Sie erfüllen letzte Wünsche, beschäftigen sich mit Biografien und basteln an Kreativ-Nachmittagen Andenken für Angehörige. Vanessa Ehrlich und Alexander Flug engagieren sich im Marien-Hospiz Dresden am Krankenhaus St. Joseph-Stift als ehrenamtliche Sterbebegleiter*innen und unterstützen Menschen an ihrem Lebensende. Im Interview mit medienMITTWEIDA geben sie Einblicke in ihre Arbeit und erzählen von Zweifeln, die sie während und nach der Betreuung schwerkranker Menschen begleiten.
Alexander Pflug und Vanessa Ehrlich im Marien-Hospiz Dresden (v.l.n.r.). Foto: Alba Heidel
Vanessa Ehrlich ist 27 Jahre alt und seit Januar 2023 im Marien-Hospiz als ehrenamtliche Sterbebegleiterin tätig. Zuvor nahm sie an einem Ehrenamtskurs zur Sterbebegleitung teil und engagierte sich im ambulanten Hospizdienst. Ein familiärer Schicksalsschlag in ihrer Kindheit ließ Ängste vor dem Sterbeprozess und dem Tod bei Vanessa entstehen. Dennoch wagte sie sich, dieses Ehrenamt zu begleiten.
Alexander Pflug ist 23 und durch ein Praktikum im Sozialdienst mit dem Ehrenamt der Sterbebegleitung in Kontakt gekommen. Auseinandergesetzt mit dem Thema Tod hat er sich bereits während seines Studiums. Für Alexander stellte sich die Frage: „Wie gehe ich selbst damit um?” Dieser Frage geht er nun in seinem Ehrenamt im Marien-Hospiz Dresden nach.
Über das Marien-Hospiz
Das Marien-Hospiz Dresden am Krankenhaus St. Joseph-Stift ist das erste und bisweilen einzige stationäre Hospiz der Landeshauptstadt Dresden. Insgesamt zwölf Schwerstkranke und Sterbende können dort in Einzelzimmern untergebracht werden. Für Angehörige stehen auf Wunsch Übernachtungsmöglichkeiten zur Verfügung.
Die individuelle Tagesgestaltung im Marien-Hospiz Dresden verspricht den Gäst*innen den Erhalt von Autonomie. Anhand eigener Gewohnheiten und Wünsche können sie ihre Zeit im Hospiz gestalten. An der Begleitung sind 20 ehrenamtliche Mitarbeitende beteiligt.
Was macht ihr als ehrenamtliche Sterbebegleiter*innen?
Vanessa Ehrlich: „Ich glaube, das kann man gar nicht auf einzelne Sachen herunterbrechen. Man kommt im Moment und ist Begleiterin für wenige Wochen, Monate, Tage.
Im Hospiz gehen wir in die Zimmer der Menschen, die wir aktuell betreuen, und fragen nach Wünschen. Das kann vom Spielen von Gesellschaftsspielen über Spaziergänge bis hin zu Gesprächen reichen. Manchmal soll man auch einfach nur die Angehörigen entlasten. Ein sehr einprägsames Erlebnis von mir war, gemeinsam mit einer Sterbenden ihre Abschiedsrede zu schreiben, die auf der Beerdigung vorgelesen werden sollte.“
Alexander Pflug: „In der Weihnachtszeit gibt es einen Adventskalender, an dessen Gestaltung wir als Ehrenamtliche beteiligt sind. Und auch beim Backen von Waffeln oder Keksen kommen wir Freiwilligen zum Einsatz. Wir unterstützen also das Team ganz allgemein. Natürlich kümmern wir uns aber auch viel um die Anliegen der Gäst*innen und ihrer Angehörigen.“
Ein Gäst*innenzimmer im Marien-Hospiz. Foto: Alba Heidel
Wie verarbeitet ihr denn die Schicksale, die ihr hier erlebt?
Vanessa Ehrlich: „Besonders schwer finde ich es, wenn man selbst nicht mit dem eintretenden Tod rechnet. Irgendwie weiß man, die Lebenszeit ist begrenzt, aber manchmal kann man das schon im Gespräch abschätzen: Sind es noch Tage, die der Person bleiben, oder vielleicht doch noch eine längere Zeit?
Aber auch Gedanken, die man sich nach dem Tod einer Person stellt, können herausfordernd sein. Hätte man noch etwas anderes machen können, um ihr zu helfen? Hätte ich doch noch mal kommen sollen? Dabei hilft mir vor allem, das auch anzusprechen – gerade bei den Sozialarbeiter*innen. Das hilft dabei, die Situation und auch die eigenen Gedanken und Gefühle zu reflektieren.
Rituale, wie das Anzünden einer Kerze, helfen, um noch mal einen Gedanken an die Person zu schicken. Wir haben auch regelmäßig Ehrenamtsabende, wo wir eine Runde für Verstorbene machen und noch einmal aktiv eine Kerze anzünden und ein paar Worte zu der Person sagen können. Das hilft, einen Abschluss zu finden.“
Alexander Pflug: „Das Reden mit den verschiedensten Menschen, sei es mit Hauptamtlichen, die hier arbeiten – also Pflegekräften und Sozialarbeiter*innen, oder das Gespräch mit anderen Ehrenamtlichen ist sehr hilfreich. So lässt man nicht alles direkt an sich heran, sondern erfährt, wie es anderen Leuten damit geht. Besonders die Sozialarbeiter*innen sind geschult, damit umzugehen und dich als Ehrenamtlichen zu begleiten.
Das Anzünden einer Kerze, was Vanessa schon angesprochen hat, kann helfen, den Verstorbenen zu gedenken. Man muss aber selbst herausfinden, ob so etwas einem liegt und bei der Verarbeitung der Schicksale hilft. Vielleicht ist es bei anderen Ehrenamtlichen auch der Glaube, der sie in ihrer Arbeit unterstützt.
Am Anfang hatte ich für mich selbst das Ritual, eine Art Tagebuch zu schreiben. Mit der Zeit habe ich aber gemerkt, dies nicht zwingend zu brauchen. Aber eine Kerze zünde ich an.“
Vanessa Ehrlich: „Ich glaube, wichtig ist es, sich Zeit zu geben und nicht zu sagen: Nur weil ich im professionellen Ehrenamt bin, habe ich keine Zeit zum Trauern. Je nachdem, wie intensiv die Begleitung ist – oder auch wenn sie kurz, aber für einen prägend war – darf man sich Zeit geben. Schließlich hat man einen Teil des Weges der verstorbenen Person begleitet.“
An Ehrenamts-Abendenden wird für kürzlich verstorbene Gäst*innen des Hospizes eine Kerze angezündet. Foto: Alba Heidel
Was fällt euch bei eurem Ehrenamt schwer?
Vanessa Ehrlich: „Ich hatte mal eine Begleitung von einer Frau, die sehr starke Ängste und scheinbar auch starke Schmerzen hatte, welche sie auch zum Ausdruck gebracht hat. Es war so eine Art Schreien, würde ich sagen – sie ist einfach immer aufgeschreckt. Und das war für mich eine ganz neue Erfahrung, weil ich mit ihrer Angehörigen am Bett saß und wir beide nur unsere Anwesenheit schenken, ihr aber in dem Sinne nichts abnehmen konnten. Und da merkt man auf jeden Fall, dass es schon sehr kräftezehrend sein kann. Vor allem wenn man spürt, dass auch die Angehörigen total hilflos sind. In solchen Situationen merke ich, dass ich manchmal auch Erlebnisse mit nach Hause nehme.“
Alexander Pflug: „Ich habe auch schon gehört, dass Menschen eine Art Lebensüberdruss äußern und sogar einen Wunsch zu sterben. Man versucht dann trotzdem dabei zu sein und ihnen zuzuhören. Als Ehrenamtliche gibt man diese Fälle aber oft an den Sozialdienst im Haus weiter, damit diese sich professionell um die betreffenden Menschen kümmern können.
Die Situationen, in denen man weiß, dass man selbst nichts machen kann, außer da zu bleiben und zuzuhören, sind natürlich sehr belastend. Selbstverständlich fragt man sich dann oft im Nachhinein, was man hätte tun können. Hätte ich etwas anderes sagen sollen? Hätte ich anders handeln sollen?“
Kann man Menschen die Angst vor ihrem Tod nehmen?
Alexander Pflug: „Das hängt von der Art der Angst ab. Manche Ängste lassen sich behandeln, auf andere hat man jedoch schwer eine Antwort, wie zum Beispiel auf die Frage: Was kommt danach? Wir können vielleicht helfen, dass diese Angst nicht so stark ist, aber Ängste ganz wegzubekommen ist leider schwer.“
Vanessa Ehrlich: „Ich glaube, manchmal weiß man auch gar nicht, ob die Angst am Lebensende wirklich weg war, oder nicht. Ich denke, dass man das durch Gespräche zwar entkräften kann, aber ich glaube, es ist herausfordernd, eine Angst zu bekämpfen. Es ist wichtig zu vermitteln, dass das normal ist und niemand weiß, was nach dem Tod passiert.
Ich merke aber, dass der Glaube gerade an diesem Punkt viele stützt. Sie bekommen durch ihn eine Vorstellung, was sie erwartet, und haben das Gefühl von Sicherheit. Dann sind die Ängste gar nicht so vordergründig.
Natürlich gibt es aber auch die Ängste, was mit der Familie passiert und wie sie mit dem Tod umgehen. Da geht es nicht um die betroffene Person an sich – sondern um die Sorge um ihre Angehörigen. Da kann man versuchen, zu beruhigen und die Betroffenen zu entlasten. Außerdem ermutige ich auch dazu, die Ängste bei den Angehörigen anzusprechen und zu schauen, dass man zu Lebzeiten noch wichtige Angelegenheiten gemeinsam klären kann.“
Ein Rückzugsraum im Marien-Hospiz ist der „Raum der Stille“. Hier können die Gäst*innen unter anderem beten, meditieren oder Gespräche führen. Foto: Alba Heidel
Was brauchen Menschen in euren Augen am Ende ihres Lebens?
Alexander Pflug: „Das, was das Hospiz verkörpert, ist Würde. Die Würde innerhalb der Gemeinschaft – hier im Hospiz – und einen würdevollen Umgang mit den Gäst*innen selbst und deren Angehörigen. Man kümmert sich um alle, die da sind. Wir schauen ringsherum, wie es den Menschen geht, was ihre Ansprüche sind, was sie gern mögen und was nicht. Letztendlich achten wir nun mal darauf, was die Personen am Ende ihres Lebens möchten.“
Vanessa Ehrlich: „Ich habe im letzten Jahr meine Masterarbeit genau über das Thema geschrieben. Da ist mir aufgefallen, dass es auf jeden Fall Autonomie ist – also, dass die Selbständigkeit immer bis zum Schluss irgendwie erhalten bleiben sollte.
Was auch ein ganz wichtiger Punkt ist, ist ein Sicherheitsgefühl – also der Wunsch, nicht alleine zu sein. Manchmal ist es aber auch genau das Gegenteil – manchmal möchte jemand alleine sterben, vielleicht, um seine Angehörigen zu entlasten.
Bei den Interviews im Rahmen meiner Abschlussarbeit ist mir aufgefallen, dass Angst gar nicht immer ein großes Thema ist. Einige lassen den Tod auch einfach auf sich zukommen. Auch Wünsche werden am Lebensende immer kleiner und beziehen sich dann meist auf den sehr persönlichen Bereich. Entweder, was einen selber betrifft, oder was die Angehörigen angeht. Und ja, vielleicht drehen sie sich auch darum, was man den Angehörigen noch erschaffen und hinterlassen kann. Zum Beispiel im Rahmen von Kreativ-Nachmittagen.“
Wie verändert das Ehrenamt euer tägliches Leben und den Umgang mit anderen Menschen?
Vanessa Ehrlich: „Ich finde, man schätzt die Tage irgendwie anders. Bei mir habe ich das zumindest gemerkt. Ich lebe viel mehr im Moment und habe im Hinterkopf, dass es doch so schnell vorbei sein kann. Vor allem, wenn junge Menschen bei uns waren, bezieht man das ein bisschen mehr auf sich selbst. Und wenn Menschen in meinem Umfeld einen Schicksalsschlag erleben – das muss nicht zwangsläufig ein Todesfall sein, sondern auch eine Erkrankung oder Ähnliches – dann merke ich, dass das Ehrenamt mich geprägt hat. Ich kann andere jetzt besser ermutigen, ihnen Halt geben und auch sagen, dass es in Ordnung ist zu trauern.“
Alexander Pflug: „Ich habe ebenfalls gemerkt, dass ich mein Ehrenamt auch im Privatleben weiterführe. Sei es zum Beispiel, wenn die Großeltern langsam auf ein hohes Alter zusteuern. Sie zu unterstützen, fällt mir heute leichter. Man weiß nicht, was noch kommen wird, aber mit dem, was ich im Ehrenamt gelernt habe, schaffe ich es, Ruhe auszustrahlen. Außerdem kann ich aufklären, was ein Hospiz eigentlich ist und wie vielseitig mit dem Tod umgegangen werden kann.“
Vanessa Ehrlich: „Die erste Reaktion auf meine Arbeit in einem Hospiz ist oft die Frage: Wie kannst du da arbeiten? Und auch da kommt das Aufklären ins Spiel. Man kann dann berichten, dass man in diesem Ehrenamt nicht die ganze Zeit vom Sterben redet und wie schlecht doch alles ist. Zu 90 Prozent sind es einfach auch schöne Momente, die man erfährt. Viele Gäst*innen, die wir betreuten, wollen ihre Biografie mit jemandem teilen können oder einfach nur nicht alleine sein.“