Sächsisches Hochschulfreiheitsgesetz – ein happiger Name für ein Gesetz mit zahlreichen Inhalten. Es regelt alle Abläufe der Hochschulen unseres Bundeslandes – egal, ob Prüfungsordnungen, Krankschreibungen, welche Gremien wofür zuständig sind oder die Möglichkeiten der Studierendenwerke. Seit über zehn Jahren wurde der Gesetzestext kaum angefasst, sodass die Studierendenvertretung in Sachsen, die KSS, genug Zeit hatte, ihre Forderungen zu sammeln. Derzeit läuft ihre Kampagne „Revolution Studium“, bei welcher sie mit verschiedenen Verbündeten, von Parteijugenden über Gewerkschaften, für bessere Studienbedingungen, mehr studentische Beteiligung und einen größeren gesellschaftlichen Einfluss der Hochschulen kämpfen.
Was bisher geschah…
2019: Der Sächsische Landtag wurde neu gewählt, eine Koalition aus CDU, Grüne und SPD übernimmt die Führung. Laut dem Koalitionsvertrag soll unter anderem das sächsische Hochschulfreiheitsgesetz erneuert werden. Schon im darauffolgenden Jahr sollte das passieren.
Doch der Prozess stockte. 2021 startete die Konferenz Sächsischer Studierender eine Petition, welche die so genannte Novellierung forderte. Mit 5000 Unterschriften wurde sie dem Wissenschaftsminister Sebastian Gemkow überreicht. Im Juli 2022 stand der erste Referent*innenentwurf, welcher jetzt weiter ausgehandelt, überarbeitet und dann im Wissenschaftsausschuss vorgestellt wird. Außerdem hatten verschiedene Interessengruppen die Möglichkeit, zum Entwurf angehört zu werden.
Laut Koalitionsvertrag liegt der Fokus darauf, die Eigenständigkeit der Hochschulen zu stärken. Im derzeitigen Entwurf sprechen sie sich für mehr Vielfalt und Nachhaltigkeit aus. Die Aufgaben der Hochschulen wurden stark erweitert, doch konkrete Ansätze, wie diese Ziele durchgesetzt werden sollen, wurden nicht festgehalten.
Was ist mit Studierenden?
Es gibt zahlreiche Interessengruppen an sächsischen Hochschulen, die die Gesetzgebung mit beeinflussen möchten. In der Initiative „Revolution Studium“ haben sich einige von ihnen zusammengeschlossen. Beteiligt sind dabei nicht nur Studierendenräte von zahlreichen Hochschulen Sachsens oder die landesweite Studierendenvertretung, die Konferenz Sächsischer Studierender (kurz KSS). Auch Parteijugenden wie die Jusos, Grüne Jugend oder Linksjugend sowie Gewerkschaften und ihre Jugenden wie ver.di oder die DGB-Jugend sind beteiligt. „Immerhin geht es im Hochschulgesetz nicht nur um Studienbedingungen, sondern auch um den gesellschaftlichen Impact und um Arbeitsbedingungen“, sagt Sabine Giese, Sprecherin der KSS, im Interview mit medienMITTWEIDA. Wenn mehrere Initiativen und Gruppen in einer gemeinsamen Kampagne das Gleiche sagen, „dann wird es wahrscheinlicher, dass wir wirkliche Veränderungen am Gesetz bewirken können“.
Seit Ende September läuft die Kampagne vor allem auf Instagram, aber auch mit zahlreichen Pressemitteilungen der KSS und ihrer Partner*innen. Verschiedene Veranstaltungen gehören ebenso dazu: Erst im November konnten Studierende ihre Fragen an Vertreter*innen der Landesregierung und des Wissenschaftsausschusses bei einer Podiumsdiskussion stellen. Auf Demonstrationen versuchten die Beteiligten der Initiative, laut vor den Universitäten und der Landesregierung zu sein, „damit die es auch so verhandeln, wie es die Zielgruppe möchte“, sagt Sabine Giese.
Der Student*innenrat Mittweida hat sich der Initiative nicht angeschlossen. Gordon Guido Oswald, Geschäftsführer des Gremiums, meint im Interview mit medienMITTWEIDA dazu, dass sich der Student*innenrat nicht auf eine gemeinsame Linie einigen konnte. Nach eigener Angabe seien etwa 80 – 85 Prozent der Forderungen von „Revolution Studium“ mit der Mittweidaer Studierendenvertretung vereinbar. Vor allem Forderungen nach mehr studentischer Mitbestimmung und vielfältigen Hochschulen seien zu unterstützen. Doch sie gängen ihm zu weit in die „stark linke Richtung“. Er sehe „nicht ansatzweise, dass es da ‘ne Chance gibt, dass wir diese Forderungen als Studentenrat durchgesetzt bekommen“. Stattdessen solle man das verlangen, was auch realistisch ist. Welche expliziten Forderungen der Kampagne „Revolution Studium“ dem Studentenrat Mittweida zu hart seien, konnte auch auf Nachfrage nicht beantwortet werden. Stattdessen steht der Student*innenrat Mittweida in Kontakt mit verschiedenen Abgeordneten auf Landesebene, denen sie ihre Punkte für den Gesetzgebungsprozess mitgeben.
Gordon Guido Oswald, Geschäftsführer des Student*innenrats Mittweida, ist kritisch gegenüber der Kampagne „Revolution Studium“.
Aber was möchten Studierende denn?
„Wir wollen, dass das Gesetz nicht für die großen Exzellenzen, nicht für die wirtschaftlichen Interessen ausgerichtet wird, sondern für die Studis und Mitarbeitenden geschrieben ist“, erklärt uns Sabine Giese. Konkret heißt das unter anderem: mehr Mitbestimmung für alle Studierenden und Mitarbeitenden in den Gremien. Denn Studierende sind die größte Gruppe an Hochschulen. An der HSMW zum Beispiel kommen laut Gordon Guido Oswald auf rund 6200 Studierende etwa 150 Professor*innen und 500 Mitarbeitende. Im Senat, dem höchsten Gremium der Hochschulen, sitzen hingegen neun stimmberechtigte Professor*innen, fünf Mitarbeitende und drei Studierende, welche jeweils die Meinung ihrer Interessengruppen vertreten können. Ähnlich sieht es an anderen sächsischen Hochschulen aus.
Oliver Fritzsche, welcher als hochschulpolitischer Sprecher der CDU im Landtag sitzt, sieht damit kein Problem. Wie er bei der Podiumsdiskussion von „Revolution Studium” sagt, sollte die Gruppe, die am längsten an Hochschulen ist, Fragen rund um die Lehre am meisten beeinflussen können.
Doch „Revolution Studium” fordert noch mehr: Vor allem zusammen mit den Gewerkschaften kämpfen sie laut Sabine Giese für „gute, zeitgemäße und nachhaltige Arbeitsbedingungen“. Das Problem der prekären Arbeitsbedingungen an Hochschulen wurde bereits 2021 mit der Kampagne „Ich bin Hanna“ deutlich. Kettenbefristungen und Abhängigkeit von Professor*innen beeinflussen die wissenschaftliche Arbeit der Angestellten und sorgen dafür, dass sie nur sehr unsicher ihre Zukunft planen können. Der neue Gesetzesentwurf sieht teilweise Mindestbefristungen vor, die der aktuellen Situation entgegenwirken sollen. Fritzsche erklärt während der Podiumsdiskussion, dass er dafür vor allem die Bundesebene in Verantwortung sieht, da solche Regelungen eher durch das Wissenschaftszeitvertragsgesetz geregelt werden sollten.
Auch Studienbedingungen sollen verbessert werden, wenn es nach „Revolution Studium“ geht. So reicht derzeit eine einfache Krankschreibung bzw. eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht, um sich von einer Prüfung abzumelden. Der Arzt muss die vorliegenden Symptome notieren, sodass der Prüfungsausschuss der Hochschule bewerten kann, ob die Person unfähig ist, an einer Prüfung teilzunehmen. „Revolution Studium“ fordert, dass eine einfache Krankschreibung zur Prüfungsabmeldung ausreicht. Auch auf dem Podium gibt es Kritik zum bisherigen Verfahren: Anna Gorskih sitzt für die LINKE im Landtag und ist hochschulpolitische Sprecherin ihrer Fraktion. Sie meint, dass sich Studierende so „nackig machen und sich von Fachfremden bewerten lassen müssen“. Außerdem könnten Studierende so gedrängt werden, krank zur Prüfung zu erscheinen und erzielen dadurch gegebenenfalls eine schlechtere Note.
Dr. Norbert Busch-Fahrinkrug vertritt das sächsische Ministerium für Wissenschaft, Kultur und Tourismus und nimmt ebenfalls an der Podiumsdiskussion teil. Er gibt zu bedenken, dass die bisherige Regelung Chancengleichheit schafft, da sich sonst Personen mit einem guten Draht zum Arzt leichter von Prüfungen abmelden lassen können. Laut ihm wird diese Regelung weder im Entwurf noch in der finalen Gesetzesvorlage verändert.
Als Sprecherin der Konferenz Sächsischer Studierender vertritt Sabine Giese die Studierenden in Sachsen. Bild: Sabine Giese
Apropos Chancengleichheit…
Busch-Fahrinkrug sieht zudem keine Notwendigkeit, das Allgemeine Gleichstellungsgesetz, kurz AGG, für Studierende festzusetzen. Sollten Hochschulleitungen von Diskriminierungsfällen erfahren, so glaubt er daran, dass diese handeln werden. Oliver Fritzsche aus der CDU schließt sich ihm bei der Podiumsdiskussion an. Laut ihm löst eine solche Ergänzung „Prüfverfahren aus, deren Mehrwert aus meiner heutigen Perspektive als zweifelhaft gelten können“.
Bisher gibt es keine rechtliche Grundlage für diskriminierte Studierende dagegen etwas zu unternehmen. Bereits 2020 hat das Antidiskriminierungsbüro Sachsens auf Diskriminierung an Hochschulen aufmerksam gemacht. „Revolution Studium“ fordert einen wirksamen Diskriminierungsschutz nach dem AGG. Außerdem sollen alle Studiengänge in Teilzeit angeboten werden, sodass pflegenden oder Studierenden mit Kindern trotzdem ein Studium ermöglicht werden kann. Studiengebühren sollen abgeschafft, studentische Wohnheime, Mensen und psychosoziale Beratung ausfinanziert werden. So können alle Interessierten studieren, unabhängig von ihrer finanziellen Lage.
Bereits der Koalitionsvertrag 2019 sah eine verstärkte Einbringung der Hochschulen in den gesellschaftlichen Diskurs vor. Dafür spricht sich auch der bisherige Gesetzesentwurf an einigen Stellen aus, doch „Revolution Studium“ fehlt es an konkreten Strategien, zum Beispiel bezüglich Nachhaltigkeit. Die Initiative macht darauf aufmerksam, dass Hochschulen als Institutionen der Forschung und des Wissens den wissenschaftsfeindlichen Neigungen in der Gesellschaft entgegentreten sollten. Sie fordern klimaneutrale Hochschulen bis 2030 und eine hauptamtliche Person als Nachhaltigkeitsbeuaftragten. Währenddessen zeigen sich Fritzsche und Busch-Fahrinkrug bei der Podiumsdiskussion gegen eine Verankerung von Nachhaltigkeitsstrategien im Gesetz.
Und jetzt?!
„Revolution Studium” versucht, weiter laut zu sein, „um möglichst viel Druck auszuüben, damit noch solche Änderungen vorgenommen werden, die Studierenden zu Gute kommen, und die am Ende auch im Alltag spürbar werden”, meint Sabine Giese. Gesetzlich muss die KSS als Studierendenvertretung angehört werden – das geschah bereits im Sommer. Derzeit laufen noch bilaterale Verhandlungen. In der Koalition glaubt man an eine Beschlussfassung im Frühling nächsten Jahres. Die Aktionen von „Revolution Studium” werden noch bis Dezember oder Januar andauern.
Ob sie etwas bewirkt haben, lässt sich erst nächstes Jahr mit Sicherheit sagen. Während der Podiumsdiskussion regiert allerdings Schweigen auf die Frage, auf welche Änderungen für Studierende im bisherigen Entwurf man als Gesetzgeber*innen stolz sein kann.
Text: Johanna Schöbel Titelbild: Konferenz Sächsischer Studierender Fotos: Konferenz Sächsischer Studierender, (Student*innenwerk Mittweida)