Viele Menschen, bunte, freizügige Outfits, laute Musik ziehen durch die Straßen. Ab und zu eine Kundgebung, die kaum Gehör finden kann. Vereinzelt Plakate und Banner, die im Trubel untergehen. Viele CSD´s wirken wie eine Party, doch in Wirklichkeit wollen sie politische Botschaften verbreiten.
Was ist ein CSD?
CSD, ausgesprochen Christopher Street Day, ist in Deutschland die Bezeichnung für eine Demonstration und politische Veranstaltung, die sich für die Rechte der LGBTQIA+ Community einsetzt. International wird eher die Bezeichnung “Pride” oder “Pride-Parade” für diesen Tag genutzt.
Was ist LGBTQIA+?
Ist eine Abkürzung der englischen Wörter Lesbian, Gay, Bisexual, Transsexual/Transgender, Queer, Intersexual und Asexual. Diese Abkürzung versucht die Gesamtheit der sehr vielfältigen Community abzubilden. Sie hat sich im Laufe der Zeit häufig gewandelt, da nicht nur in der heteronormativen Gesellschaft Umbruchprozesse stattfinden, sondern auch innerhalb der LGBTQIA+ zugehörigen Gruppe. Zu unterscheiden sind unter anderem innerhalb der Bezeichnungen die sexuelle Identität, auch sexuelle Orientierung genannt und die Geschlechtsidentität.
Sexuelle Identität: Diese bezeichnet den Teil der Identität eines Menschen, der ausdrückt, zu welchem Geschlecht ein sexuelles Interesse oder ein romantisches Interesse besteht.
Geschlechtsidentität:Sie bezeichnet den Teil der Identität, der durch das Selbsterleben eines Menschen zustande kommt und bestimmt, welchem Geschlecht sich die Person zuordnet.
Lesbian: Wenn Frauen ein sexuelles oder romantisches Interesse an Frauen haben.
Gay: Wenn Männer ein sexuelles oder romantisches Interesse an Männern haben.
Bisexual: Wenn eine Person ein sexuelles oder romantisches Interesse an zwei Geschlechtern hat.
Transsexual/Transgender: Wenn die Geschlechtsidentität einer Person nicht mit den biologischen Geschlechtsmerkmalen übereinstimmt.
Queer: Wenn Menschen sich nicht einer sexuellen Identität oder Geschlechtsidentität zuordnen können oder wollen, nutzen viele den Begriff “queer”. Der Begriff vereint alle Menschen, die sich nicht dem vorherrschenden Geschlechtersystem und der Heteronormativität zuordnen können.
Inter: (Selbst-)Bezeichnung für eine Person, deren genetische, anatomische und/oder hormonelle Geschlechtsmerkmale von Geburt an nicht den Geschlechternormen von Mann und Frau entsprechen.
Asexual: Wenn eine Person kein sexuelles oder romantisches Interesse an anderen Menschen hat.
Ein CSD deckt eine Stadt oder im ländlichen Raum eine ganze Region ab. Stand November 2022 wurden 124 CSDs vom Dachverband CSD Deutschland e.V. registriert. Organisiert werden sie meist von eigens dafür gegründeten CSD-Vereinen oder -Zusammenschlüssen. Um sich nicht gegenseitig die Teilnehmer streitig zu machen, finden die CSDs nicht an einem Tag im Jahr, sondern über das ganze Jahr verteilt statt. Meist jedoch an einem Samstag oder Sonntag in den Sommermonaten. In welcher Form der CSD stattfindet, hängt von mehreren Faktoren ab, wie der Größe des Organisationsteams, Auflagen der Stadt oder des Bundeslandes, aber auch von finanziellen Mitteln. Es handelt sich fast immer um eine Demonstration, bei welcher alle, die sich der Community zugehörig fühlen oder diese unterstützen, teilnehmen, um gemeinsam für die eigenen Rechte und Forderungen an Politik und Gesellschaft zu demonstrieren. Darüber hinaus wird oftmals im Anschluss ein Straßenfest angeboten, auf dem innerhalb eines kulturgeprägten Bühnenprogramms weitere politische Botschaften geteilt werden können. Die Bewegung der LGBTQIA+ Community ist heute die größte Menschenrechtsbewegung Deutschlands.
Entstehungen der weltweiten Demonstrationen
Heute demonstriert die LGBTQIA+ Gemeinschaft für die Erlangung und Erhaltung der eigenen Rechte auf der ganzen Welt. Den Anstoß dazu gaben die Stonewall-Aufstände im Jahr 1969 in New York. Über die 1960er Jahre gab es immer wieder gewalttätige Razzien in Bars und Diskotheken der Schwulenszene. Dabei wurden die Identitäten der anwesenden Lesben, Schwulen und Transsexuellen festgestellt und veröffentlicht oder Verhaftungen durchgeführt und Anklagen erhoben. In der Nacht zum 28. Juni 1969 fand eine Razzia in der New Yorker Bar „Stonewall-Inn“ auf der Christopher Street statt. Dieses Mal leisteten die Anwesenden Widerstand. Die Polizisten wurden mit Gegenständen beworfen und verbarrikadierten sich im Stonewall-Inn. Die Teilnehmer des Widerstands versuchten, die Tür mit Mülltonnen und einer Parkuhr aufzurammen und das Gebäude anzuzünden. Erst eine Spezialeinheit konnte die Unruhen vorerst beenden. In den darauffolgenden vier Nächten wiederholten sich derartige Proteste. Kurze Zeit danach gründeten sich die ersten politischen Gruppierungen, die mehr Toleranz und Rechte forderten. Ein Jahr später fanden sich 4000 Demonstranten im New Yorker West Village zusammen, um an die Ereignisse zu erinnern. Infolgedessen etablierten sich auf der ganzen Welt Demonstrationen, die für die Rechte der LGBTQIA+ Community einstehen.
Die erste Demonstration in Deutschland fand 1972 in Münster statt. 1979 kam zum zehnten Jahrestag der Aufstände die erste große Demonstration in Berlin mit 450 Teilnehmern zustande. Diese forderte vor allem die ersatzlose Streichung des Paragrafen 175. Dieser Paragraf stellte sexuelle Handlungen zwischen Personen männlichen Geschlechts unter Strafe, wodurch sie verfolgt werden durften. Die heutigen Demonstrationen werden in Deutschland, Österreich und der Schweiz als Christopher Street Day bezeichnet. Diese Bezeichnung lässt sich auf die New Yorker Christopher Street zurückführen, auf der sich das Stonewall-Inn befindet und die Aufstände stattfanden. Die anderen weltweit stattfindenden Demonstrationen werden als „Gay Prides“ oder „Pride Parades“ bezeichnet.
Was wollen und sollen CSDs erreichen?
Das Ziel aller CSD-Organisationen ist es, gegen die Ungleichbehandlung und Diskriminierung der LGBTQIA+ Community vorzugehen. Im übergeordneten Sinn wird dieses Ziel aber für alle Menschen gefordert. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf der politischen Arbeit. Diese soll einerseits, laut Joschua Thuir, Vorstandsmitglied des CSD Deutschland e.V.: „politische Botschaften [und] Forderungen für die Zukunft” an Politik und Gesellschaft, stattfinden. Andererseits sollten CSDs laut Thuirs Aussagen auch eine Bühne bieten, damit „die Möglichkeit besteht, sich eine Meinung zu bilden, Meinungen besprechen zu lassen, zu diskutieren, […] einen politischen Diskurs […] herbeizuführen und vielleicht auch […] darüber hinaus“ sagte er im Interview mit medienMITTWEIDA.
Aktuelle Forderungen, die von CSDs transportiert werden sollen, gibt es viele. Dazu zählt zum Beispiel, laut dem Dachverband CSD Deutschland e.V., die Ergänzung des Artikel 3 im Grundgesetz um das Merkmal der sexuellen und geschlechtlichen Identität und die Abschaffung beziehungsweise die Reform des Transsexuellengesetzes. Neben der Schaffung rechtlicher Rahmenbedingungen werden aber auch Maßnahmen sowie Aktions- und Bildungspläne gefordert, die innerhalb der Gesellschaft Veränderungen schaffen sollen.
Kritikpunkte an CSDs
Viele Forderungen wurden in Deutschland bereits umgesetzt. Die endgültige Gleichstellung und Gleichbehandlung ist immer noch nicht erreicht. Das spiegelt sich in oben genannten Forderungen wider. Ereignisse, wie physische und psychische Gewalt gegenüber Menschen, die sich der nicht-heteronormativen Gesellschaft zuordnen, untermalen das.
Feiern auf Kosten der Politik
Die Demonstrationen und Veranstaltungen ernten häufig von außerhalb und innerhalb der Community Kritik. „Ich habe […] oft den Eindruck, dass ein CSD von den Besuchern als Kulturveranstaltung aufgefasst wird“, erklärt Elisa Leimert, Mitglied im Organisationsteam des CSD Zwickau, im Interview mit medienMITTWEIDA. CSDs seien nicht mehr politisch genug. Politische Forderungen scheinen oft bei der Gesellschaft nicht mehr anzukommen. Laute Musik, freizügige bunte Outfits und betrunkene Demonstrationsteilnehmer prägen häufig das Bild, das nach außen dringt. Für Außenstehende wirkt das häufig wie eine große Party. Letztendlich ist sie das auch, denn zu einem CSD gehört für viele ebenso, die bereits erkämpften Rechte und Freiheiten zu feiern. Kalle Wahle vom CSD Düsseldorf berichtet im Interview mit medienMITTWEIDA: „unsere Demo ist […] fröhlich und wird auch von vielen einfach so gesehen“. Dabei könnten aber politische Forderungen in der Parade an Menschen untergehen. Andererseits gibt es auch Menschen „die das nicht verstehen können und wollen […] die wollen nicht, dass andere Spaß haben oder Erfolg haben oder ihre Ideen verbreiten dürfen“, sagt Wahle. Auf der Gegenseite seien häufig Attribute wie Neid, Eifersucht und Unzufriedenheit zu beobachten.
Rainbow Washing
Joschua Thuir stellt unter anderem fest, „dass mehr und mehr Menschen […] aber auch Firmen [mit ihren Mitarbeitern] auf die Straße gehen […] ,was dazu beiträgt, dass der politische Faktor zum Teil in den Hintergrund gerückt wird“. CSDs befinden sich hier in einem Zwiespalt. Einerseits bringen Firmen und ihre Mitarbeiter den Organisationen häufig Sponsorengelder ein. Zusätzlich wird in der Gesellschaft Akzeptanz erzeugt, wenn etablierte Unternehmen die gleichen Werte und Forderungen vertreten, während sie an der Demonstration teilnehmen. Dabei stehen aber auch häufig eher wirtschaftliche Interessen im Vordergrund, die umgangssprachlich auch als “Rainbow Washing” bezeichnet werden. Die Reichweite des CSDs als Werbeträger zu nutzen und die Teilnehmer als potenzielle Kundengruppe zu gewinnen, ist viel häufiger das Motiv. Beispielsweise treten einige Unternehmen auf CSD Demonstrationen in Deutschland als LGBTQIA+ freundlich auf und präsentieren ihr Logo in Regenbogenfarben. In anderen Ländern, die die Community unterdrücken, vertreten dieselben Unternehmen aber keinesfalls die Werte, die sie hierzulande angeblich unterstützen.
Besetzung
Ein weiteres Problem für viele CSDs stellt ein Mangel an aktiven Mitgliedern und Unterstützern dar. Politische Forderungen zu formulieren und diese auf CSDs zu kommunizieren, benötigt Zeit und Menschen, die sich bereit erklären, in der Öffentlichkeit zu sprechen. In den meisten Organisationen wird die Arbeit von ehrenamtlich engagierten Menschen ausgeführt. Diese sind aber auch nur begrenzt belastbar, da sie sonst in anderen Lebensbereichen Abstriche machen müssten. „Ich arbeite ehrenamtlich im Bündnis und studiere in Vollzeit. Da bleibt vieles liegen“, berichtet Elisa Leimert. Dadurch können CSDs wohl nicht immer die Qualität aufweisen die sie benötigen um ernsthaft wahrgenommen zu werden.
Können CSDs ihre Ziele erreichen?
Teilnehmer, die nur feiern wollen, Sponsoren Interessen, wirtschaftliche Zwänge und einen Mangel an Zeit und tatkräftiger Unterstützung rücken die politische Arbeit mehr und mehr in den Hintergrund. Kann sich diese in diesem Umfeld noch Gehör verschaffen?
Kalle Wahle meint: „Grundsätzlich schon, also ich kann da tatsächlich für mein Düsseldorf sprechen, dass wir recht gut angekommen sind, sowohl im Rathaus als auch im Landtag. Auch bei den Gruppierungen und Vereinen“.
Elisa Leimert aus Zwickau berichtet: „ich erlebe es, dass die Aufmerksamkeit für Redebeiträge und das Formulieren von Forderungen auf dem CSD nicht immer hoch genug ist. […] Ob wir damit tatsächlich die Politik erreichen, ist aber fraglich. Dafür muss man wahrscheinlich doch das direkte Gespräch mit Lokalpolitiker:innen suchen.“
„Es wäre natürlich schön, wenn es sichtbarer wird, insbesondere wenn Menschen jetzt nicht zur Community gehören, vielleicht gar nicht verstehen, warum der CSD überhaupt noch wichtig ist. Wenn auf dem CSD einfach politische Botschaften nicht sichtbar werden, wird es schwierig, den Personen zu erklären, dass es ein Kampf ist, der da gerade ausgefochten wird, wenn der Kampf gar nicht sichtbar ist“, erklärt Joschua Thuir Vorstandsmitglied des CSD Deutschland e.V.
Je nach Region und Bundesland haben die CSDs unterschiedliche Reichweiten und werden von Politik und Gesellschaft differenziert wahrgenommen. In der Landeshauptstadt Düsseldorf schafft es ein CSD sehr viel besser mit dem Format einer lauten, bunten Demonstration viele Menschen anzusprechen. Das liegt unter anderem daran, dass die Menschen durch den Karneval in dieser Region eine viel aufgeschlossenere Herangehensweise haben. Dort erscheinen auch viel häufiger Politiker, an die Forderungen herangetragen werden können. In anderen Regionen oder Städten wie Zwickau ist es schon schwieriger, auf offene Ohren zu stoßen. Viele Menschen fühlen sich dort einfach nicht angesprochen und reagieren mit Gleichgültigkeit oder sind sogar dagegen.
Verbesserungsansätze für CSDs
Je nach Umfeld und vorherrschender Gesellschaftsstruktur muss sich ein CSD auf seine Zielgruppe einstellen. „Inwiefern eine Demonstration ihr Ziel erreicht, […] ist schwierig messbar“, sagt Joschua Thuir. Für die jeweiligen CSDs bedeutet das also, dass die politische Arbeit durchaus unterschiedlich gestaltet werden muss. In Großstädten und Regionen wie dem Rheinland mögen laute, bunte Demonstrationen und Straßenfeste funktionieren. In Kleinstädten und der ländlichen Region müssen über den CSD hinaus weitere Kommunikationskanäle und Maßnahmen ergriffen werden, da politische Forderungen sonst ihre Adressaten nicht erreichen. Elisa Leimert bestätigt: „Als Veranstalter:innen sollten wir nach neuen Lösungen suchen, um politische Forderungen in das Programm und unsere Kommunikation einzubinden und damit auch auf offene Ohren zu stoßen”. „Ich denke, Social Media ist ein guter Ort, um das zu tun“. Solche Wege scheinen zusätzlich notwendig zu sein um die breite Masse zu erreichen. Joschua Thuir behauptet: „Jetzt mit dem Queerbeauftragten auf Bundesebene und den vergangenen Entscheidungen, die getroffen worden sind und der Gesetzgebung sind wir auf einem richtig guten Weg und dazu […] haben die CSDs einen ganz ganz großen Teil zu beigetragen.“ Das Format der Demonstration scheint insgesamt noch gehört und gebraucht zu werden, denn CSDs erfüllen vielfältige Aufgaben. Sie können als Sprachrohr für politische und gesellschaftliche Forderungen an unsere Gesellschaft dienen. Für die Community sind sie ein Safe Place, eine Gemeinschaft zu haben, in der man vollständige Akzeptanz erleben kann, ist für viele sehr bestärkend. Erreichte Meilensteine und Rechte dürfen gefeiert werden, dürfen aber nicht neue Forderungen überschatten, sondern sollten mit diesen im Einklang stehen. Denn keine Freiheiten, die heutzutage gefeiert werden, sind wichtiger als Missstände, die heute immer noch Menschen diskriminieren und unterdrücken.
Text, Bild: Cedric Nastelski