Viky Lohs, besser bekannt als „Nokïa“, gehört zu den aufstrebenden Künstler*innen, die die Musikszene in Chemnitz aufmischen. Mit ihrem Engagement für FLINTA*-Artists und ihrer Vision für eine lebendigere, inklusivere Clubkultur setzt sie sich für Veränderungen ein und inspiriert andere, ihren eigenen Weg zu gehen. Im Interview mit medienMITTWEIDA erzählt sie von ihren DJ-Anfängen, den größten Erfolgen, aber auch darüber hinaus, was ihre Heimatstadt für sie bedeutet.
Viky Lohs aka „Nokïa“. Foto: Joe Bach
Viky Lohs ist 24 Jahre alt, „born and raised in Chemnitz“, wie sie sagt und als DJ unter dem Namen „Nokïa“ bekannt. Sie arbeitet als wissenschaftliche Hilfskraft an der Professur für Mathematik-Didaktik an der TU Chemnitz. Neben ihrem Job betreibt sie ein Kleingewerbe, das ihr die Möglichkeit bietet, kreativere Tätigkeiten wie Make-up und DJing auszuüben. Im vergangenen Jahr stand Viky zum ersten Mal vor Publikum am Mischpult eines Sommerfestes in einem Jugendclub. „Das war alles total durcheinander geplant, aber irgendwie auch lustig, weil nichts funktioniert hat“, erinnert sie sich zurück.
Wie bist du zum Auflegen gekommen?
Ich bin ganz lange mit Musik aufgewachsen. Ich habe schon mit fünf angefangen, Klavier zu spielen – später kam dann Gitarre dazu. Zehn Jahre habe ich letzendlich in verschiedenen Bands gespielt. Irgendwann hat mich dann das Technische hinter dem Auflegen interessiert, weil das ein ganz schöner Kontrast ist zum analogen Musizieren. Und dann habe ich zwei sehr liebe Kumpels, nämlich „Hekmati“ und „Elmeks“, gefragt, ob sie mir das Auflegen am Pult beibringen könnten. Am Anfang dachte ich mir, dass das doch nicht so schwer sein kann, wenn jetzt so viele Leute anfangen aufzulegen. Und dann habe ich es einfach mal ausprobiert. Zu Beginn hatte ich einen ziemlich hohen Anspruch an mich selbst und habe mich nicht getraut, vor Menschen zu spielen und in der Öffentlichkeit aufzulegen. Dann habe ich aber auf Partys ein, zwei nicht so perfekte Übergänge gehört, die aber dem Publikum gar nicht aufgefallen sind und sie haben die Musik trotzdem gefeiert. Das hat mich dann irgendwie ermutigt, auch vor anderen zu spielen.
Wer oder was hat dich inspiriert aufzulegen?
Wenn ich jetzt an Personen denke, die mich inspiriert haben, das zu machen oder die mich auch musikalisch inspiriert haben, denke ich so an FLINTA*-Artists wie „DJ Gigola” oder „horsegiirL“, „LNA“ oder „Nia Archives“. Wenn ich aber an die Stadt Chemnitz denke, die mich dazu inspiriert hat, dann fällt mir auf, dass wenig FLINTA*-Artists hinter dem Pult stehen und immer nur Männer gebucht werden, die nur wenig Effort in ihre Übergänge legen und dafür aber vom Publikum total gefeiert werden. Das hat mich irgendwie gestört.
Was bedeutet FLINTA*?
FLINTA* ist ein Akronym, das eine Reihe von Geschlechtsidentitäten und Geschlechtergruppen zusammenfasst und in feministischen und queeren Kontexten verwendet wird. Es steht für: Frauen, Lesben, Intergeschlechtliche Menschen, Nicht-binäre Menschen, Trans Menschen und Agender Personen.
Das Sternchen am Ende des Akronyms dient als Platzhalter für weitere Geschlechtsidentitäten, die nicht explizit in der Aufzählung genannt werden, aber ebenfalls ein Teil der Gemeinschaft sind.
Der Begriff wird benutzt, um auf die spezifischen Diskriminierungs- und Gewaltformen aufmerksam zu machen, die diese Gruppen erleben. Der Fokus liegt besonders auf dem geschlechtsspezifischen Aspekt und den damit verbundenen Erfahrungen von Marginalisierung und Exklusion.
In feministischen und queeren Räumen wird FLINTA* genutzt, um eine inklusive und solidarische Gemeinschaft zu fördern, die die vielfältigen Identitäten und Lebensrealitäten anerkennt und respektiert. Das Ziel ist es, strukturelle Ungleichheiten zu bekämpfen und die Sichtbarkeit sowie die Rechte von FLINTA*-Personen zu stärken.
Welche Genres legst du auf und was gefällt dir daran so gut?
Ich bewege mich im elektronischen Feld – eher genre-fluid. Und wenn man das nach BPM (Beats per Minute) ordnen will, was ich sehr gerne mache, dann geht das von House über Breakbeats, UK-Garage zu Trance, Ghetto Tech und wenn es ganz schnell sein soll, dann DnB. Viele dieser Musikrichtungen sind nur teilweise bis gar nicht in Chemnitz vertreten und ich würde die gerne den Leuten zeigen. Sonst musste man dafür immer raus aus Chemnitz, um sich zu Breakbeats oder so zu bewegen. Und ich finde auch ein bisschen, dass der Markt zu sehr gesättigt ist an Indie-, Pop- oder Techno-Artists, obwohl ich die Genres gerne mag und auch höre. Ich wollte einfach ein paar Nuancen dazwischen setzen und ausprobieren, was in der Musikszene noch so geht oder was noch funktionieren kann.
Die elektronischen Genres im Überblick
House: Aus einem Mix aus Jazz, Blues und Soul entstand Ende der 1970er Jahre in Chicago die House Music. Sie kennzeichnet sich durch einen gleichmäßigen 4/4-Takt, repetitive Basslines, Synthesizer, Samples und oft gesungene Passagen. Die meisten House-Tracks befinden sich zwischen 120 bis 130 Beats pro Minute (BPM).
Breakbeat: Anders als House kehrt sich Breakbeat von dem gleichmäßigen Metrum ab und ist durch unregelmäßig gebrochene Rhythmusmuster und der häufigen Verwendung von Drum-Samples aus Funk und Hip-Hop geprägt. Es bildet die Grundlage für Subgenres wie Drum and Bass und Big Beat, aber auch für den Tanzstil „Breakdance“.
DnB: Anfang der 1990er Jahre verschmolz in Großbritannien die langlebige schwarze Musik mit der Jugendkultur – Drum and Bass entstand. Der Mix aus Reggae, Groove, Hip-Hop, Soul, Funk, Detroit-Techno und noch viel mehr macht Drum and Bass – kurz: DnB – so besonders. Schnelle Breakbeats, intensive Basslines, die häufige Verwendung von Samples sowie das Tempo von 160 bis 180 Beats pro Minute sind Attribute des Drum and Bass.
UK-Garage: Wie Hip-Hop in den USA ist UK-Garage ein unersetzbares Teil der britischen Kultur geworden. Aus der Kombination von House, R&B (Rhythm and Blues) und Jungle-Elementen entstand Anfang der 1990er Jahre UK-Garage – auch UKG genannt. Es zeichnet sich durch seine schweren Basslines, dem rauen Auftreten und dem kontinuierlichen 4/4- oder 2/4-Takt aus.
Trance: Mit einem Tempo von 128 bis 140 Beats pro Minute ist das Genre Trance recht schnell und treibend. Trance-Tracks bauen mit ihren Build-ups Spannung auf der Tanzfläche auf. Dabei setzt das Genre auf einen 4/4-Takt, wobei jedes Viertel durch eine Bass Drum unterstützt wird. Entstanden ist das Genre in den späten 1980ern in Europa.
Ghetto Tech: Die charakteristischen Merkmale von Ghetto Tech sind schnelle elektronische Beats im Bereich von 140 bis 170 Beats pro Minute, eingängige Synthesizer-Riffs und oft sexuelle Texte. Der Ursprung des Genres liegt in Detroit in der Mitte der 90er bis 00er.
Was waren deine bisher größten DJ-Erfolge?
Jetzt ziemlich aktuell HÖR Berlin– da war ich am 1. Juni zusammen mit drei anderen Elektro-DJs aus Chemnitz und das war in Vorbereitung auf das Kosmos-Festival, das am 8. Juni stattgefunden hat. Es war irgendwie richtig verrückt, allein in diesem kleinen Badezimmer zu stehen. Man vergisst in dem Moment total, was für eine riesige Community dahintersteckt und was das für eine Reichweite hat. An dieser Stelle danke ich nochmal dem Transit, dass das möglich gemacht wurde. Denn Mike Sparwasser hätte eigentlich spielen sollen. Er konnte an dem Tag aber nicht und da wurde ich eine Woche vorher ziemlich spontan gefragt, ob ich denn dort spielen möchte. Als ich das gehört habe, dachte ich nur: „Oh mein Gott, das ist doch dieses Badezimmer, in dem DJs auflegen, was mit so einem Fisheye-Objektiv aufgenommen wird, was ich immer auf Social Media sehe“. Ich habe erstmal zugesagt und später habe ich mir ganz viele Videos davon angeschaut. Ich war so erstaunt, wie bekannt das eigentlich ist und wie viele Follower die haben. Das ist so insane. Ich habe mich so gefreut, wie viele Leute mein Set tatsächlich live geguckt haben.
HÖR Berlin
HÖR Berlin ist eine Plattform, die DJ-Sets und Live-Acts aus Berlin, aber auch darüber hinaus sechs Tage die Woche per Livestream überträgt. Sie wurde im Jahr 2019 ins Leben gerufen und bietet eine Vielzahl von DJ-Sets und Live-Performances von Künstler*innen aus der globalen elektronischen Musikszene. Bekannt ist HÖR Berlin für die qualitativ hochwertigen Streams aus dem kleinen Berliner Kult-Badezimmer und die Vielfalt der präsentierten Musikgenres wie Techno, House und experimenteller Elektro-Musik. Die Plattform dient dazu, neue Talente zu entdecken und etablierten Künstler*innen eine Bühne zu bieten.
Was sind deine Ziele in Bezug auf das DJing?
Generell möchte ich mehr Musikgenres in Chemnitz etablieren, dass es nicht so monoton ist. Aber vor allem ist mir wichtig, FLINTA*-Artists zu ermutigen, sich zu trauen, aufzulegen – selbst wenn die Übergänge noch nicht perfekt sind. Ich gehe zum Beispiel super gerne auf Partys, bei denen FLINTA* auflegen, auch wenn ich das Line-Up nicht wirklich kenne, einfach nur, um neue Artists zu sehen, neue Styles kennenzulernen und natürlich um zu supporten. Ich habe irgendwie das Gefühl, dass sich leider wenig Leute auf solche unbekannten Bookings einlassen und das würde ich mir echt mehr wünschen. Insgesamt möchte ich auch mehr Sichtbarkeit für FLINTA*-Personen in diesem Bereich. Das „Dieda“-Network, wo ich auch drin bin, hat sich genau das zum Namen gemacht und bietet besonders FLINTA*-DJs eine Bühne. Ich fühle mich dort sehr aufgehoben.
Wie ist es als FLINTA*-DJ in Chemnitz aufzulegen?
Also man ist, glaube ich, nicht nur in Chemnitz von sehr vielen Männern umgeben, die einem immer viel erklären wollen. Das ist auch meistens lieb gemeint, aber man fühlt sich dann schnell so, als wären die so ein „Erklärbär“ mir gegenüber und das ist schon ein bisschen belastend. Ich habe auch das Gefühl, dass man sich den Respekt erst erspielen muss – im wahrsten Sinne des Wortes hinter dem Pult erspielen muss. Man kann den FLINTA*-DJs schon ein bisschen mehr zutrauen.
Was erhoffst du dir von der Chemnitzer Musikszene, beziehungsweise was würdest du an ihr ändern?
Insgesamt wünsche ich mir mehr Offenheit für mehr Genres von den tanzenden Personen, sodass nicht nur klassisch Pop oder Techno gehört wird. Außerdem fände ich es schön, wenn die Leute in den Club gehen, auch wenn sie nicht jede*n DJ kennen, sich einfach mal auf die Musik einlassen und nicht immer jeden Samstag zur gleichen Party gehen. Und natürlich wünsche ich mir mehr FLINTA*-Personen bei den Bookings der Partys.
Welche Chancen und Herausforderungen siehst du in Chemnitz im Hinblick auf die Musikszene?
Die Stadt hat schon viel Potenzial. Es braucht nur die richtigen Menschen, die es einfach machen und manchmal funktioniert es dann. Da denke ich vor allem an den „Rave300“, der komplett ausverkauft war und das erste Mal erfolgreich stattgefunden hat. Leider fehlt es oft an diesen jungen und motivierten Menschen, die eben dieses Potenzial der Stadt sehen. Aber da stecke ich ein bisschen Hoffnung in das Kulturhauptstadt-Jahr 2025, dass da mehr solche Menschen hierher ziehen beziehungsweise hier bleiben und nicht wegziehen, das passiert ja leider immer öfter.
Denkst du, die Musikszene in Chemnitz wird sich mit dem bevorstehenden Kulturhauptstadt-Jahr nochmal ändern?
Vielleicht bin ich da ein bisschen naiv, aber ich sehe schon sehr viel Potenzial in der Szene und ich hoffe auch, dass mehr Partyformate ausprobiert und auch angenommen werden. Dieses Clubsterben und diese Monotonie an Partyformaten machen einen manchmal echt müde und traurig. Aber ich hoffe und ich glaube auch, dass echt viele Menschen sich durch das Kulturhauptstadt-Jahr motiviert fühlen und noch die Energie haben, sowas zu schaffen. Die Musikszene kann und muss auch noch etwas reifen. Hier gibt es so viele unentdeckte Talente, die hoffentlich bald für alle sichtbar werden, damit die Szene auch mal zeigen kann, was sie alles kann. Ich hoffe natürlich auch, dass es nachhaltig etwas mit Chemnitz macht und auch in der Szene erhalten bleibt nach diesem Kulturhauptstadt-Jahr.
Kurzkommentar der Autorin
FLINTA*-DJs als Bereicherung, nicht als Quote
Die Chemnitzer DJ-Szene braucht dringend mehr FLINTA*-Artists, um eine vielfältigere und inklusivere Musikkultur zu schaffen. Viky Lohs alias „Nokïa“ ist ein gutes Beispiel, wie man FLINTA*-Artists ermutigt, sich ans Mischpult zu trauen und ihre Musik zu präsentieren. Dies fördert nicht nur die Sichtbarkeit, sondern auch die Akzeptanz und Anerkennung vielfältiger Identitäten in der Clubszene. Auch dem „Reiz“-Kollektiv aus Chemnitz, dem ich angehöre, ist aufgefallen, wie herausfordernd es manchmal sein kann, FLINTA*-DJs zu finden, die genau den Sound spielen, den man sucht. Daher sollten mehr FLINTA*-DJs auftreten, um auch einfach die Vielfalt der musikalischen Stilrichtungen zu erweitern. Dabei ist es essentiell, dass FLINTA*-DJs nicht nur aufgrund ihres Geschlechts beziehungsweise ihrer sexuellen Orientierung gebucht werden, sondern weil sie talentierte Künstler*innen sind, die das Publikum begeistern können. Es sollte nicht darum gehen, eine Quote zu erfüllen, sondern darum, Musik zu fördern und zu feiern.
Ein ausgewogenes Line-up trägt dazu bei, stereotype Vorstellungen zu durchbrechen und den Musikliebhaber*innen neue, spannende Sounds zu bieten. Gleichzeitig ist es wichtig, dass FLINTA*-Artists die gleichen Chancen und die gleiche Wertschätzung erhalten wie ihre cis männlichen Kollegen. Nur so kann eine echte, nachhaltige Veränderung in der Clubkultur erreicht werden. Clubs und Veranstalter*innen sollten daher ihren Horizont erweitern und aktiv nach talentierten FLINTA*s suchen, ohne diese als bloße Lückenfüller zu betrachten. Um mehr FLINTA*-Personen zu ermutigen, sich hinter das DJ-Pult zu stellen, werden auch in Chemnitz FLINTA*-DJ-Workshops angeboten. Diese Workshops, organisiert von Kultureinrichtungen oder erfahrenen DJs, bieten eine unterstützende Lernumgebung und das ganz ohne Mansplaining. Eine bunte, lebendige Musikszene profitiert letztendlich von der Vielfalt und der Qualität der gebotenen Acts.
Text und Titelbild: Emma-Leonie Kmoch