Nach wie vor bleiben die COVID-19-Pandemie, die Impfkampagne und die Kommunikation des Staates und der Medien ein politisch sensibles Thema. Wie haben die führenden Parteien während der Pandemie gehandelt und wie haben sie ihre Position dazu über die Zeit geändert?
Welche Vorwürfe gibt es?
Deutschland 2020 – ein Land im Ausnahmezustand. In diesem Jahr und den darauffolgenden Jahren führte die Bundesregierung viele Regelungen ein, um der Ausbreitung des COVID-19-Viruses und seiner Varianten entgegenzuwirken. Dabei wurden Grundrechte wie nie zuvor eingeschränkt, um die Sicherheit der Bevölkerung zu gewährleisten. Heute, fast ein halbes Jahrzehnt nach dem Ausbruch der Pandemie in Deutschland, scheint diese Zeit weit zurückzuliegen. Dennoch gibt es viele Stimmen, die eine Aufarbeitung der Handlungen und Beschlüsse aus der Pandemie fordern. Auch das Bundesverwaltungsgericht ist zu dem Urteil gekommen, dass einige der Maßnahmen unverhältnismäßig waren. Doch welche Aspekte wurden konkret kritisiert und wie berechtigt sind die Vorwürfe?
Zu strenge Maßnahmen
Viel Kritik richtete sich gegen einige Maßnahmen, die als zu streng oder übertrieben wahrgenommen wurden. So zum Beispiel das Schließen von Schulen und Bildungseinrichtungen. Dies führte nachweislich zu Lernverlusten und psychosozialen Schäden bei Minderjährigen und Jugendlichen. Besonders junge Kinder und Kinder aus sozioökonomisch schwächeren Haushalten waren überproportional stark von diesen Folgen betroffen. Heute herrscht in der Politik weitgehend Einigkeit darüber, dass die langen Schulschließungen ein Fehler waren. Auch an den Ausgangsbeschränkungen gab es in einigen Fällen Kritik, wie in Bayern, wo sie als besonders streng wahrgenommen wurden. Zu bestimmten Zeiten waren jene so strikt, dass Menschen nicht alleine und ohne triftigen Grund ihre Wohnung oder ihr Haus verlassen durften. Dass die Maßnahmen im Nachhinein übertrieben waren, sagt auch das Bundesverwaltungsgericht im November 2022: „Die Regelungen der Bayerischen Corona-Schutzverordnung vom 27. März 2020 (BayIfSMV) über das Verlassen der eigenen Wohnung waren unverhältnismäßig.”
Impfregelungen
„Ich gebe Ihnen mein Wort: Es wird in dieser Pandemie keine Impfpflicht geben“, so Jens Spahn am 18. November 2020. Knapp zwei Jahre später, im April 2022, wurde dennoch im Bundestag über eine Impfpflicht abgestimmt. Dies verärgerte den Teil der Bevölkerung, der gegen eine solche Impfpflicht war und trug erheblich zum Vertrauensverlust in die Politik bei. Auch an der 2G-Regelung gab es Kritik. Diese wurden im November 2021 in einigen Bundesländern eingeführt und besagte, dass nur vollständig geimpfte oder genesene Personen Zutritt zu bestimmten Geschäften erhalten dürfen. Diese wurde von ungeimpften Personen kritisiert, da sie trotz eines negativen Tests von zahlreichen Aspekten des öffentlichen Lebens ausgeschlossen wurden und sich diskriminiert fühlten. Auch der Handelsverband Deutschland warf der 2G-Regelung fehlende wissenschaftliche Grundlagen vor. Heute sind sich mehrere Ethiker einig, dass die 2G-Regelung maßgeblich zu gesellschaftlichen Spaltungen beigetragen hat. In den Protokollen des Robert-Koch-Institutes (RKI) wurde Anfang 2021 geschrieben: „Das Impfzertifikat soll die Erfassung von Impfwirkung, Spätfolgen etc. ermöglichen, nicht Grundlage für Kategorien und Vorrechte sein.“ Dies steht in klarem Widerspruch mit den Regelungen, die Ende 2021 eingeführt wurden, als das Impfzertifikat zum Ausweisdokument wurde.
Kommunikation
Aussagen wie: „Wahrscheinlich wird am Ende dieses Winters jeder in Deutschland geimpft, genesen oder gestorben sein”, von Jens Spahn (2021) oder Nikolaus Blome im Spiegel (2020): „Ich hingegen möchte ausdrücklich um gesellschaftliche Nachteile für all jene ersuchen, die freiwillig auf eine Impfung verzichten. Möge die gesamte Republik mit dem Finger auf sie zeigen“, waren während der Coronazeit in den Medien immer wieder zu hören. Einige Stimmen werfen den Medien vor, eine einseitige Berichterstattung während dieser Zeit betrieben zu haben, um bewusst Druck auf Ungeimpfte aufzubauen. So zum Beispiel auch der Autor und Philosoph Richard Precht. Dieser wirft den Medien vor, dass diese während der Pandemie eine sehr starke und größtenteils einheitliche Meinung kommunizierten, obwohl nicht einmal die Politiker genau wussten, was zur jeweiligen Zeit die richtige Maßnahme war. Auch Dr. Christina Berndt, Redakteurin des SZ-Wissenschaftsressorts, räumt ein: „Man muss uns verzeihen, dass wir beim Thema Impfpflicht zum Teil zu einseitig kommentiert haben.“ Bundestagsabgeordneter Armin Laschet fasst den Diskurs während der Pandemiezeit zusammen: „Insgesamt war die Debatte sehr moralisiert, entweder du bist für die eine Maßnahme oder du bist ein Corona-Leugner, es gab aber eine Menge dazwischen.“
Impfschäden
„Die Impfungen sind halt mehr oder weniger nebenwirkungsfrei“, so Gesundheitsminister Karl Lauterbach während der Pandemie. Heute sieht die Forschung das anders.In Deutschland wurden 2022 insgesamt 333.492 Verdachtsfälle auf Impfschäden gemeldet. Darunter fallen jedoch auch normale Impfreaktionen. Davon gelten 50.833 als schwere Nebenwirkungen.
Zu diesen zählt auch das Postvaccinationssyndrom, diese Erkrankung trat in seltenen Fällen nach der Impfung auf. Das Post-vac-Syndrom ist noch nicht wissenschaftlich definiert, wird jedoch von Ärzten als Krankheit anerkannt. Zu den Symptomen gehören unter anderem Luftnot, chronische Erschöpfung, Herzbeschwerden, Konzentrationsschwäche. Personen, die unter diesem Syndrom leiden, sind oft nicht mehr in der Lage, ihrem Alltag nachzugehen. Besonders junge Menschen und Frauen sind überdurchschnittlich oft betroffen. Eine genaue Anzahl von Erkrankten, die unter dem Post-vac-Syndrom leiden, ist nicht bekannt.
Es wurden bisher 11.827 Anträge auf Versorgungsansprüche wegen Impfschäden gestellt. Bislang wurden von 467 Anträgen ein Impfschaden anerkannt. Gesundheitsminister Karl Lauterbach äußert sich in einem Video des Gesundheitsministeriums über das Post-vac-Syndrom: „Das muss ernst genommen werden, das wird untersucht und das kann man nicht unter den Teppich kehren.“
Welche Partei fordert welche Aufarbeitungsmaßnahmen?
Die meisten Politiker sprechen sich in der ein oder anderen Weise für eine Aufarbeitung der Coronapandemie aus. Jedoch gehen die konkreten Vorstellungen auseinander. Im Folgenden sind die Aufarbeitungskonzepte der Parteien kurz aufgeführt.
FDP
Die FDP fordert für die Aufarbeitung die Einrichtung einer Enquete-Kommission. Ziel ist eine wissenschaftliche und sachliche Analyse der Pandemie-Maßnahmen sowie eine Identifikation von Mängeln in der Krisenfähigkeit verschiedener Systeme. Aus den Erkenntnissen sollen Handlungsempfehlungen für künftige Pandemien hervorgehen. Ursprünglich sollte die Kommission bis Herbst 2024 gegründet werden. Dies ist jedoch bis jetzt nicht passiert. Doch einige der Parteimitglieder wollen noch weitergehen, so wie der Vizepräsident des Deutschen Bundestages, Wolfgang Kubicki. Dieser hatte sich schon während der Pandemie im Bundestag gegen eine Impfpflicht ausgesprochen und fordert nun eine Obduktion von jedem, der in einem Zeitraum von zwei Wochen nach der Covid-Impfung verstorben sei. Er wolle damit nach Zusammenhängen zwischen der Impfung und den Todesfällen suchen.
BSW
Das Bündnis Sahra Wagenknecht fordert einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Aufarbeitung der Coronapandemie. Dieser soll verantwortliche Politiker zur Aussage verpflichten. Ziel soll eine ehrliche Aufarbeitung der Corona-Zeit und die Wiederherstellung von Vertrauen in Demokratie und Politik sein. In Thüringen hat das BSW den Antrag auf einen Corona-Ausschuss gestellt, dieser wurde von einem Großteil der Thüringer CDU unterstützt. In Sachsen hat das BSW für einen Antrag auf einen Untersuchungsausschuss der AfD gestimmt, da dieser Ausschuss eines ihrer zentralen Wahlversprechen war.
AfD
Die AfD kritisierte viele der Maßnahmen während der Pandemie durchgehend und vertrat eine impfkritische Haltung. Mit alarmierende Schlagzeilen schürte diese zudem zusätzlich Angst vor der Impfung. In ihrem Wahlprogramm fordert die Partei unter anderem eine umfassende Untersuchung der Verhältnismäßigkeit der Corona-Maßnahmen, insbesondere der Eingriffe in Grundrechte und das Wirtschaftsleben. Zu dem wollen sie eine Klärung, ob es schuldhaftes Verhalten seitens der Staatsregierung gab, sowie eine Einführung einer Politikerhaftung für Fehlentscheidungen während der Pandemie. Die AfD präsentiert sich außerdem als einzige Partei, die konsequent eine Aufarbeitung der Corona-Politik fordert und wirft anderen Parteien vor, diese zu blockieren. In mehreren Bundesländern, darunter Sachsen und Hessen, hat die Partei ebenfalls Anträge zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses gestellt.
CDU/CSU
Während der Pandemie war die CDU/CSU durchgehend impfbefürwortend, jedoch stimmte ein Großteil der Partei im April 2022 gegen eine Impfpflicht. Derzeit hat die Union keine einheitliche Position zur Aufarbeitung der Pandemie, je nach Bundesland werden verschiedene Ansätze verfolgt. In Sachsen beispielsweise unterstützt die CDU die Einsetzung einer Enquete-Kommission zur parlamentarischen Aufarbeitung der Coronapandemie. In Thüringen unterstützen Teile der CDU, einschließlich des Landeschefs Mario Voigt, einen Untersuchungsausschuss des BSW zur Aufarbeitung. Die CSU hingegen lehnt eine politische Aufarbeitung der Corona-Maßnahmen ab und sieht stattdessen die Wissenschaft in der Verantwortung. Der Parteivorsitzende der CSU, Markus Söder, hatte in seiner Kommunikation während der Pandemie immer wieder Ungeimpfte als die Sündenböcke dargestellt.
Bündnis 90/Die Grünen
Auf Bundesebene zeigen sich die Grünen offen für verschiedene Formate der Aufarbeitung. Auch Britta Haßelmann, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, betont die Dringlichkeit einer Entscheidung und würde „jetzt wahrscheinlich jede Art von Kommission auch mitmachen“. Die Grünen ziehen zudem einen Bürgerrat zur Aufarbeitung in Betracht. In Sachsen hingegen lehnen die Grünen einen Untersuchungsausschuss ab, da sie dieses Instrument für ungeeignet halten. In Hessen unterstützen die Grünen eine dreistufige Aufarbeitung, die eine konstruktive Zusammenarbeit von Bürgern, Experten und Politikern vorsieht. Sie lehnen jedoch den von der AfD initiierten Untersuchungsausschuss ab. Die Grünen in Bayern fordern eine Evaluation der Maßnahmen und kritisieren, dass die Staatsregierung aus dem verlorenen Gerichtsverfahren mit dem Bundesverwaltungsgericht keine Lehren ziehen will.
SPD
Während ihrer Regierungszeit in der Pandemie, stimmten die SPD und Bundeskanzler Olaf Scholz vielen beschlossenen Maßnahmen zu. Im August 2021 betonte Scholz während des Wahlkampfes, dass die SPD keine Impfpflicht einführen wolle. Nach der Wahl im November 2021, kündigte er im ZDF an, eine allgemeine Impfpflicht solle ab Anfang Februar/Anfang März für alle in Deutschland gelten. Daraufhin setzte sich Scholz aktiv für die Einführung einer Impfpflicht ein. Diese scheiterte jedoch im April 2022 wegen fehlender Mehrheit. Die SPD lehnt derzeit einen Untersuchungsausschuss ab und hält diesen für nicht gewinnbringend. Stattdessen setzt sich die Partei für die Einrichtung eines Bürgerrats zur Aufarbeitung der Pandemie ein. Außerdem betont die SPD, dass eine Aufarbeitung nur sinnvoll sei, wenn sie auf Augenhöhe gemeinsam mit den Bundesländern stattfinde. Jedoch konnte die SPD noch keine Einigung mit ihren Koalitionspartnern, insbesondere der FDP, über die konkrete Form der Aufarbeitung erzielen.
Die Linke
Die Linke zeigte sich anfangs skeptisch gegenüber einer Impfpflicht. Jedoch sprachen sich im Laufe der Pandemie führende Politiker wie die Parteivorsitzende Susanne Hennig-Wellsow für eine Impfpflicht aus. Dies führte zu Spannungen innerhalb der Partei, da einige Politiker wie Sahra Wagenknecht weiterhin impfskeptisch blieben. Heute fordert die Linke ebenfalls die Einsetzung einer Enquete-Kommission zur Aufarbeitung der Coronapandemie. Die Kommission soll sich unter anderem mit der Verhältnismäßigkeit von Freiheitsbeschränkungen und der Gesundheitskommunikation in Krisenzeiten befassen. Ziel ist es, das Vertrauen in politische, wissenschaftliche und gesundheitliche Institutionen wiederherzustellen und auf künftige gesundheitliche Krisen besser vorbereitet zu sein. Die Linke betont, dass es nicht um Schuldzuweisungen gehe, sondern um eine ehrliche Aufarbeitung der Regierungs- und Parlamentsentscheidungen während der Pandemie. Sie fordert die Ampel-Koalition auf, ihre „Blockade“ der Corona-Enquete-Kommission zu beenden.
Aufarbeitung in 2025?
Viele Parteien fordern eine Aufarbeitung– eine Einsicht, die mittlerweile von den meisten führenden Politikern in Deutschland geteilt wird. Jedoch ist die Aufarbeitung derzeit noch im Anfangsstadium, da es keine einheitliche Vorgehensweise gibt. Durch andere globale Probleme, wie die Inflation oder den Angriff Russlands auf die Ukraine droht sie jedoch jetzt zu verebben. Andere Länder sind dabei weiter: In den USA wurde beispielsweise Anfang Dezember 2024 von einem Subkomitee des US-Repräsentenhauses ein Abschlussbericht der Covid-19-Pandemie veröffentlicht. In dem 520 Seiten umfassenden Dokument wurden unter anderem viele der Maßnahmen, die während der Pandemie getroffen wurden, scharf kritisiert. Ob es zu derartigen Fortschritten auch in Deutschland in nächster Zeit kommen wird, ist ungewiss.
Text, Titelbild: Janek Nawrath