Interview

„Ein Club ist mehr als ein Ort zum Feiern“

von | 29. November 2024

Vor 25 Jahren wurde der Chemnitzer Club Atomino gegründet. Die Geschäftsführerin Maria Perez schaut zurück auf ein Vierteljahrhundert voller Geschichten, die den Kultclub geprägt haben.

Fünf Umzüge, Corona-Pandemie sowie zahlreiche Festivals und Partys – das Atomino hat in den letzten 25 Jahren so einiges erlebt. Wie genau die letzten Jahrzehnte für den Club aussahen und was ihn so besonders macht, verrät Maria Perez im Interview mit medienMITTWEIDA.

Maria Perez ist 28 Jahre alt und die Geschäftsführerin des Vereins Atomino. 2016 startete sie an der Club-Garderobe, wechselte später an die Bar und übernahm nach und nach Vereinsaufgaben wie Planung, Aufbau und Social Media. Bis Anfang 2020 unterstützte sie das Atomino in verschiedensten Bereichen. 2021 übernahm sie schließlich die Leitung des Vereins. Ihre ersten Jahre als Geschäftsführerin waren geprägt von selbstorganisierten Festivals sowie dem Umzug in eine neue Location.

Atominos Geschäftsführerin Maria Perez, Foto: Ernesto Uhlmann

Was ist das Atomino?

Das Atomino ist ein vielseitiger Club und Verein in Chemnitz, der in seinem 25-jährigen Bestehen zu einem festen Bestandteil der lokalen Kulturszene geworden ist. Das Veranstaltungsangebot reicht von Konzerten und Partys über Lesungen, bis hin zu Kunstprojekten und kreativen Formaten mit internationalem Anspruch. Das Atomino engagiert sich auch außerhalb seines eigenen Bereichs, um am urbanen Raum mitzuwirken. Ob bei den früheren Konzerten am Kopp und dem Kosmonaut Festival oder heutzutage beim Chemnitzer Kosmos. Damit ist das Atomino eine Plattform für Austausch und künstlerische Vielfalt, die Kultur und freie Kunstformen in die Stadt bringen möchte.

 

Was macht das Atomino aus?

Wir sind als Verein organisiert – wie viele andere Clubs auch. Der Grund dafür ist, dass bei uns niemand wirklich Geld verdient und wir nicht auf Gewinn ausgelegt sind. Am Ende des Jahres landen wir bei plus minus null. Wenn man mal Gewinne durch ein großes Konzert oder eine Party macht, dann finanziert das wieder kleinere Konzerte, die nicht so viele Tickets verkaufen. Auch mit Formaten wie Lesungen macht man eigentlich in 99 Prozent der Fälle Minus. Große und gut besuchte Veranstaltungen finanzierten sozusagen das Kulturelle, was man eigentlich als Verein machen will. 

Was uns sicher von anderen Clubs unterscheidet, ist das offene Programm. Bei uns gibt es keinen dominierenden Musikstil. Grundsätzlich ist bei uns jedes Genre willkommen. Wenn jemand hier etwas starten möchte, wie eine Techno-Party oder ein Event in einem bestimmten Stil und das gut umgesetzt wird, dann kann das auch im Atomino stattfinden. Das funktioniert deshalb, weil wir ein großer, bunter Verein mit unterschiedlichen Menschen sind – von Anfang 20 bis über 50. Jeder bringt eigene Ideen ein und so entsteht ein vielfältiges Programm, das für verschiedene Altersgruppen und Geschmäcker passt. Bei uns gibt es alles von Konzerten und Partys bis hin zu Lesungen, Bingo oder Quizabenden. Das schaffen wir, weil viele Leute mitwirken und etwas beitragen.

Das Atomino ist bekannt für seine zahlreichen Umzüge. Was kannst du darüber erzählen?

Die Umzüge sind, denke ich, das Prägendste in der Geschichte des Atomino – insgesamt haben wir die Location fünfmal gewechselt. Nach der Schließung einer Bar in einer ehemaligen Fabrik am Schlossteich wurde die Lokalität übernommen und so entstand 1999 das Atomino. Daraufhin folgten mehrere Umzüge aus unterschiedlichen Gründen – vom unvermeidlichen Abriss eines Standorts bis hin zur Entdeckung ansprechenderer Locations. Auch Lärmbeschwerden, wie damals am Brühl, spielten eine Rolle. Seit 2022 sind wir nun im Wirkbau Chemnitz.

Am Ende waren alle Locations ziemlich unterschiedlich, aber andere Leute sagen auch immer wieder, dass es sich trotzdem jedes Mal wie das Atomino anfühlt. Ich glaube, das liegt vor allem daran, dass Dinge wie Tapete, Sessel, Bar und Lampen seit der ersten Location jedes Mal mit umziehen. Das verschafft dem Atomino ein eigenes Gefühl, auch wenn es eine ganz andere Lokalität ist.

Das Atomino im Wirkbau, Fotos: Ernesto Uhlmann

Gab es in der Geschichte Ereignisse, die das Atomino in irgendeiner Weise beeinflusst haben?

Einschneidend war auf jeden Fall die Zeit am Brühl, als diese Lärmbeschwerden aufkamen. Das war existenzbedrohend, weil wir gerade erst umgezogen waren und plötzlich wieder raus mussten – ohne neue Location. Wir haben sogar mit der Uni am Lärmschutz gearbeitet, aber es half nichts. Es gab Demos und die Aktion „Das Atomino soll bleiben“. Das war für uns ein prägender Einschnitt, weil die Location eigentlich perfekt war. Aber auf der anderen Seite bringen Umzüge neue Chancen und Perspektiven.

Auch Geschehnisse wie 2018, als Chemnitz wegen rechtsextremer Vorfälle in den Fokus geriet, beeinflussen einen. Man lebt in einer Stadt, der ein solches Image aufgedrückt wird. Um ein Zeichen zu setzen, war das Atomino Teil des „Wir sind mehr“-Konzerts. Ich glaube auch, dass vielen klar ist, wofür wir stehen – auch politisch gesehen. Uns ist wichtig, dass ein Club mehr ist als nur ein Ort zum Feiern – er steht für Austausch, Begegnung und Werte, die auch durch Musik und Konzerte vermittelt werden.

Zu welchen langfristigen Veränderungen hat die Corona-Pandemie geführt?

Corona hatte sowohl auf die Gäst*innen als auch auf die Künstler*innen Auswirkungen. Gerade bei Konzerten merkt man das: Immer mehr Touren werden abgesagt, weil einfach nicht genug Tickets verkauft werden. Die Produktionskosten sind total gestiegen – höhere Löhne, teurer Strom, höhere Fixkosten. Deswegen müssen heutzutage die Clubs sagen: „Hey, wir brauchen mehr Geld am Abend, um über die Runden zu kommen“.

Das führt dazu, dass Künstler*innen mehr Tickets verkaufen müssten, um eine Tour zu finanzieren, aber das ist für kleinere Acts oft nicht machbar. Es ist ein Teufelskreis: Ohne Touren werden sie nicht bekannter, aber ohne Bekanntheit verkauft man keine Tickets. Das war früher einfacher. Während Corona gab es auch viele Förderungen für beispielsweise Festivals. Das wussten natürlich auch die Booking-Agenturen, weshalb sie ihre Gagen angehoben haben. Jetzt wieder eine Balance zu finden, ist schwierig.

Wie hat sich die Club-Szene in Chemnitz allgemein entwickelt und welchen Einfluss hat dies auf das Atomino?

Früher gab es auf jeden Fall deutlich mehr Clubs und Partys. Inzwischen hat das stark abgenommen, weil mittlerweile einige Clubs nur noch einen Tag in der Woche Party machen. Corona hat da sicher einen großen Anteil – die Leute konnten lange nicht feiern und haben es sich irgendwie abgewöhnt. Statt auszugehen, macht man eher etwas zu Hause oder lädt Freund*innen ein. Dazu kommt, dass alles teurer wird – auch für Clubs. Dadurch wird das Feiern immer mehr zum Luxusgut.

Trotzdem versuchen wir, unser Angebot so breit wie möglich zu halten, meist mit kostenlosen Partys am Mittwoch, Lesungen oder Konzerten am Donnerstag und Partys am Freitag und Samstag. Ich glaube, es ist wichtig, dass nicht alles auf einen Tag komprimiert wird, denn wenn mehrere Clubs und Bars offen haben, geht man einfach los und findet für den Abend schon was – so macht man es in größeren Städten auch.

Wie finanziert sich das Atomino?

Wir bekommen keine Förderung, weder vom Land noch von der Stadt. Es gibt Clubs in Chemnitz, die gefördert werden, aber wir haben uns bewusst dagegen entschieden. Förderungen bringen zwar finanzielle Sicherheit, sind aber oft an Bedingungen und Pläne geknüpft, die uns in unserer Freiheit einschränken würden. Momentan entscheiden wir selbst über unsere Ein- und Ausgaben.

Auf diese Art und Weise hat man aber auch keine Sicherheit, wenn mal nicht so viel Geld rein kommt. Miete, Versicherungen und Personal müssen auch dann bezahlt werden, wenn es mal nicht gut läuft. Diese Kosten sollten die Einnahmen der Bar decken, während der Einlass meist für den Abend selbst – also DJs oder GEMA – aufkommt. Es hat alles seine Vor- und Nachteile, aber wir fahren jetzt erstmal so weiter, wie wir es immer machen. 

Manchmal nutzen wir punktuelle Förderungen für spezielle Projekte, wie den Ausbau unserer Lüftung oder die Clubakademie, bei der Leute dieses Jahr Licht, Ton und DJing lernen konnten. Aber das waren immer begrenzte Sachen, die auch außerhalb unseres Tagesgeschäfts sind.

Was sind deiner Meinung nach die größten Herausforderungen des Clubs?

Ich würde schon sagen, dass es herausfordernd ist, überhaupt erstmal die Gäst*innen anzusprechen und dass die Leute auch die Mittel haben, feiern zu gehen was man ja nicht wirklich beeinflussen kann. Da muss man einfach hoffen, dass die Leute kommen und Alkohol trinken wollen. Aber wir versuchen, mit einem diversen Angebot für alle etwas dabei zu haben, von kostenlosen Veranstaltungen bis hin zu Events mit etwas höherem Eintritt.

Gerade in Bezug auf Chemnitz ist es schwierig, weil viele junge Leute wegziehen oder nur zum Studieren aus dem Umland kommen und danach wieder nach Hause fahren. Dadurch fehlt die Zielgruppe, die feiern geht und das Kulturangebot nutzt. Und um dem entgegenzuwirken, muss sich die Stadt fragen, wie sie junge Leute halten kann.

Was sind die größten Erfolge bzw. Meilensteine des Atominos?

Wir freuen uns über jedes ausverkaufte Konzert und über Künstler*innen, die bei uns spielen wollen, obwohl die normalerweise viel größere Locations auf ihrer Tour bespielen. Besonders sind für uns aber auch Projekte außerhalb des Clubs, wie 2022 das fünftägige Festival auf unserem Gelände mit Ausstellungen, Lesungen, einer Graffiti-Mal-Jam und zwei großen Konzerten – eines davon mit 3.500 Leuten. Sowas ist natürlich sehr anstrengend, macht aber auch Spaß und ist irgendwie mal etwas anderes.

Auch während Corona haben wir ein kleines Festival am Schlossteich oder im Heckert gemacht, beispielsweise mit Zugezogen Maskulin. Als es noch das Kosmonaut Festival gab, haben wir uns auch immer engagiert und hatten eine eigene Atomino-Bühne. Auch bei „Wir sind mehr“ und dem daraus entstandenen Kosmos waren wir aktiv dabei. Das sind so Highlights, bei denen man herauskommt und den Club in der Stadt präsentieren kann.

Das Atomino wird dieses Jahr 25 Jahre alt. Was ist zur Feier des Anlasses geplant?

Wir haben uns entschieden, am 29. und 30. November, also zwei Tage lang, Geburtstag zu feiern. An jedem der beiden Abenden wird es einen Secret-Life-Act geben. Die Acts sind nicht der Mittelpunkt des Abends, aber schon ein Highlight. Wir sind auch der Meinung, dass wir diese sehr gut ausgewählt haben.

Zusätzlich gibt es jede Stunde ein neues Party-Format, darunter legendäre Party-Formate wie „Reich für Immer“, eine Hip-Hop-Party, bei der sich alle extravagante Outfits anziehen. Auch Formate wie „Glücksrad“, bei dem Genres ausgelost werden und DJs gegeneinander antreten, oder „Zurück in die Zukunft“, bei dem jedes Jahrzehnt musikalisch gefeiert wird. Zwischen den Live-Acts und Partys gibt es Umbaupausen, die wir mit Überraschungen füllen, während der Raum immer wieder neu gestaltet wird – DJ-Pult, Deko und Licht wechseln also ständig.

Wie engagiert sich das Atomino an der Kulturhauptstadt nächstes Jahr?

Wir haben ein eigenes Kulturhauptstadt-Projekt geplant, das Teil des Kosmos ist. Das ist eine Mischung aus Konferenz und Festival mit dem Themenschwerpunkt „Clubkultur“. Seit Corona werden Clubs und Live-Spielstätten immer mehr als Kultur angesehen und nicht nur als Vergnügungsstätte.

Es gibt viele verschiedene Themen in der Clubkultur, die sowohl uns, als auch andere Städte in Deutschland und europäischen Ländern betreffen. Das fängt mit Problemen wie Wohnraummangel an. Zum Beispiel haben Städte wie London das schon längst hinter sich und dann kann man schauen, wie die es geschafft haben oder ob man sich gegenseitig helfen kann.

Unser Ziel ist es, eine Konferenz zu organisieren, die andere Clubs, auch internationale, zusammenbringt, um sich über Probleme auszutauschen. Viele Clubs haben nicht die Mittel oder die Zeit, an großen Konferenzen teilzunehmen, daher wollen wir eine Plattform schaffen, wo jeder kommen kann. Es wird also für ein Fachpublikum Diskussionen, Panels und auch digitale Inhalte geben, die den Austausch erleichtern. Das wird auch für diejenigen digital zugänglich gemacht, die sich nicht leisten können, vorbeizukommen.

Abends soll das dann in einem Party- und Festival-Charakter enden, mit einem internationalen Booking, um zu zeigen, wie in anderen Clubs und Ländern von Europa Party gemacht wird.

Text: Gerda Müller, Titelbild: Tillmann Wegner, Fotos: Ernesto Uhlmann
<h3>Gerda Müller</h3>

Gerda Müller

ist 22 Jahre alt und studiert derzeit im 5. Semester Medienmanagement an der Hochschule Mittweida. Bei medienMITTWEIDA engagiert sie sich als Redakteurin und Leiterin des Ressort Medien seit dem Sommersemester 2024.