Zivildienst

Gekommen, um zu helfen

von | 16. Dezember 2018

Zivildienst und Wehrpflicht wurden ausgesetzt. An ihre Stelle trat der BFD. Wie gehen junge Erwachsene damit um?

Vor gut sieben Jahren gab es ihn noch: Der Zivildienst ist 2012 abgeschafft worden,
weil die Bundesregierung kurz zuvor beschlossen hatte, die Wehrpflicht auszusetzen.
An die Stelle des Zivildienstes trat der Bundesfreiwilligendienst, der im Juli 2011 startete. Die zwei wichtigsten Unterschiede: Auch Frauen dürfen den Dienst absolvieren
und er ist freiwillig. Doch wie hat sich der Bundesfreiwilligendienst in den letzten Jahren entwickelt und welche Möglichkeiten gibt es, ihn für junge Erwachsene attraktiver zu gestalten?

Alles, nur kein Wehrdienst

Dem 18-jährigen Philipp war damals eine Sache klar: Er wollte unter keinen Umständen zur Bundeswehr. Das war 1993 durchaus möglich, da junge Männer den Dienst an der Waffe aus Gewissensgründen verweigern konnten. Philipps Antrag auf Verweigerung wurde angenommen und er musste nun als Ersatz für den Wehrdienst den Zivildienst leisten. „Sie bekommen eine Stelle in einem Altenheim zugewiesen“, stand in dem Brief der Behörde. Skepsis breitete sich in Philipp aus, denn er war davon ausgegangen, in einer Schule oder einem Krankenhaus arbeiten zu können. „Aber gut, alles war besser, als eine Waffe halten zu müssen und in Kriegsgebiete zu fahren”, dachte er sich.

Philipp ist nur einer von vielen, der damals den Zivildienst antrat. In Deutschland wurde der Zivildienst am 20. Januar 1960 eingeführt. Bis zur Einführung des Bundesfreiwilligendienstes leisteten laut des Bundesamts für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben knapp 2.727.000 Männer einen Wehrersatzdienst.
Der eigentliche Grund, wieso es im Juli 2011 zur Einführung des Bundesfreiwilligendienstes kam, war die Angst der Sozialverbände und der Politiker, dass es nach dem Wegfall des Wehrdienstes zu einem möglichen Kollaps in der sozialen Infrastruktur kommen könnte.

Doch schon zwei Jahre nach dem Start des Programms gab es laut des Bundesamts für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben 100.000 Freiwillige, die sich in Kindergärten oder Kulturzentren engagierten. Bundesfamilienministerin Kristina Schröder feierte dies als „großartigen Erfolg” beim Dienstantritt der neuen Freiwilligen im Jahr 2013. „Ich danke den vielen engagierten Menschen, die mit ihrem Einsatz einen großen Beitrag für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft leisten”, sagte sie damals. Doch von der Euphorie um den Bundesfreiwilligendienst ist nicht mehr so viel zu spüren. Es kam in den darauffolgenden Jahren in Deutschland zu Personalmängeln. Krankenhäuser und Altenheime wussten plötzlich nicht mehr, wie sie Stellen besetzen sollten. Arbeiten, die früher von Zivildienstleistenden übernommen wurden, blieben nun liegen

Hauptsache Ausland

Philipp hatte versucht sich vor Beginn des Zivildienstes genauer über seine Arbeit zu informieren, aber so richtig anfreunden konnte er sich mit der Altenpflege nicht.
„Sie helfen zuerst dabei, das Essen anzureichen und unterstützen die Alten bei ihrer
Grundpflege“, sagte ihm eine junge Frau im Foyer. “Sehr verlockend”, dachte sich Philipp sarkastisch, ”alte Leute auf Toilette führen und ihre Hintern abwischen.” Die Dame führte ihn durch die Gänge des Altenheims. „Hier wartet Ihre erste Patientin. Ihr Name ist Anne-Lise, sie ist 85 und ehemalige Lehrerin. Melden Sie sich gerne, wenn es irgendwelche Probleme gibt.“ Philipp betrat den Raum und sah eine alte Dame mit weißen Haaren am Fenster sitzen. Sie drehte sich zu ihm und schenkte ihm ihr schönstes Lächeln.

Der Grund, wieso heutzutage weniger junge Menschen Stellen wie die von Philipp übernehmen, ist, dass es immer mehr Angebote im kulturellen und sozialen Bereich gibt. Beispielsweise das Freiwilligen Sozialen Jahr, kurz FSJ. Der große Unterschied
zwischen den beiden Angeboten liegt darin, dass man bei einem Freiwilligen Sozialen
Jahr seinen Dienst auch im Ausland absolvieren kann. Dazu kommt, dass man für das
FSJ das 27. Lebensjahr noch nicht vollendet haben darf.
Zwei junge Frauen, die sich für einen solchen Dienst entschieden haben, sind Hannah
und Katharina. Beide haben im persönlichen Gespräch ihre Erfahrungen geteilt.

Hannah Rörig hat ihren Freiwilligendienst im Ausland absolviert. Sie hat ein Jahr lang
in Rumänien die deutsche Sprache in einem Roma-Dorf gelehrt. Dort konnte sie sich
ein komplett neues Umfeld aufbauen und ist laut eigener Aussage zu einer „reiferen
und selbstbewussten Frau herangewachsen“. Sie selbst hatte durch ihren Auslandseinsatz auch das Gefühl, einen kleinen Teil der Welt verbessert zu haben. Sie hatte auch eine Idee, wie man solche Dienste für junge Erwachsene attraktiver macht:
„Der richtige Ansatz wäre es, in allen Schulen, ob Hauptschule, Realschule oder
Gymnasium, nicht die Agentur für Arbeit hinzuschicken, sondern ehemalige Freiwillige, die positive und negative Erfahrungen aus ihrem Jahr teilen möchten und den Jugendlichen diese Option näherbringen wollen. Man sollte verschiedene Organisationen erwähnen und diese vorstellen, damit die Jugendlichen die Wahl haben, welche Organisation die beste für einen selbst ist.“

Katharina Kranen, eine 20 Jahre alte Berlinerin, wiederum hat ihren Freiwilligen Dienst nicht im Ausland, sondern in ihrer Heimatstadt in einem Kindergarten absolviert. Für sie war das Freiwillige Soziale Jahr anstrengend und lehrreich zugleich. „Durch das Freiwillige Soziale Jahr habe ich definitiv die sozialen Berufe mehr zu schätzen gelernt und auch für mich entschieden, dass ich doch nicht im Sozialen Bereich arbeiten möchte“, stellte sie fest.
Eine wichtige Erfahrung, die sie gemacht hat, war zum ersten Mal 40 Stunden in der
Woche zu arbeiten. Ihrer Meinung nach werden Freiwillige für ihre Arbeit ausgebeutet. Denn Katharina hat oft mehr Stunden gearbeitet als ihre Kollegen und dafür nicht einmal zwei Euro die Stunde bekommen.
Für ihren Dienst im Inland erhielt Katharina im Monat nur 300 Euro.
Zum Abschluss sagte sie noch: „Und um ehrlich zu sein, habe ich keine Ahnung, wieso ich mich damals für ein Freiwilliges Soziales Jahr und nicht für einen Bundesfreiwilligendienst entschieden habe.“

Geld regiert die Welt

Langsam hatte sich Philipp an seine Aufgaben gewöhnt. Montag bis Mittwoch war er
immer bei Anne-Lise, kümmerte sich um ihre Grundpflege und sie schenkte ihm im
Gegenzug immer eine Geschichte aus ihrer Vergangenheit.
Donnerstag und Freitag musste er die Flure durchwischen und Essen austeilen.
Aber trotzdem, er mochte die Arbeit im Altenheim.
Er hatte das Gefühl, wirklich etwas Wichtiges für die Gesellschaft zu tun.
Das Einzige, das an ihm nagte, war der finanzielle Aspekt. Denn pro Tag bekam er
gerade mal 10,18 Euro.

Die Männer hatten damals aber auch noch einen Anspruch auf Sachbezüge wie zum
Beispiel Kleidergeld und jeder Zivildienstleistende erhielt Weihnachtsgeld und ein Entlassungsgeld in Höhe von knapp 700 Euro.
Das Gehalt der Männer wurde damals nach Soldstufen berechnet. Der höchste Tagessatz lag bei 10,95 Euro und den erhielten nur die Helfer, die bereits länger als
sieben Monate an ihrer Einsatzstelle waren.
Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern war der damalige Erwerbsersatz bei
einem Zivildienst in Deutschland relativ gering. Umgerechnet bekommt ein Zivildienstleistender in der Schweiz mit Taschengeld, Unterkunfts-, Essens-, und Fahrtkostenentschädigung einen Tagessatz von 27 Euro.

Der Zivildienst ist in der Schweiz immer noch Pflicht, wenn man den Militärdienst ablehnt. In Österreich ist der Zivildienst auch noch Pflicht nach Verweigerung des Wehrdienstes, aber die jungen Männer können ihren Dienst auch im Ausland ableisten. Etwa ein Drittel aller Männer leisten einen solchen Wehrersatzdienst, der dort neun Monate dauert. In Russland dauert der Zivildienst ganze 21 Monate und die Männer arbeiten oft unter sehr schlechten Arbeitsbedingungen, weshalb sich die meisten für den Militärdienst entscheiden.

In der Regel dauert der Bundesfreiwilligendienst zwölf Monate, mindestens jedoch sechs und höchstens 18 Monate. In Ausnahmefällen kann er bis zu 24 Monate geleistet werden. Foto: Alexandra Schaller

Von nichts kommt nichts

Zum letzten Mal half er ihr, sich die Zähne zu putzen und brachte sie ins Bett.
„Ich danke dir, mein Junge“, sagte Anne-Lise. „Komm mich doch mal besuchen, wenn
du in der Nähe bist.“ Sie schenkte ihm ihr schönstes Lächeln.
Philipp versuchte sich seine eigenen Tränen zu verkneifen und nahm Anne-Lise in den Arm. „Ich besuche dich auf alle Fälle. Einer muss hier ja auf dich aufpassen“, sagte Philipp. Er knipste das Licht aus und schloss die Tür hinter sich.
Er lief zum letzten Mal durch die langen, dunklen Gänge des Altenheims bis er zur
Ausgangstür kam. Dort klebte ein Plakat, das Philipp aufmerksam machte:
„Mitarbeiter gesucht“.

Auch heutzutage werden in Altenheimen immer häufiger Mitarbeiter gesucht. Einer der Gründe, ist laut Aussage der Freiwilligen, eine Nichtaufklärung im Bereich der Freiwilligen Dienste. Die verschiedenen Einsatzbereiche und Faktoren wie Bezahlung oder Arbeitszeit sollten transparenter für die Interessierten gemacht werden. Dennoch ist damit die Problematik der unbesetzten Stellen, beispielsweise im Pflegebereich, immer noch nicht gelöst. Aber es ist ein erster Schritt, vor allem den Bundesfreiwilligendienst, für die Jugend zugänglicher zu machen.

Text: Alexandra Schaller; Illustration: Laura Fischer; Foto: Alexandra Schaller
<h3>Benjamin Agsten</h3>

Benjamin Agsten

Benjamin studiert an der Hochschule Mittweida Medienmanagement mit der Vertiefung Digital Journalism. Er ist seit April 2018 Ressortleiter für das Ressort "Story" auf medienMITTWEIDA und seit Juli 2018 als freier Journalist für die Freie Presse aktiv.