bezifferte in einer Studie, dass es in Deutschland an seniorengerechten Wohnungen mangelt. Etwa 700.000 gibt es, somit fehlt es in absehbarer Zeit an drei Millionen altersgerechten Wohnungen. Zu dieser Einschätzung kommt auch Günther vom Pestel-Institut.

Mit diesem Problem sehen sich auch Bernd und Gertraude konfrontiert. Die Wohnung, mit der sie so glücklich sind, befindet sich im vierten Stock des Mietshauses. Einen Fahrstuhl gibt es nicht. So kann es sein, dass auch die beiden im hohen Alter noch einmal umziehen müssen und sich mit den Problemen des deutschen Wohnungsmarktes konfrontiert sehen werden.

Text: Moritz Schloms, Titelbild: Susan Jahnke

<h3>Moritz Schloms</h3>

Moritz Schloms

ist 21 Jahre alt und studiert in Mittweida Medienmanagement. Seit vier Semestern engagiert er sich bei medienMITTWEIDA. Seit diesem ist er als Chefredakteur tätig.