Kommentar

Auch DU bist mitverantwortlich

von | 12. Januar 2024

Warum die Bewältigung der Klimakrise auch eine individuelle Aufgabe ist.

Welche Rolle spielt Eigenverantwortung zur Bekämpfung des Klimawandels? Zwei Autor*innen, zwei Meinungen – dieser Kommentar ist Teil einer Pro-Kontra-Diskussion. Zu seinem Gegenstück „Kannst DU bitte den Klimawandel stoppen?“ von David Barsch kommst du hier!

Das Faktum Klimakrise überfordert. Offensichtlich einzelne Staaten, anscheinend auch die Weltgemeinschaft und insbesondere uns, Individuen. Dabei geht es um eine ganz banale Frage: Was tun?

Der Status Quo

Die Erde steuert für das Jahr 2100 auf eine Erwärmung von ungefähr 3,0 Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter an. Das bedeutet konkret: mehr Dürre, mehr Hitzeperioden, mehr Starkregen, Anstieg der Meeresspiegel um mindestens 1 Meter, eine höhere Wahrscheinlichkeit des Aussterbens von Pflanzen und Tieren. Schlicht der Tod aufgrund von Hitze wird wahrscheinlicher. Bestritten wird das nur von Verschwörungsideolog*innen.

Weil das keine guten Aussichten sind, brauchen wir mehr Veränderung und das schnell. Noch kann der menschliche Einfluss auf die Erderwärmung, rein zeitlich gesehen, reduziert und damit die Eintrittswahrscheinlichkeit der oben skizzierten Folgen gesenkt werden. Aber wie soll das gehen? Und was hat jeder einzelne Mensch damit zu tun?

Der ökologische Fußabdruck

Es gehört mittlerweile beinahe zum Allgemeinwissen, dass die Idee des sogenannten ökologischen Fußabdrucks einer Werbekampagne von British Petroleum entsprungen ist. Dieser Weg, auf dem der ökologische Fußabdruck öffentlich bekannt wurde, macht ihn zwar schwer im Sinne der Klimagerechtigkeit zu verkaufen – aber nicht weniger wahr.

Wir alle stoßen durch die Art, wie wir ganz grundsätzlich leben, wohnen, essen oder arbeiten mittelbar oder unmittelbar Treibhausgas-Emissionen aus. Oder wir profitieren davon, dass andere sie ausstoßen. Etwa dann, wenn wir im Supermarkt die Möglichkeit haben Kaffee aus Brasilien, Avocados aus Peru oder Spielzeug aus China zu kaufen – Waren, die mittels irgendeines Verkehrsträgers in die EU oder nach Deutschland gelangt sind. Diese Emissionen sind quantifizier-, also zähl- und berechenbar und tragen so in nachvollziehbarer Weise im Wege des Treibhausgaseffekts zur Erderwärmung bei.

Nur weil andere Menschen, Menschengruppen oder Vorgänge wie zum Beispiel der weltweite Flugverkehr jährlich Emissionen in einer ganz anderen Größenordnung verursachen, werden die individuellen Treibhausgas-Emissionen nicht auf null reduziert. Sie stehen auch nicht „außer Verhältnis“ zu diesen Emissionen, sondern zum Beispiel in einem Verhältnis von 1.111.200.000,00:7,90 Tonnen CO2-Äquivalent (2019). Jeder Mensch auf der Welt verursacht rein rechnerisch die Erderwärmung durch den Treibhausgaseffekt mit.

Was tun?

Erwächst aus dieser Mitverursachung auch eine Mitverantwortung im Sinne einer ethischen Verpflichtung, das eigene Verhalten zu hinterfragen und gegebenenfalls zu verändern? Wenn ein persönliches Verhalten dazu beiträgt, dass sich die Außenwelt in einer Weise verändert, die anderen Menschen (und Tieren und Pflanzen) schadet, muss die Antwort auf diese Frage „Ja” lauten.

Damit ist aber noch nicht geklärt, wie intensiv und umfangreich diese Veränderung sein sollte. Bei diesen Überlegungen sind zahlreiche individuelle Rahmenbedingungen und insbesondere finanzielle und mentale Ressourcen zu berücksichtigen. Es fällt augenscheinlich nicht so leicht, eine universell gültige Antwort zu liefern. Und das ist ein weiterer Grund, sich eigenständig mit den persönlichen Treibhausgas-Emissionen auseinanderzusetzen.

Und die anderen?

Schön und gut, aber was ist mit den „Anderen“, die dazu beitragen, dass Treibhausgas-Emissionen in ganz anderen Größenordnungen ausgestoßen werden? Diese Personen oder Organisationen sollten davon überzeugt werden, dass es zumindest aus ethischer Sicht sinnvoll und darüber hinaus im Eigeninteresse ist, Treibhausgasemissionen erheblich zu reduzieren.

Tun sie das nicht, ändert das nichts am Faktum eigener individueller Mitverursachung der Klimakrise. Deutschland hatte 2022 einen Anteil an globalen Treibhausgas-Emissionen von 1,79 Prozent. Reduziert die Bundesrepublik beziehungsweise alle in ihr lebenden Menschen diesen Anteil, würde das eine messbar geringere globale Durchschnittserwärmung bedeuten.

Damit gehen auch eine geringere Wahrscheinlichkeit von Extremwetterereignissen, weniger Dürrezeit, weniger ausgestorbene Arten, weniger tote Menschen einher. Wenn und weil es diesen nachvollziehbaren Zusammenhang gibt, zählt eindeutig auch jedes zehntel Grad geringere Durchschnittstemperatur auf dem Planeten. Und das unabhängig davon, was „die Anderen“ unternehmen.

Was Demokratie damit zu tun hat

Im Großen ist Demokratie eine Herrschaftsform, bei der das Staatsvolk die Staatsgewalt innehat, also selbstbestimmt und gemeinsam darüber entscheidet, wie es leben möchte. Das Erleben dieser Demokratie beschränkt sich formal scheinbar die Wahrnehmung des Wahlrechts. Kleiner gedacht ist Demokratie in Form von nationalem oder regionalem politischen Engagement im Wege des Aktivismus oder der (Partei-) Politik erlebbar.

Aber es geht auch noch kleiner: Und zwar genau dann, wenn Menschen feststellen, dass sie etwas an der Außenwelt verändern wollen, verändern können und die Veränderung dann selbst herbeiführen. Individuelle Verantwortung wahrzunehmen heißt unter dieser Prämisse, daran zu arbeiten, die Veränderung herbeizuführen. Und das funktioniert am besten über den Beitrag, den jede*r Einzelne zur Erderwärmung (unmittelbar oder mittelbar) leistet.

Neue Narrative

Zu Beginn dieses Kommentars war die Rede von den schlechten Aussichten der Weltgemeinschaft auf das Jahr 2100. Hat das funktioniert und wurde das Interesse von potenziellen Leser*innen geweckt? Noch viel wichtiger ist die Frage, wer von den Leser*innen sich jetzt in einer Weise motiviert und ermächtigt fühlt, sich vielleicht tatsächlich mit dem eigenen ökologischen Fußabdruck auseinanderzusetzen und eigene Treibhausgas-Emissionen zu reduzieren? Vielleicht diejenigen, die sich schon von vorneherein für das Thema Klimagerechtigkeit interessiert haben. Aber das reicht nicht. Eine Erzählung, die sich auf die Macht der Einzelnen in ihrem individuellen Umfeld bezieht, konkrete Handlungsalternativen aufzeigt und keine einfachen, aber dafür wahre Antworten gibt, ist ehrlicher und besser als Fatalismus, dem sich auch dieser Kommentar schuldig gemacht hat.

Also nochmal von vorn: Du und ich können einen Impakt haben. Rechnerisch nachvollziehbar können wir aus erster Hand dazu beitragen, dass die Welt ein lebenswerter Ort für möglichst viele Menschen ist, bleibt und wird. Menschen wollen nicht hilflos ihrer Umwelt ausgesetzt sein, sondern aktiv sein, etwas bewirken. Und genau das können wir.

Wir brauchen diese neue Narrative.

Worauf warten?

Ja, es gibt vielversprechende Technologien, die eine Transformation hin zu einer nachhaltigen Gesellschaft erleichtern können. Ja, es werden neue Kohlekraftwerke gebaut. Ja, ohne nationalstaatliche Maßnahmen, die sich auf die gesamte nationale und internationale Wirtschaft beziehen, ohne supranationale Zusammenarbeit mit Blick auf den Klimaschutz funktioniert die Transformation zu einer nachhaltigen Gesellschaft nicht.

Ja, allein durch Gruppen von Menschen, die sich über die Welt verteilt für Klimagerechtigkeit einsetzen und die ihre eigenen Treibhausgas-Emissionen reduzieren, lässt sich nicht viel verändern.

Und doch lässt sich etwas verändern.

Text: Ingmar Heide, Titelbild: DALL-E
<h3>Ingmar Heide</h3>

Ingmar Heide

ist 25 Jahre alt und studiert im 4. Fachsemester Medienmanagement B.A.