Im Sommer diesen Jahres haben die AfD, CDU und FDP in Zwickau einen Beschluss durchgebracht, der das Gendern in städtischen Einrichtungen verbietet. Die Debatte über das Gendern in der Sprache ist in den Fokus gerückt, da Befürwortende die Notwendigkeit von Inklusion betonen, während Kritiker*innen sprachliche Traditionen wahren wollen. Das Theater Plauen-Zwickau will sich nun dem Verbot widersetzen. Doch ist Gendern wirklich sinnvoll? Und existieren wissenschaftliche Beweise für die Auswirkungen gendergerechter Sprache?
Die Macht der Worte
Die Meinungen dazu sind stark polarisiert: Während einige Gendern als Mittel zur Förderung der Gleichstellung betrachten, sehen andere es als sprachliche Verschlechterung und Sprachverhunzung an, darunter auch die AfD. Diese hatte Ende 2022 einen Antrag im Zwickauer Stadtrat eingebracht, welcher dem Theater Plauen-Zwickau die Verwendung gendergerechter Sprache in der Werbung verbieten sollte.
Im Spielzeitheft des Theaters wurden Formulierungen verwendet, die die weibliche und die männliche Form mittels eines Doppelpunkts zusammenführen, beispielsweise „Sänger:innen“ anstelle von „Sängerinnen und Sänger“. Andreas Gerold, Geschäftsführer der AfD im Zwickauer Stadtrat, begründete den Antrag gegenüber der Freien Presse folgendermaßen: „Aus Respekt vor der Mehrheitsmeinung der Bevölkerung sollte nur noch die deutsche Schriftsprache laut Duden verwendet werden“. Weiter heißt es: „Es geht hier um Kunst, die hunderte Jahre alt ist. Die soll so bleiben und nicht schon im Prospekt gegendert werden.“
Als Reaktion auf den Antrag der AfD stellte die CDU/FDP-Fraktion einen weitergehenden Antrag mit dem Ziel vor, dass sich die Stadt und ihre Eigenbetriebe an die Regeln des Rates der deutschen Rechtschreibung halten sollen. Dieser lehnt die Verwendung von Sternchen, Unterstrichen oder Doppelpunkten in Begriffen wie „Besucher_innen“ ab.
Michael Luther (CDU) begründet den Vorstoß damit, dass eine geschlechterbewusste Sprache unterstützt werde, die Verwendung von Satzzeichen in Worten aber nicht die Verständlichkeit der Sprache fördere. Der Haupt- und Verwaltungsausschuss in Zwickau stimmte dem Antrag mehrheitlich zu. Darüber hinaus forderte man Oberbürgermeisterin Christiane Arndt (parteilos) dazu auf, die Regeln auch in Gesellschaften mit städtischer Beteiligung, wie dem Vermieter GGZ oder dem Heinrich-Braun-Klinikum, geltend zu machen.
Arndt hält den Antrag von CDU/FDP für überflüssig und nicht zielführend, da die Stadtverwaltung bereits das generische Maskulinum verwendet. Ihrer Ansicht nach sollte die Debatte über das Gendern in der Gesellschaft und nicht in der Politik geführt werden. Bereits im Oktober 2021 lehnte sie einen ähnlichen Antrag der AfD ab und begründete: „Das ist eine Geschmacksfrage und keine juristische oder politische Frage.”
Gendern, was ist das genau?
Das Wort „gender“ stammt aus dem Englischen und bezieht sich auf das soziale, nicht das biologische Geschlecht. Soziales Geschlecht umfasst, was als typisch für Frauen und Männer betrachtet wird, basierend auf gelebter und gefühlter Identität statt körperlicher Merkmale. Gendern bedeutet die Anwendung geschlechtergerechter Sprache zur Betonung der Gleichbehandlung aller Geschlechter und Identitäten.
Im Deutschen dominiert weiterhin das generische Maskulinum, wobei Personen und Berufe grammatisch oft in der männlichen Form ausgedrückt werden, obwohl auch eine weibliche Wortform existiert. Seit der rechtlichen Anerkennung der dritten Geschlechtsoption „divers“ im Jahr 2018 kam ein weiterer Aspekt in der Debatte um gendergerechte Sprache hinzu: Die Diskussion über eine inklusivere mehrgeschlechtliche Schreibweise, die neben den traditionellen Geschlechtern Mann und Frau auch andere Geschlechtsidentitäten berücksichtigt.
Gendern im Diskurs
Die Befürwortenden des Genderns führen verschiedene Argumente ins Feld. Ein zentraler Punkt ist die Betonung der Inklusion und Sichtbarmachung aller Geschlechter. Geschlechtergerechte Sprache soll Frauen, Männer und nicht-binäre Personen gleichermaßen repräsentieren. Diese Form der Sprachanpassung wird auch als Mittel betrachtet, um Geschlechterstereotypen zu durchbrechen. Durch die Auflösung traditioneller Rollenbilder in der Sprache könnten auch überholte gesellschaftliche Normen aufgeweicht werden. Zudem wird das Gendern als Teil der sprachlichen Weiterentwicklung betrachtet, die im Einklang mit gesellschaftlichem Fortschritt steht.
Die Gegner*innen des Genderns bringen hingegen Argumente gegen diese sprachliche Anpassung vor. Ein häufiger Einwand ist, dass gendergerechte Formulierungen die Ästhetik der Sprache beeinträchtigen und die Verständlichkeit erschweren. Kritiker*innen behaupten, dass geschlechtsneutrale Ausdrucksweisen oft umständlich wirken und den natürlichen Fluss der Sprache stören. Ein weiterer Punkt ist der Widerstand gegen vermeintliche übermäßige Veränderungen traditioneller sprachlicher Strukturen. Manche Menschen empfinden das Gendern als ideologisch motiviert und lehnen es als unnötige Regulierung der Sprache ab. Auch wird die Effektivität des Genderns in Bezug auf die tatsächliche Förderung von Geschlechtergerechtigkeit in Frage gestellt. Einige Stimmen bezweifeln, dass echte gesellschaftliche Veränderungen allein durch sprachliche Anpassungen erreicht werden können.
Formen des Gendern
- Beidnennung: Nennung beider Geschlechter (z.B. Studenten und Studentinnen) oder weibliche Form durch Abkürzung (Student/-innen; StudentInnen)
- Neutralisierung: Männliche Form durch geschlechtsneutrale Begriffe (z.B. Lehrkraft) oder Substantivierung (z.B. Studierende) ersetzt.
- Gender-Zeichen: Mehrgeschlechtliche Schreibweisen mit Sternchen, Unterstrich oder Doppelpunkt (z.B. Student*innen, Student_innen, Student:innen) als Platzhalter für alle Geschlechtsidentitäten.
Es gibt keine allgemein als optimal geltende Form des Genderns; die Wahl hängt von individuellen Präferenzen ab. Das Gendersternchen (Asterisk) und der Doppelpunkt gelten als „politisch korrekt“, da diese Variante nicht nur Männer und Frauen, sondern auch Menschen mit anderen Geschlechtsidentitäten einbezieht. Außerdem können diese auch in Brailleschrift, also Blindenschrift gelesen werden.
Widerstand
In Zwickau entfacht die Debatte über das Gendern in der Sprache eine hitzige Diskussion. Der Stadtratsbeschluss, unter anderem Unterstriche, Doppelpunkte und Sternchen in geschlechtsspezifischen Bezeichnungen zu verbieten, stößt auf Widerstand. Das Theater Plauen-Zwickau kritisiert in einer Pressemitteilung die beschlossene Regelung und plant, das Verbot unter Berufung auf die Kunstfreiheit, zu ignorieren. Künstlerische Freiheit, welche im Artikel 5 Absatz 3 im Grundgesetz geschrieben steht, ist die Freiheit, vielfältige kulturelle Ausdrucksformen zu erdenken, zu schaffen und zu verbreiten – ohne Zensur durch Regierungen, politische Einflussnahme oder Druck von nicht-staatlichen Akteur*innen.
Das Theater plant das Gendern sowohl in der internen, als auch in der externen Kommunikation beizubehalten. In der Pressemitteilung heißt es: „Das Gender-Verbot des Zwickauer Stadtrates ist aus Sicht der Leitung des Theaters Plauen-Zwickau der untaugliche Versuch, eine Debatte, welche die gesamte Gesellschaft beschäftigt, mittels eines Verbots zu beenden.” Theaterintendant Dirk Löschner erklärte gegenüber der Freien Presse: „Wir haben bewusst diese Ausdrucksweise gewählt, trotz der intensiven Debatte in Sachsen zu diesem Thema.“ Er sieht eine enge Verbindung zwischen Sprache und Machtausübung und möchte durch diese Entscheidung die Einrichtung aktiv in den gesellschaftlichen Diskurs einbinden. Löschner betont, dass die Wahl dieser Form der Sprache eine künstlerische Entscheidung sei und nicht die eines Stadtrates oder Aufsichtsrates.
Die Oberbürgermeisterin von Zwickau, distanziert sich ebenfalls von der Entscheidung des Stadtrats und sieht darin Parallelen zu Zeiten der DDR, als Kunst und Kultur eingeschränkt wurden. Wolfgang Elsel von der AfD hingegen sieht die Sache anders: „Sprache derart zu verändern, dass der Sprecher einen Logopäden benötigt, ist nicht Kunst, sondern schlichtweg dämlich.” Die AfD bezieht sich in ihrem Antrag auf etablierte Sprachmuster und fordert, sich an den Duden zu halten. Intendant Löschner findet dies wiederum ironisch: „Das ist interessant: Der Duden enthält ganze Abschnitte mit Hinweisen zum Gendern.“ Der aktuelle Rechtschreib-Duden umfasst das Kapitel „Geschlechtergerechter Sprachgebrauch“, das unterschiedliche Optionen geschlechtergerechter Formulierungen aufzeigt.
Wie Worte Denken formen
Die Wahl der Sprache beeinflusst die Wahrnehmung erheblich, insbesondere in Bezug auf Geschlechter. Psycholinguistische Studien zeigen, dass generische Maskulinum-Formulierungen eher männliche Bilder hervorrufen. Als man Versuchspersonen beispielsweise nach berühmten Musikern fragte, nannten sie signifikant mehr Männer, als wenn nach „Musikerinnen und Musikern“ gefragt wurde. Sogar in stereotyp weiblich besetzten Berufen denken Menschen bei generisch maskulinen Formulierungen eher an Männer.
Geschlechtergerechte Sprache kann positive Veränderungen bewirken. Es lässt Frauen gedanklich stärker einbezogen erscheinen und könnte dazu beitragen, Geschlechterstereotype zu reduzieren. Bei geschlechtergerechter Sprache glaubten beispielsweise etwa 44 Prozent der Teilnehmenden einer Onlinestudie, dass Spezialist*innen weiblich sind. Im Gegensatz dazu glaubten nur 33 Prozent dies, wenn der Text im generischen Maskulinum verfasst war.
Auch die Art, wie Stellenanzeigen formuliert sind, beeinflusst die Geschlechterverteilung in Bewerbungen, zeigt eine Studie. Eine geschlechtergerechte Formulierung könne Frauen ermutigen, sich auf Jobs zu bewerben, die traditionell männlich konnotiert sind. Männlich formulierte Anzeigen führten in Experimenten sogar dazu, dass Frauen den Job bei gleicher Qualifikation seltener erhielten. Wenn beide Geschlechter genannt wurden, änderte sich dieses Bild. Im Bildungsbereich hat Gendern Auswirkungen auf die Berufswahl von Kindern. Mädchen trauen sich eher, stereotype „Männerberufe“ zu ergreifen, und Jungen wählen häufiger stereotype „Frauenberufe“, wenn geschlechtergerechte Sprache verwendet wird.
Ein weiterer Ansatz besteht darin, die Geschlechtsbetonung in der Sprache zu verringern. In Ländern mit neutralerer Sprache zeigen Studien, dass Frauen häufiger erwerbstätig, vermehrt unternehmerisch aktiv sind und sich stärker politisch beteiligen. Ein konkretes Beispiel aus Schweden zeigt, dass die Einführung des geschlechtsneutralen Pronomens „hen“ zu einer positiveren Einstellung gegenüber der LGBT-Community und Frauen in der Politik führen kann.
Hochschulbühne Mittweida
Auch an unsere Hochschule gibt es einen Theaterbetrieb. In einem Interview mit medienMITTWEIDA gab die Hochschulbühne Mittweida an, die Ansichten des Theaters Zwickau/Plauen zu teilen. Studentin Laura, Mitwirkende an der Hochschulbühne, sagt dazu: „Es sollte weder ein Verbot gegen Gendern geben, noch auf Druck jedem die Gendersprache aufgedrückt werden. Durch Verbote und Regeln ändert man schließlich nicht die innere Einstellung, sondern spaltet die Gesellschaft.” Regulierung der Sprache bedeute für sie einen Eingriff in die Kunstfreiheit. Sie vermeidet die Gendersprache, da diese ihrer Erfahrung nach Menschen abschrecke. Auf der Website der Hochschulbühne wird mit dem Doppelpunkt gegendert, „jedoch gibt es keine offizielle Linie ob und wie gegendert wird” erklärt Axel Dietze, Mitarbeiter der Hochschule.
Spiegel gesellschaftlicher Evolution
Die Debatte um das Gendern in der Sprache bleibt vielschichtig. Sie reflektiert, wie Sprache als Spiegel gesellschaftlicher Veränderungen betrachtet wird. Während die Diskussion weitergeht, bleibt abzuwarten, wie sich Sprache und Gesellschaft in diesem dynamischen Spannungsfeld entwickeln werden.
Die flächendeckende Einführung von gendergerechter Sprache wird nicht automatisch zu mehr Gleichberechtigung führen. Dennoch formt Sprache, wie wir die Welt wahrnehmen, und Gendern hat das Potenzial, der Gleichberechtigung einen Schub zu geben. Der Linguist Rudi Keller beschreibt den Prozess des Sprachwandels folgendermaßen: „Ein Trampelpfad entsteht, weil eine Vielzahl von Menschen von A nach B geht (…). Das erzeugt die Regelmäßigkeit des Verhaltens, die nach einer gewissen Zeit dann Spuren zurücklässt. Sprachzustände sind keine Endzustände von Prozessen, sondern transitorische Episoden in einem potenziell unendlichen Prozess kultureller Evolution.” In anderen Worten: Sprache entwickelt sich wie ein Trampelpfad durch häufige Nutzung von Wörtern – ein kontinuierlicher Prozess in der kulturellen Evolution. Damit könnte eigentlich alles gesagt sein.
Mehr zum Thema Gendergerechter Sprache findet ihr in unserem Artikel „Wenn kleine Zeichen die Sprache verändern”.
Kommentar der Autorin
Privilegiencheck
Die Debatte ums Gendern symbolisiert für mich eine weitreichende Auseinandersetzung – eine Diskussion über Gemeinschaft und Akzeptanz. Der Streit um gendergerechte Sprache ist auch ein Streit um männliche Privilegien, da dies letztendlich den Verlust von gesellschaftlicher Vorherrschaft für Männer bedeutet. Es geht immer auch um kulturelle Dominanz und Macht, um Abgrenzung und um die individuelle Identität. Weiter ist es eine Debatte zwischen Generationen. Denn wer sind die, die sich so sehr daran stören und öffentlich empören, wenn irgendwo an einem Wort ein Stern steht. Sieht man sich Befragungen dazu an, sind es meistens alte Menschen, weiße Menschen, Männer. Die ältere Generation versucht, den öffentlichen Diskurs zu dominieren, obwohl sie in wenigen Jahren nicht mehr aktiv daran teilnehmen wird. Unsere Gesellschaft jedoch befindet sich im Wandel, und diese Veränderungen gefallen ihnen nicht.
Wir müssen die Sprache an die Welt anpassen, in der wir leben. Unsere Gesellschaft wird zunehmend vielfältiger, und viele Menschen identifizieren sich nicht in einem binären Geschlechtersystem. Dieser Anteil wächst stetig, besonders weil junge Menschen in einer Umgebung aufwachsen, die von Informationen und Akzeptanz geprägt ist. Diese ermöglicht es ihnen, sich ihrer Identität bewusst zu werden. In einer sich durch Globalisierung rasch wandelnden Gesellschaft ist es nur folgerichtig, dass wir auch unsere Sprache entsprechend anpassen. Ist es so schwer, genderneutrale Formen zu nutzen oder ein „innen“ hinzuzufügen, um ganze Bevölkerungsgruppen einzuschließen, sichtbar zu machen und ein Gefühl der Akzeptanz zu vermitteln? Wir schulden es ihnen, denjenigen, die in unserer binären Gesellschaft bereits durch Diskriminierung benachteiligt sind, nur weil sie sie selbst sind. Ein paar zusätzliche Silben in unserer Sprache erscheinen mir ein kleines Opfer, um dazu beizutragen, eine inklusivere und gerechtere Gesellschaft zu schaffen.
Text, Titelbild: Paula Schwendel