Trans*rechte in den USA

„[…] transgenderism must be eradicated […]”

von | 2. Juni 2023

Warum von einem "trans genocide" in den USA gesprochen wird.

Rechte für Angehörige der LGBTQIA+ Community und insbesondere für trans* Personen werden auf der ganzen Welt bestritten – auch in Ländern, in denen diese Rechte bereits gesetzlich verankert sind. Ein prominentes Beispiel dafür sind die USA. Dort ist nicht nur die Zahl der Gesetzesvorhaben, die Rechte von LGBTQIA+ in Frage stellen, in den letzten Jahren drastisch gestiegen – die Existenzberechtigung der Rechte dieser Minderheit ist auch ein beliebtes Thema der US-amerikanischen Konservativen.

Worum es geht

Im Rahmen der jährlich stattfindenden Conservative Political Action Conference (CPAC) sorgte ein Redebeitrag im März diesen Jahres für besonderes Aufsehen. Die Rede stammt von Michael J. Knowles, Podcaster bei Daily Wire – ein Medienunternehmen, das 2015 vom konservativen Aktivisten Ben Shapiro gegründet wurde und vor allem politische Inhalte produziert.

CPAC

Die CPAC ist eine Tagung der US-amerikanischen Rechten, die erstmals 1974 veranstaltet wurde. Sie wird von der American Conservative Union Foundation (ACUF) veranstaltet, um konservative Politik zu betreiben und die Kampagnen konservativer Politiker:innen zu unterstützen. Im Zentrum der Tagung stehen Redebeiträge von Aktivist:innen und Politiker:innen.

Knowles‘ Rede auf der CPAC behandelte seine Sicht auf das Verhältnis zwischen progressiver und konservativer Politik. Beispielhaft dafür zog er die US-Politik zu „transgenderism“ heran und trug vor:

„There can be no middle way in dealing with transgenderism. It is all or nothing. If transgenderism is true – if men really can become women – then it’s true for everybody of all ages. If transgenderism is false – as it is – if men really can’t become women – as they can not – then it’s false for everybody too. And if it’s false, then we should not indulge it. […] If it is false, then for the good of society and especially for the good of the poor people, who have fallen prey to this confusion, transgenderism must be eradicated from public life entirely, the whole preposterous ideology, at every level.“

Ausschnitt von Michael J. Knowles‘ CPAC-Rede. Quelle: Fox News über YouTube.

Gender, biologisches Geschlecht, trans*, cis, non-binär

Gender meint das soziale Geschlecht einer Person und bezieht sich auf z.B. Männer, Frauen, Mädchen, Jungen. Diesen Gruppen werden bestimmte Eigenschaften zugeschrieben. Das können Verhaltensregeln, bestimmte Rollen oder Beziehungen sein.

Biologisches Geschlecht beschreibt biologische und physiologische Eigenschaften, die aufgrund von Chromosomen, Hormonen und Geschlechtsorganen den Gruppen männlich, weiblich und intersex zugeordnet werden.

Trans* bezeichnet Menschen, deren geschlechtliche Identität von dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht abweicht. Das Sternchen wird verwendet, um Raum für diverse Identitäten zu lassen.

Cis bezeichnet Menschen, deren geschlechtliche Identität mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt.

Non-binär bezeichnet Menschen, die sich nicht oder nicht vollständig mit einem der zwei sozialen Geschlechter „Mann oder Frau“ identifizieren.

Öffentliche Reaktionen

Diese Äußerungen wurden in mehreren Artikeln der US-amerikanischen Presse aufgegriffen. Knowles habe die Ausrottung von transgender Personen gefordert, so Independent und Rolling Stone. Knowles selbst bezeichnete diese Einordnung durch den Rolling Stone als verleumderisch, woraufhin die Artikel abgeändert wurden. Sie berichten nun darüber, dass Knowles die Ausrottung des „transgenderism“ fordert, und stellen die Frage, inwieweit die Begriffe „transgenderism“ und „transgender persons“ inhaltlich nicht deckungsgleich sind. Dem wird entgegengehalten, „transgenderism“ meine die „ideology” der Unterscheidung von Gender und biologischem Geschlecht.

In diesem Kontext finden sich auch vermehrt Posts von LGBTQIA+ Aktivist:innen in sozialen Medien, in denen von einem „trans genocide“ gesprochen wird. Auch die Artikel des Rolling Stone und des Independent sind der Ansicht, die Formulierungen seien genozidal und stellen so einen inhaltlichen Bezug zum Begriff des „trans genocide“ her.

Unter anderem auf Tiktok finden sich Videos zum Schlagwort „trans genocide“. Quelle: katiedm_, chronicallyadyke, dykegarfield über TikTok.

Was bedeutet Genozid?

Der Begriff „Genozid“ stammt vom jüdisch-polnischen Juristen Raphael Lemkin, der 1944 einen Gesetzesentwurf für die strafrechtliche Aufarbeitung der Besetzung Polens durch das nationalsozialistische Deutschland erarbeitete. Die damalige Wortneuschöpfung setzt sich zusammen aus den griechischen Wörtern „genus“ (Geschlecht, Stamm) und dem lateinischen „caedere“ (töten), beschreibt also Völkermord. Im Jahr 1952 trat sodann das von der Generalversammlung der Vereinten Nationen beschlossene „Übereinkommen über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes“ in Kraft und gilt grundsätzlich noch bis heute.

Der Straftatbestand des Völkermordes ist juristisch dabei wie folgt aufgebaut: Eine Person muss bestimmte Handlungen vornehmen und dabei die Absicht haben „[…] eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören […]“. An dieser Absicht scheitert auch das Vorliegen eines „trans genocide“ im Sinne des Völkerrechts: Mitglieder der LGBTQIA+ Gemeinschaft sind keine „nationale, ethnische, rassische [sic] oder religiöse“ Gruppe.

Diesem Umstand wird von Aktivist:innen und Wissenschaftler:innen teilweise mit der Forderung begegnet, die geschützten Gruppen um Sexualität und Gender zu erweitern – denn insbesondere homosexuelle und trans* Personen seien in der Vergangenheit und Gegenwart immer wieder Ziel intensiver politischer Verfolgung.

Hinter der Verwendung des Wortes „trans genocide“ stehen jedoch andere Umstände als eine formal juristische Betrachtungsweise. Eigentlich geht es den Aktivist:innen um den schrittweise erfolgenden Abbau der Rechte von und die gleichzeitig steigende Gewalt gegen trans* Menschen in den USA.

Die Lage in den USA

Konkret geht es um Gesetze und Gesetzesentwürfe in verschiedenen US-Bundesstaaten, die sich auf diverse Lebensbereiche von trans* Personen erstrecken. Unter anderem erregte im Jahr 2022 der sogenannte „Don’t Say Gay“, House Bill (HSB) 1557 aus Florida internationales Aufsehen. Diese in Kraft getretene Norm verbietet es Lehrkräften, bis in die dritte Klasse über sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität zu unterrichten.

Zu beobachten ist auch, dass es seit 2020 einen drastischen Anstieg von Gesetzesvorhaben in den Bundesstaaten der USA gibt, die die Rechte von LGBTQIA+ und insbesondere trans* Personen zu verkürzen beabsichtigen. Gab es im Jahr 2019 lediglich eine zweistellige Anzahl solcher Vorhaben, beträgt diese Zahl im laufenden Jahr 2023 bereits über 400.

Die American Civil Liberties Union (ACLU) – eine Nichtregierungsorganisation, die sich für Bürger:innenrechte in den USA einsetzt – klassifiziert die Gesetzesentwürfe im Wesentlichen wie folgt:

Erstens: Gesetzesentwürfe, die offizielle Dokumente und Identitätsnachweise betreffen. So sah der mittlerweile abgelehnte Entwurf House Bill (HB) 585 aus Kentucky vor, dass Geburtsurkunden ausschließlich die Geschlechtszuweisung männlich oder weiblich enthalten dürften. Non-binäre Zuweisungen durch Symbole oder den Buchstaben „X“ sollten verboten werden.

Zweitens: Gesetzesentwürfe, die zivile Rechtsverhältnisse, also zum Beispiel Arbeitsverhältnisse, betreffen. Der Entwurf House File (HF) 190 aus Iowa befindet sich noch im Gesetzgebungsverfahren. Dieser würde es zum Beispiel Arbeitgeber:innen in Zukunft erlauben, damit zu werben, dass Personen einer bestimmten „gender identity“ im Betrieb unerwünscht sind.

Drittens: Gesetzesentwürfe, die die Gesundheitspflege betreffen. Der Gesetzesentwurf Senate Bill (SB) 613 aus Oklahoma, der mittlerweile geltendes Recht ist, erklärt es zu einem Verbrechen, wenn Ärzt:innen Personen unter 18 Jahren „gender transition procedures“ verschreiben. Dazu zählen neben chirurgischen Eingriffen auch das Verschreiben von pubertätsblockenden Hormonen. Verbrechen sind in den USA Straftaten, die mindestens mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr bestraft werden.

Viertens: Gesetzesentwürfe, die die Meinungsfreiheit und den persönlichen Ausdruck betreffen. SB 0003, der in Tennessee bindendes Recht ist, erklärt Darbietungen für strafbar, die außerhalb eines Erwachsenen-Cabarets stattfinden und unter anderem, „male or female impersonators“ beinhalten. Diese Regelung bezieht sich also vor allem auf Dragqueens und -kings, je nach Definition des Wortes “impersonator” könnten aber auch trans* Personen erfasst sein.

Fünftens: Gesetzesentwürfe, die Bildung und Schule betreffen. Der Gesetzesentwurf HB 359, der sich im Gesetzgebungsverfahren in Maryland befindet, verbietet es trans* Mädchen an Mädchen- bzw. Frauensportteams ihrer Schule teilzunehmen.

Zu manchen Sitzungen, bei denen es um die Beratung solcher Gesetzesentwürfe ging, wurden auch trans* Personen oder Angehörige geladen und angehört.

Anhörungen von trans* Personen und Angehörigen zu Gesetzesentwürfen in den USA. Quelle: ACLU.

Eine andere Perspektive

Auf der CPAC 2023 behauptete Michael J. Knowles bezüglich der Rechte von trans* Menschen auch, „transgenderism“ habe vor der Obama-Administration als politisches Thema nicht existiert. Im Jahr 2016 nämlich wurde unter dem damaligen US-Präsident Obama das Verbot für trans* Menschen im Militärdienst abgeschafft. Des Weiteren führte Knowles aus, habe sich dieser Umstand nur verändert, weil sich „[…] a handful of devoted, radical, left wing activists […]” unerbittlich dafür eingesetzt hätten, diese „crazy notion“ zu normalisieren. Zuvor, so Knowles, sei die Vorstellung von Rechten für trans* Menschen im gesamten Land verpönt gewesen.

Dass dies schon in den USA nicht zutrifft, lässt sich daran erkennen, dass in verschiedenen US-Bundesstaaten trans* sein nicht neu ist.

Beispielhaft lassen sich die sogenannten „Two-Spirit“ anführen. Diese sind in den verschiedenen Kulturen der indigenen Bevölkerung Nordamerikas eine anerkannte Gruppe. “Two-Spirit” werden als Angehörige eines von Männern und Frauen verschiedenen Geschlechts angesehen. Teilweise sah man sie auch als Angehörige eines „third gender“. Oft übernahmen die „Two-Spirit“ besondere religiöse Aufgaben, wie etwa die Rolle der Schamanen. Darüber hinaus waren sie bekannt dafür, hervorragend zu töpfern, zu weben und Leder weiterzuverarbeiten. Der Begriff „Two-Spirit” wurde allerdings erst in den 1990er Jahren eingeführt und ist eine Übersetzung des anishinaabemowin Ausdrucks „niizh manidoowag”.

Unter den „kanaka maoli“, den hawaiianischen Ureinwohnern leben die Māhū. Diese wurden weder als Männer noch als Frauen verstanden, sondern hatten eine eigenständige geschlechtliche Identität. Māhū übernahmen Pflege- und Lehrrollen in der Gesellschaft und vermittelten ihr Wissen durch bestimmte Formen des Tanzes und Gebets.

Letzte Worte

Alex-Mell Taylor, eine non-binäre Person, schreibt auf ihrem Blog zu den Entwicklungen in den USA: „Framing this group as mentally ill or not in their right minds gives these actors the rhetorical power to legislate us away under the banner of “curing” us […]. If we are not really capable of making decisions, then surely one can use the power of the state to deny our wants and desires under the banner of safety. […] These laws are, again, about whether trans people can exist publically.”

Text, Titelbild – Ingmar Heide

<h3>Ingmar Heide</h3>

Ingmar Heide

ist 25 Jahre alt und studiert im 4. Fachsemester Medienmanagement B.A.