Asexualität

Sex: kein notwendiger Ausdruck von Liebe

von | 13. Januar 2023

„Ich wusste damals nicht, dass es außer 'entweder oder' auch noch die Möglichkeit 'nichts von all dem' gibt."

Asexualität ist eine sexuelle Orientierung, bei der Menschen meist keine sexuelle Anziehung und/oder kein Verlangen nach sexueller Interaktion verspüren. Doch das asexuelle Spektrum ist breit. Einige beschreiben sich ebenfalls als aromantisch und wollen neben keinerlei sexueller Interaktion, keine romantische, also zum Beispiel eine Liebesbeziehung. Die Grenzen zwischen sexueller und romantischer Anziehung definiert dabei jedoch jede Person anders. Linda und Annina gehören dem asexuellen Spektrum an und teilen ihre persönliche Geschichte mit medienMITTWEIDA.

Asexualität umfasst ein breites Spektrum, wie definierst du dieses für dich?

Linda: Ich lable mich als lesbisch AroAce. Das bedeutet für mich, dass ich mich weder romantisch noch sexuell zu anderen Personen hingezogen fühle. Jedoch fühle ich mich, als tertiäre Anziehung, ästhetisch zu Frauen hingezogen.

ästhetische Anziehung

definiert sich durch Wertschätzung des Aussehens oder der Schönheit anderer Personen, unabhängig von sexuellen oder romantischen Gefühlen.

Annina: Ich bin asexuell und nicht demisexuell, graysexuell oder so. Als aromantisch identifiziere ich mich auch, aber da bin ich mir nicht wirklich sicher, ob es aromantisch ist oder doch eher Gray-romantisch.

Annina, Quelle: Annina Anderhalden

Demisexuell, Graysexuell, Gray-romantisch, Allosexuell

Demisexuell: Beschreibung von Personen, die sexuelle Anziehung erst nach Aufbau einer engen emotionalen Bindung empfinden können.

Graysexuell: Beschreibung von Personen, die sich in einer Grauzone zwischen A- und Allosexualität befinden und sexuelle Anziehung nur selten, nur schwach empfinden.

Gray-romantisch: Beschreibung von Personen, die sich in einer Grauzone zwischen A- und Alloromantik befinden und romantische Anziehung nur selten, nur schwach empfinden.

Allosexuell: Definiert die mögliche Bezeichnung für Menschen, die sich von anderen sexuell angezogen fühlen, bzw. für Menschen außerhalb des asexuellen Spektrums. Allosexuelle Menschen können jegliche romantische Orientierung haben, z. B. auch aromantisch sein.

Wie wurdest du dir deiner sexuellen Orientierung bewusst?

Linda: Als sich mit 13 Jahren meine beste Freundin in mich verliebt hat, habe ich mir zum ersten Mal Gedanken über meine Sexualität gemacht. Da ich mich noch nie in einen Jungen verliebt habe und mir eine Beziehung auch nicht hätte vorstellen können, dachte ich automatisch ich müsste lesbisch sein. Immerhin fand ich auch Frauen vom Aussehen attraktiver als Männer. Ich wusste damals nicht, dass es außer „entweder oder“ auch noch die Möglichkeit „nichts von all dem“ gibt. Deshalb habe ich lange geglaubt, dass mit mir oder meinem Körper etwas nicht stimmt. Denn ich habe mich weder in jemanden verknallt, noch hatte ich Interesse an sexueller oder romantischer Intimität.

Ich habe also viel im Internet recherchiert und mit ca. 19 Jahren über den YouTube-Kanal „Ash Hardell“ zum ersten Mal etwas über Asexualität gehört. Damit konnte ich mich sofort identifizieren und war erleichtert, endlich eine sinnvolle Erklärung für meine Empfindungen gefunden zu haben. Im Zuge dessen habe ich auch zum ersten Mal den Begriff Aromantik gehört. Doch ich habe damals nicht verstanden, dass es einen Unterschied zwischen romantischer und sexueller Anziehung gibt, weshalb es viel länger gedauert hat, dieses Label zu verstehen. Ich habe auch länger gebraucht, um zu erkennen, dass dies ebenfalls auf mich zutrifft.

Annina: Oh, das ist eine lange Geschichte. Als ich das erste Mal gemerkt habe, dass ich vermutlich nicht heterosexuell bin, war ich 18 Jahre alt. Da habe ich mich dann etwa 3 Jahre als bisexuell identifiziert. Doch nach einer gescheiterten Beziehung mit einem Mann wurde mir klar, dass es vermutlich nicht das richtige Label für mich ist. Danach habe ich mich lange zuerst als lesbisch, dann als pansexuell identifiziert, weil ich gemerkt habe, dass ich das Gleiche zu allen Geschlechtern empfinde. Durch eine Freundin bin ich dann auf das Label asexuell gestoßen und mir wurde bewusst, dass ich dasselbe für alle Geschlechter fühle, nichts. Daher trifft es asexuell viel besser. Seit zwei Jahren identifiziere ich mich nun als asexuell.

Wie hat dein Umfeld auf dein Outing reagiert?

Linda: Um ehrlich zu sein, bin ich nur bei meiner Mutter und meiner Partnerin als AroAce geoutet. Bei den beiden ist es für mich am relevantesten und es war die Zeit und Mühe wert, alles zu erklären. Diese zwei Personen haben verständnisvoll reagiert und sich die Zeit genommen, um mich zu verstehen. 

Andere Personen wie Freunde oder Klassenkameraden haben meistens mit Unverständnis reagiert und versucht zu „helfen“ oder zu argumentieren, warum ich nicht asexuell sein könnte. Daher bin ich bei meinem restlichen Umfeld immer noch „nur“ als lesbisch geoutet, da ich nicht die Energie aufbringen möchte, mich jedes Mal aufs Neue zu erklären und zu rechtfertigen.

Annina: In meinen Labels habe ich mich immer geoutet und mein Umfeld war immer sehr positiv. Als Beispiel: Ich habe meiner Schwester gesagt, ich bin asexuell-aromantisch und sie meinte nur: „Okay. Bestellen wir uns Pizza zum Abendessen?“. So war ich mir dann sicher, dass sie wirklich kein Problem damit hat.

Kommt es da häufig zu Missverständnissen?

Linda: Ich glaube, das größte Missverständnis ist noch immer, dass Menschen nicht verstehen, dass es einen Unterschied zwischen sexueller Anziehung und Sexualtrieb gibt.

sexuelle Anziehung und Sexualtrieb

sexuelle Anziehung: Empfinden einer anderen Person als attraktiv mit einer sexuellen Komponente; Verspüren von sexueller Erregung, die durch eine andere Person ausgelöst wird

Sexualtrieb: Beschreibt das konkrete Bedürfnis nach sexueller Befriedigung

Annina: Ich finde Sexualität ein sehr interessantes Thema, wissenschaftlich betrachtet. Wenn ich dann so offen über Masturbation oder Sonstiges spreche, verstehen die Menschen meistens nicht, warum ich asexuell bin, wenn ich mich so dafür interessiere. Doch das größte Problem stellt das Aromantisch dar. Sie können sich nicht vorstellen, dass man sich nicht romantisch zu jemandem hingezogen fühlt.

Mit welchen Vorurteilen hast du zu kämpfen und wie gehst du mit diesen um?

Linda: Vor allem als Jugendlicher wird man beim Thema Asexualität häufig nicht ernst genommen. Es fallen Sätze wie: „Das kommt alles noch.“, „Du bist halt ein Spätzünder.“ 

Für allosexuelle Menschen scheint es eine unvorstellbare Sache zu sein, ein erfülltes und glückliches Leben ohne sexuelle Anziehung zu führen. Aber uns geht es gut! Um ehrlich zu sein, bin ich glücklicher und zufriedener als je zu vor in meinem Leben seitdem ich weiß, dass ich asexuell bin. Endlich muss ich mir keinen Druck mehr machen und mich zu Dingen überwinden, die ich überhaupt nicht tun möchte, nur weil es mir von sozialen Normen so vorgeschrieben wird. Ich bin endlich im Reinen mit mir selbst und meinem Körper.

Demzufolge bin ich mittlerweile selbstbewusst genug, um Menschen, die bereit dazu sind, mir ehrlich zuzuhören, zu erklären, was es für mich wirklich bedeutet, asexuell zu sein. Wenn Menschen die Informationen jedoch nicht aufnehmen möchten und anfangen, mir meine Sexualität streitig zu machen, dann belasse ich das Thema und versuche, mich davon nicht mehr runterziehen zu lassen. Denn schlussendlich kann nur ich wissen, was und was ich nicht fühle, unabhängig von der Meinung anderer, und das genügt mir.

Die meisten Menschen denken, dass man in seinem Leben unglücklich ist oder sie fangen vorsichtig an zu fragen, ob man mal missbraucht wurde.

Linda

Annina: Nicht direkt Vorurteile. Was manchmal etwas nerven kann, ist, wenn man sich mit Freunden trifft und sie fragen: „Hast du jetzt einen Partner oder eine Partnerin?“, „Bist du dann überhaupt glücklich?“. In meinem Freund:innenkreis heiraten jetzt viele oder ziehen mit ihren Partner:innen zusammen, das ist für mich selbst innerlich etwas mehr mühsam. Ich bin zufrieden als Single, aber ich habe viel mehr das Gefühl, dass die Gesellschaft jetzt auch etwas von mir verlangt, dass ich mit jemandem zusammenkomme oder zusammenziehe. Ich denke, den größten Druck mache ich mir diesbezüglich fast selbst.

Wie beeinflusst deine sexuelle Orientierung deine Partner:innenwahl?

Linda: Diese Frage ist für mich etwas schwer zu beantworten. Ich bin seit 10 Jahren, seit ich 13 bin, noch immer mit meiner Freundin zusammen. Während all der Jahre haben wir beide noch einige Veränderungen durchgemacht, uns selbst kennengelernt und sind uns über unsere sexuellen Orientierungen bewusst geworden. Ich denke, dass ich Glück hatte; eine unserer besten Eigenschaften war schon immer unsere offene und ehrliche Kommunikation.

Annina: Ich habe eigentlich schon immer in meinem Leben gewusst, dass ich lieber Single bin und gerne verschiedene Freundesgruppen habe, mit denen ich etwas unternehmen kann aber man trotzdem einen Rückzugsort hat bei dem man alleine sein kann. Jetzt, wo ich mich als asexuell, aromantisch identifiziere, ist es wie ein Druck, der von mir weggenommen wurde. Weil ich sehe, dass auch andere Menschen so empfinden wie ich. Auch wenn ich sehe, wie meine Schwester oder meine Brüder glücklich sind mit ihren Partner:innen, muss ich das trotzdem nicht.

Es ist okay, dass ich zufrieden Single bin.

Annina

Bei meiner Recherche ist mir aufgefallen, dass die Quellenlage über das Thema noch sehr dünn ist. Was hoffst du ändert sich in der Zukunft?

Linda: Ich hoffe, dass mehr Aufklärung dazu führt, dass Menschen keine vorschnellen Schlüsse ziehen und Vorurteile gegenüber Aspec-Menschen haben, somit die Toleranz und Akzeptanz steigt. Und ich hoffe, dass mehr Sichtbarkeit dazu führt, dass Menschen, die dem Spektrum angehören, schneller zu sich selbst finden. 

Aspec-Menschen sollen sich weder selbst so fühlen noch von anderen vermittelt bekommen, dass mit ihnen etwas nicht stimmt oder sie sich zu etwas zwingen müssen, nur weil es vom Großteil der gesellschaftlichen Norm so vermittelt wird.

Aspec/ a*spec

kann meinen:

a) das asexuelle und aromantische Spektrum (älteste bekannte Verwendung),

b) das asexuelle, aromantische und aplatonische Spektrum oder

c) schließt neben den drei genannten Beziehungsebenen noch agender Menschen und Menschen mit Autismus ein.

Menschen ohne sexuelle Anziehung sind nicht kaputt, hormongestört oder unglücklich. Und Menschen, die sich nicht verlieben können, können trotzdem andere Menschen lieben.

Linda

Annina: Ich denke, es ist einfach wichtig, dass wir sichtbar machen, ob durch  Buchcharaktere, Filmcharaktere, verschiedene Sachbücher oder einfach aufklären und zeigen: „Hey, du musst nichts, es ist okay, wenn du nichts willst und Sex nicht cool findest.“ Du kannst einfach du selbst sein.

Was rätst du Leser:innen, welche sich nun nicht sicher sind, ob sie asexuell sind?

Linda: Zuallererst möchte ich versuchen, Betroffenen die Angst vor Labeln zu nehmen. Man muss sich nicht 100 Prozent sicher sein, welcher sexuellen Orientierung man angehört.

Denn was im Leben ist schon sicher?

Wenn man jetzt das Gefühl hat, dass das Label asexuell auf einen zutreffen könnte, dann ist es völlig in Ordnung, dieses auch zu verwenden. Unsere sexuelle Orientierung basiert schließlich auf Erfahrungen, unserer Vergangenheit und Gegenwart, niemand kann in die Zukunft blicken und Labels sind nicht in Stein gemeißelt. Wenn man irgendwann das Gefühl hat, dass doch eher ein anderes zu einem passt, dann kann man es jederzeit ändern.

Empfehlungen von Linda:

  1. Erfahrungsberichte von anderen Betroffenen lesen
  2. nutze YouTube, TikTok oder andere Plattformen und suche nach Gleichgesinnten
  3. das Buch „The Invisible Orientation“ von Julie Sondra Decker

Annina: Mir hat sehr die Tatsache geholfen, zu verstehen, dass ich nicht das passende Label für immer finden muss. Bei Asexualität und Aromantik gibt es sehr viele Sublabels. Manchmal macht man sich da auch einen mega Druck, dass man das richtige Label für immer findet, aber das muss man nicht. Ich kenne viele, die sich früher als demisexuell bezeichnet haben, die sich nun als asexuell identifizieren oder die dachten, sie seien asexuell, aber jetzt wissen, dass sie graysexuell sind. Ich denke, man muss sich nicht festlegen. Wenn man denkt, asexuell oder aromantisch, oder beides, trifft im Moment auf mich zu, dann ist das völlig okay.

Du musst nicht ein Label für immer finden.

Annina

Empfehlungen von Annina:

  1. Erfahrungsberichte auf YouTube schauen
  2. auf Reddit gibt es gute, spannende und vielseitige Subreddits, in welchen man auch Fragen stellen kann

Text, Titelbild: Joshua Enger, Beitragsbild: Annina Anderhalden

<h3>Joshua Enger</h3>

Joshua Enger

ist 21 Jahre alt und studiert derzeit im fünften Semester Medienmanagement an der Hochschule Mittweida. Bei medienMITTWEIDA engagiert er sich als Chef vom Dienst und als Leitung der Technik.