Interview

Hilfsbereitschaft ohne Grenzen

von | 13. Januar 2023

Zwischen Raketeneinschlägen und Bombenalarm – Helfer werden in ukrainischen Kriegsgebieten zu Helden.

Der Konflikt in der Ukraine sorgt für Angst, Verzweiflung und unermessliches Leid bei der Bevölkerung. Um die Menschen vor Ort zu unterstützen, greifen viele Helfer der Bevölkerung unter die Arme und unterstützen diese mit der Versorgung durch Spenden. Aber wie ist die Lage vor Ort wirklich? Der ehrenamtliche Helfer Patrick erzählt medienMITTWEIDA von seinem Einsatz in der Ukraine und berichtet, was er dort erlebt hat.

Im März 2022 hat sich Patrick entschieden sich als Helfer in der Ukraine zu engagieren. Foto: Patrick Guigli

Wie bist du zu dem Entschluss gekommen, Dich als Helfer zu engagieren?

Patrick: Als der Krieg Ende Februar 2022 begann, befand ich mich zunächst in einer Schockstarre. Ich glaube, das war bei vielen anderen auch erst mal so. Im Bekannten- und Freundeskreis sowie mit meiner Familie habe ich viel über das Thema gesprochen. Immer öfter habe ich mir Gedanken gemacht und mich gefragt, wie ich helfen könnte.

Zum selben Zeitpunkt begannen auch immer mehr Organisationen Spenden zu sammeln, um in der Ukraine zu helfen. Dazu gehörten in Chemnitz die Ukraine Hilfe und das Human Aid Collective. Diese habe ich angeschrieben und meine Hilfe angeboten. Leider waren sie zu diesem Zeitpunkt dann aber schon komplett überfüllt. Sie haben zwar noch die ein oder andere helfende Hand gesucht, aber der ganze Andrang hat sie doch eher überfordert. Die Hilfsbereitschaft, die die Region zu bieten hatte, war riesig.

Ein wenig später kam dann der richtige Anstoß von einem meiner besten Freunde. Er sagte:„Okay, ich habe mich mal informiert, wie man selbst helfen kann. Ich habe Formulare gefunden, die man beantragen könnte, um selbst bis an den Grenzort Medyka in Polen zu fahren. Dort könnten wir an einer zuständigen Stelle Spenden abgeben. Ich würde das jetzt alles organisieren.“ Gesagt, getan! Sofort gründeten wir eine WhatsApp-Gruppe und begannen mit der Planung unserer eigenen Hilfslieferung an die polnische Grenze.

Wie seid ihr bei der Planung vorgegangen?

Patrick: Wie gesagt, war der erste Schritt die Gründung einer WhatsApp-Gruppe. Als Nächstes ging es Anfang-Mitte März dann an das Sammeln von Sachspenden. In vielen privaten Haushalten waren noch einige Spenden übrig. Die Leute wussten jedoch nicht mehr, wo diese abgegeben werden konnten. An vielen Sammelstellen mussten die gespendeten Güter zeitscharf abgegeben werden, da sich die Waren, die in der Ukraine benötigt wurden, im Wochen-Takt verändert haben. Immer wieder wurden neue und andere Hilfsgüter gebraucht. Schnell haben wir ein großes Netzwerk aufbauen können. Einer der Beteiligten ist ein Unternehmer aus Chemnitz und konnte uns Lagerräume zur Verfügung stellen. Wir sind sehr dankbar für Helfer wie ihn. Er konnte uns viel Organisatorisches abnehmen, einfach, weil er die Mittel zur Verfügung hatte.

Erst mal haben wir uns gefragt, wie genau wir helfen könnten. Neben dem Vernetzen mit den verschiedenen Leuten spielte dann auch die Recherche zunächst eine wichtige Rolle. Denn plötzlich ging alles Schlag auf Schlag. Also haben wir erstmal geschaut, wie wir an alle benötigten Formulare kommen. Über Onlineforen haben wir eine polnische Anwaltskanzlei gefunden, die uns dann die nötigen Formulare ausfüllen konnten, die wir brauchten, um den Hilfstransport in die Ukraine und natürlich wieder zurück stattfinden lassen zu können. Die Formulare haben wir dann in Krakau abgeholt.

Ja und ansonsten sind wir im Vorhinein die privaten Leute, die Sachen für unsere erstellte Bedarfsliste hatten, in ganz Sachsen abgefahren, um die Spenden einzusammeln. Dafür waren wir in Dresden, Leipzig, Chemnitz, Halle und dem Erzgebirgskreis unterwegs. Oft hatten die Personen schon in ihrem Freundes- und Bekanntenkreis gesammelt und nur noch darauf gewartet, dass sie es irgendwo abgeben können. Ansonsten hatten wir noch einen Ansprechpartner in der Ukraine. Diesen haben wir auch über Facebook und Telegram gefunden. Dabei handelte es sich um das Slawische Kulturzentrum in Slowjansk. Dieses befand sich weiter im Osten der Ukraine. Die hatten uns kurz vor unserer Abreise aus Deutschland versichern können, dass wir das Transportgut sogar bis nach Lwiw bringen können und sie uns geleiten. Bei denen konnten wir dann die Hilfsgüter absetzen und verladen und von dort gingen sie direkt nach Slowjansk im Donbass, also ins direkte Kriegsgebiet.

Wo seid ihr unterwegs gewesen?

Patrick: Der eigentliche Plan war es die Hilfsgüter bis an den polnischen Grenzort Medyka zu bringen. Im Laufe der Vorbereitungen und Planungen hat sich dann vieles noch mal verändert. Durch die verschiedenen Kontakte, mit denen wir in Verbindung standen, hat es sich dann ergeben, dass wir doch noch weiter über die ukrainische Grenze gefahren sind. Zielort war dann die Stadt Lwiw. Diese war circa 80 Kilometer von der polnischen Grenze entfernt.

Die Helfer sortieren die erforderlichen Spenden für den Weitertransport, Foto: Patrick Guigli

Wie war der Zustand in der Region, in der ihr unterwegs gewesen seid?

Patrick: Die Ukraine an sich ist natürlich ein riesiges Land. Wir haben uns weit westlich, nahe der polnischen Grenze bewegt, sodass wir von den Kriegshandlungen und Zerstörungen nur wenig mitbekommen haben. Was ich dazu sagen muss ist, dass die Ukraine an sich schon ein ärmeres Land ist. Somit ist auch die Infrastruktur und das Privateigentum vieler Menschen nicht in dem Zustand, wie wir es im Westen gewohnt sind. Also das ist schon ein Punkt, an den man sich gewöhnen muss, wenn man dort unterwegs ist. Und ja, Lwiw ist schon eher eine Stadt, die nicht nur regional eher westlich ist, sondern auch kulturell. Dort haben wir also von Zerstörung nicht wirklich viel mitbekommen. Der Militärflughafen war zunächst das einzige Ziel der Angreifer. Dieser lag außerhalb der Stadt.

Was wir mitbekommen haben, war ein Bombeneinschlag. Er begann, als wir am Hauptbahnhof in Lwiw standen und Flüchtende eingesammelt haben. Vorher haben wir zwei, drei laute Knalle gehört und dann ging der Fliegeralarm los. Mit dem Start des Alarms ist auch Panik ausgebrochen. Also das war dann schon eine Grenzerfahrung für mich. Dabei sollte man bedenken, dass wir diese nur einmal erleben mussten. Viele Ukrainer und Ukrainerinnen müssen diese bis heute aktuell täglich erleben. Das war dann schon ein sehr einschneidendes Erlebnis.

Welchen Eindruck hat die Lage in Lwiw auf Dich hinterlassen?

Patrick: Es war komisch, die Lage vor Ort zu bewerten. Als wir in der Stadt Lwiw angekommen sind, war das für unsere Gefühlslage –  da kann ich auch für alle anderen Helfer sprechen, so wie: „Okay, hier sind noch Leute auf den Straßen und die gehen auch ihrem Tagesgeschäft nach und es fühlte sich erstmal normal an.“ Das soll heißen, wir kamen von dem Gedanken, wir sind jetzt hier in einem Kriegsgebiet und alles, was da gefühlsmäßig dazu gehört, ein Stück weit weg, bis wir mit den Leuten vor Ort gesprochen haben.

Die Situation veränderte sich mit dem Beginn des Bombenanschlags in der direkten Umgebung des Hauptbahnhofs. Sofort ist eine Art Panik ausgebrochen. Der Hauptbahnhof war eine Sammelstelle für Leute. Es wurde plötzlich allgemein unruhiger, aber auch wenn ich es eigentlich nicht aussprechen möchte, war es fast ein normaler Eindruck, den die Stadt Lwiw auf mich hinterlassen hat.

Wie ging es den Einheimischen, mit denen Du in Kontakt gekommen bist?

Patrick: Also in engerem Kontakt waren wir mit einer Person aus dem Slawischen Kulturzentrum in Slowjansk. Diese hat uns in Lwiw kurzzeitig in der Wohnung ihrer Tochter beherbergt. Dort haben wir von ihr etwas zu essen bekommen und hatten die Chance, kurz zu ruhen. Wir waren bis zu dem Zeitpunkt dann schon fast 30 Stunden wach und unterwegs. Sie war auch eine Person, die Bruchstücke der englischen Sprache beherrschte. Wenn man kein Russisch oder Ukrainisch spricht, konnte man sich sonst eher schlecht verständigen, weil viele in der Ukraine kein Englisch sprechen. Ich kann den Kontakt mit ihr gar nicht genau runterbrechen. Sie kam mir nicht ängstlich und nicht über alle Maße besorgt vor. Aber ihren Unmut konnte ich spüren. Ich konnte da auch einfach keinen Smalltalk führen, wie ich es unter normalen Umständen tun würde. So ging es auch den anderen Helfern. Wir waren auch alle sehr aufgeregt. Vielleicht sogar etwas aufgeregter als sie es in diesem Moment war, jetzt reflexiv betrachtet.

Ansonsten hatten wir Kontakt mit den Geflüchteten, die wir mit zurückgenommen haben. Dazu gehörte eine Familie, die direkt aus dem Kriegsgebiet kam. Sie waren alle auch schon über 24 Stunden unterwegs und wirkten extrem aufgebracht und unruhig, besonders die Kinder. Die Mutter war schon fast apathisch und extrem geschockt. Gerade als der Fliegeralarm losging, sind Tränen geflossen und die Kinder mussten sich mehrmals übergeben. Also das war dann auch für uns alle eine Herausforderung, mit dieser Situation umzugehen. Eine, mit der wir vorher vielleicht gar nicht so gerechnet hatten.

Die meisten Personen haben uns dann schon kurz nach der ukrainischen Grenze im Grenzort Medyka am Zentrum für Flüchtlinge unter Tränen verlassen. Sie haben uns gedankt, dass wir ihnen geholfen haben und sie so schnell aus der Situation gerettet haben. Gleiches Bild [war] aber auch bei den Personen, die wir bis nach Krakau oder Dresden mitgenommen haben. Ich konnte eine extreme Dankbarkeit spüren und es war wirklich ein Abschied unter Tränen. Obwohl wir uns, wie bereits angesprochen, kaum verständigen konnten. Eine geflüchtete Frau unter 30 konnte noch etwas Englisch sprechen. Diese hat uns dann auch die Ziele vermittelt. Ohne sie wären wir auf der ganzen Reise wirklich nicht weit gekommen. Mit meinem gebrochenen Schulrussisch, was ich seit sechs Jahren nicht gesprochen habe und mit Google-Übersetzer, war das dann natürlich viel statischer. Trotzdem war nicht in jedem der Autos eine englisch sprechende Person vorhanden. Somit waren wir gezwungen, auf technische Hilfsmittel wie Übersetzer zurückgreifen, um uns überhaupt verständigen zu können. Dank des Google-Übersetzers konnten wir dann überhaupt fragen: „Habt ihr Durst oder Hunger?“ oder „Was können wir für euch tun?“ Aber darüber hinaus kommt man nur mit den Leuten richtig ins Gespräch, wenn man die Sprache spricht und sich verständigen kann. Trotzdem war es mir wichtig, wenigstens zu versuchen, mit den Leuten zu kommunizieren. Wenn ich versucht habe, mit den Menschen zu sprechen, konnte ich auch merken, dass sie offener geworden sind und auch mal gelacht haben oder wenigstens ein Lächeln im Gesicht hatten. Ich habe wirklich versucht, eine Vertrauensbasis aufzubauen. Man muss sich ja auch vorstellen, dass die Flüchtenden von fremden Menschen irgendwo hingefahren wurden. Deshalb war es mir sehr wichtig, das Gespräch zu suchen.

Warum hast Du Dich trotz des hohen Risikos für Deine eigene Sicherheit für die Reise in das Krisengebiet entschieden?

Patrick (lacht und muss kurz nachdenken): Das ist eine gute Frage. Ich hatte schon Angst. Schon mehrere Tage, bevor es losging, war ich aufgeregt. Die Aufregung hat sich auch von Tag zu Tag zunehmend gesteigert. Die Aktion war aber gut geplant und durchdacht. Auch wenn nicht alles in Sack und Tüten war und die Organisation nie zu 100 Prozent sicher sein kann, vor allem, wenn man in ein Kriegsgebiet fährt. Aber der ganze Aufwand sollte sich am Ende ja auch lohnen und ich wollte helfen.

Wir haben versucht, die gesamte Zeit irgendwie positiv zu bleiben, auch wenn man immer eine Restangst im Kopf hat. Aber wir wussten, wir fahren maximal bis nach Lwiw. Wir wussten auch, dass wir uns dort nur über den Tag hinweg aufhalten und uns mit dem Anbruch der Dunkelheit nicht mehr in der Ukraine befinden. Das hat auch Gott sei Dank alles so geklappt. Aber natürlich ist das mit riesengroßen Unsicherheiten verbunden und warum macht man es dann am Ende? Einfach, weil die Hilfsbereitschaft am Ende einfach überwiegt.

Emotional waren zwei Momente extrem schwierig für mich. Das war einmal, als wir nachts dann weiter östlich in Polen waren und der Grenzort Medyka an der Autobahntafel stand und ich wusste, okay, jetzt geht es über die Grenze. Da ist mir das erste Mal richtig mulmig geworden. Da habe ich mich auch das erste Mal gefragt, was ich überhaupt tue. Der zweite Moment war dann, als wir den Bombenalarm gehört haben in Lwiw. Da war es dann echt schon hektisch. Die Autos waren voll besetzt und wir wollten einfach nur noch schnellstmöglich los. Die Angst bei den Ukrainern und die panischen Zustände haben mich zunehmend beunruhigt und in diesem Moment hatte ich wirklich sehr große Angst. Ich muss aber auch sagen,  ich hatte sehr gute Freunde dabei, die trotzdem in allen Situationen ruhig geblieben sind, auch in dieser. Durch gute und klare Absprachen konnten wir zusammen in allen Situationen schnell und sicher handeln. Das hat mir dann oft den nötigen Mut gegeben und die Angst auch teilweise etwas genommen.

Ging die Initiative von einem Verein aus?

Patrick: Nein, ich nenne uns gern studentische Initiative. Zu Beginn habe ich bereits über die schon vorhandenen Vereine gesprochen, die noch die ein oder andere helfende Hand als Lagerist zum Beispiel gesucht haben. Wir hatten es uns jedoch zum Ziel genommen, selbst eine Hilfslieferung zu organisieren und nicht „nur“ im Hintergrund zu helfen. Grund dafür waren die vielen übrig gebliebenen Spenden in den ganzen Privathaushalten. Diese wollten wir nicht ungenutzt lassen. 

In den Medien wurden freiwillige Helfer und das Sammeln von Spenden oft kritisiert. Oft wurde berichtet, dass die Masse an Hilfsgütern gar nicht benötigt wurde oder nicht an den Orten angekommen sind, wo sie wirklich gebraucht wurden. Wie ist nach Deinem freiwilligen Einsatz ohne Verein Deine Sicht auf die Dinge?

Patrick: Ich kann die Kritik nachvollziehen. Ich kann das Ganze aber auch anekdotisch untermalen. Als wir am Grenzort Medyka in Polen angekommen sind, sahen wir palettenweise Pappkartons mit Waren, die nicht allen Witterungsverhältnissen ausgesetzt werden sollten. Die standen jedoch einfach an der Grenze herum, weil sie nicht abgeholt werden konnten. Alle Transporter, die weiter bis in die ukrainischen Krisengebiete gefahren sind, waren bereits bis unter das Dach gefüllt. Somit haben einfach wichtige Transportkapazitäten gefehlt. Deshalb kann ich verstehen, dass es kritisiert wird, dass der ein oder andere einfach blindlings drauflosfährt und gar nicht weiß, wohin mit seinem Zeug oder gar nicht weiß, welche Mittel wirklich gebraucht werden. 

Text: Franziska Pfoh, Bild: Patrick Guigli

<h3>Franziska Pfoh</h3>

Franziska Pfoh

ist 25 Jahre alt und studiert im fünften Semester Medienmanagement an der Hochschule Mittweida. Bei medienMittweida ist sie als Redakteurin tätig und engagiert sich ebenfalls im Ressort Gesellschaft.