Das Internationale Zentrum für Demokratie und Aktion (IZDA) auf dem Sonnenberg in Chemnitz setzt sich aktiv für die Unterstützung und Integration von Menschen mit Migrationshintergrund ein. medienMITTWEIDA hat die Gelegenheit, mit Hàochéng und Annabell zu sprechen, die Mitglieder dieses wichtigen Projekts sind. Im Interview geben sie einen Einblick in ihre persönlichen Erfahrungen und die Arbeit von IZDA. Es folgt ein Kommentar der Autorin: „Armutszeugnis für den Staat”, zu dessen Rolle in der Inklusionsarbeit.
Hàochéng stammt aus China und ist für sein Studium nach Chemnitz gekommen. Annabell ist kürzlich nach Chemnitz gezogen. Beide sind seit einem Monat Mitglieder bei IZDA.
Wie seid ihr zu IZDA gekommen?
Annabell: Ein Kumpel, der hier auch Mitglied ist, hat mich auf das Projekt aufmerksam gemacht und durch ihn war ich immer mal dabei. Die Menschen hier sind richtig lieb und das Projekt ist enorm wichtig für Chemnitz, den Sonnenberg und die Menschen, die hier wohnen. Das wollte ich unbedingt supporten und deswegen bin ich mit dabei.
Hàochéng: Seit einem Jahr arbeite ich bei einem Projekt namens „AntiRa Aktiv”. Das Projekt zielt darauf ab, die von Rassismus betroffenen Menschen in Ostdeutschland zu unterstützen. Durch meine Arbeit habe ich dann IZDA kennengelernt und bin begeistert von der Idee und den Menschen hier. Ich interessiere mich generell sehr für Menschen aus unterschiedlichen Ländern und dachte mir, auch ich kann hier viel lernen. Ich komme aus China, da hat man keine Chance, sich wirklich zu politisieren. Aber in Deutschland habe ich mich dann immer mehr mit Themen wie Demokratie und Zivilgesellschaft beschäftigt. IZDA bietet die Plattform, um politisch aktiv zu sein, und das hat mich sehr angesprochen. Also dachte ich – okay, gut, dann würde ich auch super gerne mitmachen.
Was ist IZDA?
Annabell: IZDA ist das Internationale Zentrum für Demokratie und Aktion, das sich auf dem Sonnenberg in Chemnitz befindet. Hier gibt es viele verschiedene wichtige Angebote für Menschen mit Migrationshintergrund, welche auch gut angenommen werden. Zum Beispiel haben wir regelmäßig ein offenes Büro, bei dem Menschen mit Problemen bei Anträgen oder Versicherungen Unterstützung finden. Das Besondere an IZDA ist, dass es von Menschen organisiert wird, die selbst einen Migrationshintergrund haben. Alle, die hier mitmachen, sind bisher ehrenamtlich tätig und engagieren sich in ihrer Freizeit. Wir versuchen, das Ganze basisdemokratisch zu organisieren, damit alle gleichberechtigt mitmachen und sich mit ihren individuellen Fähigkeiten einbringen können.
Hàochéng: Es ist wichtig zu betonen, dass IZDA ein diskriminierungsfreier Raum sein möchte, häufig auch als „Safe Space“ bezeichnet. Dieser Raum ist besonders für Menschen aus marginalisierten Gruppen gedacht, wie Frauen, geflüchtete Menschen, Menschen mit Migrationshintergrund, von Rassismus Betroffene und Menschen mit Behinderung. IZDA bietet ihnen einen Ort, an dem sie sich wohlfühlen, treffen und organisieren können sowie Veranstaltungen durchführen können, die sonst schwer zu realisieren wären. Genau das soll IZDA für die Menschen sein.
Warum wurde IZDA gegründet?
Annabell: Die Gründung von IZDA ist sowohl traurig als auch faszinierend, sie entstand aus den Ereignissen in Chemnitz im Jahr 2018. Es ist unfassbar, was damals mit den Menschen hier geschehen ist, in welchen Massen das stattgefunden hat und wie wenig Schutz es seitens des Staates gab. Viele Menschen sind hier täglich von Rassismus betroffen und die gleichen Personen, die damals hier waren, sind immer noch hier. Deshalb ist es super wichtig, diesen Raum zu schaffen, wo Menschen sicher sein und sich vernetzen können, um gemeinsam stärker zu werden. Besonders wichtig ist, dass dieser Raum von denjenigen organisiert wird, die selbst betroffen sind. Hier können sie entsprechend ihren Bedürfnissen alles so gestalten, wie sie es brauchen. Es kommt nicht irgendeine Deutsche um die Ecke und sagt: „Ja hier, das braucht ihr und das ist gut für euch und so machen wir das!” Es ist ein Safe Space, der sonst in Chemnitz fehlt, und das macht ihn so wichtig.
Hàochéng: Chemnitz hat seit der Wiedervereinigung ein starkes Problem mit rechten Strukturen, das in den letzten Jahrzehnten immer schlimmer geworden ist. Es gibt hier starke Strukturen für Rechte und es ist bekannt, dass der National Sozialistische Untergrund (NSU) Unterstützung und Finanzierung aus dieser Region erhielt. Das zeigt, wie viel hier getan werden muss, um dem entgegenzuwirken. Einer der Gründe für die Gründung von IZDA war, genau dieser Gegenwind zu sein.
Annabell: Chemnitz braucht etwas Nachhaltiges und Permanentes, das sich kontinuierlich weiterentwickelt. Es reicht nicht aus, nur temporäre Projekte wie das Kulturhauptstadtjahr oder Veranstaltungen wie das „Kosmos-Festival” zu haben, bei denen an einem Tag alle gegen Rassismus sind und zeigen: „Hey, hier, Chemnitz kann auch anders.“
Hàochéng: Am nächsten Tag, nach der Wahl, hat man ja gesehen, dass viele Menschen in Chemnitz für die AfD und rechte Parteien abgestimmt haben. Dieser krasse Kontrast zeigt, dass es nicht reicht, nur ein paar Tage im Jahr gegen Rechts zu agieren.
Annabell: IZDA schafft solche Räume, in denen sich Menschen dauerhaft einbringen können. Auch wenn es frustrierend sein kann, hier irgendwas zu reißen, muss es halt einfach sein.
Eröffnung von IZDA am 3.März.2024. Foto: Amin Noura
Welche Angebote habt ihr bei IZDA geschaffen oder wollt ihr zukünftig anbieten?
Annabell: Zum Beispiel gibt es Beratungsangebote, wo Menschen verschiedenste Unterstützung erhalten können. Kürzlich haben wir eine internationale Küche organisiert, bei der jemand aus Ägypten gekocht hat und viele Menschen zusammengekommen sind. Außerdem veranstalten wir regelmäßig Sprachcafés, einen Persisch-Kurs für Kinder und auch Nachhilfe wird für Kinder angeboten. Unser Angebot ist breit gefächert und richtet sich an Menschen jeden Alters, immer mit einem starken Fokus auf Vernetzung. Besonders das Frauencafé spielt dabei eine wichtige Rolle. Es bietet Frauen, die es aus verschiedenen kulturellen Hintergründen nicht immer einfach haben, eine niedrigschwellige Möglichkeit bietet, sich auszutauschen und gemeinsam zu stärken.
Für die Zukunft planen wir, noch mehr politische Bildungsarbeit zu leisten. Wir hatten bereits Lesungen und möchten diese Angebote weiter ausbauen, beispielsweise durch Workshops, auch durch Zusammenarbeit mit anderen Organisationen.
Hàochéng: Bei den Beratungsangeboten bieten wir, neben allgemeiner Beratung, auch Unterstützung in rechtlichen Fragen oder bei der Krankenkassenanmeldung. Die antirassistische Beratung erfolgt durch unser Projekt „AntiRa Aktiv“. All unsere Angebote sind besonders darauf ausgerichtet, Menschen zu helfen, die in der Gesellschaft oft diskriminiert und marginalisiert werden. Und genau deswegen ist auch alles kostenlos.
Wie finanziert ihr den Raum und die Angebote?
Annabell: Unser großes Ziel ist es, unser Zentrum langfristig durch Fördermitgliedschaften selbstständig zu finanzieren. Somit wollen wir verhindern, von staatlichen Institutionen abhängig zu sein. Besonders durch die AfD als stärkste Partei und den Sparkurs der Ampel-Regierung sind viele soziale und kulturelle Projekte wie unseres finanziell bedroht und können sich nicht mehr auf Förderungen des Staates verlassen. Mittlerweile werden wir monatlich von Personen aus ganz Deutschland mit einem Beitrag von zehn bis 30 Euro unterstützt, insbesondere von Menschen aus der Nachbarschaft. Besonders nach den Kommunal- und Europawahlen sind wir, und viele andere Projekte, auf finanzielle Unterstützung angewiesen, um eine demokratische Zivilgesellschaft in Ostdeutschland zu stärken.
Warum habt ihr euch für einen Raum auf dem Sonnenberg entschieden?
Annabell: Der Sonnenberg ist ein sehr zentrales Viertel in Chemnitz, gleichzeitig ist es doch so, dass hier nicht viel los ist. Hier leben viele geflüchtete Menschen, aber auch viele rechte Menschen und das prallt hier aufeinander.
Hàochéng: Der Sonnenberg war früher ein Arbeiterviertel. Nach der Wiedervereinigung wurden viele Fabriken geschlossen und viele Menschen wanderten ab. Deshalb gibt es hier viele verlassene und leere Räume und Häuser. Es wäre schade, wenn es so bleibt und das Viertel von rechten Menschen beansprucht und erobert wird. Daher ist es super sinnvoll, wertvoll und wichtig, dass immer mehr Kultur, soziokulturelle Vereine und Organisationen sich hier niederlassen und etwas dagegen unternehmen.
Annabell: Wenn es in einem solchen Viertel keine Angebote gibt und es ein verlorenes Stadtviertel bleibt, in dem nichts passiert und Menschen Gefahr ausgesetzt sind, weil sie keine Möglichkeit haben, sich zu organisieren und zu vernetzen, ist das sehr schlecht für alle, die hier leben. Wenn die Stadt nichts unternimmt, muss man eben selbst etwas machen, traurigerweise.
Raum von IZDA auf der Gießerstr. 26, Sonnenberg. Foto: IZDA
Warum ist es gerade in Chemnitz wichtig, dass es explizit eine migrantische Selbstorganisation gibt?
Hàochéng: In Chemnitz ist es besonders wichtig, dass es eine organisierte migrantische Gemeinschaft gibt. Die Mehrheitsgesellschaft spricht immer über Integration von Migrant*innen, trotzdem hört man selten die Stimmen direkt von den Migrant*innen. Obwohl viele Migrant*innen seit DDR-Zeiten in Chemnitz leben, sind ihre Stimmen und Erfahrungen kaum präsent.
Annabell: Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Menschen, die neu nach Deutschland kommen erleben täglich Rassismus und Diskriminierung, auch strukturell. Sie haben nicht die Möglichkeit laut zu sein, auf sich aufmerksam zu machen und sich zu äußern. Es liegt in unserer Verantwortung, Möglichkeiten und Räume zu schaffen, in denen sie ihre Stimme erheben können, Unterstützung finden und das in Sicherheit.
Es wird oft über das schlechte Image von Chemnitz rumgejammert, aber es wird kaum etwas dagegen unternommen. Genau deshalb ist IZDA so wichtig. Initiativen wie wir zeigen, dass positive Veränderungen möglich sind, selbst wenn sie zunächst auf kleine Räume beschränkt sind. Es ist wichtig, dass Menschen sich aktiv für den Abbau von Rassismus und Vorurteilen einsetzen. Aber dafür musst du halt bereit sein und das ist auch nicht jeder. Davon darf man sich dann leider nicht aufhalten und demotivieren lassen.
Wie reagieren die Menschen auf euch?
Annabell: Wenn ich Menschen erzähle, was hier so stattfindet, finden es alle cool und wollen unbedingt vorbeikommen. Ich mache öfter Werbung für das Frauencafé, und das findet viel Anklang. Auch Menschen, die gerade dabei sind Deutsch zu lernen, finden das Sprachcafé toll. Sie freuen sich, andere Menschen zu treffen, die auch andere Sprachen sprechen, und können so ihre eigene Bubble verlassen und neue Leute kennenlernen. Das ist besonders wichtig, wenn man in einem neuen Land und einer fremden Kultur ist, Menschen kennenzulernen, die eben gerade in derselben beschissenen Situation stecken wie du.
Aufgrund der Situation mit einer starken extremen Rechten haben wir auch schon Anfeindungen erlebt, zum Beispiel in Form von rechten Stickern, die provokant an unserem Zentrum angebracht wurden.
Ausgelassene Stimmung bei IZDA, es wird getanzt. Foto: Amin Noura
Übernehmt ihr mit euren Angeboten nicht eigentlich Integrationsarbeit, die der Staat leisten sollte?
Annabell: Ja, diese Aufgabe übernehmen wir definitiv. Eigentlich könnten wir nur ein Raum sein, in den Menschen kommen, etwas trinken und erzählen. Aber das reicht leider nicht, weil die staatlichen Angebote für diese Menschen nicht ausreichend gegeben sind. Es wäre cool, wenn es alle diese Angebote von Seiten der Stadt oder vom Staat geben würde. Gibt es aber nicht. Deshalb schaffen wir diese Angebote.
Hàochéng: Auf jeden Fall sollte diese Arbeit nicht ehrenamtlich gemacht werden. Es ist eine sehr wichtige und wertvolle Arbeit, die wir hier erbringen. Viele von uns, die hier ehrenamtlich arbeiten, leben nicht in super guten finanziellen Verhältnissen und machen das, weil sie daran glauben, dass unser Ziel wichtig ist.
Annabell: Die Menschen, die selbst solche Angebote genutzt haben, setzen sich bei uns dafür ein, diese Angebote zu schaffen. Das zeigt, wie dringend notwendig sie gebraucht werden.
Kurzkommentar der Autorin
Ein Armutszeugnis für den Staat
Es ist beeindruckend, was Projekte wie das Internationale Zentrum für Demokratie und Aktion (IZDA) in Chemnitz leisten. Doch gleichzeitig ist es ein Armutszeugnis für den Staat, dass solche Initiativen die Inklusionsarbeit übernehmen müssen, die eigentlich Aufgabe der staatlichen Institutionen wäre. Statt dass der Staat seiner Verantwortung nachkommt und flächendeckend effektive Integrations- und Unterstützungsprogramme anbietet, müssen ehrenamtliche Projekte wie IZDA die Lücken füllen. Es ist beschämend, dass Menschen, die oft selbst in prekären finanziellen Verhältnissen leben, ehrenamtlich jene Arbeit leisten müssen, die von gut finanzierten staatlichen Stellen erledigt werden sollte.
Die Realität ist, dass staatliche Angebote unzureichend sind, geprägt von hohen Hürden und Sprachbarrieren. Währenddessen scheinen die zuständigen Behörden – wie immer – lieber in Bürokratie zu versinken, als tatsächlich mal zu handeln. Es ist frustrierend zu sehen, wie die Verantwortung auf die Schultern derjenigen abgewälzt wird, die ohnehin schon benachteiligt sind.
Statt sich mit temporären Projekten und symbolischen Aktionen zu schmücken, sollte der Staat endlich langfristig und nachhaltig in die Inklusion und Unterstützung von Menschen mit Migrationshintergrund investieren – oder damit überhaupt erstmal wirklich anfangen. IZDA und ähnliche Projekte sollten nicht die Rettungsanker in einem Meer der Vernachlässigung sein, sondern Ergänzungen zu einem umfassenden staatlichen Angebot von Hilfs- und Integrationsmaßnahmen.
Die Politik muss endlich aufwachen und erkennen, dass es nicht ausreicht, Lippenbekenntnisse abzugeben. Es braucht umfangreichere, gut finanzierte und durchdachte Maßnahmen, um eine gerechtere und inklusivere Gesellschaft zu schaffen. Nur so können wir verhindern, dass die Verantwortung weiterhin auf ehrenamtliche Projekte abgewälzt wird, die sich aus der Not heraus bilden und letztlich den Job des Staates machen.
Text: Paula Schwendel, Titelbild: Amin Noura, Bilder: IZDA, Amin Noura