Kommentar

Sex Sells – Wenn Banken es erlauben

von | 28. Januar 2022

Moralismus, Zensur und Diskriminierung. Die Erotikbranche im Visier der Kreditunternehmen.

Einkaufen bei Amazon, Musik hören mit Spotify, den Lieblings Streamer auf Twitch mit einer Spende unterstützen oder auch das Onlyfans-Abo. Eins haben diese Transaktionen gemeinsam, sie sind legal und wir sind dabei auf Paypal, Mastercard oder unsere Bank angewiesen. Eine Abhängigkeit, die von der Finanzwelt immer wieder ausgenutzt wird, um Druck auf ungeliebte Inhalte und Produkte auszuüben.

Erniedrigende Darstellungen von Frauen, Menschenhandel oder Missbrauch von Kindern. Die Sexindustrie hat viele dunkle Seiten. Gesetze und Regeln, um diese Auswüchse einzuschränken, sind allemal wünschenswert. Kritik und Probleme verhindern aber nicht, dass das Geschäft mit Sex in all seinen Formen beliebt ist wie eh und je. Auf der Straße, in zwielichtigen Bordellen oder auch im Internet. Doch während in dunklen Hinterzimmern und Gassen die Kontrolle Behörden wie der Polizei obliegt, fühlen sich Zahlungsdienstleister, Kreditunternehmen und Banken berufen als Wächter der Online-Moral aufzutreten. Mit Rundumschlägen gegen alles, was auch nur den Anschein von Sexualität erweckt, schaden sie vor allem Sexarbeitern und Pornodarstellern. Menschen die oft nur ihre Miete bezahlen wollen.

OnlyBieder – Zensur im Internet

Fast jeder der im Internet unterwegs ist, hat vermutlich schon von der Plattform OnlyFans gehört. Dort werden Videos und Bilder hochgeladen, ähnlich wie in gängigen Sozialen Medien. Anders als auf Instagram, YouTube oder Facebook sind hier dagegen auch sexuell explizite Werke gestattet. Der vielleicht relevanteste Unterschied, Nutzer sehen nur Dinge für die sie per Abo bezahlt haben.

Das unglaubliche Wachstum seit ihrer Entstehung, verdankt die Seite vor allem den sexuellen Inhalten. Gerade während der Corona-Pandemie ist das Interesse noch einmal drastisch gestiegen. Menschen die vorher in Strip Clubs oder als Prostituierte tätig waren, haben mit OnlyFans ihr persönliches Home Office gefunden und damit ihr Einkommen gesichert. Ein Einkommen das allerdings schnell in Gefahr geriet.

Im Sommer 2021 kündigte OnlyFans an, ab Oktober alle sexuell expliziten Posts zu verbieten. Eine Nachricht die unter Darstellern und Sexarbeitern Panik auslöste. Denn viele von ihnen waren und sind auf das Einkommen ihrer Profile angewiesen. Die größte Angst bei manchen? Zurück auf die Straßen zu müssen. Online-Arbeit hatte es ihnen erlaubt in einem weitaus sichereren Umfeld ohne persönlichen Kontakt mit Freiern und Kunden zu arbeiten.

Nach massiven Protesten von Betroffenen und Nutzern, ruderte OnlyFans zurück. Nacktaufnahmen sind weiterhin erlaubt. Aber warum kam es überhaupt zu dieser Situation? Schließlich ist die Freizügigkeit der Hauptgrund für das rasante Wachstum der Plattform. Ein Verbot hätte womöglich das Ende des Unternehmens oder zumindest einen massiven Einbruch in den Nutzerzahlen bedeuten können. Ähnlich wie die Zahlen von Tumblr in den Keller fielen, nachdem dort ein ähnliches Verbot durchgesetzt wurde.

Tim Stokely, Gründer von OnlyFans, sieht die Schuld bei den Banken. Große Finanzhäuser wie JP Morgan hätten Transaktionen blockiert oder gar Konten eingefroren. Beweise liefert er dabei zwar keine. Aber zusammen mit Erfahrungen von Prostituierten, Pornodarstellern oder Menschen die einfach nur einen Sexshop betreiben, ergibt sich doch ein recht klares Bild. Die Finanzwelt agiert als Wächter der Moral. Eine Branche, die berüchtigt für Skandale und Korruption ist, schwingt die Moralkeule und schadet dabei Menschen, die oft am Rande der Gesellschaft leben und versuchen ihre Existenz zu sichern.

Alle Jahre wieder – Diskriminierung durch Banken

Der Zahlungsdienst PayPal gehört inzwischen zum Alltag fast aller. Einfach und schnell Geld an Freunde und Bekannte überweisen. Abos und Onlinebestellungen simpel und sicher bezahlen. Pech nur für diejenigen in der Gesellschaft, die sich für ihr Abendessen ausziehen müssen. Denn PayPal ist sich schon seit 2003 zu gut für diese Geschäfte. Begründet wurde es damals mit Risken, wie Rückbuchungen oder gestohlenen Kreditkartendaten. Ein valides Argument, könnte man meinen. Allerdings verliert es sehr viel Glaubwürdigkeit, wenn das Unternehmen dann Nutzerkonten sperrt, die nur für normale Alltags-Transaktionen genutzt werden, aber rein zufällig Sexarbeiterinnen gehören.

Das gleiche moralistische Bild zeigt sich 2014, als The Guardian über verschiedene Banken berichtete die scheinbar gezielt Konten von Pornodarstellerinnen und Prostituierten gesperrt hatten. Privatkonten die nichts mit dem Job der Betroffenen zu tun hatten. Dieses Vorgehen kam zwar vor allem von amerikanischen und englischen Finanzunternehmen, aber auch unsere Schweizer Nachbarn haben fleißig mitgemischt. Zumindest schreibt das die schweizer Boulevard Zeitung 20 Minuten.

Wieder wurden dieselben Argumente herangeführt wie schon bei PayPal. „High-Risk“ war das Buzzword, welches in jeder PR-Stellungnahme zu finden war. Wo genau die Risiken lagen, wurde aber nur unzureichend erklärt. Offenbar war das einzige Vergehen dieser Kunden ihre Berufswahl

Seither wiederholt sich die Geschichte alle paar Jahre von neuem. Banken und Kreditinstitute gehen gezielt gegen Sexarbeiter vor. Verweigern den Menschen Dienstleistungen, die in unserer Gesellschaft unerlässlich sind. Und das obwohl Prostitution in vielen Ländern vollkommen oder größtenteils legal ist. Lediglich scheint die Gesetzeslage für die mächtigen Bankhäuser nur wenig relevant zu sein. Schließlich würde unsere moderne Welt ohne den Finanzsektor wohl kaum noch funktionieren. Sie können also tun und lassen, was ihnen gerade in den Kram passt. Und die leicht bekleidete Dame vom Escort-Service ist in der Bank nun einmal nur zur Weihnachtsfeier erwünscht. Nicht als Kundin.

Die Finanzwelt spielt nicht mit

Wenn es um Pornografie oder Prostitution geht, gibt es viele Gründe kritisch zu sein. Viele gehen schließlich nicht freiwillig auf den Strich oder lassen sich bei mehr oder weniger extremen Sexszenen filmen. Doch was passiert, wenn all diese moralischen Fragen nicht im Raum stehen. Handeln die Finanzunternehmen dann anders? Nein, das gleiche Bild bleibt weiter bestehen.

Michael und Robert sind zwei amerikanische Videospielentwickler, die sich bereit erklärt haben mit medienMITTWEIDA zu sprechen. Sie arbeiten an einem so genannten „Adult-Game“ also einem Spiel mit expliziten sexuellen Darstellungen. Quasi Pornos zum selbst spielen. Ihre Spielfiguren sind 3D Modelle, die nur wenig mit der Realität zu tun haben. Keine echte Person muss für die Kamera blankziehen, niemand muss sich mit schleimigen Pornobossen herumschlagen oder Freiern, die sich nicht an Regeln halten wollen. Und alles woran die beiden arbeiten ist vollkommen legal. Trotzdem erleben sie die gleichen Vorurteile wie vor ihnen schon diejenigen, die ihren Körper verkaufen.

„Alles in allem haben wir bei 18 Banken versucht ein Geschäftskonto zu eröffnen und wir wurden überall abgelehnt.“, erzählt uns Michael.

Begründungen für die Absagen haben sie nicht erhalten. Dabei sollte man meinen, dass ein Zweimannstudio, geführt von Familienvätern und in Michaels Fall einem Ex-Polizisten beinahe schon das Ideal eines Bankkunden erfüllt. Aber wenn es um Sex geht, ignorieren Kreditanstalten scheinbar jegliche Geschäftslogik.

Der OnlyFans Vorfall machte den beiden ebenfalls Sorgen. Denn ihre Haupteinnahmen kommen von Patreon. Eine Crowdfunding Plattform auf der Fans Projekte aller Art mit finanzieren können. Dort wird Ihr Projekt von über 800 Menschen durch monatliche Abos unterstützt. Patreon ist wie auch OnlyFans schon seit Jahren dem Einfluss von Zahlungsanbietern ausgesetzt. Auf drängen von Partnern wie Paypal geht die Firma seit Jahren oft unangemessen scharf gegen explizites Material auf ihrer Seite vor.

„Wir vertrauen Patreon nicht. Sie haben mehrfach bewiesen, dass sie drakonisch gegen Adult-Material vorgehen, sobald sich jemand beschwert. Warum sie so viel drastischer Vorgehen als andere Plattformen? Darüber kann ich nur spekulieren. Ich denke als Firma mit Sitz in San Francisco, fürchtet Patreon die US-Banken.“, meint Robert.

Ein Wechsel auf andere Seiten, die weniger anfällig für die Machenschaften der Finanziers sind, gestaltet sich jedoch schwierig. Online-Händler wie Steam, einer der größten Videospiel-Verkäufer der Welt, verlangen nämlich von allen Verkäufern ein Geschäftskonto. Somit landet man wieder bei den Banken.

Ein Teufelskreis also. Kreditinstitute diskriminieren gegen alles was nicht jugendfrei ist. Menschen weichen auf Seiten aus, die explizite Inhalte erlauben. Die Finanzhäuser wiederum üben Druck auf diese aus. Und die Sexindustrie zieht weiter.

Deutlich wird am Beispiel der Videospiele indessen endgültig: Das Wohl der Menschen, das den Geldhäusern als Vorwand dient, steht, wenn überhaupt, nur an untergeordneter Stelle. Vielmehr zeigen sie ihr prüdes und moralistisches Gesicht für jeden, der hinsieht.

Der Zweck heiligt nicht die Mittel

Wie man zu Pornos steht, ob man die Existenz von Sexarbeit nun gut findet oder nicht und was man jetzt genau von schlüpfrigen-Videospielen hält, muss jeder für sich entscheiden. Es gibt gute Gründe kritisch zu sein und diese Welt zu meiden.

Manchmal kann das Eingreifen von Unternehmen wie Mastercard oder Visa sogar positive Folgen haben, wie im Fall von Pornhub. Dort wurden schließlich zehntausende an ekelhaften Videos gelöscht, um die Finanzdienstleister gnädig zu stimmen, nachdem diese eine weitere Zusammenarbeit verweigert hatten. Kaum jemand wird diese Konsequenz wohl als negativ bewerten. Zumindest niemand, dessen moralischer Kompass voll funktionsfähig ist.

Aber ganz unabhängig von Gewissensfragen oder den Folgen: Wir können es nicht Banken überlassen, Entscheidungen darüber zu treffen was erlaubt ist und was nicht. Wenn Videos, Bilder oder auch Spiele verboten werden sollen, muss diese Verantwortung bei der Gesellschaft und den gewählten Politikern liegen. Nicht in der Hand von selbsternannten Moralaposteln. Genauso wenn es darum geht ob Prostitution nun unerwünscht ist oder nicht.

Gerade Bankiers eignen sich für die Rolle der Moralpolizei wohl am wenigsten von Allen. Zumindest wirkt das hohe Ross, auf das sie sich schwingen, nur mäßig Eindrucksvoll, wenn es bis zum Bauch im Mist aus Korruption steckt.

*Namen wurden geändert

Text und Titelbild: Stefan Schlosser
<h3>Stefan Schlosser</h3>

Stefan Schlosser

ist 29 Jahre alt und studiert derzeit im 6. Semester Medienmanagement an der Hochschule Mittweida. Bei medienMITTWEIDA engagiert er sich seit dem Sommersemester 2022 als Ressortleiter Medien.