Fotos aus dem Urlaub, tägliche „Guten Morgen“-Nachrichten, Musikempfehlungen von Herzen, live dabei sein bei den größten Erfolgsmomenten. Das klingt wie die Beschreibung einer engen Freundschaft oder eines familiären Verhältnisses. Gemeint sind aber Influencer und Prominente, die ihr Leben auf Social Media teilen und Tausende, wenn nicht sogar Millionen Menschen daran teilhaben lassen. Was entsteht, sind parasoziale Beziehungen – „Parasocial Relationships“. Ganz normal, oft hilfreich und doch nicht unproblematisch. Sowohl für Fans als auch für die Person im Scheinwerferlicht.
„Mir ist bewusst, dass ich die Person nicht persönlich kenne und sie nur eine Persönlichkeit nach außen zeigt, wie sie wahrgenommen werden will. Aber wenn ich auf diese Personality schaue, würde ich schon sagen, dass ich einschätzen kann, wie die Person drauf ist und was sie mag.“ Lisa ist Fan, unter anderem von mehreren K-Pop-Gruppen. Die südkoreanischen Sängerinnen und Sänger sind nahbar. Das liegt vor allem daran, wie die Musikindustrie in Südkorea gestaltet ist und wie die sogenannten „Idols“ sich in der Öffentlichkeit präsentieren (müssen). Lisa sagt, sie sei sich dessen bewusst. Dennoch biete ihr die Beziehung zu ihren Lieblingen Freude und Komfort.
Intimität auf Distanz
Nicht in jeder Social Media Bubble wird der Begriff „Parasocial Relationships“ so oft verwendet, wie bei Lisa. Parasoziale Beziehungen sind einseitige Beziehungen und bestehen typischerweise zwischen einem Fan oder Follower und einer Person des öffentlichen Lebens, meist einer Art von Medien-Persönlichkeit. Andere Definitionen beschreiben eine „angenommene Intimität“ mit einer berühmten Person, obwohl keine tatsächliche Beziehung zu dieser besteht. Das Verhältnis kann auch mit „unerwiderten Gefühlen“ gegenüber einer Medien-Persönlichkeit beschrieben werden.
„Parasoziale Beziehungen entstehen bei wiederkehrenden Begegnungen zwischen Rezipient*innen und Medienakteur*innen, so zum Beispiel in Serien auf Netflix oder auch auf Influencer*innen-Profilen der gängigen sozialen Netzwerke“, erklärt Linda Rath, Professorin für Media and Technology Development an der Fakultät Medien der Hochschule Mittweida. „Das Besondere ist, dass die Wahrnehmungsprozesse bei Medienrezeptionen stark den realen Interaktionssituationen ähneln“, ergänzt Rath im schriftlichen Interview mit medienMITTWEIDA.
Die Vorstufe derartiger Beziehungen sind viele einzelne parasoziale Interaktionen. Wer beim Fußballspiel den Fernseher anschreit, wenn der Lieblingsspieler den Ball ganz knapp über das Tor gesetzt hat, der kommuniziert parasozial. Denn der Fußballspieler wird den Schrei wohl nicht hören. Wer auf die Frage einer Bloggerin in ihrer Instagram-Story, ob sie sich eine Katze anschaffen soll, antwortet, auch der interagiert parasozial. Möglicherweise wird sie die Antwort sehen, vielleicht geht sie aber auch zwischen hunderten weiteren Antworten ihrer Follower unter.
Die andere Seite
Roxana Hofmann ist Mama-Bloggerin. Auf ihrem Instagram-Account „rosarotundhimmlischblau“ teilt die 36-jährige zweifache Mutter Inhalte über das Mama-Sein. Ihr folgen über 40.000 Accounts. Im Gespräch mit medienMITTWEIDA sagt sie, dass die Beziehung zu ihren Followern unterschiedlich sei. „Manche schreiben mir einfach und ich antworte, da ist keine Beziehung. Mit einigen habe ich häufiger, teilweise täglich Kontakt, die senden mir dann auch Bilder von ihren Kindern“, so die Bloggerin. Regelmäßig zeigt die 36-Jährige in ihrer Instagram-Story Produkte, veranstaltet Giveaways oder verlinkt andere Bloggerinnen. In einem Interview mit Freie Presse erzählte sie, dass sie häufig nach ihrer Meinung gefragt werde. Möglicherweise treffen ihre Follower aufgrund der Produktempfehlungen dann eine Kaufentscheidung für ein Produkt.
Wie stark bestimmen Social Media Influencer unserer Zeit die Meinungsbildungsprozesse ihrer Follower mit? Das hat erst kürzlich die Wissenschaftlerin Leonie Wunderlich untersucht. Linda Rath hebt ein Ergebnis der Forschung besonders hervor: „Anhand qualitativer Interviews mit 22 Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist sie unter anderem zu dem spannenden Ergebnis gekommen, ‘dass Mädchen prominente Persönlichkeiten als „Freunde“ betrachten, während Jungen diese eher als Autoritätspersonen wahrnehmen’.“
Über 40.000 Accounts zeigt Mama-Bloggerin Roxana Hofmann auf Instagram ihren Alltag. Sie ist sich sicher, dass einige von ihnen parasoziale Beziehungen zu ihr führen. Foto: Roxana Hofmann
Ein paar ihrer Follower habe Roxana Hofmann inzwischen schon im echten Leben getroffen, zum Beispiel bei einem von ihr veranstalteten Blogger-Treffen. Dafür konnten sich Menschen aus Roxana Hofmanns Community anmelden. Zum Treffen gab es Kaffee und Kuchen, die Community konnte sich kennenlernen, so die Bloggerin. „Das war schon ein komisches Gefühl“, erzählt sie rückblickend. „Ich wusste von den Personen nichts, während sie mich kannten.“ Über ihr Leben und das ihrer Kinder poste sie bewusst, „wie ich es mit einem Freund teilen würde“. Sie sei sich sicher, dass manche ihrer Follower parasoziale Beziehungen zu ihr führen. „Es kommt aber immer darauf an, wie es rübergebracht wird. Letztens hat mir jemand geschrieben, dass sie bei mir vorbeigelaufen ist, als ich gerade nach Hause kam, und sie mich gesehen hat.“ Das finde die Mutter gruselig.
Ich kenne dich
Eine Beziehung bildet sich allein durch parasoziale Interaktionen noch nicht. Es braucht neben wiederholten Interaktionen die Illusion von Nähe und das Gefühl, die berühmte Person zu kennen. Besonders in der Beziehung zwischen Follower und Influencer ist dieses Gefühl schnell hergestellt. Durch den personalisierten Kontakt auf Social Media, zum Beispiel durch einen Like, eine Antwort oder einen Repost von dem Influencer, wird die Hürde aufseiten der Fans niedriger, eine parasoziale Beziehung aufzubauen. Wenn die prominente Person dann noch persönliche, vielleicht sogar intime Gedanken, Gefühle oder Erfahrungen öffentlich teilt, verfestigt sich beim Fan die Illusion, die reale Person zu kennen.
Auch Jess ist Fan und erzählt medienMITTWEIDA von ihren Erfahrungen mit parasozialen Beziehungen. „Als Fan hat man oft einen engen Bezug zu seinem Idol, bekommt viel Content und fühlt sich involviert in deren Leben. Auf der anderen Seite weiß der Star nicht, dass du existierst und nimmt dich als einzelne Person nicht wahr“, erklärt sie. Neben Anime und Manga ist Jess vor allem K-Pop Fan. Eine ihrer Lieblinge ist die 24-jährige Sängerin Yeri von der Gruppe Red Velvet. „Ich denke, würde ich sie persönlich kennen, wäre ich gern mit ihr befreundet“, erzählt Jess. „So wie man es in verschiedenen Shows und Interviews sieht, scheint sie eine sehr witzige Person zu sein und wir sind im gleichen Alter. Aber ich bin nicht permanent fokussiert darauf, was sie tut.“
Wie mit einer echten Person
„Parasocial Relationships“ – das klingt wie eine Art der Beziehung, die nur bei Teenies der Gen Z auftritt. Parasoziale Beziehungen sind aber keine Entwicklung des 21. Jahrhunderts. Linda Rath erklärt: „Das Phänomen wird seit den 50er Jahren mit dem Aufkommen erster Stars im Fernsehen wissenschaftlich erforscht. Damals fanden Horton und Wohl (1956) heraus, dass eine quasi Face-To-Face-Beziehung zwischen TV-Zuschauer*innen und Medienfiguren hergestellt werden kann.“ Seitdem habe es viele empirische Auseinandersetzungen zu parasozialen Beziehungen gegeben, betont Rath.
Einige Forscher*innen schreiben darüber, dass sich vor allem einsame Menschen in parasoziale Beziehungen flüchten und damit ihre sozialen Bedürfnisse erfüllen. Soziale Wesen haben das Bedürfnis, dazuzugehören und in Austausch zu gehen. Manche wenden sich dafür den Medien zu, schreibt Tilo Hartmann in seiner Publikation „Parasocial Interaction, Parasocial Relationships, and Well-Being“. Da die Interaktion mit einer Medien-Figur fast die gleiche Reaktion wie eine reale Person hervorrufe, könne das Sozialbedürfnis auch über mediale Personen erfüllt werden.
Dem Alltag entfliehen
Parasoziale Beziehungen sind nichts Abnormales, sondern natürlich und begleiten Menschen schon lange. Was haben wir davon? Jess beschreibt ihre Erfahrungen: „Ich finde, Parasocial Relationships sind ein Weg, dem Alltag zu entfliehen. Ich denke, jeder Fan war schon mal ein bisschen delusional und hat sich durch die Fan-Idol-Beziehung ein bisschen weniger einsam gefühlt.“ Der Begriff „delusional“ wird von Fans verwendet, wenn sie sich in eine Situation hineindenken oder sogar hineinsteigern, die nicht real ist. Durch Fandoms habe Jess fast alle ihre Freunde im echten Leben kennengelernt. Ähnlich geht es Jasmin*. Auch sie erfahre Geborgenheit, wenn sie sich mit ihren Lieblingen aus Fandoms beschäftigt. „Und wenn der Kopf denkt, dass diese auf eine ferne Weise für einen da sind, wenn es einem schlecht geht, fühlt man sich schon irgendwie aufgefangen.“ Lisa beschreibt ähnliche Erfahrungen. Fandoms seien für sie ein Rückzugsort, an dem sie sich mit Dingen beschäftigen könne, die ihr Freude machen und sie beruhigen.
Fandoms
Mehrere Fans der gleichen Person, der gleichen Serie oder des gleichen Teams im Sport bilden eine Fangemeinde oder ein „Fandom“. Die Fans sehen sich selbst als Mitglied dieser Gruppe, wissen vielleicht mehr über ihre Fan-Leidenschaft als ein durchschnittlicher Konsument und haben manchmal sogar eigenes Vokabular, das außerhalb des Fandoms nicht oder nicht im gleichen Kontext verwendet wird.
Wie eine parasoziale Beziehung aussehen kann, ist unterschiedlich. Das Spektrum reicht von extremer Verehrung über romantische Beziehungen, durchschnittliche Freundschaften bis hin zu negativen Emotionen gegenüber einer Medien-Persönlichkeit. „Parasoziale Beziehungen können im Alltag als Ergänzung zu realen sozialen Beziehungen fungieren“, schreibt Linda Rath. „Wenn dieser Unterschied verschwimmt, können parasoziale Beziehungen pathologische Züge annehmen.“ Lisa erzählt: „Dadurch, dass die Person, auf die sich meine Parasocial Relationship bezieht, immer eine positive Personality nach außen zeigen will, und ich auch nur das Positive mitbekomme, habe ich das Gefühl, dass sich mein Standard für Menschen erhöht hat.“ Sie habe bemerkt, dass sie schneller genervt sei, wenn sich Menschen in ihrem Umfeld nicht so verhalten, wie erwartet. Im Vergleich zu realen Personen mit ihren Ecken und Kanten, sind Medien-Persönlichkeiten meist zuverlässig. Egal ob TV-Moderator*in oder K-Pop Idol, die Persönlichkeiten tauchen regelmäßig in den Medien auf und spielen ihre Rolle.
Du gehörst zu mir
Extreme Vorfälle zwischen Fans und prominenten Personen spiegeln nicht die Masse der Gesellschaft wider. Doch sie veranschaulichen, wo der Verlust von Realität hinführen kann. Zum Beispiel bei Nayeon, einer Sängerin der K-Pop Gruppe Twice. Ein Mann, angeblich aus Deutschland, der sich als ihr Fan bezeichnet, veröffentlichte über längere Zeit Videos auf YouTube. In diesen verlangte er eine Reaktion der Sängerin auf sein Liebesgeständnis. Wie Deutsche Welle berichtete, soll der Mann 2020 versucht haben, sich der Sängerin in einem Flugzeug anzunähern. Zuvor habe er herausgefunden, welchen Flug sie nehmen wird. Nayeon wurde anschließend unter Polizeischutz gestellt. Noch zwei Jahre später sagte der Mann in einem Video, aufgenommen in Südkorea: „Nayeon, just give me a clear answer. 1. Should i stop loving you and find another girl? or 2. Should i just wait in Germany until you have time? or 3. Do you have time soon and want me to stay in Korea?“
Geschichten von Stalkern sind in der Welt der Promis und Sternchen nichts Neues. Auf Instagram, YouTube und Co. bekommen sie jedoch eine Plattform und neue Möglichkeiten, die Illusion von Interaktion mit berühmten Personen aufrechtzuerhalten. Aber auch im alltäglichen Rahmen, mit den ausgewählten Influencern, denen wohl fast jeder folgt, sollten sich User die Realität vor Augen führen. Jasmin betont aus eigener Erfahrung: „Ich kenne lediglich das, was die Person nach außen trägt. Was davon nur die Show-Persona ist, und wo schon mehr die reale Person dahinter ist, kann ich als Außenstehende nicht beurteilen.“
*Name von der Redaktion geändert
Text, Titelbild: Elisa Leimert, Foto: Roxana Hofmann