In der queeren Community herrscht nach außen scheinbar ein allgemeiner Konsens über die kollektive Marschrichtung, hin zum Ziel einer vollkommen toleranten Gesellschaft. Doch im folgenden Interview gewährt uns ein Transmann, der sich entschieden hat, stealth zu leben – also nach außen hin nicht als Transgender erkennbar zu sein – intime Einblicke in sein Leben und seine ganz eigene Sicht auf aktuelle Entwicklungen. Seine Perspektiven liegen dabei teilweise sicher abseits des Mainstreams und könnten innerhalb der Bewegung, die eigentlich auch für seine Rechte kämpft, als äußerst kontrovers empfunden werden.
Alex* lebt mit seinen 30 Jahren schon rund ein Drittel seines Lebens als Transmann, davon seit über einem Jahrzehnt stealth. Also ohne dass sein tägliches Umfeld von seiner Situation weiß. Nachfolgend verrät er uns, wie er mit diesem Geheimnis lebt und wie er die aktuellen Entwicklungen in der queeren Community wahrnimmt.
Wie würdest du jemandem deine Transsexualität erklären?
Das Schwierige an der Transsexualität ist halt, dass man sie als Außenstehender sicher nicht ganz einfach nachvollziehen kann. Wie soll man denn auch jemandem erklären, dass man einfach spürt, mit dem falschen Geschlecht geboren worden zu sein? Das ist so abstrakt, da kann sich sicher kaum jemand Drittes wirklich hineinversetzen. Deswegen nutze ich an der Stelle immer gern ein Gedankenexperiment: Denkst du, wenn man dein Gehirn als Säugling in einen gegengeschlechtlichen Babykörper transferiert hätte, dass du dann einfach in diesem Geschlecht aufgewachsen wärst, ohne je das Gefühl zu haben, dass da irgendwas nicht passt?
Bisher weiß man ja leider nicht genau, wie Transsexualität entsteht. Aber ich persönlich denke schon, dass unser Geschlecht noch im Mutterleib im Hirn angelegt wird, und ich finde die Erklärung relativ greifbar, zu sagen, dass man einfach mit einem männlichen Gehirn in einem weiblichen Körper geboren wurde. Ich meine, die Entstehung neuen Lebens ist so komplex, und dabei kann, wie wir ja wissen, so viel schiefgehen, dass es definitiv gut vorstellbar ist, dass es zum Beispiel durch ein hormonelles Ungleichgewicht zu dieser Diskrepanz zwischen Kopf und Körper kommt.
Wer natürlich gern daran festhalten möchte, dass es sich schlichtweg um eine psychische Störung handelt, der kann das natürlich auch gern glauben. Ich kann von meiner Seite aus nur sagen, dass ich ohne nennenswerte Traumata aufgewachsen bin, immer familiären Rückhalt hatte, sozial super integriert war und nie wirkliche Mobbingerfahrungen sammeln musste. Ich wusste trotzdem schon im Kindergarten, dass ich ein Junge bin und habe mich nach außen hin seit jeher so gegeben. Was auch immer der Grund für meine Situation ist, er besteht wohl definitiv schon seit frühester Kindheit und wäre sicherlich psychotherapeutisch nie behebbar gewesen.
Warum hast du dich entschieden, stealth zu leben?
Das war eigentlich gar keine Entscheidung, das hat sich einfach so ergeben. Ich bin während meiner Transition aus beruflichen Gründen ein paar Mal umgezogen und nachdem meine Personenstandsänderung offiziell durch war und ich alle Papiere geändert hatte, habe ich einfach mein Leben als normaler Mann gelebt und keinen Grund gesehen, mein Umfeld darüber zu informieren. Warum auch? Mich hat ja keiner danach gefragt.
Empfindest du deine Situation als Geheimnis?
Naja, manchmal irgendwie schon. Aber mittlerweile fühlt es sich eigentlich ganz normal an, dass die meisten Leute um mich herum das nicht wissen. Irgendwie ist es in meinem Kopf auch kein so großes Ding. Ich meine, ich weiß ja auch nicht die Schwanzgröße von meinen Kumpels. Zumindest nicht von allen. Aber ob es nun zehn, 15 oder 20 Zentimeter sind – beziehungsweise in meinem Fall null – für unser Beisammensein spielt das ja keine Rolle. Außerdem habe ich im Laufe der Zeit festgestellt, dass die ganze Sache in meinem Kopf auch weniger präsent ist, wenn ich von Leuten umgeben bin, die nichts davon wissen, und das empfinde ich als sehr angenehm. Da vergisst man häufig sogar, dass man in der Lebenslotterie ja schon irgendwie eher eine Niete gezogen hat.
Leidest du sehr unter deiner Transsexualität?
Nein, nicht wirklich. Das war aber natürlich ein langer Weg und ohne die Möglichkeiten der heutigen Medizin wäre es schon wirklich schlimm. Ich hatte zwar trotz allem eine schöne Kindheit und Jugend, aber ich kann mich beispielsweise auch noch an eine Situation erinnern, als ich ein paar Jahre vor meiner Brust-OP in meinem Zimmer einfach heulend zusammengebrochen bin. Ich war verabredet und habe aber absolut kein gutes Outfit gefunden, das meine Brüste ausreichend gut verdeckt hat und in dem ich mich als der Mann gefühlt hätte, der ich im Inneren nun mal bin. In solchen Momenten hadert man dann schon stark mit seinem Schicksal und fragt sich, warum einen sowas treffen musste. Wie viel einfacher das Leben doch wäre, wenn man, so wie die allermeisten, einfach im richtigen Geschlecht geboren worden wäre.
So ganz schlimme Momente gab es aber eher selten. Im Nachhinein betrachtet, hatte ich einfach unwahrscheinliches Glück, einen relativ großen und wirklich sehr stabilen Freundeskreis gehabt zu haben. Da hat das Geschlecht nie eine Rolle gespielt. Bei uns ging es einfach um Zusammenhalt, darum, einander zu unterstützen und gemeinsam eine gute Zeit zu verbringen. Damals war das für mich total selbstverständlich und in meinem Kopf hatte eigentlich jeder solche Freunde. Erst viel später habe ich verstanden, wie selten sowas eigentlich ist. Aber genau dadurch hatte ich wahrscheinlich nie das Gefühl, dass mit mir etwas nicht stimmt. Ich hatte das große Privileg, von Kindesbeinen an gespiegelt zu bekommen, dass ich vollkommen okay bin, so wie ich bin. Zumindest von den Menschen, die mir wichtig waren. Dieser Umstand ist sicherlich auch maßgeblich dafür verantwortlich, dass ich die Stärke entwickelt habe, so souverän mit meiner Situation umzugehen, wie ich es heute tue.
Warum hast du dich bisher gegen eine geschlechtsangleichende Operation entschieden?
Ich bin ehrlich gesagt von den Ergebnissen, die aktuell erzielt werden können, einfach nicht überzeugt. Ich war schon in verschiedenen Kliniken und habe mir die Post-OP-Bilder angeschaut, und offen gesagt, sehen die Dinger für mich einfach wie unförmige Bockwürste aus. Und wenn man die Entnahmestelle am Unterarm nicht ausreichend mittels Laser enthaart hat, dann hast du nachher auch noch Pelz auf der Nudel. Zusätzlich muss man bedenken, dass einem der Arm wirklich weit herunter geschält wird, inklusive einer der beiden Arterien im Unterarm. Um das Loch dann zumindest oberflächlich wieder mit Haut zu überdecken, wird ein entsprechend großes Stück aus der Leistengegend entnommen. Dann braucht man künstliche Schwellkörper und eine entsprechende Pumpe unter der Bauchdecke, um eine Erektion bekommen zu können. Allerdings hat man dann natürlich trotzdem kein erotisches Empfinden in der Lunte und die Orgasmusfähigkeit, sofern sie erhalten bleibt, kommt von der alten Klitoris, die dann im Penisansatz sitzt. Wie verlockend klingt das?
Inwieweit bist du dadurch in deiner Sexualität eingeschränkt?
Ich habe ja nicht den direkten Vergleich, deswegen ist das etwas schwierig zu beantworten. Ich kann auf jeden Fall sagen, dass ich dadurch mein erstes Mal erst relativ spät, mit 19 Jahren, hatte. Das lag allerdings weniger am Unwillen der Damen als mehr an meiner eigenen Verkrampftheit. Ich glaube auch, dass ich den Sex erst seit meiner Brust-OP mit Anfang 20 richtig genießen kann. Wobei genießen in meinem Fall physisch eher relativ ist, weil ich es tatsächlich bis heute nicht sonderlich anturnend finde, von meinen Partnerinnen am Genital berührt zu werden. Die Erotik entsteht bei mir eher im Kopf, ich genieße einfach das Gefühl der Nähe und des Hautkontakts am restlichen Körper. Der ganze Bewegungsablauf der Penetration und das Gefühl, meine Partnerin zu befriedigen, gibt mir wiederum eine wahnsinnige Befriedigung im Kopf. Ich denke, ich nehme den ganzen Akt des Beischlafs dadurch ganz anders wahr.
Ob das nun besser oder schlechter ist als Cis-Hetero-Sex, das kann ich nicht beurteilen. Aber ich habe mich damit abgefunden, dass ich es in diesem Leben auch nicht mehr erfahren werde und bin sehr erfüllt und zufrieden mit meiner individuellen Art der Sexualität. Für meine Partnerinnen läuft der Sex dadurch aber eigentlich total heteronormativ ab, was die ganze Angelegenheit gerade beim ersten Mal mit einer neuen Partnerin ziemlich entspannt macht. Die Mädels merken dann ganz schnell, dass es mit mir tatsächlich genauso läuft, wie sie es bisher kannten. Nur dass mein Penis halt ein extra für Transmänner entwickeltes Toy ist, das aus verschiedenen Lagen Silikon besteht, um optisch sowie haptisch ziemlich nah ans Original heranzukommen. Ich würde ihn zwar natürlich jederzeit gegen einen Echten eintauschen, aber immerhin kann das so ja auch seine Vorteile haben.
Von welchen Vorteilen sprichst du genau?
Was natürlich auf der Hand liegt, ist das Thema mit der Ausdauer. Frühzeitige Abbrüche sind bei mir einfach komplett ausgeschlossen. Die Nummer geht also im Zweifelsfall so lange, bis ich vor allgemeiner physischer Erschöpfung zusammenbreche. Aber da ich Ausdauersportler bin, naja… grinst
Außerdem sind ungeplante Schwangerschaften kein Thema. Zugegebenermaßen natürlich auch keine geplanten, aber Kinder kann man ja bei entsprechendem Wunsch auch auf anderem Wege bekommen. Zu guter Letzt wäre auch die Ansteckung mit Geschlechtskrankheiten nur beim Oralsex möglich und da ist die Wahrscheinlichkeit ja schon wirklich sehr gering.
Bist du trotzdem auf diesem Feld schon mal auf Ablehnung gestoßen?
Nein, tatsächlich noch gar nicht und bisher ist mir glücklicherweise auch noch nie eine Dame panisch aus dem Schlafzimmer geflohen. Ich denke aber, dass da meine Auswahl auch eine große Rolle spielt. Ich habe halt keine One-Night-Stands und kommuniziere das Ganze auch im Dating-Prozess erst relativ spät. So hat mein Gegenüber die Chance, mich einfach als Person richtig kennenzulernen, und ich schaue mir natürlich auch ganz genau an, ob da eine vor mir steht, bei der ich dahingehend ein wirklich gutes Gefühl habe. Und bisher hat mich da meine Menschenkenntnis offensichtlich noch nie im Stich gelassen. Aber potenzielle neue Partnerinnen bergen tatsächlich das höchste Gefahrenpotenzial in Bezug auf die Wahrung meiner Privatsphäre. Man kennt sich ja trotzdem noch nicht wirklich lange bis zu dem Zeitpunkt, an dem ich mich offenbaren muss, und wenn ich mich in meinem Gegenüber doch getäuscht hätte, könnte sie ja grundsätzlich auch einfach mit meinem Bild draußen herumlaufen und allen in ihrem Umfeld erzählen, was bei mir Phase ist.
Siehst du dich eigentlich trotz stealth als Teil der Community?
Nein, eigentlich überhaupt nicht. Aber nicht durch meine Lebensweise, sondern eher aus persönlicher Überzeugung. Ich finde die Community ehrlich gesagt einfach zu aufdringlich. Zusätzlich ist sie leider mittlerweile ein Tummelplatz für eine ganze Reihe teilweise schon ziemlich zweifelhafter Gestalten geworden. Und alle feiern sich dafür, wie besonders sie sind, und der Rest der Welt soll doch bitte einfach mal seine konservative Einstellung ändern und jede noch so abwegige Meinung akzeptieren. Dabei habe ich den Eindruck, dass die Toleranz für Transmenschen in der Gesellschaft vor 10 Jahren noch deutlich besser war als heute. Der Anteil der Transgender ist ja eigentlich wahnsinnig gering und viele Leute haben das Thema früher halt mal am Rande mitbekommen, in Dokus oder Ähnlichem, und waren einfach fine damit, ohne sich nachhaltig einen Kopf darüberzumachen, warum auch?
Mittlerweile stehen aber gerade die schrillen und lauten Mitglieder der Community so in der Öffentlichkeit, dass man doch schon relativ häufig damit konfrontiert wird. Und spätestens seit der Genderdebatte werden Menschen ja letztlich gezwungen, sich damit auseinanderzusetzen. Seit wann erreicht man denn mit Zwang eine positive Reaktion bei seinem Gegenüber? Ich meine, keiner hat was gegen Mormonen, bis sie ungefragt vor der Tür stehen und einem ihre Religion näherbringen wollen, oder? Das gleiche Schema sehe ich hier mittlerweile auch. Nur eben noch viel schlimmer. Außerdem verstehe ich nicht, warum man nicht einfach damit zufrieden ist, dass man herumlaufen kann, wie man will und die Kosten für medizinische Hilfen übernommen werden. Hier in Deutschland muss man sich im Normalfall auch keine Sorgen um die eigene körperliche Unversehrtheit machen . Warum muss mich denn alle Welt jetzt auch noch nach meinen neu ausgedachten Pronomen fragen? Warum muss man öffentlich feiern, wie vermeintlich anders man ist? Und warum sollen das dann auch noch alle anderen geil finden?
Die Gesellschaft hat doch schon lange akzeptiert, dass es Transgender und andere queere Menschen gibt. Sollte denn das nächste Ziel nicht sein, dass wir allen zeigen, dass wir gar nicht so verschieden sind? Dass wir als gesamte Gesellschaft einfach eine große Gemeinschaft sind, in der es egal ist, wen wir lieben, unter was für Umständen wir geboren wurden oder welche Lebenswege wir beschreiten. Wir sind alle individuell, wir sind alle einzigartig. Es gibt niemanden, der genau die gleiche Lebensgeschichte erlebt wie ein anderer. Deswegen sehe ich in weiten Teilen der aktiven queeren Community ehrlich gesagt nur Selbstdarsteller mit einem ganz großen Selbstwertproblem, die krampfhaft versuchen, sich als einer von über acht Milliarden Menschen irgendwie doch noch ein Stückchen besonderer zu präsentieren als alle anderen. Und weil sich einfach schon lange Niemand mehr dafür interessiert, wenn man einfach nur queer vor sich hinlebt, muss man jetzt dazu übergehen, aktiv Sonderbehandlungen zu verlangen. Damit auch ja keiner übersieht, dass man auch noch da ist und man die verdiente Aufmerksamkeit bekommt.
Du scheinst also selbst kein Fan von Gendern zu sein?
Ich persönlich kann gut darauf verzichten und verstehe auch nicht so richtig, warum über 90 Prozent der Bevölkerung für die deutlich weniger queeren Menschen ihren alltäglichen Sprachgebrauch ändern und ihren Wortschatz um absolut unsinnige Pronomen erweitern sollen. Das nervt mich allein schon und ich bin eigentlich wirklich absolut offen und tolerant gegenüber konträren Meinungen. Aber anderen etwas aufzuzwingen und sie als rückständig oder intolerant abzustempeln, wenn sie da keine Lust drauf haben, ist schon sehr kleingeistig und zeugt letztlich auch nicht von eigener Toleranz. Traurigerweise haben wahrscheinlich genau solche Vorgehensweisen nachher ein großes Potenzial, Menschen die eigentlich sehr weit weg vom rechten Spektrum sind, der guten alten AfD in die Fänge zu treiben. Und das ist doch eigentlich mehr als fatal!
Abgesehen davon denke ich aber auch, dass wenn du dich schon ausgeschlossen fühlst, nur weil jemand kein Gendersternchen verwendet oder eine Gruppe verbal im generischen Maskulinum adressiert, dann hast du, wie schon gesagt, wahrscheinlich einfach ganz große Probleme mit dir und deinem Selbstwert. In diesem Fall wird aber kein externer Zuspruch dieser Welt das Loch in deinem Inneren füllen, das kannst nur du allein. Natürlich ist es aber erst mal leichter, allen anderen den schwarzen Peter zuzuschieben, als sich mal hinzusetzen und in seinem eigenen emotionalen Dreck zu wühlen. Aber ich verspreche jedem, der sich diesem langen und wirklich harten Prozess stellt, hinterher ist es dir egal, wie jemand anderes dich anspricht oder über dich denkt und redet. Und ich spreche da aus eigener Erfahrung.
Trans sein wird von vielen Leuten ja mittlerweile eher als Trend wahrgenommen. Siehst du das auch so?
Ich weiß, dass man sich mit dieser Aussage momentan nicht unbedingt beliebt macht, aber ja, ich persönlich denke schon. Geh mal mit offenen Augen durch die Welt, da wirst du wahrscheinlich selbst feststellen, dass zum einen die Zahl der psychischen Erkrankungen wie Depressionen immer weiter ansteigt und zum anderen, dass viele Menschen in unserer Gesellschaft einfach einsam sind. Die digitale Welt vernetzt uns zwar eigentlich, aber dafür unternimmt man oft viel weniger im echten Leben als früher. Ich kenne Leute, die ihre sozialen Kontakte auf der ganzen Welt haben, aber ausschließlich über das Internet und dafür keinen einzigen Freund vor Ort.
Das heißt, es geht trotz des materiellen Überflusses vielen von uns einfach emotional und mental nicht gut und gerade in der Pubertät und im jungen Erwachsenenalter kommt sicher auch bei vielen eine gewisse Verunsicherung in Bezug auf den eigenen Körper dazu. Ich meine, wenn du andere Penisse immer nur in Pornos siehst, dann verlierst du sicher schnell mal das Verhältnis zu dem, was der Durchschnittsdeutsche so in der Hose hat und fühlst dich selbst vielleicht plötzlich völlig unzureichend. Oder wenn dir Instagram und TikTok als Mädchen vermitteln, dass du total auf Makeup und Markenklamotten in Magermaßen steil gehen solltest und du das aber einfach so gar nicht verkörperst beziehungsweise auch nicht verkörpern möchtest, fängst du vielleicht an zu denken, dass da wohl etwas nicht mit dir stimmt. Und die LGBTQIA+ Community ist doch ihren Mitgliedern gegenüber erstmal ein super herzlicher Haufen und nimmt so ziemlich jeden auf, wenn du nicht gerade Kinder oder Tiere schändest. Da hast du dann plötzlich Freunde, Rückhalt und Bestätigung. Der Preis dafür ist dann aber eben der Verzicht auf kritisches Hinterfragen. Und letztlich ist dein Problem damit trotzdem nicht gelöst. Damit wären wir dann wieder beim Thema von vorhin. Du bist letztlich nicht im falschen Geschlecht geboren, sondern hast einfach Probleme, dich in dieser immer komplizierteren Welt zurechtzufinden. Das ist auch absolut nachvollziehbar und damit struggeln wirklich wahnsinnig viele Leute. Nur das Problem ist, dass du höchstwahrscheinlich irgendwann wieder klarkommst und anfängst ein CIS-Gender-Leben zu führen. Aber das Bild von wirklichen Transsexuellen in der Gesellschaft hast du mit deinem mehr oder weniger kurzen Abstecher einfach nachhaltig gestört. Im schlimmsten Fall wirfst du dich hinterher noch vor die nächstbeste Linse und gibst ein super emotionales Interview darüber, wie du detransitioniert bist und wie schrecklich das alles für dich war. Dass die bösen Ärzte dich falsch diagnostiziert haben und dir diese verrückte Community ganz crazy Zeug eingeredet hat.
Hast du eine Idee, wie man die Toleranz wieder verbessern könnte?
Zum einen finde ich es immer erfolgversprechender, wenn einem Leute ihre Sichtweise erklären, die man selbst für zurechnungsfähig hält. Und egal wie ich mich optisch präsentiere, da habe ich schon allein durch mein Auftreten, meine Diskussionskultur und mein genutztes Vokabular einen riesigen Einfluss drauf. Zum anderen muss man da natürlich auch das Ziel erst nochmal klar definieren. Wenn ich mich richtig erinnere, übersetzt sich „tolerare“ aus dem Lateinischen heraus als „ertragen/erdulden“. Das Ziel der Toleranz ist nicht, dass mich irgendjemand dafür feiert, dass ich trans bin oder seine Sprache für mich ändert. Es sollte in meinen Augen darum gehen, dass man sein Leben selbstbestimmt leben darf und seine Meinung frei vertreten kann, ohne um seine Sicherheit fürchten zu müssen. Für Transmänner würde ich also eigentlich schon fast einen Haken dran setzen. Transfrauen haben es da leider sicherlich deutlich schwerer und es wird wohl auch noch eine ganze Weile dauern, bis es in den Köpfen von allen cis-hetero Männern angekommen ist, dass sie sich von Transfrauen nicht in ihrer Sexualität oder ihrer oft fragilen Männlichkeit angegriffen fühlen müssen. Auch da müsste einfach noch ganz viel persönliche Entwicklungsarbeit geleistet werden. Dann würde man nämlich gar nicht erst auf die komische Idee kommen, aus Angst davor, für schwul gehalten zu werden, lautstark gegen Transfrauen zu wettern oder Schlimmeres.
Außerdem sollte man in meinen Augen auch endlich wieder aufhören, mit dieser „Wenn ich dir sage, dass ich dieses und jenes bin, dann hast du das zu akzeptieren“ Attitüde durch die Gegend zu laufen. Wenn mich jemand nicht versteht oder anderer Meinung ist, dann liegt das ja nicht immer daran, dass mein Gegenüber ein intolerantes Arschloch ist. Vielleicht erkläre ich ihm meine Situation auch einfach schlecht oder bin vielleicht auch tatsächlich selbst mal im Unrecht. Deswegen sollten wir uns wahrscheinlich eher um bessere Erklärungen bemühen und sachlich und empathisch auf kritische Stimmen eingehen. Das passiert dann halt trotzdem nicht alles von heute auf morgen, aber solche Prozesse brauchen nun mal einfach Zeit, das ist ganz natürlich.
Was sind deine Wünsche für die Zukunft?
Auf persönlicher Ebene würde ich sagen, dass ich morgen früh mit einem 20 Zentimeter langen Fleischpenis zwischen meinen Beinen aufwache, der mir über Nacht spontan gewachsen ist.
Gesamtgesellschaftlich fände ich es wiederum schön, wenn wir einfach alle mal wieder anfangen würden, uns dem eigenständigen Denken hinzugeben. Bedingungslos tolerant zu sein, ist momentan in bestimmten Kreisen einfach extrem en vogue. Man sollte sich aber vielleicht trotzdem manchmal überlegen, ob man vor lauter Herdenzwang nicht vergessen hat, hin und wieder mal für sich selbst zu überprüfen, ob das, was man so verbissen unterstützt, eigentlich wirklich noch eine sinnstiftende Angelegenheit ist oder ob da mittlerweile nicht einfach weit über das Ziel hinausgeschossen wird. Ein guter Indikator ist für mich immer die Kritikfähigkeit innerhalb eines Systems. Und dass man aktuell kaum laut aussprechen darf, dass man nicht für das Gendern ist oder hinterfragen darf, ob eine offensichtlich biologisch männliche Person in schrillen Kleidern und mit buntem Make-up wirklich eine Transfrau ist. Oder ob diese Person nicht vielleicht doch anderweitig an einer psychischen Erkrankung leidet beziehungsweise vielleicht einfach gern polarisiert und Aufmerksamkeit auf sich zieht, woran ja auch nichts Verwerfliches wäre. Das gibt mir schon zu denken. Und versteh mich bitte nicht falsch. JA, Transfrauen sind Frauen, ohne jede Frage. Nur nicht alles, was sich als Transfrau bezeichnet, ist eben auch eine. Und ich möchte behaupten, dass alle, die wirklich an und vor allem auch unter einer Genderdysphorie leiden, wenig Bock haben, sich selbst für ihre Einzigartigkeit feiern zu lassen. Die wünschen sich nämlich schlichtweg, dass es nicht so wäre. Das ist für mich der absolute Kern des Trans-Seins.
*Name geändert
Text, Titelbild: Antonio Friese da Silva