NAHRUNGSERGÄNZUNGSMITTEL IM FOKUS

Gesundheit aus der Kapsel – die Grauzone des Influencer Marketings

von | 21. Juni 2024

Mit dem Einwerfen von Supplementen zum perfekten, beschwerdefreien Körper? Zumindest scheint es auf Social Media zu funktionieren. Ein Blick auf die Wunderkapseln und ihre großen Werbeversprechen.

Wer sich heutzutage mit gesunder und ausgewogener Ernährung beschäftigt, kommt um die Thematik Nahrungsergänzungsmittel nicht mehr herum. Besonders in den sozialen Netzwerken zeigen Fitness-Influencer vor allem im Fitnessbereich ihr Geheimrezept zu einem vitalen, starken Körper in Form von einer Hand voller Kapseln – ihren Supplementen. Doch kann das gesund sein?

Laut der Brandenburger Verbraucherzentrale bewegen sich Influencer mit Werbung für Nahrungsergänzungsmittel in Form von gesundheitsbezogenen Aussagen häufig in einer Grauzone. „Gesundheitsbezogene Aussagen wie beispielsweise „Vitamin C trägt zu einer normalen Funktion des Immunsystems bei“ müssen eine wissenschaftliche Prüfung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit bestanden haben und von der EU-Kommission explizit zugelassen sein.“

Doch was sind Nahrungsergänzungsmittel?

Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit definiert Nahrungsergänzungsmittel als konzentrierte Nährstoffquellen oder andere Substanzen mit einer ernährungsphysiologischen oder physiologischen Wirkung in dosierter Form, also in Tabletten oder Kapseln. Außerdem sind Nahrungsergänzungsmittel in der EU nicht, wie man vermuten könnte, als Arzneimittel, sondern als Lebensmittel reguliert. Somit unterliegen sie weniger strengen Zulassungsvoraussetzungen und Kontrollen als Medikamente, die neu auf den Markt kommen.

Studie von Zion Market Research auf Statista

Globale Wachstumsaussichten für den Nahrungsergänzungsmittelmarkt 2021-2028 (Quelle: Studie von Adroit Market Research auf Statista)

Der Markt wächst und wächst

Im Markt für Nahrungsergänzungsmittel steckt sehr viel Geld und die globale Marktgröße wächst rapide. Laut einer Studie von Adroit Market Research wird sie von etwa 191,1 Milliarden USD im Jahr 2020 auf etwa 307,8 Milliarden USD im Jahr 2028 ansteigen. Nahrungsergänzungsmittel scheinen eine einfache und schnelle Lösung für diverse körperliche Probleme sowie unseren Selbstoptimierungstrieb zu sein. Jedenfalls laut unzähligen Werbeversprechen. Multipräparat-Kapseln und Gummibärchen für angeblich schöne Haut, einen gesunden Darm oder mehr Konzentration im Alltag. Hier ist allerdings Vorsicht geboten. 

Ein Schutzschild gegen falsche Versprechungen

Schon 2006 erließ die EU die sogenannte Health-Claims-Verordnung, welche falschen Versprechungen über die Wirkung von Supplementen Einhalt gebieten soll. Demnach müssen gesundheitsbezogene Aussagen den zugelassenen Wortlauten der Health-Claims-Verordnung entsprechen oder vorher eingereicht und geprüft werden. „Behauptungen, dass ein Nahrungsergänzungsmittel gegen Krankheiten oder andere Leiden helfe, sind grundsätzlich verboten. Nahrungsergänzungsmittel sind rechtlich Lebensmittel, keine Arzneimittel und dienen nur als mögliche Ergänzung einer normalen Ernährung“, sagt Annett Reinke von der Verbraucherzentrale Brandenburg

Nicht alles super im More Nutrition-Paradies?

Auf Grundlage der Health-Claims-Verordnung sowie dem Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (UWG), hatte foodwatch Anfang des Jahres 2024 gegen den umstrittenen Nahrungsergänzungsmittelhersteller More Nutrition Klage „wegen unzulässiger Gesundheitswerbung“ eingereicht. 

In einem Artikel von foodwatch bezüglich der Klage heißt es: „More Nutrition gaukelt vor allem jungen Frauen vor, ihre Produkte helfen beim Abnehmen oder Schwangerwerden – und beruft sich dabei auf persönlichen Erfahrungen und ausgewählten Studien, die größtenteils von der Industrie finanziert werden. Die Heilsversprechen von More Nutrition sind irreführend und illegal“.

Strg_F und Neo Magazin Royale gegen More Nutrition

Der Nahrungsergänzungsmittelhersteller war schon zuvor scharf kritisiert worden. In einer Doku des  ZDF Neo Magazin Royale,in Zusammenarbeit mit Strg_F wurden genau diese potenziell irreführenden Werbeversprechen und stark an Influencer-Marketing orientierten Werbestrategien unter die Lupe genommen. Dabei wurde unter anderem der Werbe-Leitfaden für Influencer thematisiert, der an die sogenannten „More-Fluencer“ ausgegeben wird. Die Influencer sollen danach lediglich Formulierungen verwenden, die auf persönliche Erfahrungen und nicht auf tatsächlich erwiesene Wirkungen ausgerichtet sind. Um sich nicht rechtlich angreifbar zu machen, versucht man so Vorgaben, wie die der Health-Claims-Verordnung, zu umgehen. Dies scheint aber trotz des Werbe-Leitfadens nicht immer eine sichere Methode zu sein. 

In der Doku des Neo Magazin Royale ging die Rechtsanwältin der Verbraucherzentrale, Dr. Susanne Punsmann, auf eine Behauptung der  Influencerin Paula Döhringer ein. Döhringer sagt in einem Werbepost für More Nutrition, dass sie dank der Curcu-More-Kapseln trotz ihrer Darmerkrankung Morbus Chron medikamentenfrei leben könne. „Tatsächlich halten wir die Werbung von Paula Döhringer für juristisch angreifbar, weil sie sowohl gegen die Health-Claims-Verordnung als auch gegen die Lebensmittelinformationsverordnung verstößt“.

Screenshot Instagram

More Nutrition stellt sich in den sozialen Netzwerken als große, glückliche Familie dar. Dabei kann man schnell vergessen, dass es primär um Vermarktung geht. (Quelle: Screenshots More Nutrition Instagram (Lilly Wende)))

Influencer Marketing und Happy More-Family

„Eins muss man ihnen lassen, ganz schön schlaue Marketingstrategie“ sagte Désirée Marie Fehringer von Strg_F, in deren More-Nutrition-Dokumentation. Influencer wirken auf den ersten Blick wie ganz normale Konsumenten. Ihre Werbung scheint vor allem aufgrund der persönlichen Formulierung, die auch More Nutrition von ihren Influencern verlangt, immer gut versteckt. Sie bewegen sich in einer Grauzone, da persönliche Aussagen, laut der Verbraucherzentrale Brandenburg, häufig unter das Recht auf freie Meinungsäußerung fallen. 

Bei einer Umfrage zum Thema „Einfluss von Influencer-Kooperationen auf die Kaufentscheidung 2023“ von Get App gaben 80 Prozent der Befragten an, dass Influencer-Kooperationen mit bestimmten Marken ihre Kaufentscheidung beeinflussen würden. 61 Prozent antworteten, dass sie mit größerer Wahrscheinlichkeit bei einer Marke kaufen würden, wenn diese mit einem Influencer zusammenarbeitet. More Nutrition nutzt genau das. Ihre Marketingstrategie ist geprägt durch das Bild der großen glücklichen „More-Familie“. Dabei kann man vergessen, dass die Produktvermarktung eines großen Unternehmens eigentlich das Hauptziel ist. 

Brauchen wir Nahrungsergänzungsmittel überhaupt?

Die Vermarktung der Produkte von More Nutrition mit teils falschen Versprechungen, getarnt durch eine angeblich persönliche Erfahrung, scheint zu funktionieren. Doch bedeutet das auch, dass Nahrungsergänzungsmittel per se schlecht oder sogar schädlich sind? 

Laut dem Bundesinstitut für Risikobewertung sind Nahrungsergänzungsmittel „für gesunde Personen, die sich normal ernähren, in der Regel überflüssig“. Auch würden Nahrungsergänzungsmittel eine einseitige, unausgewogene Ernährungsweise nicht ausgleichen können. 

Das sagt eine Ernährungsberaterin

Ernährungsberaterin Grit Held vertritt hier einen anderen Standpunkt. Sie arbeitet seit vielen Jahren in einem Frauenfitnessstudio in Chemnitz, wo sie den Mitgliederinnen auch in Ernährungsfragen zur Seite steht. Obwohl sie sich ausgewogen ernährt, nimmt sie selbst Nahrungsergänzungsmittel ein und empfiehlt dies auch ihren Kundinnen. Beispielsweise Vitamin D: Die wenigsten könnten den eigentlichen Bedarf an Vitamin D rein durch Sonnenlicht aufnehmen und müssten dies durch Nahrungsergänzungsmittel aufnehmen.  Tatsächlich sind laut einer Untersuchung des Robert Koch Instituts etwa ein Drittel der Erwachsenen in Deutschland mangelhaft mit Vitamin D versorgt. Der Vitamin-D-Status unterläge allerdings starken saisonalen Schwankungen. Grit Held betont, dass man nicht einfach wahllos und unkontrolliert Kapseln einwerfen sollte. „Vorsicht, nie einfach irgendwas schlucken. Grundsätzlich sage ich immer: erst messen, dann einnehmen und dann wieder messen.“ Bevor sie ihren Kundinnen etwas empfiehlt, schickt sie diese immer erst zum Arzt, um einen Bluttest durchzuführen, um feststellen zu können, an welchen Nährstoffen es in welchem Maße mangelt. 

Achtung beim Kapseln schlucken

Bei der Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln seien auch bestimmte Dinge zu beachten. So müsse man bestimmte Präparate zu Mahlzeiten einnehmen. Das bestätigt ein Artikel der Verbraucherzentrale. Nahrungsergänzungsmittel fallen in die Kategorie der Lebensmittel, somit sei es nur logisch, sie daher auch zu Mahlzeiten einzunehmen. Im Beitrag wird außerdem betont, dass Nahrungsergänzungsmittel Wechselwirkungen mit Medikamenten hervorrufen könnten. Hier sei also Vorsicht geboten und eine Absprache mit einem Arzt empfohlen. 

Auf den eigenen Körper hören

Grit Held betont, dass jeder Körper andere Bedürfnisse hat. Eine Kontrolle der Blutwerte, bevor man sinnlos Kapseln in sich hineinstecken würde, sei also besonders wichtig. Um herausfinden zu können, ob die Dosierung ausreichend war, schickte sie ihre Kundinnen nach der Einnahme erneut zur Blutwertkontrolle.

Auf die Frage, ob man Nahrungsergänzungsmittel überdosieren könne, antwortet sie, dass man grundsätzlich alles überdosieren könne, man solle aber nicht einfach Nahrungsergänzungsmittel verteufeln, sondern kontrolliert damit umgehen. Auch ein Artikel des NDR hat sich mit der Gefahr einer Überdosierung von Nahrungsergänzungsmitteln beschäftigt. In dem Beitrag werden unter anderem die Vitamine A, D und E benannt, die bei einer Überdosierung gesundheitliche Schäden hervorrufen könnten. Beispielsweise Vitamin D. „Eine übermäßig hohe Einnahme von Vitamin D kann in schweren Fällen zu Nierenschädigung, Herzrhythmusstörungen, Bewusstlosigkeit und laut dem Robert-Koch-Institut sogar zum Tod führen“, heißt es in dem Artikel.

Augen auf im Social-Media-Verkehr

Wie kann man nun die allumfassende Frage beantworten? Nahrungsergänzungsmittel als Allheilmittel oder einfach nur Geldschneiderei? 

Die Antwort ist weder schwarz noch weiß. Nahrungsergänzungsmittel sollten nicht verteufelt werden. Aber man sollte auf den eigenen Körper hören und alles, egal ob Nahrungsergänzungsmittel oder andere Produkte, in Maßen und kontrolliert zu sich nehmen. So betont es Ernährungsberaterin Grit Held. Laut der Verbraucherzentrale sollte man besonders im Hinblick auf Online- und Influencer-Werbung auf Social Media vorsichtig mit Versprechungen umgehen. More Nutrition mag einigen Menschen beim Abnehmen oder Erreichen der persönlichen Ziele geholfen haben, aber es ist ein Unternehmen, dass sich seinen Erfolg vor allem über gezielte Werbung in den sozialen Netzwerken aufgebaut hat. Es gilt der Grundsatz, nicht alles, ohne hinterfragen zu konsumieren, sondern mit einem aufmerksamen und kritischen Blick durch die Welt zu gehen und durch Instagram und Co. zu scrollen.

Text, Titelbild, Grafiken  – Lilly Wende 

<h3>Lilly Wende</h3>

Lilly Wende

ist 22 Jahre alt und studiert derzeit im 4. Semester im Bereich Medienmanagement an der Hochschule Mittweida. Bei medienMITTWEIDA engagiert sie sich im Team Lektorat seit dem Sommersemester 2024.