Sport

Zahlen lügen nicht

von | 15. Dezember 2023

Wie der Pokerprofi Tony Bloom das Milliardenbusiness Fußball auf den Kopf stellt.

„Wenn wir damit Erfolg haben, haben wir das Spiel für immer verändert.” Diesen Satz sagt die Hauptfigur Billy Beane, gespielt von Brad Pitt, im Hollywood Film Moneyball aus dem Jahr 2011. Beane ist Manager der Oakland Athletics, einem Baseballteam aus der ersten amerikanischen Liga. Das Team hat seine besten Spieler an die Konkurrenz verloren und kein Geld, um die Abgänge adäquat zu ersetzen. Doch dank desselben brillanten Konzepts werden sowohl die Vereine von Billie Beane als auch von Tony Bloom erfolgreicher denn je.

Die Echse

Bloom wird als der größte „gambler” seiner Zeit beschrieben. Für das Wort „gambler“ gibt es im Deutschen keine perfekte Übersetzung, aber jemand, der bei „Wer wird Millionär” die Antwort nur zu 70 Prozent weiß, und trotzdem einloggt, ohne einen Joker benutzt zu haben, dürfte ihm wohl am nächsten kommen. In Blooms Fall waren die Antworten, die er in seinem Leben gegeben hat, allermeistens richtig. Er ist nicht auf 500 Euro zurückgefallen, er hat sich die Million geholt und das nicht nur einmal. Sein Vermögen ist nicht offiziell bekannt, liegt aber Schätzungen zufolge im Milliardenbereich. Ein Freund sagte einmal über ihn, dass in seinen Adern Alligatorenblut fließe, weil Bloom so abgeklärt in Geldgeschäften agiere. Daher bekam er von ihm den Namen „Lizard”, zu Deutsch „die Echse“.

Die Echse liebt es zu spielen. Gegenüber The Argus, der Lokalzeitung seines Geburtsorts Brighton, sagte der heute 53-Jährige folgendes: „From the age of 8 or 9, I used to go down to the arcades in West Street with some friends and play with our pocket money on the fruit machines”. Wenn man dem Buch „Gambling”, geschrieben vom ehemaligen Kapitän der englischen Cricket Nationalmannschaft Mike Atherton, Glauben schenkt, so hat ihn seine Faszination für das Spielen noch weiter getrieben. Laut Athertons Erzählungen nutzte Bloom bereits im Alter von 15 Jahren einen gefälschten Ausweis, um sich unrechtmäßig Zugang zu Wettbüros zu verschaffen, um seiner Leidenschaft nachzugehen. 

Auch während seines Mathematikstudiums an der University of Manchester hörte er nicht mit dem Wetten auf, ganz im Gegenteil. Im Buch steht, er habe sich selbst in dieser Zeit als „hopeless gambler” bezeichnet, der dachte, er hätte das System verstanden, aber in Wahrheit nur gut geraten hat. Nach erfolgreichem Abschluss arbeitete Bloom zunächst als Wirtschaftsprüfer und Händler für Aktiengeschäfte, widmete sich aber nach kurzer Zeit vollständig den Sportwetten. Das war im Jahr 1993. 13 Jahre später gründete er die Datenanalysefirma „Starlizard”, auf deren Website steht folgendes: „We take analysis of sport into a completely different league to make the best sporting predictions in the world.” So entstand aus seiner Leidenschaft für Wetten ein lukratives Business. 

Seine Interessen für Glücksspiel und strategisches Denken brachten Bloom Anfang der 2000er Jahre dazu, auch im Pokerbusiness aktiv zu werden. Er beteiligte sich beim Aufbau diverser Online Poker Websites, ist aber auch selbst als Spieler aktiv. Der Verkauf der Seiten Tribeca Tables und St Minver brachte Mitte der 2000er Jahre 204 Millionen Dollar ein. Dabei ist allerdings nicht geklärt, wie viel Bloom daran wirklich verdiente. Fest steht aber, dass er insgesamt knapp vier Millionen Dollar Preisgeld bei professionellen Pokerturnieren gewinnen konnte und damit zu den besten Spielern der Welt zählt. Er sagte 2011 gegenüber The Times folgendes über die Tragweite des Kartenspiels: „Poker gives you a good grounding in lots of things, including reading situations and reading people and making tough decisions. Those skills can be used in business and certainly in running a football club.”

Der Wiederaufbau

Im Jahr 2009 begann Tony Bloom sein bisher größtes Projekt. Er übernahm zu 75 Prozent seinen Heimatfußballverein Brighton & Hove Albion. Die „Seagulls“, wie sie wegen der Küstenlage der Stadt genannt werden, standen nicht sonderlich gut da. In der abgelaufenen Spielzeit erreichten sie nur Platz 17 in der dritten Liga Englands. Allgemein haben die Fans des Vereins in den letzten Jahren viel leiden müssen. Das historische Stadion von Brighton wurde im April 1997 abgerissen und durch eine Shoppingmall ersetzt. Die ehemalige Spielstätte fiel der Profitgier von Ex-Boss Bill Archer zum Opfer, der das Grundstück an Investoren verkauft hatte. Die Situation für den Verein damals sah nicht gut aus. Kein Stadion, wenig Geld, sportliche Perspektive ungewiss. Doch wer den Seagulls treu geblieben ist, soll 20 Jahre später belohnt werden.

Der Aufstieg

Die Taktik von Clubbesitzer Bloom zahlt sich aus. Unter seiner Leitung gelingt es den Seagulls 2017 nach 34 Jahren Abstinenz wieder in die Premier League zurückzukehren. In den folgenden vier Jahren kämpft das Team gegen den Abstieg, schafft es aber jedes Mal, diesen abzuwenden. In der Saison 22/23 folgt dann der größte Erfolg der Vereinsgeschichte, Platz sechs in der Premier League und damit die Qualifikation für die Europa League. Und all das, obwohl Brighton immer wieder ihre wichtigsten Spieler an die finanziell stärkere Konkurrenz verliert. Der FC Chelsea verpflichtet nach der Saison 21/22 Brightons Cheftrainer Graham Potter und große Teile seines Mitarbeiterteams. Potter wird nach wenigen Monaten entlassen, während die Seagulls unter einem neuen Trainerteam die beste Saison ihrer Vereinsgeschichte spielen. Es scheint, als würde die Mannschaft immer besser werden, je mehr Spieler verkauft werden.

Moneyball

Tony Bloom wendet sein Wissen über Datenanalyse und Sportwetten bei der Rekrutierung von neuen Spielern an. Die Methode, die er nutzt, heißt „Sabermetrics” und stammt eigentlich aus dem Baseballsport. Sie funktioniert wie folgt: Brighton erhebt mit der Infrastruktur von Blooms Datenanalysefirma Starlizard im Rücken ausführliche Daten und Statistiken über potentielle Neuzugänge für den Verein. Daraus werden dann Algorithmen abgeleitet, die ziemlich präzise Aussagen darüber treffen können, ob sich die Verpflichtung eines gewissen Spielers oder Trainers lohnt oder nicht. Das verschafft Brighton den Vorteil, Spieler entdecken zu können, die bei anderen Clubs durchs Raster fallen und dementsprechend auch verhältnismäßig günstig zu haben sind. Sie machen vermeintliche No-Names zu Superstars. Perfekte Beispiele dafür sind die Verpflichtungen von Kaoru Mitoma von Kawasaki Frontale aus Japan, Moises Caicedo von Independiente aus Ecuador und Alexis Mac Allister von Argentinos Juniors aus Argentinien. Letztere wurden zusammen für gut 36 Millionen Euro gekauft und im Sommer 2023 für 158 Millionen verkauft. Der Japaner Mitoma kam im Sommer 2021 für 3 Millionen Euro an die Südküste Englands. Heute, zwei Jahre später, liegt sein Marktwert bei 50 Millionen Euro. Jede Personalie bei Brighton ist ersetzbar. Sollte ein Spieler, ein Trainer oder sogar ein vermeintlich einfacher Mitarbeiter sich dazu entscheiden, den Verein zu verlassen, liegt in Tony Blooms Datenbanken bereits der passende Nachfolger bereit. In einem Artikel der britischen Zeitung The Guardian wird Brighton daher als die Hydra der Premier League beschrieben. Schlägt man ihr einen Kopf ab, so wächst ein neuer, mindestens genauso starker, oftmals aber sogar stärkerer, wieder nach. 

Das Thema Datenanalyse ist allerdings nicht nur in Brighton angekommen. Die meisten Trainer und Analysten hochklassiger Vereine nutzen Daten, um taktische Entscheidungen zu treffen, Spielerleistungen zu bewerten oder Schwächen des Gegners zu identifizieren. Dies reicht von grundlegenden Statistiken wie Ballbesitz und Schüssen bis hin zu komplexen Analysen von Laufwegen, Pässen und Spielerbewegungen. Auch biometrische Daten werden erhoben, um beispielsweise Trainings- und Ernährungspläne individuell auf die Spieler anzupassen. Der Wettmogul Bloom ist dementsprechend nicht der Einzige der auf die Idee gekommen ist, dass die Macht der Mathematik auch im Profifußball nützlich sein könnte. Er scheint aber einen sehr effektiven Weg gefunden zu haben diese Methode zu nutzen. Doch wie dieser Weg genau aussieht, bleibt sein Geheimnis.

2018 übernahm Bloom dann seinen zweiten Verein. Die Royale Union Saint Gilloise befand sich Zeitpunkt der Übernahme in der zweiten belgischen Liga. Dasselbe System wie in Brighton wurde etabliert und so stieg der  Verein 2021 erstmals seit über 50 Jahren wieder in die höchste Spielklasse Belgiens auf. Aktuell steht Saint Gilloise auf Platz eins in der Tabelle und hat bereits letzte Saison Hauptstadtclub Union Berlin aus dem Achtelfinale der Europa League geworfen. Wie im eingangs erwähnten Film gelingt es Tony Bloom, als auch dem Hauptcharakter Billie Beane, ihre Teams, mithilfe von innovativer Datenanalyse zum Erfolg zu führen. „Moneyball – Die Kunst zu gewinnen” kann man sich also nicht nur zuhause vor den Fernsehern anschauen, sondern auch in den Stadien von Brighton & Hove Albion und Union Saint Gilloise.

Kurzkommentar des Autors

Entkommerzialisierung zum Opfer der Menschlichkeit

Die Erfolgsgeschichte von Tony Bloom und Brighton & Hove Albion wirkt oft so, als hätte er den Verein wirklich nur mit den geringsten Investitionen zum Erfolg geführt. Das ist schlichtweg falsch. Bloom hat bis heute über 500 Millionen Euro seines privaten Vermögens in den Verein gesteckt. Zu den Investitionen zählten aber nicht nur die Einkäufe und Gehälter von Personal, sondern auch die Errichtung eines neuen Stadions und der Bau eines neuen Trainingscampus, um die bestmöglichen Bedingungen für die Spieler zu schaffen. Bloom hat also definitiv viel Geld investiert, allerdings deutlich effektiver als seine Konkurrenz. Seine Herangehensweise könnte der dringend benötigte Gegenentwurf sein, um der zunehmenden Kommerzialisierung des Fußballs entgegenzuwirken.

Durch die akribische Analyse und die damit verbundene Ersetzbarkeit wird der Spieler selbst aber immer weiter entmenschlicht. Eine Ablösesumme für die Dienstleistungen eines Menschen zu bezahlen, der dann sozusagen in den Besitz eines Vereins übergeht, ist ohnehin schon etwas befremdlich. Gepaart mit der Tatsache, dass offenbar lediglich Zahlen über die Zukunft eines Spielers entscheiden, setzt der Enthumanisierung natürlich noch die Krone auf. Aber Fußball ist schon lange kein Sport mehr, bei dem der Mensch im Mittelpunkt steht.

Text: Moritz Stech, Titelbild: Moritz Stech via Adobe Firefly
<h3>Moritz Stech</h3>

Moritz Stech

ist 21 Jahre alt und studiert derzeit Medienmanagement im 5. Semester an der Hochschule Mittweida. Er engagiert sich seit dem Wintersemester 2023/2024 im Team Bild.