Sorgen, Ängste und Nöte beschäftigen so gut wie jeden Studenten hin und wieder – doch was, wenn diese so stark werden, dass man kaum noch seinen Alltag meistern kann? Für Studierende mit Depressionen ist dieses Szenario Realität. Oft werden schon kleine, alltägliche Dinge für sie zur Tortur. So zum Beispiel werden häufig Vorlesungen nur sehr selten bis gar nicht besucht und auch der Kontakt zu Kommilitonen ist meist ein ständiger Kampf. Im exklusiven Interview mit medienMITTWEIDA gewährt ein von Depressionen betroffener Student Einblicke in seinen Alltag.
Max* ist 28 Jahre alt und studiert Informatik in Leipzig. Er leidet seit etwa acht Jahren an Depressionen und befindet sich derzeit in psychiatrischer Behandlung.
Wann hast du das erste Mal gemerkt, dass du depressiv sein könntest?
Es fing in der Oberstufe der Schule an. Ich fand kaum noch Motivation zum Unterricht zu gehen und fühlte mich kraftlos. Außerdem entwickelte ich chronische Bauchschmerzen. Später kamen auch noch andere körperliche Beschwerden hinzu, wie chronische Kopfschmerzen. Daraufhin suchte ich einen Arzt auf, um die Ursachen für meine Beschwerden zu finden. Der Arzt konnte allerdings keinen genauen Grund feststellen und verschrieb mir lediglich Medikamente gegen die Schmerzen. Leider besserten sich meine Symptome durch diese kaum und ich fühlte mich zunehmend eingeschränkter in meinem Leben. Der Schmerz kontrollierte quasi meinen Alltag.
Was sind Depressionen?
Laut dem Bundesgesundheitsministerium haben Betroffene von Depressionen meist mit einem Leistungsabfall zu kämpfen. Hinzu kommen diffuse andere Beschwerden. Diese können sich in Appetitverlust und Schlafstörungen äußern, aber auch Freude- und Interessenverlust, allgemeine Lustlosigkeit oder Entscheidungsunfähigkeit können Merkmale einer Depression sein. Zudem treten teilweise Gefühle von Gleichgültigkeit auf, oder innere Unruhe und Ängste. Die Symptome können bei einer Depression vielfältig sein und variieren. Es müssen nicht alle Beschwerden auf jede Person zutreffen.
Wie kam es schließlich zur Diagnose?
Da meine Beschwerden sich nicht besserten, konsultierte ich immer neue Ärzte. Das Frustrierende war, dass niemand etwas finden konnte, was meine Schmerzen erklären könnte. Stets wurde darauf verwiesen, es sei alles in Ordnung. Jedoch fühlte ich, dass dies nicht stimmen konnte und wurde immer verzweifelter. Letztendlich brachte ein Arzt nach etlichen Untersuchungen den entscheidenden Hinweis: Er deutete darauf hin, dass meine Symptome psychosomatisch sein könnten.
Wie bist du mit der Diagnose umgegangen?
Anfänglich hielt ich diese Vermutung für unsinnig. Ich war allerdings auch frustriert davon, dass die Ärzte bei mir keine körperlichen Ursachen diagnostizieren konnten und versuchte daraufhin mein Leben dem Schmerz anzupassen. Ich habe meine Situation sozusagen hingenommen und versucht, das Beste daraus zu machen. Einen Therapeuten habe ich mir nicht gesucht, beziehungsweise ging auch nicht weiter der Vermutung des Arztes nach, dass es sich um eine psychische Erkrankung handeln könnte.
Wann bist du zu der Einsicht gekommen, dass du tatsächlich depressiv bist?
Die Einsicht, dass ich eventuell ein psychisches Problem habe, kam erst, als meine körperlichen Beschwerden immer unerträglicher wurden. Ich konnte meinen Alltag als Student nicht mehr bewältigen und war mit allen Aufgaben, die ich bekam, überfordert. Ich musste mir dann eingestehen, dass ich so nicht weitermachen kann und die Vermutung des Arztes, dass ich depressiv sein könnte, eventuell doch stimmen könnte. Es fiel mir allerdings trotzdem schwer, mir einzugestehen, dass ich ein Problem habe und mir therapeutische Hilfe suchen muss.
Das Erste, was ich versucht habe, war, über meine Hochschule an eine Universitäts-Therapeutin zu gelangen. Damit war ich auch erfolgreich und hatte daraufhin fünf therapeutische Sitzungen. Allerdings merkte ich schnell, dass diese Anzahl nicht ausreichte und ich mehr psychische Unterstützung benötigte. Das Problem war allerdings, dass ich nur fünf Therapiestunden über meine Universität in Anspruch nehmen konnte und keinen Therapieplatz in Leipzig fand. Daraufhin habe ich versucht, wieder allein mit meinem Leben klarzukommen und es machte sich erneut Frustration breit. Ich fühlte mich wieder einmal hilflos und im Stich gelassen.
Wie viel Prozent in Deutschland sind von Depressionen betroffen?
Wie erfolgreich war der Versuch, allein die Probleme in Angriff zu nehmen?
Leider war alles, was ich versuchte, nicht sehr zielführend und meine Situation verschlechterte sich Monat um Monat. Den Höhepunkt erreichte ich dann im Februar 2023, als ich mich selbst in eine psychiatrische Klinik einweisen musste. Der Grund dafür war, dass ich meine Wohnung überhaupt nicht mehr verließ und nicht mehr weiter wusste mit meinem Leben. Gedanken, wie: „ich kann das alles nicht mehr“ oder „ich weiß nicht mehr weiter“, hatten die Kontrolle übernommen. Ich erlitt mehrere Zusammenbrüche und weinte und schrie nur noch ununterbrochen. Mein Leben fühlte sich allgemein nicht mehr wirklich lebenswert an.
Wie ging es dir in der Zeit des Klinikaufenthaltes?
Der Klinikaufenthalt war für mich wie eine Erlösung. Alle anfänglichen Zweifel waren verschwunden. Ich habe Tag für Tag gemerkt, wie es mir besser ging und dass es die richtige Entscheidung war, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Ich traf zudem erstmals auf Menschen mit ähnlichen Problemen und fühlte mich verstanden. Davor hatte ich mich immer wie ein Außenseiter gefühlt. Ich hatte in der Klinik viele Gruppen-Therapiesitzungen, in denen ich gelernt habe, meinen Fokus auf positive Dinge zu lenken und mich nicht von der Krankheit definieren zu lassen. Zudem habe ich gelernt, dass man positives Denken neu erlernen muss – besonders wenn man von einer Depression betroffen ist. Dieser Prozess war sehr langwierig und auch sehr kraftaufwendig, aber unheimlich wichtig für den Heilungsprozess. Letztendlich verbrachte ich dann fünf Wochen in der Klinik. Das Beste für mich war, dass ich endlich wieder lachen konnte und das Gefühl hatte, wieder weiterleben zu wollen.
Was geschah nach dem Klinikaufenthalt?
Anfänglich ging es mir wesentlich besser. Allerdings schlich sich mit der Zeit der Alltag ein und ich fing an, erneut in ein Loch zu fallen. Der Hauptgrund dafür war, dass ich nach wie vor keinen Therapieplatz finden konnte, welcher mich nach dem Klinikaufenthalt unterstützt hätte. Dieser Zustand hält leider bis heute an. Ich suche immer noch nach einem Therapieplatz, mit dessen Hilfe ich meine Depression in den Griff bekommen kann. Ich versuche allerdings positiv zu bleiben und hoffe, dass ich bald wieder ein unbeschwertes Leben führen kann.
Welche Auswirkungen hat die Depression auf dein Studium?
Ich habe prinzipiell keine Kraft, Vorlesungen und Seminare zu besuchen, beziehungsweise Abgaben fristgerecht zu erledigen und für Prüfungen zu lernen. Ich versuche allerdings, mich immer für Prüfungen einzuschreiben und auch an diesen teilzunehmen. Das klappte bisher mäßig gut. Ich bestand zwar die Prüfungen, aber hatte keine guten Noten. Der große Unterschied zu meiner Schulzeit besteht darin, dass die Fehltage sich inzwischen nicht nur auf einzelne Wochentage belaufen, sondern ich in der Uni so gut wie gar nicht mehr anwesend bin. Ich habe das Glück, einen Nachteilsausgleich an meiner Universität beanspruchen zu können. Dieser gewährleistet, dass ich einen Monat länger Zeit für meine Bachelorarbeit bekomme. Prüfungen muss ich leider wie jeder andere schreiben. Hier gibt es keine Ausnahmeregelungen. Meine Professoren und Kommilitonen sind glücklicherweise sehr verständnisvoll und versuchen mich so gut es geht zu unterstützen. Allerdings ist das Studium dennoch eine große Herausforderung.
Was sind typische Gedanken, die dir durch den Kopf gehen?
Hauptsächlich sind es Versagensängste in Bezug auf die Uni und den Beruf, aber auch private Situationen. Zudem kämpfe ich mit einem verminderten Selbstwertgefühl. Da ich oft Schwierigkeiten habe, kleine alltägliche Aufgaben zu erledigen, entwickelt sich ein Gefühl von Stagnation. Ich habe den Eindruck, dass das Leben ohne mich selbst stattfindet und ich nicht mehr wirklich Teil dessen bin.
Wie wirkt sich deine Erkrankung auf dein privates Umfeld aus?
Die Depression übt leider sehr viel Einfluss auf zwischenmenschliche Beziehungen aus. Es fängt damit an, dass man sich nicht mehr häufig mit seinen Kommilitonen und Freunden trifft beziehungsweise die eigene Familie vernachlässigt. Man isoliert sich dauerhaft. Dies kann dazu führen, dass man Freundschaften verliert oder man auf Unverständnis stößt. Zudem fällt es einem zunehmend schwer, sich anderen Personen gegenüber zu öffnen und Emotionen und Probleme zu teilen.
Haben sich Freunde beziehungsweise Familienmitglieder aufgrund deiner psychischen Erkrankung von dir abgewendet?
Nein, das ist mir zum Glück nicht passiert. Aber als depressiver Mensch kämpft man dennoch die ganze Zeit mit dem Gedanken, dass man eine Last für andere Personen sein könnte und diese einen deshalb verlassen.
Was für Ratschläge kannst du anderen betroffenen Studenten geben?
Leider kann ich nicht allzu viele Tipps geben, da ich noch nicht geheilt bin. Ich versuche aktuell für mich selbst eine gute Lösung zu finden, wie ich meinen Alltag mit der Depression und meinem Studium miteinander verbinden kann. Allgemein sollte man sich aber so schnell wie möglich versuchen einzugestehen, dass man ein Problem hat und dieses auch angehen. Es nützt nichts, sich vor der Wahrheit zu verschließen. Außerdem sollte man sich niemals für seine Erkrankung schämen und sich auch bewusst sein, dass es eine Krankheit ist. Des Weiteren empfehle ich anderen Betroffenen, nicht so selbstkritisch zu sein und sich selbst liebevoll zu behandeln. Es ist auch ratsam, sich Professoren und Kommilitonen anzuvertrauen. Oftmals haben diese viel mehr Verständnis für die eigene Situation als man denkt. Sie können einen unterstützen und auch Hilfe leisten. Viele Universitäten bieten außerdem speziell ausgebildetes Personal an, was sich mit den Problemen von Studierenden befasst. Am wichtigsten ist aber: Man sollte niemals aufgeben.