Kommentar

Angekettete, Kot-verdreckte Kälbchen und Rinder

von | 28. Juni 2024

Anbindehaltung – qualvolle Haltungsform und trotzdem noch immer erlaubt

Der TikTok Account „kiwi_cgn“ repostete am 27. Mai ein Video, das so viral ging, dass sich Zuschauende wortwörtlich an ihrer Milch verschluckten. Zu sehen: grausame Aufnahmen aus süddeutschen Rinderställen. Aufgedeckt durch Animal Rights Watch, kurz ARIWA, einem deutschen Tierschutzverein, der sich für die Abschaffung jeglicher Ausbeutung und Unterdrückung von Tieren einsetzt.

Scheinwelt der idyllischen Almen 

In unseren Köpfen schafft die Milchindustrie, mit ihren Werbekampagnen, ein Bild von grünen Almen und glücklich grasenden Rindern. Doch die Realität sieht ganz anders aus. ARIWA hat aufgedeckt und schlug damit Wellen! Sie verfügen über grausame Aufnahmen aus 16 unterschiedlichen Milchbetrieben in Bayern und Baden-Württemberg. Darunter vier Betriebe, die nachweislich für den Molkereibetrieb Berchtesgadener Land produzieren. Die Aufnahmen zeigen das Unvorstellbare: Angekettete und kot-verdreckte Tiere. In Deutschland leider Normalität, da die sogenannte „Anbindehaltung” hier legal ist. Auch in einem Naturland Betrieb, der für Berchtesgadener Land produziert, stehen Tiere angebunden im Stall. Also schrecken nicht einmal Biolandwirt*innen vor Tierquälerei zurück? Das Schlimmste ist für mich jedoch, dass genau diese Molkerei mit Tierwohl, ausgezeichneter Produktqualität und grünen Weiden wirbt. Eine Illusion, die wenig mit den realen Zuständen auf den Höfen zu tun hat.

Es sind Aufnahmen, die schockieren. Kühe mit Eisenketten am Hals fixiert. Ihre Schwänze sind an Stricken hochgebunden. Einigen Tieren sind sogar mit Fußfesseln die Hinterläufe verbunden. Selbst vor den Kleinen macht der Mensch keinen Halt. Kälbchen sind mit Lederriemen oder einfachen, rauen Strick an triste Steinmauern der Ställe gebunden. Das rund um die Uhr. Die Tiere sehen kaum Tageslicht, haben grüne Weiden wahrscheinlich nur in ihren Träumen vor sich und leben angebunden, an einem festen Platz im Stall. Beim Ruhen können sie sich nicht einmal richtig umdrehen.

Doch nicht nur gefesselte Kühe schockieren. Auch die dermaßen verwahrlosten und verschmutzten Tiere lassen eine*n aufschrecken. Ihr Fell ist von oben bis unten mit Kot verdreckt. Einige sind verletzt. Mit den grünen Werbeversprechen der Molkerei haben diese dokumentierten Zustände nichts mehr zu tun. Sie spielen den Moralapostel, doch eigentlich sind ihnen die Tiere scheißegal. Die Aufnahmen zeigen, wie stark Tiere unter Anbindehaltung leiden. Sie leben in Dunkelheit, Verschmutzung und Leid. Und das alles für ein Glas Milch?

Tierische Enttäuschung

Trotz absolut entwürdigender Umstände ändert sich gar nichts. Die neue Auflage des Tierschutzgesetzes lässt meine Mundwinkel vor Fassungslosigkeit entgleisen. In einer Pressemitteilung vom 24. Mai 2024 gibt das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft bekannt, dass die Anbindehaltung von Nutztieren in Deutschland weitere zehn Jahre erlaubt sein wird. In kleinen Betrieben wird es sogar dauerhaft als „saisonale Anbindehaltung“ möglich sein. Tierschützer*innen kämpfen seit Jahren für eine artgerechte und qualfreie Haltung von deklarierten „Nutztieren“. Tierschutzbund-Präsident Thomas Schröder bestätigt: „Anbindehaltung ist Tierquälerei“. Für sie alle ist die Reform des Tierschutzgesetzes ein weiterer Schlag ins Gesicht.

Gesetzlich ist die Anbindehaltung von Rindern nicht verboten. Ganz anders sieht es aber bei Kälbern aus. Sie haben ein besonderes Bewegungsbedürfnis, weshalb es illegal ist, sie in Anbindehaltung aufzuziehen. Die aufgedeckten Aufnahmen beweisen, dass Moral und gesetzliche Vorschriften an den Ärschen der Industrie vorbeigehen. Sie führen Konsument*innen mit Illusionen von grünen Weiden, läutenden Kuhglocken und schneebedeckten Berggipfeln in die Irre. Dabei haben sie nur eine Sache im Blick: Profit, Profit und nochmal Profit!

Allgemein betrachtet ist die Anbindehaltung jedoch nur ein kleines Problem der Tiere. Die gesamte Milchindustrie ist ein Konstrukt, welches Tierquälerei und Überzüchtung unterstützt und den Missbrauch an Lebewesen, so wie wir es auch sind, verharmlost.

Die Lüge der gesunden Milch

Doch nicht nur grüne Wiesen und glückliche Rinder wurden uns durch Werbekampagnen ins Gedächtnis geprägt. Jahrelang wurde uns vorgegaukelt, dass wir mit dem Kauf von Milchprodukten etwas Gutes für unseren Körper tun. Slogans wie: „Actimel aktiviert unsere natürlichen Abwehrkräfte“ oder „Denn nur die Milch macht‘s“ haben sich in meinem Kopf gebrannt. Doch auch die Politik und Fachgesellschaften stecken mit dem Regime Milch unter einer Decke. Landwirt*innen und Vertreter*innen der Milchindustrie sitzen als Abgeordnete im Bundestag. Sie dominieren von oben herab. Und auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. – DGE hält am Bild der „gesunden Milch“ fest. Sie ist ein Verein, der im Auftrag des Bundesernährungsministeriums Ernährungsempfehlungen ausspricht. Gerade sie sollten doch wahrheitsgemäß aufklären, oder? Trotz jahrelanger, belegter Kritik an der Industrie empfiehlt die DGE den täglichen Konsum von Milch und Milchprodukten.

Und sie alle versprechen das Gleiche: Milch sei der beste Lieferant für Calcium, Eiweiße, Mineralstoffe und Vitamine. Sie sei lecker und gesund. Schlichtweg ausgelassen wird von den geldscheffelnden Superreichen jedoch, dass der Großteil unserer Gesellschaft Kuhmilch nicht einmal verträgt und laktoseintolerant ist. Von Antibiotika-Rückständen in der „leckeren und gesunden“ Milch möchte ich da gar nicht erst anfangen. Mögliche gesundheitliche Folgen für Konsumierende scheinen für die Kuhmilch-Verehrenden ganz in Vergessenheit geraten zu sein.

Licht am Ende des Leidens

Zudem wurden Milchprodukte als echte Klimasünder entlarvt. Doch daran sind ja auch wieder die pupsenden Kühe schuld und nicht der Mensch, der sie angekettet in Massentierhaltung hält. Darüber hinaus wird bei der Produktion von einem Liter Milch so viel CO2 freigesetzt, dass ich genauso gut einen Liter Benzin in Brand stecken könnte. Nicht zu vergessen: Containerschiffe, die in Massen über den Ozean schippern, damit unsere Tiere ihr Powerfood – Soja aus Brasilien, Argentinien oder den USA bekommen. Ich könnte mit meinen Beispielen ewig so weiter machen. Dennoch gibt es ein Licht am Ende des Tunnels: pflanzliche Alternativen.

Sie haben uns bewiesen, dass es auch ganz ohne Tierleid funktioniert! Ihr Versprechen von nährstoffreichen Pflanzendrinks halten sie und sind dabei garantiert antibiotikafrei. Sie sind eine deutlich geringere Belastung für unsere Umwelt und könnten unserem Planeten eine neue Chance schenken, wenn ihr Konsum weltweit steigen würde. Mein persönlich größter Pluspunkt: kein Lebewesen musste für pflanzliche Alternativen leiden, missbraucht werden und sterben!

Tierquälerei stoppen

Fakt ist: Die Milchindustrie ist ein Regime, an das man nicht herankommt. Es wird durch Politik und Reiche unterstützt. Landwirt*innen werden gezwungen, ihren Anweisungen und Machenschaften zu folgen. Die Schuld einem zuzuweisen ist meiner Meinung nach unmöglich. Dem ganzen Konstrukt Milchindustrie bedarf es einer Reform. Wenn sich in unseren Köpfen nichts ändert, kann sich auch niemals etwas am Regime Milch verändern. Mit jedem Schluck Milch, jeder Scheibe Käse und jedem Löffel Pudding unterstützt du dieses Regime und wirst somit Teil des Problems.

Mein Appell: Hört auf den 33 Cent Joghurt aus der Werbung zu kaufen! Macht eure Augen auf und versteckt euch nicht hinter der Scheinwelt von grünen Wiesen und glücklichen Rindern.

Text, Titelbild: Johanna Gerstenberg

<h3>Johanna Gerstenberg</h3>

Johanna Gerstenberg

ist 21 Jahre alt und studiert derzeit im 4. Semester Medienmanagement an der Hochschule Mittweida. Bei medienMITTWEIDA engagiert sie sich als Chefredakteurin seit dem Sommersemester 2024.