Werbeverbot

Profit vor Kindergesundheit

von | 12. Juli 2024

Geplante Werbebeschränkungen für ungesunde Lebensmittel entfachten eine Debatte. Ein Blick auf den Konflikt.

Schon vor mehr als einem Jahr, im Februar 2023, legte Cem Özdemir (Grüne) dem Bundestag einen Gesetzesentwurf für an Kinder gerichtete Werbung vor. Daraufhin brach eine nicht enden wollende Debatte zwischen Verbraucherschützern, Lebensmittelverbänden und Wirtschafts-Lobbyisten aus.

Der Plan

Im Koalitionsvertrag der SPD, Grünen und FDP steht: „An Kinder gerichtete Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- und Salzgehalt darf es in Zukunft bei Sendungen und Formaten für unter 14-Jährige nicht mehr geben.“ 

Der Gesetzesentwurf von Özdemirs Ministerium für Ernährung und Landwirtschaft, sieht daher vor, die Werbung für Lebensmittel, deren Salz-, Fett- oder Zuckergehalt die WHO-Richtlinien übersteigt, auf allen Medien zu verbieten, wenn sie entweder an Kinder adressiert ist oder sich Kinder im Werbeumfeld bewegen. Das würde bedeuten, dass diese Werbung nicht zulässig ist, wenn sie zwischen 6 und 23 Uhr ausgestrahlt wird oder sich in einem Umkreis von 100 Metern um von Kindern besuchte Einrichtungen wie Schulen, Kindergärten oder Spielplätze befindet. Ausnahmen werden dabei für Lebensmittel wie Milch und Säfte eingeräumt.

Doch der Entwurf trifft nicht nur in der Opposition auf Gegenwind, auch die mitregierende FDP ist dagegen.

Wirtschaftliche und gesellschaftliche Bedenken

Gegner des Gesetzes äußern meist wirtschaftliche Sorgen. Die Lebensmittelindustrie befürchtet einen Abfall von Verkaufszahlen, die Medienindustrie Einbrüche in den Werbeeinnahmen. Das Werbeverbot würde circa ein Drittel der Fernsehsendungen betreffen, da vor allem ältere Kinder nicht nur Kindersendungen konsumieren, sondern auch Sportübertragungen oder Familiensendungen.

Auch kleinere Unternehmen, wie Bäckereien, befürchten, dass ihnen die Hände für Werbung komplett gebunden sein würden. Ihnen bliebe durch kleine Marketingbudgets oft keine andere Möglichkeit, als sich selbst über Social Media zu bewerben. Andere sehen kritisch, dass es nicht nur die offensichtlich ungesunden Lebensmittel betreffen würde, sondern auch Ketchup oder abgepackte Brotwaren. In einer Pressemitteilung sprechen sich die Verbände aus Lebensmittelwerbung und Wirtschaft gegen den Gesetzesentwurf und stattdessen für mehr Medienbildung aus. Die Verbotsmaßnahmen seien nicht zielgerichtet. Kinder müsse man zwar schützen, aber nicht so. Aus Reihen der FDP kommt ebenfalls Widerstand. Das Ernährungsverhalten von Kindern würde hauptsächlich durch das Elternhaus geprägt werden. Laut Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki sei das Werbeverbot „nichts anderes als politischer Aktionismus”.

Gesundheitsrisiko Werbung?

Auch wenn Werbung nicht der einzige Faktor für ungesunde Ernährung und Übergewicht ist, trägt sie trotzdem dazu bei, dass die beworbenen Produkte mehr konsumiert werden. 

Die Zahl von Menschen mit Übergewicht oder Adipositas nimmt in vielen Ländern zu. Auch in Deutschland sind 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen übergewichtig und sechs Prozent adipös. Energiereiche Lebensmittel mit hohem Fett- oder Zuckeranteil begünstigen eine zu hohe Kalorienzufuhr. In Kombination mit mangelnder Bewegung im Alltag trägt das dazu bei, dass viele Menschen immer dicker werden. Die langfristigen Folgen der Überernährung: Erhöhtes Risiko für einen Schlaganfall, Arthrose, Diabetes und Krebs. Durch mehr Prävention könnte also das Gesundheitssystem entlastet werden.

Vor allem, wenn Kinder übergewichtig sind, sollte laut der World Health Organization (WHO) die Schuld dafür nicht bei den Kindern selbst gesucht werden. Das Problem ist eher das Ergebnis einer sozialen, wirtschaftlichen und politischen Entwicklung, von der auch die Lebensmittelvermarktung ein Teil ist. 

Dass Ernährungspräferenzen vor allem im Kindesalter geprägt werden, gab auch Özdemir als Begründung für den Gesetzesentwurf an: „Werbung hat einen maßgeblichen und vor allem auch langfristigen Einfluss gerade auf die Altersstufen unter 14 Jahren. Daher ist die Regulierung von Werbung gegenüber Kindern ein wichtiger Ansatzpunkt, um ernährungsmitbedingte Erkrankungen zu vermeiden.”

Gründe und Folgen von Übergewicht

Übergewicht entsteht, wenn in den Körper mehr Kalorien aufgenommen werden, als er benötigt. Als Richtwert wird dazu bei Erwachsenen über den Body Mass Index (BMI) herangezogen. Für Kinder gibt es die WHO-Child Growth Standards und die Growth Reference Data, die die Grenzen für Übergewicht und Adipositas festlegen.

Durch langfristiges Übergewicht kann es zu schweren gesundheitlichen Folgen für Betroffene kommen. Das Risiko für nichtübertragbare Krankheiten wie Gelenkverschleiß (Arthrose), Diabetes, Darm- und Brustkrebs sowie Herz-Kreislauf-Erkrankungen steigt. 2,6 Millionen Menschen sterben jährlich an den Folgen von Übergewicht oder Adipositas.

Andere Länder machen es vor

Auch Ergebnisse aus anderen Ländern zeigen, dass solch eine Maßnahme durchaus wirken kann. In Kanada ist, nachdem 1980 ein Gesetz gegen Fast-Food-Werbung an Kindern erlassen wurde, der Fast-Food-Konsum um 13 Prozent gesunken. Chile konnte ebenfalls mit einem Verbot aus dem Jahr 2016, vergleichbar mit dem von Özdemir vorgelegten Gesetz, Erfolge verzeichnen. Die Kalorien in den Lebensmitteleinkäufen der Bevölkerung sanken im ersten Jahr nach der Einführung um 24 Prozent.

Wird das Verbot noch kommen?

Vor der Sommerpause in der Regierung erreichte den Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ein gemeinsamer Brief von 35 Organisationen aus Medizin, Wissenschaft sowie Verbraucher- und Kinderschutz, die sich um den Stillstand des Vorhabens sorgen und an ihn plädieren: „Effektive Regelungen sind überfällig und dürfen nicht scheitern.” Das Gesetz wird nun weiterhin regierungsintern beraten. Wann es kommen wird, bleibt abzuwarten.

Text und Titelbild: Carolin Lehmann
<h3>Carolin Lehmann</h3>

Carolin Lehmann

ist 22 Jahre alt und studiert derzeit im 5. Semester Medienmanagement an der Hochschule Mittweida. Bei medienMITTWEIDA engagiert sie sich als Redakteurin und Leiterin des Campusressorts seit dem Sommersemester 2024.