Bodybuilding

Von Muskelsucht und sportlicher Leidenschaft

von | 5. Juli 2024

Fitness und große Muskelberge sind heutzutage von den Social Media Plattformen kaum wegzudenken und auch in der realen Welt ist der Fitnesstrend vollständig angekommen.

Im Zeitalter des digitalen Fortschritts und der ständigen Konfrontation mit Körperidealen auf Social Media erleben Fitnesstrends, darunter auch das Bodybuilding, einen beispiellosen Aufschwung. Für die junge Generation, die als „Generation Selbstoptimierung“ bekannt ist, sind körperliche Fitness und ästhetische Perfektion nicht nur Lifestyle-Entscheidungen, sondern auch Ausdruck ihrer Identität und Selbstwertgefühls. Dieser Drang zur Selbstoptimierung spiegelt sich in vollen Fitnessstudios, unzähligen Social-Media-Posts und einer wachsenden Industrie wider, die sich um Nahrungsergänzungsmittel, Trainingsgeräte und Fitness-Apps dreht. 

Selbstfindung durch Kraftsport

Die Faszination für einen muskulösen, durchtrainierten Körper geht weit über oberflächliche Schönheitsideale hinaus. Junge Menschen sehen im Bodybuilding eine Möglichkeit, ihre körperlichen Grenzen zu testen und zu erweitern. Der 20-jährige Manuel M. ist einer von ihnen. Im Interview mit MedienMittweida erzählt er, dass er mit 16 Jahren den Kraftsport für sich entdeckt habe. Zunächst nutzte er die Videos des bekannten Fitness-YouTubers Sascha Huber für seine Home-Workouts, bis er sich im Februar 2020 dann im Fitness-Studio anmeldete. Die in diesem Jahr folgende Corona-Pandemie konnte seiner Euphorie allerdings nicht schaden, denn besonders seitdem sei er „stark am Durchziehen“. 

Fit sein liegt im Trend

Damit ist Manuel nicht allein. Seit Beginn der 2000er Jahre steigt die Zahl der Fitnessstudio-Anmeldungen in Deutschland stetig an, mit Ausnahme der Corona-Pandemie. So waren es 2003 nur 4,4 Millionen Deutsche und im Jahr 2023 schon 11,3 Millionen, die in einem Fitnessstudio angemeldet sind. Das zeigt eine Studie der DSSV (Arbeitgeberverband deutscher Fitness- und Gesundheits-Anlagen). Laut der Allensbacher Markt- und Werbeträgeranalyse besuchten im Jahr 2023 in Deutschland etwa 20 Millionen Menschen regelmäßig ein Fitnessstudio. Fast ein Viertel  davon war laut einem Artikel des WDR zwischen 19 und 29 Jahre alt.

Social Media als Stimmungskiller

Auch auf Social Media stieg die Präsenz von Fitness, Kraftsport und Bodybuilding in den letzten Jahren stark an. Das beobachte auch Manuel. In Bezug auf männliche Bodybuilder wird nach wie vor das klassische Männlichkeitsideal dargestellt. Breite Schultern und ein muskelbesetzter, definierter Körper. Dr. Benjamin P. Lange, Professor für Psychologie an der IU Internationale Hochschule, erklärt in einem Beitrag der welt.de, dass das Interesse für Fitness von jungen Menschen häufig ins Extrem umschlagen könne und das auch Auswirkungen auf die mentale Gesundheit und das Selbstbild der Jugendlichen habe.

„Ich habe schon mit mir zu kämpfen, aus dem Grund, dass du auf Social Media alles zu sehen bekommst. Du siehst die perfekten Körper von anderen jungen Menschen, die schon in jungen Jahren unfassbare Ziele und vor allem unfassbaren Körper haben. Wo man sich dann selbst anschaut und sich fragt, warum bin ich nicht so weit“.

Das sagt Manuel zu seiner persönlichen Erfahrung mit sozialen Netzwerken. Dr. Lange sieht an den Darstellungen in den sozialen Netzwerken besonders kritisch, dass selten gezeigt wird, wie viel Zeit Fitness-Influencer in ihr Training investieren oder ob eventuell noch andere Hilfsmittel im Spiel gewesen wären. Man sieht also nur das perfekt trainierte Ergebnis, nicht das, was dahintersteckt.  

Ein Tag wie der Andere

Doch trotz der digitalen Medien und dem damit verbundenen Vergleichsdruck liebe Manuel seinen Sport. Schließlich richte er sein komplettes Leben danach aus. Sein Morgen beginnt schon um 4.45 Uhr mit der ersten Cardio-Einheit auf dem Home-Trainer. 30 Minuten Fahrrad fahren sind angesagt. Es folgt eine Gesundheitsroutine mit Supplementen und einem Gemisch aus Wasser, einer ausgepressten Zitrone, Apfelessig und Glutamin, um die Verdauung anzukurbeln. Das ist auch dringend notwendig, denn Manuel isst circa sechs Mahlzeiten am Tag. Nach der Arbeit geht es ab ins Training. So gestaltet sich fast jeder Tag gleich. Jedes Gramm Essen, das Manuel zu sich nimmt, wurde vorher geplant und wird daher auch beim Kochen abgewogen. Damit es einfacher ist, gibt es wenig Abwechslung bei den Mahlzeiten, so können sich Routinen aufbauen und das Kochen braucht weniger Zeit. Ganz nach dem Motto von Bodybuilder-Legende Markus Rühl: „Muss net schmecke, muss wirke“. 

Doch auch Manuel sieht sein Essverhalten selbst kritisch. „Es ist schon ein krankhaftes Essverhalten beziehungsweise eine Störung. Ich habe mir schon oft überlegt, dass ich nicht wissen würde, wie ich da wieder herauskomme“, sagt er.

Gestörte Selbstwahrnehmung und Muskelsucht

Tatsächlich gibt es im Zusammenhang mit dem Bodybuilding eine Verhaltensstörung, die ähnlich funktioniert wie eine Magersucht. Im allgemeinen Sprachgebrauch ist von „Body-Dismorphia“ oder zu deutsch Muskelsucht die Rede. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung beschreibt die Betroffenen als Menschen mit einem eher geringen Selbstwertgefühl, das von einem Körper mit deutlich hervortretenden Muskelpartien stark abhängig ist. „Aufgrund einer gestörten Selbstwahrnehmung empfinden sie sich jedoch selbst dann noch als zu schmächtig, wenn sie bereits gut durchtrainiert sind. Auffallend ist das ständige Streben nach Perfektion“. Wie Manuel halten sich viele Betroffene an strenge Diätpläne, die auf den Muskelzuwachs ausgerichtet sind. Abgesehen von den negativen Auswirkungen auf die Psyche, da Betroffene nie mit sich und ihrem Körper zufrieden sind, können auch körperliche Auswirkungen auftreten. Denn teilweise würden Betroffene missbräuchlich Medikamente einnehmen, um das Muskelwachstum zu fördern. Im Extremfall wird auch trotz Verletzungen oder gesundheitlichen Problemen weiter trainiert, was lebensgefährlich werden kann. 

Tödliches Bodybuilding

Dass das Streben nach dem perfekten Körper vor allem in der Bodybuildingszene tödlich sein kann, ist kein Geheimnis. Allein im Jahr 2021 starben laut einem Beitrag von Focus-Online neben Mr. Olympia Shawn Rhoden (48 Jahre) auch die Bodybuilder George Peterson (37 Jahre), John Meadows (49 Jahre) und Andy Haman (54 Jahre). Die häufigste Ursache hierfür sind allerdings leistungssteigernde Mittel, die in der Szene weit verbreitet sind. So beispielsweise anabole Steroide, die vor allem für das Herz ein großes Nebenwirkungspotenzial aufweisen. Auch Manuel sind die Risiken des Sportes bekannt und bewusst. 

Was ist Mr. Olympia?

Mr. Olympia ist ein internationaler Bodybuilding-Wettkampf. Der Sieg des Wettkampfes gilt als höchste Auszeichnung im professionellen Bodybuilding. Veranstaltet wird Mr. Olympia jährlich von der International Federation of Bodybuilding & Fitness (IFBB) während des Olympia Fitness & Performance Weekend. 

Neben dem Mr. Olympia und dem „212 Olympia“ gibt es auch das weibliche Gegenstück für Bodybuilderinnen, den Ms. Olympia sowie Wettkämpfe für die Fitness-, Figuren- und Bikini-Klasse. 

Mit dem steigenden Interesse der Allgemeinheit am Bodybuilding stieg auch das Preisgeld. Mittlerweile bekommt der Goldmedaillen-Gewinner in der Kategorie OPEN über 250.000 US-Dollar.

Warum tut man sich das an?

Am Ende stellt sich die Frage, wozu das Ganze? 

Für Manuel war es zu Beginn eine Möglichkeit, sich selbst weiterzuentwickeln und Erfolge zu sehen. Sport ist für ihn eine große Leidenschaft und für ihn selbst stellt sich die Frage nach dem Warum überhaupt nicht mehr. Für ihn ist es selbstverständlich hart zu trainieren und nach Plan zu essen. Vielleicht ist es mittlerweile auch ein Zwang, in dem er feststeckt, vielleicht ist es aber auch nur die Liebe zum Sport. Der Gefallen daran, sich selbst immer wieder aufs Neue herauszufordern und diszipliniert zu bleiben.

Für das nächste Jahr hat sich Manuel ein greifbares Ziel gesetzt. Wie seine Vorbilder will er selbst im nächsten Jahr auf die Bühne und sich mit anderen Bodybuildern vor Ort messen.

Kurzkommentar der Autorin

Wenn sich junge Menschen mit ihrem eigenen Körper auseinandersetzen und nach einer gesunden Lebensweise streben, kann das doch nichts Schlechtes mit sich bringen, oder? 

Die Gefahr liegt, wie so häufig, auch hier in der Extreme. Besonders zu Zeiten der Corona-Pandemie waren wir gezwungen, uns mit uns selbst und dem eigenen Körper auseinanderzusetzen. Schließlich blieb einem, außer zu Netflix schauen und durch Social Media scrollen nicht viel anderes übrig. So begannen viele, wie auch Manuel, mit der Phase der Selbstoptimierung – vor allem in sportlicher Hinsicht. Für die Phase, in der man ohnehin von der Außenwelt abgeschnitten ist, auf jeden Fall ein sinnvollerer Zeitvertreib, anstatt beispielsweise das 1.000ste Bananenbrot zu backen oder dieselbe Serie zum fünften Mal zu schauen. Doch was, wenn es nach der Pandemie mit der Isolierung und dem reinen Fokus auf den eigenen Körper nicht aufhört. 

Essen, Gewürze und Co. abwiegen zu müssen. Genauestens nach Plan zu essen und zu trainieren scheint zwar für einige gut zu funktionieren und manche finden Erfüllung in der Disziplin, es kann aber nicht als gesund oder ideal angesehen werden. Dabei zeigt sich wieder die Gefahr der persönlichen Bubble auf Social Media, denn nur, weil ich diese Verhaltensstörung vorgelebt bekomme, heißt das nicht, dass es jeder tun sollte. Aufklärung ist auch hier, vor allem für junge Menschen, das A und O, um nicht in falsche Verhaltensmuster zu rutschen.  

Nicht zu unterschätzen ist dabei die persönliche Isolierung und Einsamkeit, die ein solcher Sport mit sich bringen kann. Davon berichtet auch Manuel. Am besten ist es hier, sich jemanden zur Seite zu stellen, der einen unterstützt und nicht nur den eigenen Gedanken überlässt. Außerdem muss es wichtig sein, greifbare Ziele zu haben und so den Bezug zur Realität nicht zu verlieren. 

Jeder hat seine Leidenschaft und sollte dieser auch nachgehen. Die eigene physische und psychische Gesundheit sollte dabei allerdings immer an erster Stelle stehen. Besonders für junge Menschen ist es hier wichtig, sich nicht blind in etwas hineinzustürzen. Für mich persönlich wäre das Risiko zu groß in eine Essstörung abzurutschen und meinen Alltag nur dem Muskelaufbau und dem scheinbar perfekten Körper zu widmen, den man ohnehin wahrscheinlich nie erreichen wird.

Text, Titelbild  – Lilly Wende

<h3>Lilly Wende</h3>

Lilly Wende

ist 22 Jahre alt und studiert derzeit im 4. Semester im Bereich Medienmanagement an der Hochschule Mittweida. Bei medienMITTWEIDA engagiert sie sich im Team Lektorat seit dem Sommersemester 2024.