Sissy ist 20 Jahre alt und hat nach der Schule eine wichtige Entscheidung für sich getroffen: Eine Reise antreten. Sieben Monate fuhr sie in einem Ford Galaxy mit ihrer Freundin durch Südeuropa. Über Pannen, schöne Erlebnisse, nützliche Tipps und persönliche Veränderungen spricht sie mit medienMITTWEIDA.
Wie seid ihr auf die Idee gekommen, die Reise anzugehen?
Es war schon immer ein Traum von mir, ein Abenteuer zu erleben. Ich habe aber nie eine genaue Vorstellung davon gehabt. Auf Instagram und Co. hat man auch immer viel Input bekommen von Leuten, die reisen und ich fand das schon immer richtig cool. Aber wirklich diese realistische Vorstellung, reisen zu gehen, hatte ich so nie im Kopf. Nach der Schule habe ich mich das gar nicht getraut. Für mich war so etwas überhaupt nicht realistisch oder greifbar. Erst ein Jahr später hat sich das random in einem Telefonat mit Michelle ergeben. Da haben wir dann gesagt: „Ja, lass das machen!“ In diesem Jahr habe ich ein FSJ an einer Grundschule gemacht und dort eben auch viele Sachen gelernt, die dazu beigetragen haben, dass ich mich dann dafür entschieden habe. Ich habe mehr Mut bekommen und hatte keine Angst mehr vor der Idee, zu reisen. Die Entscheidung hing aber auch ein Stück weit damit zusammen, dass ich überhaupt nicht wusste, welches Studium oder welche Ausbildung ich machen wollte.
Wie wurde die Entscheidung von deinem Umfeld aufgenommen? Wie haben deine Freunde oder deine Familie reagiert?
In meinem Freundeskreis waren alle sehr supportive, die Idee fand eigentlich jeder gut und ich wurde darin bestärkt. Bei manchen war natürlich auch ein bisschen Trauer dabei, weil ein halbes Jahr ja schon lang ist und man sich nicht sieht. Ich glaube, meine Eltern dachten am Anfang nicht wirklich, dass ich es ernst meine und es wirklich durchziehe. Mit der Zeit haben sie dann aber doch gemerkt, dass das wirklich eine große Entscheidung für mich ist und dass ich das wirklich machen will. Dann haben sie mich sehr viel unterstützt und mir bei Vorbereitungen und Organisation geholfen, was ich auch sehr wertschätze. Auch meine Oma fand das gut, weil sie selber auch immer die Welt bereist hat.
Wie habt ihr die Reise vorbereitet und geplant?
Organisation ist auf jeden Fall ein wichtiges Thema. Uns war wichtig, unabhängig von irgendwelchen Unterkünften reisen zu können, weshalb wir gerne ein Auto haben wollten, um darin zu schlafen. Mein Dad hat uns dann unser altes Familienauto für die Reise überlassen, das sowieso schon alt war und nicht mehr wirklich gebraucht wurde. Das war eine sehr große finanzielle Erleichterung, sonst hätten wir bis zu 10 000 Euro noch für ein Auto draufsetzen müssen. Wir hatten einen Ford Galaxy, also schon ein recht großes Auto, in dem wir, wie gesagt, schlafen wollten. Gelegentlich hatten wir natürlich trotzdem vor, uns eine Unterkunft zu suchen, zum Beispiel bei „Workway“. Darüber kann man Kontakte knüpfen und privat bei Leuten unterkommen und im Gegenzug bei ihnen aushelfen, beim Ernten, Kinder beaufsichtigen und dergleichen. Unser Auto hatten wir mit einem Gepäckträger ausgestattet und schlafen wollten wir auf einer Automatratze. Unsere Sachen haben wir immer in großen Plastikkisten verstaut. Es hat viel Organisationstalent gebraucht, das Auto einzurichten, und es hat auch einige Zeit gedauert, bis wir wussten, was am besten wo hinkommt. Am Ende war das aber machbar und unkompliziert. Für die Länder, die wir bereisen wollten, hatten wir erstmal nur den groben Plan: Italien, Spanien und Portugal. Vieles haben wir dann vor Ort ein paar Tage vorher organisiert. Für die gesamte Planung haben wir schon einige Monate gebraucht.
Wie war die Schlafsituation am Ende?
Wenn wir in Großstädte wie zum Beispiel Rom oder Neapel gereist sind, haben wir meistens außerhalb geparkt und sind dann mit dem Zug reingefahren. Wir haben dann nachts immer im Auto übernachtet. Ich glaube, nur zwei Mal haben wir bei Leuten über Couchsurfing geschlafen. Da muss man aber auch manchmal etwas vorsichtig sein und aufpassen, auf wen man da trifft. An sich ist das aber trotzdem praktisch, weil es eben auch kostenlos ist. Ansonsten haben wir auch so einfach sehr viel im Auto geschlafen, aber durch Workaway auch längere Zeit bei Leuten gewohnt oder auch im Zelt übernachtet.
Wie habt ihr euch die Reise finanziert?
Ich spreche einfach mal von mir. Ich habe das durch Angespartes finanziert. Das Geld, das ich bei meinem FSJ bekommen habe, was zwar auch nur ein Taschengeld war, habe ich gespart. Und ich hatte einen Nebenjob als Barfrau.
Was sind Probleme oder Schwierigkeiten, die aufgetreten sind, vielleicht im Hinblick auf das Auto?
Gerade am Anfang der Reise ist ziemlich viel schief gelaufen mit dem Auto. Direkt am ersten Tag haben Leute versucht, in unser Auto einzubrechen, haben unseren Gepäckträger kaputt gemacht und das Schlüsselloch mit einer Messerspitze komplett verbogen. Das Auto war zerkratzt und wir sind so zurück von Venedig gekommen und dachten uns: „Das kann nicht sein”. Zwei Tage später hatten wir einen geplatzten Reifen. Irgendwie ging es dann aber. Mit der Zeit gab es immer wieder Probleme und dann kam die Motorkontrollleuchte wieder und wieder, der Katalysator und die Lambdasonde waren kaputt. Und das Öl, das Auto verbraucht wahnsinnig viel Öl. Wir waren echt oft in der Werkstatt und haben ganz schön viele Reparaturkosten für das Auto dagelassen. Aber ansonsten hatten wir viel Glück und recht wenig andere Krisen. Einmal hatten wir einen kleinen Katastrophentag – da ist wirklich alles schief gegangen. Wir mussten unseren Gepäckträger wegschmeißen und alles im Auto war nass und wir mussten, weil etwas undicht war, das Regenwasser mit Schüsseln auffangen. Das war ziemlich chaotisch. Ansonsten haben wir aber während der Reise gelernt, dass man aus fast jeder Situation wieder herauskommt. Es gibt viele gute Menschen, die einem helfen und irgendwie geht es meistens weiter.
Ihr habt auf engstem Raum gelebt und durchgehend Zeit miteinander verbracht. Wurde es da auch mal schwierig?
Also das Ding bei Michelle und mir ist, wir kennen uns seit 20 Jahren, also kennen wir uns schon sehr gut. Aber durch die Reise haben wir uns noch viel intensiver kennengelernt. Wenn man natürlich 24/7 aufeinander hängt, ist man manchmal auch genervt, aber wir hatten nie wirklich große Konflikte oder haben uns gestritten. Vor der Reise haben wir uns vorgenommen, viel gemeinsam zu reflektieren und das haben wir dann auch durchgezogen. Bis zum Ende hatten wir eine sehr direkte und offene Kommunikation, wodurch es nie zu Eskalationen gekommen ist. Unsere Freundschaft ist auf jeden Fall gestärkt worden.
Habt ihr durch diese Erfahrungen auch die Kulturen der verschiedenen Länder kennengelernt?
In Italien haben wir viel von der Kultur kennengelernt. Wir haben auch ausschließlich italienische Menschen getroffen und so sehr viel über das Land erfahren. In Spanien und Portugal haben wir weniger Einheimische getroffen und uns eher in einer „Reise-Bubble“ bewegt. In den Communitys waren auch meistens viele Deutsche. Gerade in Portugal sind sehr viele Deutsche, was einerseits sehr schön war, weil es keine Sprachbarrieren gab. Andererseits haben wir so weniger erfahren, was in dem Land abgeht.
Was waren eure Workaway-Erfahrungen?
Wir hatten damit in jedem Land eine Erfahrung. In Italien waren wir bei einem, schon recht netten Typen, den wir aber vorzeitig verlassen haben, weil das Zusammenleben einfach nicht gepasst hat. Das war auch die beste Entscheidung, weil wir danach richtig tolle Leute kennengelernt haben und dann bei ihnen gewohnt und ausgeholfen haben. In Spanien haben wir über einen Monat bei jemandem gewohnt, der mitten in den Bergen gelebt hat. Dort haben wir bei der Olivenernte geholfen. Das hat sehr viel Spaß gemacht, weil da auch noch viele andere Leute waren, mit denen wir uns gut verstanden haben. Das war ein schönes Community-Feeling, wie so eine kleine zweite Familie. Es war eine mega schöne Zeit. Wir waren wandern und sehr viel schwimmen. In Portugal haben wir dann im Norden in einer Community gelebt, die sich noch im Aufbau befand. Dort haben wir Holz gehackt und Regale gebaut. Durch ganz viele praktische Zufälle haben wir dann jemanden kennengelernt, der uns in eine Community eingeladen hat, die in einem kleinen Tal war. Wir haben da fast zwei Monate gelebt und das war richtig schön. Dort wurde das Land gerade bebaut und wir haben beim Vorbereiten von Gebäuden geholfen oder auch Bäume gefällt. Da wir im Zelt geschlafen haben, waren wir auch den ganzen Tag draußen. Das war super besonders. Man ist früh einfach aufgestanden, hat sich seine Orange vom Baum gepflückt und sich einen Orangensaft gepresst. Man ist so richtig aus diesem normalen Alltagsleben herausgekommen und hat alles in der Natur gemacht. Ich war auch oft im Fluss Baden. Ich habe mich einfach unglaublich frei gefühlt.
Was waren denn so die schönsten Erlebnisse auf deiner Reise?
Ich muss sagen: Im Großen und Ganzen waren die Erlebnisse mit Menschen immer am schönsten. Abgesehen von dieser Community, wo ich auch so viel gelernt habe, ist mir eine Situation sehr in Erinnerung geblieben. Wir haben in Alicante in Spanien auf einem Parkplatz geparkt und uns mit einem obdachlosen Deutschen angefreundet. Er ist durch einen Unfall arbeitslos geworden und ist ein wahnsinnig inspirierender Mensch, mit so viel Lebensfreude und so viel Wissen. Wir haben es geliebt, mit ihm Zeit zu verbringen und haben ihn auch nochmal auf dem Rückweg besucht. Allgemein hat man immer neue Menschen kennengelernt und gemerkt, dass Menschen eigentlich gut sind. Man hat ja oft das Gefühl, dass es so viele böse Menschen gibt und natürlich sollte man nie naiv durch die Welt gehen. Aber die meisten Menschen, die man trifft, sind wirklich gut und können dir irgendwas mitgeben. Das waren einfach tolle Erfahrungen. Und natürlich gab es auch den ein oder anderen Bilderbuch-Moment, wo ich wirklich tolle Ausblicke gesehen habe und mir dachte: „Wow, das sehe ich wirklich mit meinen eigenen Augen.” Solche Momente waren natürlich auch magisch.
Hattet ihr auch gefährliche Erfahrungen aufgrund eures Geschlechtes und denkst du, dass solche Reisen tendenziell für Frauen gefährlicher sind?
Wir sind schon ab und zu komischen Männern begegnet, sage ich jetzt mal. Wir haben dann aber immer ein komisches Bauchgefühl gehabt und sind aus der Situation herausgegangen. Generell entwickelt man ein gutes Gespür und eine Intuition für solche Sachen. Ich glaube schon, dass als Frau das Risiko höher ist, gerade wenn man alleine reist. Andererseits haben wir auch viele reisende Frauen kennengelernt, die uns erklärt haben, immer auf das Bauchgefühl zu hören. Ich glaube jedoch auch, dass es Vorteile haben kann, als Frau zu reisen. Viele sind viel offener, dir zu helfen oder etwas anzubieten, aber natürlich sollte man nie naiv sein und immer die Situation abwägen.
Was hat die Reise mit dir persönlich gemacht, wie hat sie dich vielleicht auch verändert?
In der Schule habe ich mich permanent angepasst. Auf der Reise habe ich erst gemerkt: Was mag ich denn und wie bin ich 100 Prozent ich selbst? Ich wurde permanent in ein ganz anderes Umfeld und fremde Situationen geschmissen und habe so immer wieder Neues entdeckt, wie ich mich verhalte. Ich habe sehr viel reflektiert und aufgearbeitet. Heute gehe ich viel entspannter an Situationen, die mir früher Panik bereitet hätten. Ich habe einfach so eine Sicherheit und Zufriedenheit in mir selbst. Auch fremde Leute kennenzulernen, fällt mir leichter und ich habe das Gefühl, dass ich selbst bei fremden Menschen jetzt 100 Prozent als ich selbst auftrete. Weiterhin habe ich eben auch viele praktische Skills gelernt, wie Baumfällen, Regale bauen oder Tischlern. Die Reise war ein Wendepunkt in meinem Leben. Bevor ich ein Studium oder eine Ausbildung anfange, habe ich auch definitiv vor, noch einmal reisen zu gehen. Auf jeden Fall würde ich gerne nochmal Backpacken gehen, eventuell in Südamerika. Dieses Jahr besuche ich auf jeden Fall die Community in Portugal.
Würdest du Reisen, wie deine, weiterempfehlen und hast du hilfreiche Tipps für diejenigen, die etwas Ähnliches vorhaben?
Natürlich würde ich das weiterempfehlen. Praktisch ist natürlich zu wissen, auf welche Art man reisen will. Ob man Lust hat, Städte zu sehen oder Natur, ob man Menschen kennenlernen will, lieber abgelegen Zeit verbringen will oder vielleicht auch feiern gehen will: Es gibt einfach sehr viele Varianten zu reisen und deswegen macht es viel aus, zu wissen, was man genau von der Reise will. Ich finde es auch wichtig, sich ein persönliches Ziel zu setzen. Das habe ich am Anfang auch gemacht. Was möchte man von der Reise lernen und mitnehmen? Reisen kann jeden weiterbringen. Unsere Reise war für mich auf jeden Fall eine unvergessliche Erinnerung.