Kommentar

Helden mit baumelndem Glied

von | 5. Juli 2024

Care-Arbeit: die Doppelmoral unserer Gesellschaft. Männer werden wie Helden gefeiert, während Frauen es lediglich als die Erfüllung ihrer Pflicht ansehen.

Willkommen in unserer Welt, wo das Herstellen und Verkaufen von Windeln wichtiger erscheint als das Wickeln selbst. Obwohl ohne Care-Arbeit nichts funktionieren würde, gibt es weder ausreichend Anerkennung, noch eine faire Aufgabenverteilung zwischen Frau und Mann. Kindererziehung, Hausarbeit und Pflege von Angehörigen werden zu 62 Prozent von Frauen übernommen. Ist Care-Arbeit also für mich vorgesehen, weil ich mit weiblichen Geschlechtsorganen geboren wurde? 



Im Mittelalter waren das Heiraten, Gebären und das Zufriedenstellen des Gatten das Schicksal eines jeden vornehmen Fräuleins und jeder holden Maid. Eine von Männern für Männer geschaffene Gesellschaft. Der Zeitgeist hat sich über die Jahrzehnte gewandelt. E-Autos düsen über die Straßen, mein Schnitzel kann ich ganz ohne Tierleid genießen und als Frau darf ich wählen gehen, studieren und arbeiten. Und das ganz ohne die Erlaubnis eines Mannes. Herrlich. Man könnte beinahe von Gleichberechtigung zwischen den Geschlechterrollen ausgehen. Diese Wunschvorstellung ist jedoch leicht zerbrechlich. Frauen verdienen in der Regel weniger, sind überwiegend Opfer von häuslicher Gewalt und Care-Arbeit ist „Frauensache“. 

Fragt man Familie oder Freunde, heißt es häufig, dass die Care-Arbeit in ihrer Partnerschaft fair aufgeteilt ist. Teilweise wird das der Wahrheit entsprechen. In den meisten Fällen sind es aber traditionelle Beziehungsmodelle, in denen die Aufgabenverteilung nicht hinterfragt oder stumm akzeptiert wird. Eine Umfrage des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung ergab, dass 66 Prozent der befragten Männer die Arbeit als gleichermaßen aufgeteilt empfinden. Nur 33 Prozent der Frauen konnten dem zustimmen. Wer da von Gleichberechtigung spricht, ist entweder männlich oder verblendet.

Selbsternannter Vorzeigepapi

Der maskuline Mann – ein gefeiertes Geschöpf, welches sich erbarmt, das Bruttoinlandsprodukt des Landes zu steigern. In größter Dankbarkeit übernimmt seine tugendhafte und sittsame Frau alle Aufgaben im gemeinsamen Heim. Nicht umsonst gibt es den heiligen Männertag, an dem die Rolle des Vaters und das baumelnde Glied zwischen ihren Beinen mit viel Bier und geschmacklosem Verhalten gefeiert wird. Männer fühlen sich in ihrem Vaterdasein pudelwohl und genießen den Jubel der Gesellschaft. Immerhin verbringen sie durchschnittlich eine Stunde und 19 Minuten mit ihren Kindern, wie die Zeiterhebung des Statistischen Bundesamtes zeigt. Eine Zeit, in der viel Spiel, Sport und Freude herrscht. Denn mit Papa haben die Kinder immer Spaß. Was per se nichts Schlechtes ist. Nur gehört zur Erziehung so viel mehr als Fußball kicken im Garten oder ein Filmabend auf dem Sofa. In einer Folge der US-amerikanischen Late-Night-Show „Jimmy Kimmel Live!“ müssen männliche Passanten Fragen über ihre Kinder beantworten. Es ist amüsant zu sehen, wie schnell klar wird, dass die meisten keinen blassen Schimmer haben. Sie wissen weder den zweiten Namen ihrer Kinder, noch wann sie Geburtstag haben, geschweige denn wie die besten Freunde heißen. All dieses Wissen gehört tatsächlich zur Care-Arbeit und dem damit verbundenen Mental Load.

Aphrodite oder so ähnlich

Die Hausfrau – ein Abbild von Schönheit und Fruchtbarkeit, welches seine Zeit mit viel Selfcare, etwas Wäsche und dem Herumtollen auf Blumenfeldern verbringt. Klar, was auch sonst. Die Realität: Frauen leisten in Deutschland 117 Milliarden Stunden unbezahlte Arbeit, wie eine Studie des Forschungsinstituts Prognos belegt. Die Wirtschaft profitiert. Würde man die geleistete Arbeit nämlich entlohnen, wären das 826 Milliarden Euro, die der Staat blechen dürfte. Ist ja zum Glück nur Fantasie und Frauen dürfen das alles gerne ohne Bezahlung und Wertschätzung weitermachen. Yeay! Im Umkehrschluss bedeutet das radikal: weniger Gehalt, schlechtere Karriereaussichten und finanzielle Abhängigkeit von Männern. 

Zudem ist es eine große Verpflichtung, die Care-Arbeit zu übernehmen, wenn man bedenkt, dass die Liste nicht bei physischen Tätigkeiten aufhört. Die Kinder brauchen neue Schuhe und ein Kuchen fürs Schulfest muss gebacken werden. Der Urlaub muss recherchiert und geplant werden. Auch die Kommunikation mit der Schule und der Kita muss funktionieren. Die Erwerbspersonenbefragung der Hans-Böckler-Stiftung zeigt, dass der Mental Load vor allem von Frauen getragen wird. Sie müssen Bedürfnisse antizipieren, Möglichkeiten abwägen, Entscheidungen treffen und alles harmonisieren. Es ist eine Art Selbstverständlichkeit, weil es ihrem „Wesen“ entspräche. Sowieso, meine Vulva hat ja magische Kräfte. Der Vorzeigepapi ist für solche Aufgaben tatsächlich mindestens genauso gut geeignet. Letztendlich ist es eine Frage des Wollens. 

Die Quintessenz

Wenn der Gemahl sich erbarmt, das Kind in die Wiege zu legen oder das gemeinsame Dinieren vorzubereiten, ist das keine Hilfe. Lobende Aussagen wie: „Mein Mann hilft mir im Haushalt und passt mal auf die Kinder auf“, sind großer Nonsens. Dein Partner wohnt genauso wie du in diesem Haus und hat zu dem Erzeugnis eures Kindes mindestens gleich viel dazu beigetragen. Es ist absurd anzunehmen, dass Care-Arbeit geschlechterspezifisch wäre – Ein längst überholtes und ideologisches Konstrukt, das in den Köpfen der Menschheit verankert ist. Wir wachsen mit Eltern auf, bei denen die Dynamik der Arbeitsverteilung meist nicht anders aussieht. Und so wird es in die nächste Generation übernommen. Als wäre es Naturalismus, an dem man nichts ändern könnte. 

Der Wunsch, Kinder zu bekommen oder eine erfolgreiche Karriere zu führen, ist kein Ultimatum, vor dem Frauen stehen sollten. Es gibt unzählige Debatten über Feminismus, Patriarchalismus und Emanzipation, mit demselben Ergebnis: Wir sind noch Lichtjahre von einer Gleichstellung entfernt. 

Text: Vanessa Jahn, Titelbild: Ella*

*Name geändert 

<h3>Vanessa Jahn</h3>

Vanessa Jahn

ist 22 Jahre alt und studiert derzeit im 4. Semester Medienmanagement an der Hochschule Mittweida. Bei medienMITTWEIDA engagiert sie sich als Chefredakteurin seit dem Sommersemester 2024.