Alle Jahre wieder kommt das Christuskind. Ach ja, und mittlerweile auch das Dschungelcamp. Es ist wieder soweit: Heute Abend startet die neue Staffel von „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“. Wir verraten euch, warum die Sendung kein Trash-TV ist und wer die besten Chancen auf die diesjährige Dschungel-Krone hat. Auch für Medienwissenschaftler eine Sendung mit viel Erkenntnisgewinn…
Ja, ich oute mich: Ich schaue das Dschungelcamp – seit Jahren, regelmäßig und gern. Doch muss das einem heutzutage überhaupt noch peinlich sein? Denn irgendwie hat es das Reality-Format geschafft, salonfähig zu werden. Wenn heute um 21:15 Uhr Sonja Zietlow und Daniel Hartwich ihren berühmten Schrei in den australischen Himmel stoßen, sitzt der Familienvater neben der Oma auf der Couch und der Akademiker neben dem Schulabbrecher – die ganze Breite der Gesellschaft schaut gespannt in den Fernseher. Aber wie wurde es zu diesem Medienphänomen schlechthin? Über sieben Millionen Zuschauer sahen das letztjährige Staffelfinale. 2014 waren es sogar knapp neun Millionen, RTL erreichte damit einen Marktanteil in der werberelevanten Zielgruppe von um die 50 Prozent.
Nun geht es in die zehnte Staffel, die Jubiläumsstaffel. Und die diesjährige Kandidatenliste sieht vielversprechend aus. Nachdem im letzten Jahr die Kandidatenmischung nicht für Drama, Zoff und Spannung, sondern eher für Langeweile im Camp gesorgt hatte, legten die Macher dieses Jahr besonders viel Wert auf die Auswahl. Selten kannte man alle Namen, doch dieses Jahr dürften die Meisten unter euch nahezu alle Kandidaten kennen.
Unser Kandidatencheck:
Menderes Bagci: Der Paradiesvogel von „Deutschland sucht den Superstar“ (DSDS) könnte durchaus für Stimmung im Camp sorgen. Als „Maskottchen“ von DSDS war es eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis er auch im australischen Urwald auftaucht. Er hat außerdem bereits angekündigt, ein Geheimnis lüften zu wollen. Der manchmal auch zerbrechlich wirkende Menderes könnte zur Wundertüte werden. Schwer einzuschätzen, ob er Siegchancen besitzt.
Jenny Elvers: In den letzten Jahren öfters durch schlechte Schlagzeilen aufgefallen, kennt sich Jenny Elvers mit Reality-Formaten aus: 2013 gewann sie die erste Staffel von Promi Big Brother. Sie dürfte also wissen, worauf es im Dschungel ankommt. Unbeliebt ist sie bei vielen Deutschen auch nicht. Prognose: Ein vorderer Platz ist möglich.
Helena Fürst: Noch ein RTL-Gesicht. Als Anwältin der Armen kümmert sie sich sonst um Probleme sozialschwacher Menschen. Eigentlich die beste Voraussetzung für den Dschungel, in dem oft „abgebrannte“ Promis am Lagerfeuer ihre schwere Geschichte erzählen. Ob man ihre Stimme allerdings über zwei Wochen aushält? Eine wohl auf Dauer zu nervige Person für die Chance auf den ersten Platz.
Gunter Gabriel: Die Krawallbürste im Camp. Er soll das Erbe von Walter Freiwald und Winfried Glatzeder antreten. Ich denke, er wird ein würdiger Nachfolger sein und das Camp ordentlich aufmischen. Der Musiker, dessen Zeit schon länger vorbei ist, ist nicht immer der angenehmste Zeitgenosse. Wird das allerdings zum Sieg reichen? Eher nein, recht lange wird er trotzdem im Camp bleiben.
Ricky Harris: Lang leben die 90er! Lang leben die Nachmittags-Talkshows! Okay, überlebt haben diese Formate nicht, aber einen gewissen Kultstatus kann man ihnen nicht absprechen. Ein Gesicht der damaligen Zeit: Ricky. Laut, schrill, verrückt – er könnte Leben ins Camp bringen. Trotzdem wenig Siegchancen.
Thorsten Legat: Der ehemalige Fußball-Profi gilt als harter Hund und immer gerade aus. Der ein oder andere Kraftausdruck kommt da schon einmal vor. Angst vor irgendwelchen Prüfungen werden wir bei ihm sicher nicht sehen. Ob er allerdings auch die Sympathie der Zuschauer gewinnen kann, bleibt abzuwarten – das Potenzial ist aber vorhanden.
Jürgen Milski: Mein Favorit auf die diesjährige Dschungelkrone. Er weiß, wie er die Zuschauer unterhalten kann und dürfte zudem ein echter Teamplayer sein. Die Prüfungen werden ihm nichts ausmachen. Zuletzt sorgte er zwar mit fragwürdigen Facebook-Posts für Schlagzeilen, aber: Entertainer und Kämpfer – sehr gute Voraussetzungen für den Sieg.
Brigitte Nielsen: „Was geht los da rein?“ Die Dschungelkönigin von 2012 ist wieder da! Als Siegerin der Sommer-Edition des Dschungelcamps erspielte sie sich ihr Ticket und will nun die Krone verteidigen. Bei einem ähnlichem Auftritt wie vor vier Jahren stehen die Chancen nicht schlecht.
David Ortega: So, der einzige Kandidat, der mir noch gänzlich unbekannt ist. Big Brother, Köln 50667, DSDS und eine Affäre mit Gina-Lisa Lohfink – klingt nach einer perfekten „Z-Promi-Vita“. Die Voraussetzungen für einen Dschungel-Kandidaten erfüllt er also. Wie er sich aber im Camp schlagen wird, wage ich nicht zu prognostizieren.
Nathalie Volk: Das Image ist klar: Camp-Zicke. Die 19-jährige kennen manche als ehemalige Kandidatin von Germanys Next Topmodel. Dort war sie der Liebling von Wolfgang Joop. Modelkolleginnen und Zuschauer fiel sie eher durch ihre Selbstverliebtheit auf. Phobien vor exotischen Tieren, laut eigener Aussage, Fehlanzeige. Sie wird aber sicher für ordentlichen Zündstoff sorgen. Dadurch wird sie auch nicht so schnell herausgewählt werden.
Sophia Wollersheim: Ja, was soll man zu ihr schon groß sagen. Sie fällt eher durch ihre Optik auf. Doch bei dieser Personalie könnte Überraschungspotenzial vorhanden sein. Wer weiß – vielleicht verblüfft sie ja mit menschlichen Seiten? Prognose: Wundertüte, die Zweite.
Rolf Zacher: Schauspieler. Immer eine ganz besondere Type von Mensch. Dieses Jahr der Camp-Opa mit 74 Jahren. Zacher meint, dass er die Sendung mit seinen Regeln und Facetten gar nicht wirklich kenne und nur mal reingezappt habe. Na, das kann ja spannend werden. Die Siegchancen gehen aber gegen Null.
Und nicht nur bei der Kandidatenauswahl haben die Macher der Sendung dieses Jahr eine Schippe draufgelegt. Die Zuschauer würden bereits ab der ersten Minute erkennen, dass die Autoren ihre Hausaufgaben gemacht hätten. Nach der letztjährigen Staffel, in der die Camper nur wenig Unterhaltung boten, musste RTL reagieren. Dazu gibt es nun auch verschärfte Regeln: Der Aufenthalt im Luxus-Hotel Versace vor dem Einzug ins Camp wurde gestrichen. Alleinige Anreise, einfache Unterbringung und Kontaktsperre zu den anderen Campern sollen die Spannung erhöhen und gemeinsame Absprachen verhindern. Außerdem ziehen dieses Jahr nicht elf, sondern gleich zwölf Kandidaten in den Dschungel.
// Update: Nach übereinstimmenden Informationen von BILD und DWDL.de, setzt RTL dieses Jahr dazu auf ein verändertes Konzept. Demnach werden die Kandidaten in zwei Gruppen aufgeteilt und in verschiedenen Camps untergebracht. In Duellen lasse man diese außerdem gegeneinander antreten.
„Die Produktion ist aus Branchensicht herausragend gut produziertes Fernsehen.“
Doch was macht das Dschungelcamp eigentlich so erfolgreich? Wie hat es den Sprung in den Feuilleton renommierter Zeitungen geschafft? Thomas Lückerath, Chefredakteur des führenden deutschen Fernseh-Mediendienstes DWDL.de, ist Fan der Sendung. Gegenüber medienMITTWEIDA verrät er, dass vor allem das Spannungsfeld zwischen Humor und Promi-Inszenierung die Faszination Dschungel ausmacht: „Ich habe großes Vergnügen am bitterbösen Humor, mit dem die Sendung ihre Protagonisten präsentiert. Noch dazu reizt es zu sehen, wie die Kandidaten versuchen, sich in gewissem Licht zu präsentieren, was meist schief geht. Da steckt viel Amüsantes in der Meta-Ebene.“ Den Titel „Ekelfernsehen“ kann er nicht nachvollziehen. Dies könne sich nur auf die Dschungelprüfungen beziehen lassen, die verhältnismäßig wenig Sendezeit in Anspruch nehmen. Vielmehr sei es das Zusammenspiel der „Promis“ und die Aufarbeitung dessen durch Autoren und Moderatoren, was die Sendung so spannend mache. Auch als „Trash-TV“ könne die Sendung nicht bezeichnet werden: „Das Dschungelcamp führt niemanden vor, der sich seiner Wirkung im Fernsehen nicht bewusst wäre. Wer dort in die Sendung geht, tut dies, weil er die Publicity für seine Karriere haben will. Mit dieser Erwartungshaltung spielt die Sendung und amüsiert sich darüber. Das unterscheidet die Sendung maßgeblich von anderen Reality-Formaten“, meint Lückerath. Außerdem sei es eine der teuersten Sendungen, die RTL produzieren lasse. Autoren- und Moderatorenleistungen würden inzwischen längst auch vom Feuilleton gefeiert. „Die Produktion ist aus Branchensicht herausragend gut produziertes Fernsehen.“ Es wäre vermessen, von „Trash-TV“ zu reden.
Das Dschungelcamp: Mehr als nur Unterhaltung
Auch aus medienwissenschaftlicher Sicht bietet das Dschungelcamp sehr viel Interessantes. Prof. Dr. Joan Kristin Bleicher, stellv. geschäftsführende Direktorin des Instituts für Medien und Kommunikation der Universität Hamburg, gilt als Dschungelcamp-Fachfrau in Deutschland und verfolgt „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus“ schon seit Langem. Der Erfolg von Reality-Formaten sei ein Symptom für den grundlegenden Wandel des Mediums Fernsehen:
„Das Fernsehen stellt nach Auffassung von Casetti und Odin keinen geordneten Raum der Repräsentation mehr dar, sondern einen Raum, in dem der Zuschauer als Gast teilnimmt. Auf diese Weise wird das Alltagsleben zum bevorzugten Referenten des Fernsehens – und die Realität zu einer beliebten Quelle“.
Und gerade diese Realitätskonstruktion des Mediums würde sich durch die Grenzgänge zwischen Fakten und Fiktion verändern. Wegen diesem und noch weiteren Aspekten sei „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus“ auch für Medienwissenschaftler eine aufschlussreiche Sendung. Des Weiteren zeichne sich das Format durch eine Vielzahl an Wirkungsdimensionen aus: „Diese liegen im offenen Ausgang, dem Unterhaltungswert der comedymäßigen Moderation, der Genrehybridisierung und den vielfältigen Möglichkeiten der Anschlusskommunikation. Nicht nur in den Boulevardmagazinen des eigenen Senders, sondern auch etwa via Twitter im Social Web.“ Es steckt also viel mehr hinter „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“, als mancher denkt.
Wenn heute Abend die neue Staffel beginnt, werden wieder Millionen Deutsche vor ihrem Fernseher sitzen. Das gute Kandidaten-Casting lässt auf eine spannende und interessante Jubiläumsstaffel hoffen, das meint auch Frau Prof. Dr. Joan Kristin Bleicher. Thomas Lückerath hat bereits Freunde und Kollegen zum gemeinsamen „Dschungel-Viewing“ eingeladen. Ich auch! Freuen wir uns also auf rund zwei Wochen voller Dschungelfieber.
PS.: Ein Kandidatenvorschlag an die Macher des Dschungelcamps für nächstes Jahr: Jens Büchner. Das wär’s doch, oder?
Text: Florian Kneffel. Beitragsbild: „Ich-bin-ein-star-holt-mich-hier-raus-logo“ © YanCoasterman unter CC BY-SA 3.0 / Dschungel © supercraft unter CC BY-ND 2.0 / Hydrous piceus male © Siga. Bearbeitung: Constance Tausch.