Etwa jede zehnte Frau zwischen der Pubertät und den Wechseljahren ist betroffen, jährlich erkranken circa 40.000 Frauen in Deutschland an Endometriose. Schätzungen von Experten zum Auftreten der Krankheit schwanken zwischen 8 und 15 Prozent aller Frauen. Damit ist die Endometriose eine der häufigsten gynäkologischen Erkrankungen. Aber was ist eine Endometriose überhaupt?
Endo..was?
Bei Endometriose tritt gebärmutterähnliches Gewebe außerhalb der Gebärmutter auf. Die Endometrioseherde können sich dabei überall im Körper ansiedeln. Am häufigsten aber im Bauchraum, an den Eierstöcken oder an der Gebärmutterwand. Siedeln sich die Herde an anderen Beckenorganen, wie Blase oder Darm an, spricht man von einer tief infiltrierenden Endometriose. „Wobei es ja auch Herde geben kann, die ganz woanders sind. Zum Beispiel am Zwerchfell, am Nabel oder an der Leiste. In seltenen Fällen sogar an der Lunge.”, so Professor Dr. med. Sylvia Mechsner, Leiterin des Endometriose Zentrums an der Berliner Charité im Interview mit medienMITTWEIDA.
Das Gewebe reagiert, wie die Gebärmutterschleimhaut, auf hormonelle Veränderungen. Dabei durchlaufen die Endometrioseherde den ganz normalen Zyklus, das heißt, die Schleimhaut wächst und wird nach dem Zyklus wieder abgestoßen. Hierbei kommt es zu einer Blutung. Je nachdem, an welcher Stelle im Körper sich der Endometrioseherd befindet, kann das Blut nicht abfließen. Es entstehen Verklebungen, die nicht nur starke Schmerzen verursachen, sondern auch für Entzündungen oder eine Zystenbildung verantwortlich sein können.
Die Vielfältigkeit der Symptome
Die Endometriose wird auch als “Chamäleon der Gynäkologie” bezeichnet, weil die auftretenden möglichen Symptome unterschiedlicher nicht sein könnten. Angefangen von stark krampfenden Unterleibsschmerzen während der Regelblutung, über Schmerzen im Bauchraum und Rücken oder Schmerzen während oder nach dem Sex bis hin zu einem unerfüllten Kinderwunsch.
Auch Franziska König, Fashion- und Lifestyle Influencerin aus Köln kennt die typischen Symptome der Endometriose. Vor etwa zwei Jahren wurde die Erkrankung bei ihr diagnostiziert, sie ging damit an die Öffentlichkeit und macht seither anderen Frauen Mut. Mit medienMITTWEIDA schrieb sie über ihre Symptome mit der Erkrankung. „Das wohl stärkste Symptom waren die viel intensiveren Schmerzen während meiner Periode. Das Ziehen im Unterleib konnte ich oftmals nur mit Schmerzmitteln in den Griff bekommen.”
So vielfältig, wie das Farbrepertoire eines Chamäleons, können auch die Symptome der Krankheit ausfallen. Denn es gibt auch Patientinnen, die gar keine Beschwerden spüren. So auch Lisa Stryczek. Bei der 24-jährigen Erzieherin aus Chemnitz wurde 2021 die Erkrankung diagnostiziert.
Wir treffen uns in einem kleinen Café. Auf meine Frage, ob sie auch einen Kaffee bestellen möchte, antwortet sie: „Ja, ich trinke heute auch mal einen Kaffee, obwohl ich sonst lieber Tee trinke. Ist auch so ein Endo-Ding.” Später löst sie die Vorliebe für Tee auf. Sie macht immer wieder deutlich, dass sie nicht die „typische Endo-Frau” sei.
2019, kurz vor Beginn der Corona-Pandemie, hat Lisa die Pille abgesetzt. Ihre erste Periode nach dem Absetzen war verbunden mit starken Unterleibsschmerzen und Fieber. Qualen, die sie bis dahin nie kannte. Sie wandte sich damals, aufgrund ihres Fiebers an ihre Hausärztin. „Sie hat dann eben zu mir gesagt ,Wenn Sie gerade ihre Periode haben, dann ist das völlig normal”. Ein Satz, den viele Endometriose-Patientinnen kennen.
Bei einer Routineuntersuchung ihrer Frauenärztin wurde dann „zufällig eine Zyste in Größe einer Orange” an ihrem Eierstock entdeckt. „Es ging dann auch alles ziemlich schnell. Im Sommer 2021 wurde dann in einer Not-OP die Zyste entfernt.” Sie erzählt, dass sie vorher nie derartig krank war und, dass ein Krankenhausaufenthalt für sie total neu war. Schon im Gespräch vor der Operation „habe ich gehofft, dass es keine Endometriose ist.” Ein paar Tage später erhielt sie dann doch den Befund der chronischen Erkrankung. „Ich habe sofort meine Mama angerufen, als ich die Diagnose erhielt. Bis dahin war ich wirklich zuversichtlich, aber ich bin aus allen Wolken gefallen.” Fünf Tage verbrachte Lisa nach ihrer Operation im Krankenhaus. Ein halbes Jahr später, bei einem Kontrolltermin bei ihrem örtlichen Urologen wurde dann Endometriose-Gewebe im Harnweg festgestellt. Es folgten drei weitere Operationen. „In der ersten Operation hat man versucht, einen Stent in meine Harnröhre zu setzen, um das Ablaufen der Niere sicherstellen zu können.” Die Operation misslang. „Ich wurde dann an das Endometriosezentrum in Dresden verwiesen. Dort wartete ich ein halbes Jahr auf einen Vorstellungstermin.”
In einer zweiten Operation gelang es dem Ärzteteam aus Dresden dann, die Gefäßstütze zu setzen. „Mein Arzt sagte mir dann, dass sich zeigen wird, ob sich die Niere erholt. Bei einer Funktion von 20 Prozent bleibt die Niere drin. Meine Niere hatte nur noch 5 Prozent Funktionsfähigkeit.” In einer vierten und letzten Operation, im Sommer 2022, wurde Lisa dann ihre Niere entfernt. Danach folgten anderthalb Wochen Reha in Bad Schmiedeberg. „Wir haben dort Schmerztherapie gehabt. Man weiß zwar nie, wie sich die Krankheit entwickelt, aber tendenziell wird sie schlechter als besser.” Außerdem erzählt sie, dass sie eine Psychologin in Anspruch genommen hat. „Dass ich Endometriose habe, hat mir nicht so zugesetzt wie der Fakt, dass ich nur noch eine Niere habe. Man hat mir im Krankenhaus immer wieder gesagt ,Passen Sie auf, dass Sie keine Dialyse-Patientin werden’.” Lisa erzählt, dass sie oft geweint hat.
Dialyse
Eine Dialyse oder auch Blutwäsche ist ein Verfahren, mit dem das Blut eines Menschen von giftigen Stoffen gereinigt wird, wenn die Niere selbst dazu nicht mehr in der Lage ist.
Im Sommer 2021 erhielt Lisa die Diagnose, die ihr Leben veränderte. Bild: Lisa Stryczek
Heute geht es der 24-jährigen Erzieherin sehr gut. Auch dank ihrer guten Behandlung im Endometriosezentrum. „Ich habe dort wirklich kompetente Ärzte und nette Pfleger gehabt.” Gegen ihre Symptome nimmt Lisa ein Medikament – Dienogest. Es sei ähnlich wie die Pille, unterdrückt den Zyklus. Sie achtet vor allem auf ihre Niere, macht Sport. „Ich trinke jeden Tag mehr als 2 Liter Tee und ziehe mich viel wärmer an, um meine Niere zu schützen.” Zudem verwendet Lisa die Endo-App. Sie nutzt sie nicht jeden Tag, aber wenn die App doch mal zum Einsatz kommt, „dann ist sie wie Reha für Zuhause.”
Die Endo-App
Die Endo-App ist ein digitales Medizinprodukt zur Unterstützung von Endometriose-Betroffenen. Das Ziel ist es, dass Betroffene im Rahmen des Selbstmanagements ihre Lebensqualität verbessern. Dafür beinhaltet die App ein Symptomtagebuch, in dem die Nutzerinnen ihre Symptome, Aktivitäten oder auch Übungen eintragen können.
Ein langer Leidensweg
Bis zur Diagnose durchlaufen viele Frauen eine Odyssee. „Es ist nun mal leider eine Tatsache, dass die Diagnoseverzögerung zehn Jahre dauert.”, so Prof. Dr. med Sylvia Mechsner. Sie rät Patientinnen, hartnäckig zu bleiben: „Nicht nachlassen, sich nicht einschüchtern lassen.”
Eine Stigmatisierung von Patientinnen und ihren Beschwerden ist leider keine Ausnahme. Sätze wie „Stell dich nicht so an, Schmerzen während der Periode sind ganz normal.” oder „Du siehst gar nicht krank aus, bist du sicher, dass du Endometriose hast?” kennt beinahe jede Endometriose-Patientin. Warum wissen so wenig Frauen von der Erkrankung?
„Im Moment ist das Versorgungsproblem noch sehr groß, weil die niedergelassenen Ärzte nicht geschult sind.”, greift Prof. Dr. med. Sylvia Mechsner das Problem im Interview auf. Häufig wüssten Ärzte nicht ausreichend genug über die Erkrankung, um sie als solche diagnostizieren zu können. Das läge aber auch an der breiten Palette der Symptome, die mit der Endometriose einhergehen können.
Die Diagnose – Eine Erlösung?
In einem ersten Gespräch erkundigt sich der Arzt nach den Beschwerden und einer möglichen Krankheitsgeschichte. Außerdem wird nach einer Endometriose-Erkrankung bei nahen Verwandten gefragt. Denn Endometriose in der Familie erhöht das Risiko um das sieben-fache.
Nach dieser ersten Befragung erfolgt eine Untersuchung, bei der Scheide, Bauchdecke und Enddarm abgetastet werden. Auch Lisa hat Erfahrungen mit dieser Abtastung gemacht: „Eine sehr unangenehme Untersuchung, aber in diesem Fall muss sie sein.” Bei einer transvaginalen Sonografie können eventuell größere Endometrioseherde lokalisiert werden.
Transvaginale Sonografie
Der transvaginale Ultraschall, kurz TVUS, ist ein bildgebendes Verfahren zur Untersuchung der Vagina und der sie umgebenden Strukturen mit Hilfe der Endosonografie.
Die Bauchspiegelung (Laparoskopie) ist die einzige Methode, um eine Endometriose zweifelsfrei feststellen zu können. Frau Prof. Dr. med. Sylvia Mechsner sieht die Laparoskopie nicht als einzige Möglichkeit, um eine Endometriose zu diagnostizieren. „Früher hat man immer gesagt, dass man eine Bauchspiegelung machen muss. Das hat sich mittlerweile grundlegend geändert. Es gibt Ultraschall und das kann theoretisch jeder.”
Bauchspiegelung
Bei einer Bauchspiegelung werden durch mehrere kleine Schnitte im Bauchraum optische Instrumente eingeführt. Mit deren Hilfe können dann Herde entdeckt und Gewebe entnommen werden. In einer mikroskopischen Untersuchung wird dann festgestellt, ob es sich um gebärmutterähnliches Gewebe handelt.
Für Franziska König war die Diagnose “Fluch und Segen zugleich”. Sie war beruhigt, zu wissen, woher ihre Schmerzen und Beschwerden kamen. Allerdings kamen dadurch auch alle negativen Eigenschaften der Erkrankung ans Licht.
Therapie-Optionen
Die Endometriose ist behandelbar, aber nicht heilbar. Die Bauchspiegelung ist gleichzeitig der erste Schritt einer chirurgischen Therapie. Danach lassen die Schmerzen meist nach, können aber wieder auftreten. Denn selbst nach einer Operation liegt das Rückfallrisiko für Herde im Bauchraum bei zehn Prozent, für Zysten an den Eierstöcken sogar bei 30 bis 40 Prozent.
Welche Therapiemöglichkeiten stehen den Patientinnen zur Verfügung?
„Sei es wirklich mit Schmerzmitteln anzufangen und diese adäquat zu nehmen. Oder auch Entspannungsübungen zu machen, Tee zu trinken und Yoga zu machen.”, so Frau Prof. Dr. med. Sylvia Mechsner.
Medikamentöse Schmerztherapie
Weiterhin können durch eine medikamentöse Schmerztherapie die durch Endometriose verursachten Schmerzen gelindert werden. Allerdings wird die Krankheit damit nicht therapiert. Die Endometriose-Vereinigung Deutschland warnt sogar vor einem Suchtkreislauf.
Hormonelle Therapie
Das Einnehmen von Hormonen legt vor allem die Endometrioseherde für eine Weile still, die unter dem Einfluss von Östrogenen jeden Monat eine Schleimhaut aufbauen. Etwa 70 Prozent der Herde werden durch Hormone beeinflusst. Durch die Hormontherapie wird das Wachstum der Gebärmutterschleimhaut unterdrückt sowie das Abbluten am Zyklusende bewirkt. Gleichzeitig erzielt man eine Hemmung des Wachstums der Herde und bewirkt in vielen Fällen sogar eine Rückbildung.
Ernährungstherapie
Eine bewusste Ernährung bei Endometriose kann die Krankheit zwar nicht heilen, aber zur Schmerzlinderung vor allem während der Periode und zu einer allgemeineren Steigerung des Wohlbefindens führen. „Es kann sehr hilfreich sein, antientzündlich zu essen.“, so Prof. Dr. med. Sylvia Mechsner.
Experten empfehlen, entzündungshemmend zu essen. Dazu gehört insbesondere die Einschränkung vom Fleischkonsum, denn vor allem rotes Fleisch enthält viele entzündungsfördernde Stoffe, die während der Periode zu Schmerzen führen können. Aber auch Zucker ist entzündungsfördernd, weshalb Knabbereien und Süßkram reduziert werden sollten.
Eine weitere Möglichkeit der Ernährungsumstellung ist eine histaminarme Ernährung, da Histamine den Schmerz verstärken können. Besonders eine zyklusabhängige Diät kann helfen, die Beschwerden zu lindern. Ärzte empfehlen auch, ein Ernährungstagebuch zu führen, um die Ernährung mit den Schmerzen in Verbindung bringen zu können.
Histamine
Histamin ist ein natürlicher Botenstoff, der grundsätzlich unschädlich ist. Der menschliche Körper bildet ihn selbst als Teil des Immunsystems. Er ist bei Entzündungen dafür verantwortlich, dass das Gewebe anschwillt und die Durchblutung gesteigert wird. Außerdem wirkt der Botenstoff auf das Nervensystem und fördert das Schmerzempfinden.
Unerfüllter Kinderwunsch
Oftmals wird die chronische Erkrankung erst bei einem unerfüllten Kinderwunsch entdeckt. Endometriose führt nicht automatisch zu Unfruchtbarkeit, kann allerdings das Schwangerwerden erschweren. Die Forschung geht momentan davon aus, dass circa 30 bis 50 Prozent aller betroffenen Frauen einen unerfüllten Kinderwunsch haben. Frau Prof. Dr. Mechsner erklärt medienMITTWEIDA, dass es mehrere Faktoren gibt, die zu einem unerfüllten Kinderwunsch führen können. „Das fängt schon mit dem gerichteten Spermientransport an. Die Gebärmutter transportiert die Spermien in den Eileiter, in dem das Ei liegt.” Dieser gerichtete Spermientransport sei bei der Endometriose nicht optimal.
Ein weiterer Faktor können Verklebungen und Verwachsungen im Eileiter, in der Gebärmutter oder im Eierstock sein. Wenn sich Endometrioseherde in den Eileitern befinden, kann das zu Verstopfungen führen. Die Entzündungen, die mit einer Endometriose einhergehen, stören das biochemische Gleichgewicht des Körpers. Die Eireifung, der Eisprung und die Einnistung des befruchteten Eies in die Gebärmutter können behindert werden.
Heutzutage gibt es mehrere Möglichkeiten, wenn ein Paar durch Endometriose einen unerfüllten Kinderwunsch hat. Eine Operation kann die Fruchtbarkeit stark beeinflussen, wenn Zysten an den Eierstöcken und Endometrioseherde entfernt werden. Auch bei Franziska König stand der Kinderwunsch nach ihrer Diagnose in Gefahr. Nach ihrer Operation vor etwa 2 Jahren ist sie im Mai 2022 Mutter einer Tochter geworden. Die Schwangerschaft war für sie „unbeschreiblich und einfach unser persönliches Wunder.”
Was sagt die Politik dazu?
Es gibt Hoffnung für rund zwei bis sechs Millionen Frauen in Deutschland. Im Oktober 2022 hat der Haushaltsausschuss des Bundes fünf Millionen Euro für die Endometriose-Forschung beschlossen. Ein großer Schritt, nachdem es in den vergangenen 20 Jahren lediglich insgesamt 500.000 Euro Forschungsgelder gab. Frankreich schritt mit gutem Beispiel voran. Bereits Anfang 2022 verkündete Präsident Emmanuel Macron einen umfassenden Endometrioseplan.
„Endometriose ist nicht nur ein Problem für die betroffenen Frauen, sondern ein Problem der Gesellschaft!“- Frankreichs Präsident Emmanuel Macron
Und nicht nur das. Im Herbst 2022 veröffentlichte Frankreich einen Speicheltest, mit dem innerhalb von circa 25 Tagen Endometriose diagnostiziert werden soll. Doch es hagelt Kritik an der Studie und am Test. „Man muss wissen, dass der Speicheltest nur auf einer kleinen Patientengruppe beruht – und zwar auf 200 symptomatischen Patienten.”, so Frau Prof. Dr. med. Sylvia Mechsner. Auch die Kosten von rund 800 Euro sieht die Leiterin des Endometriosezentrums an der Charité sehr kritisch. „Im Moment ist nicht abzusehen, dass das die Krankenkassen übernehmen.” und weiter: „800 Euro sind so viel Geld für unser Gesundheitssystem, wichtiger ist es, die Versorgungsstrukturen zu verbessern.”
Es bleibt also abzuwarten, wie sich die Forschung entwickelt, denn derzeit wünschen sich mehr als zwei Millionen Frauen in Deutschland Hilfe durch Forschung und Politik.
Text, Titelbild, Foto: Lea Scheffler, Lisa Stryczek