Sie müssen rund um die Uhr einsatzbereit sein, um Leben zu retten. Philine Graichen ist 24 Jahre alt und arbeitet hauptberuflich sowie ehrenamtlich beim Johanniter-Unfall-Hilfe e.V.. Im Interview mit medienMITTWEIDA gibt sie Einblicke in ihren Job als Notfallsanitäterin.
Was war für dich der ausschlaggebende Grund, Notfallsanitäterin zu werden?
Ich bin schon seit einigen Jahren ehrenamtlich im Katastrophenschutz und ausgebildete Erste-Hilfe-Trainerin. Dort hat man mir 2019 angeboten, nebenberuflich die Ausbildung zur Rettungssanitäterin zu machen. Das fand ich richtig super, denn ich habe mich schon immer gern um Menschen gekümmert, die Hilfe benötigen.
Dass es eine Ausbildung zur Notfallsanitäterin gibt, hatte ich gar nicht richtig auf dem Schirm. Erst als wir im Rahmen der Rettungssanitäter-Ausbildung über die verschiedenen Qualifikationen und Aufgabenverteilungen sprachen, wurde mir klar, dass ich gern Notfallsanitäterin werden möchte.
Der Notfallsanitäter ist in Deutschland die höchste nicht-ärztliche Qualifikation, die man nach drei Jahren Ausbildung erreichen kann. Man übernimmt die Erstversorgung von Patienten, man führt lebensrettende Sofortmaßnahmen durch, transportiert Patienten in das nächstgelegene Krankenhaus und vieles mehr. Das ist absolut abwechslungsreich und wird nie langweilig.
Philine Graichen engagiert sich als Notfallsanitäterin. Quelle: Privat
Welche Arten von Notfällen erlebst du täglich am häufigsten?
Das kann man schlecht pauschalisieren. Es gibt Tage, an denen hat man mehr internistische Notfälle – also sowas wie Kreislaufprobleme. Es gibt aber auch Tage, da gibt es mehr chirurgische Notfälle – zum Beispiel einen Unterarmbruch nach einem Sturz. Wir sind dennoch nicht nur für die akuten Notfälle da, sondern haben manchmal auch Verlegungsfahrten von einem Krankenhaus zum Nächsten.
Kannst du uns von einer besonders eindrücklichen Rettungsaktion erzählen?
Ein Kollege und ich wurden letztens zu einem Kindernotfall gerufen. Der Notfall ereignete sich in einem Fahrradpark. Wir waren als R1 alarmiert worden. Das bedeutet, dass man alleine als Rettungswagen – ohne Notarzt – alarmiert ist. Mein Kollege und ich waren sehr verwundert, da zu einem Kindernotfall fast immer parallel ein Notarzt alarmiert wird.
Als wir an der Einsatzstelle eintrafen, bestätigte sich sehr schnell, dass wir auf jeden Fall die Unterstützung von einem Notarzt benötigen. Der Junge war gestürzt und wir hatten den Verdacht, dass er sich dabei schwer verletzt hat. Bis dieser aber zur Einsatzstelle kam, mussten wir die Zeit überbrücken und haben uns währenddessen mit unserem Patienten und den Eltern beschäftigt.
Im Verlauf des Einsatzes erhielten wir über die Leitstelle die Information, dass ein Rettungshubschrauber auf dem Weg zu uns sei. Als dieser dann gelandet war, ging alles sehr schnell. Wir haben unserem Patienten ein Mittel gegen die Schmerzen verabreicht und sind danach zur weiteren Untersuchung zu uns in den Rettungswagen gegangen. Dort wurde vom Notarzt ein Ultraschall durchgeführt, welcher allerdings unauffällig war. Anschließend ging es für den Patienten im Rettungshubschrauber in das nächstgelegene Krankenhaus.
Mein Kollege hat mich danach erstmal in den Arm genommen und mich für meine gute und strukturierte Arbeit gelobt. Ich selbst habe das gar nicht so realisieren können, da Kindereinsätze immer mit viel Stress verbunden sind.
Wie gehst du mit emotionalem Stress und den schwierigen Situationen um, die der Beruf mit sich bringt?
Nach jedem belastenden oder stressigen Einsatz führen wir eine Einsatznachbesprechung im Team durch. Bei der Besprechung werden sowohl positive als auch negative Dinge angesprochen, sodass sich jeder für den nächsten Einsatz etwas mitnehmen kann. Nach dem Gespräch trinken wir noch gemeinsam einen Kaffee oder Tee. Danach geht es weiter.
Ich bin auf jeden Fall sehr froh darüber, dass ich jederzeit zu meinen Kollegen oder zu meinem Chef gehen kann, wenn es noch Redebedarf gibt. Das ist nicht selbstverständlich. Es gibt auch Einsätze oder Situationen, die ich mit meinen Freunden, mit meinem Papa oder meiner Schwester auswerte. Das Feedback von Außenstehenden tut auch mal gut. Sollte das alles aber nicht ausreichen, besteht jederzeit die Möglichkeit, die psychosoziale Notfallversorgung von Einsatzkräften zu beanspruchen.
Welche Eigenschaften oder Fähigkeiten sind deiner Meinung nach am wichtigsten für jemanden, der als Notfallsanitäter arbeitet?
Super wichtig finde ich vor allem Sozialkompetenz. Wir haben täglich mit den unterschiedlichsten Menschen zu tun – da ist empathisches Auftreten eines der wichtigsten Merkmale. Egal zu welcher Uhrzeit, egal ob man müde ist oder Hunger hat.
Ein weiterer Punkt sind die Grundlagen der Kommunikation. Unsere Arbeit hat viel mit aktivem Zuhören, Kompromissbereitschaft und Toleranz zu tun. Die Patienten, oder deren Angehörigen, erzählen häufig viel zu viele Informationen auf einmal, die man natürlich auch erst einmal aufnehmen und sortieren muss. Wir müssen unsere Patienten über gewisse Maßnahmen aufklären. Das sollte verständlich und fehlerfrei passieren.
Hier auf dem Land hat man auch längere Anfahrtswege in die nächste Klinik. Diese nutze ich gern, um mich mit den Patienten zu unterhalten. Damit möchte ich ihnen vermitteln, dass sie im Moment nicht allein sind und ihnen ein bisschen die Angst nehmen.
Letztendlich ist der Rettungsdienst vor allem Teamarbeit. Man arbeitet meistens zu zweit an einem Patienten, da muss man sich verstehen, vertrauen und auf Augenhöhe kommunizieren können.
Gibt es Momente, in denen du den Beruf als zu belastend empfindest? Was sind die größten Herausforderungen, denen du täglich begegnest?
Bisher gab es noch keinen Moment und ich hoffe das bleibt auch noch eine Weile so. Ich gehe meiner Arbeit sehr gern nach, das würde wahrscheinlich jeder, der mich kennt, so bestätigen.
Im Rettungsdienst zu arbeiten hat, wie jeder andere Beruf, seine Vor- und Nachteile. Wir arbeiten zwölf Stunden lang, Tag und Nacht. Die einsatzfreie Zeit können wir auf der Wache nutzen, wie wir möchten. Manch einer schaut sich Filme an, ein anderer liest, wiederum ein anderer ruht sich aus. Sobald es zum Einsatz geht, muss man jedoch funktionieren.
Eine weitere Herausforderung sind die Fahrten mit Sonder- und Wegerechten. Diese bieten ein höheres Unfallrisiko. Oftmals sind die Personen im Straßenverkehr überfordert, wenn wir mit Blaulicht und Sirene angefahren kommen. Manche bleiben stehen, manche bauen fast selbst einen Unfall und manche bekommen uns trotzdem nicht mit. Gerade in den Großstädten kommt es dann häufiger zu einem Unfall.
Was würdest du Menschen sagen, die über eine Karriere als Notfallsanitäter nachdenken? Welche falschen Vorstellungen über den Beruf würdest du gern aufklären?
Ich freue mich über jeden, der den Weg als Notfallsanitäter einschlagen will. Der Beruf bringt jedoch, wie bereits erwähnt, einige Vor- und Nachteile mit sich, mit denen man zurechtkommen muss. Ich empfehle vorher ein Praktikum an einer Rettungswache zu machen oder die Ausbildung zum Rettungssanitäter zu absolvieren. Häufig ergibt sich auch ein falsches Bild über die Einsätze, zu denen wir gerufen werden. Wir fahren nicht nur zu den „krassen“ Verkehrsunfällen, zu stark blutenden Wunden oder zum frischen Herzinfarkt. Manchmal fahren wir auch zu Notfällen, bei denen erst im Verlauf klar wird, dass die soziale oder pflegerische Komponente deutlich versagt hat. Das sind meistens auch keine schönen Einsätze, da man den Betroffenen kaum helfen kann. Das macht natürlich auch psychisch etwas mit einem.
Text: Nancy Rasser, Titelbild: Philine Graichen