Artikel 20 des Grundgesetzes normiert die rechtliche Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland. Die inhaltlich festgesetzten Verfassungsgrundsätze dieses Artikels dürfen in ihrem Bestand und Sinngehalt nicht verändert werden. Dennoch haben sich inzwischen zahlreiche neue Staatsziele und entsprechende Ergänzungen ergeben. Umstritten und ganz oben auf der „Staatsziel-Warteliste“ stehen gegenwärtig die Themenkomplexe Sport und Kultur. Wobei Kultur besonders energisch von der FDP-Fraktion vorangetrieben wird. Sie wollen Artikel 20 um die Formulierung „Der Staat schützt und fördert die Kultur“ ergänzen und fordern „die Aufnahme eines Staatsziels Kultur in das Deutsche Grundgesetz“, erklärte Hans-Joachim Otto (FDP), parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, gegenüber medien-mittweida.de.
Freiwillige Förderung versus staatliche Verpflichtung
Im Land von Goethe und Co. gibt es zahlreiche Kulturförderungspreise und Wettbewerbe für engagierte Kulturschaffende. Bereits im vergangenen Jahr haben 1.500 deutsche Kulturstiftungen als hauptsächlichen Stiftungszweck Kunst und Kultur angegeben. Tendenz steigend und überwiegend unabhängig vom Staat. „Heute führt jede vierte Stiftung Kunst und Kultur als einen von mehreren Zwecken in ihrer Stiftungssatzung“, so Sebastian Bühner vom Bundesverband Deutscher Stiftungen. Trotz unzähliger Beihilfen durch fakultative Kulturförderer halten die Liberalen an ihrer Forderung fest und schwören auf die gesetzliche Verankerung.
Bürgerliches Engagement
Auch der Kulturstaatsminister der Bundesregierung Bernd Neumann von der CDU/CSU appellierte kürzlich, die Kulturhaushalte zu schonen und warnte vor einem „kulturellen Flurschaden“. Noch im Sommer lehnte seine Fraktion den Antrag der FDP ab, mit der Begründung, dass das wirkliche Handeln besser sei, als das Aufnehmen symbolischer Formulierungen. Es scheint, als würde die Kultur auch ohne eine Ergänzung des Grundgesetzes ausreichend gefördert. Doch Hans-Joachim Otto sieht in der staatlichen Verpflichtung Kultur zu verankern auch die Möglichkeit „die Bürgerinnen und Bürger verstärkt dazu zu motivieren, sich für Kultur zu engagieren“.
Ihre Partei beschäftigt sich schon seit geraumer Zeit mit dem Ziel Kultur im Grundgesetz zu verankern. Warum ist es Ihrer Meinung nach notwendig die Formulierung „Der Staat schützt und fördert die Kultur“ als Artikel 20b in das Grundgesetz einzufügen?
Ich bin mir vollkommen im Klaren, dass eine solche Ergänzung keinen unmittelbaren und einklagbaren Anspruch auf eine konkrete Unterstützung des Staates bedeutet. Dennoch ist es mehr denn je erforderlich, ein klar vernehmbares Zeichen für die Kultur zu setzen. Ein Staatsziel Kultur würde auf allen Ebenen der Kulturpolitik Ermessens- und Abwägungsspielräume eröffnen. Diese Ermessensspielräume und verfassungsrechtlichen Argumente wären – davon bin ich überzeugt – für jeden Kulturdezernenten auf kommunaler Ebene eine große Hilfe gegen Kürzungen in der Kultur anzugehen.
Gerade jetzt ist das ein brandaktuelles Thema: Die Wirtschaftskrise ist 2009 noch nicht mit voller Wucht in der Kultur angekommen, weil die Budgets bereits festgeschrieben waren. Aber überall dort, wo die Budgets für 2010 neu festgelegt werden müssen, droht ein Kahlschlag, weil Kultur als freiwillige Aufgabe des Staates gilt. Zu Recht hat Kulturstaatsminister Bernd Neumann kürzlich im Deutschen Bundestag an alle Verantwortlichen appelliert, die Kulturhaushalte zu schonen, und warnt vor einem „kulturellen Flurschaden“, der in keinem Verhältnis zu den geringen Einsparmöglichkeiten steht.
Aktuellstes Beispiel: Ende November will der Hamburger Senat bekanntgeben, wie viel Euro im Kulturhaushalt eingespart werden soll – von bis zu zehn Millionen Euro ist die Rede. Ich bin überzeugt, dass die Entscheidung für ein Staatsziel Kultur im Grundgesetz hier zu mehr Zurückhaltung geführt hätte.
Es gibt viele Definitionen zum Begriff Kultur. Wie definieren Sie persönlich diesen Begriff?
Für die FDP ist die Kultur im Sinne des Kulturbegriffs der UNESCO die Gesamtheit der geistigen, materiellen, intellektuellen und emotionalen Aspekte, die eine Gesellschaft kennzeichnen. In diesem Sinne verstehen wir unter Kultur nicht nur die sogenannter „Hoch-Kultur“, also die Oper, das Theater, die Orchester, die Museen und Bibliotheken, sondern auch die Popkultur und Phänomene unseres Alltags. Zur Kultur zählen selbstverständlich die Architektur, der Tanz, das Design, Computer- und Videospiele und vieles mehr. Wie man sich kleidet, isst, auftritt, Konflikte bewältigt, ist Ausdruck der Kultur und prägt sie wiederum. Kultur ist nicht das „Sahnehäubchen für gute Zeiten“, sondern Mittelpunkt und Grundlage unseres Lebens.
Kultur ist also nicht das private Hobby einer kleinen Elite, sondern betrifft alle Menschen. Die Hochkultur steht gleichberechtigt neben der Breitenkultur. So wie der Spitzensport ohne Breitensport nicht entstehen kann und der Breitensport durch Spitzensport neue Impulse erhält, bedingen sich auch Spitzenleistungen und Laienarbeit in der Kultur. Zahllose Menschen engagieren sich und machen selbst Kultur. Allein in der Bundesvereinigung Deutscher Chor- und Orchesterverbände (BDCO), dem Dachverband der Laienmusik, sind rund vier Millionen musizierende und singende Menschen versammelt.
Welche praktischen Ziele verfolgt beziehungsweise verbindet die FDP mit dem geforderten Artikel 20b?
Durch die Ergänzung des Grundgesetzes würde sich einerseits ein Spielraum für kommunale Kulturpolitiker ergeben, wie ich ihn bereits beschrieben habe. Wenn wir es schaffen, die Verantwortung für Kunst und Kultur in den Köpfen von Politik und Verwaltung durch eben ein solches Staatsziel „Kultur“ zu verankern, kann es uns andererseits auch leichter gelingen, die Bürgerinnen und Bürger verstärkt dazu zu motivieren, sich für Kultur zu engagieren. Die liberalen Forderungen nach einer Stärkung der Zivilgesellschaft und dem Staatsziel Kultur sind keine Gegensätze, sondern bedingen einander.
Die Zivilgesellschaft lässt sich nur dann mobilisieren, wenn der Staat sich nicht gleichzeitig zurückzieht. Kein Bürger, kein Förderer möchte seine Spende dem Finanzminister oder Stadtkämmerer geben, sondern will, dass seine Spende ungeschmälert der Kultur zugute kommt. Wenn der Staat sich zu seiner Verpflichtung zum Schutz und zur Förderung der Kultur bekennt und danach handelt, wird dies auch die Bürger anspornen, sich verstärkt zu engagieren.
Für sächsische Kultureinrichtungen ist im CDU/FDP-Koalitionsvertrag die Nutzung größerer Synergieeffekte untereinander vorgesehen. Kann dadurch die künstlerische Qualität gesichert werden und ist das der richtige Ansatz, wenn wir vom Staatsziel Kultur sprechen?
Sicherlich ist es grundsätzlich immer richtig und wichtig, nach Synergieeffekten zu suchen. Allerdings muss man auch einsehen, dass im Bereich der Theater, Orchester und Opern nach jahrzehntelangen Sparrunden fast kein Einsparpotential mehr vorhanden ist. Letztlich haben wir in Sachsen ein vorbildliches Kulturraumgesetz, das den Beteiligten Eigenverantwortlichkeit zusichert. Der Passus aus dem Koalitionsvertrag ist hier als eine Empfehlung zu sehen.
Wir bedanken uns für das Gespräch.