Die Debatte um ein mögliches AfD-Verbot ist neu entfacht. Nachdem die Grünen es seit Langem fordern, hat die SPD am 29. Juni 2025 auf ihrem Parteitag offiziell beschlossen, ein Verbotsverfahren vorzubereiten. Auslöser ist ein Bericht des Verfassungsschutzes. Seit dem 2. Mai 2025 gilt die AfD bundesweit als „gesichert rechtsextremistisch“. Das wirft die Frage auf: Soll die AfD verboten werden? Und ist ein Verbot der richtige Weg oder riskieren wir, wie einst in der Weimarer Republik, zu spät zu handeln?
Prüffall, Verdachtsfall und gesichert rechtsextrem
- Prüffall: Erste Stufe der Beobachtung. Es liegen Anhaltspunkte vor, die eine Prüfung rechtfertigen. Der Verfassungsschutz darf jedoch nur öffentlich zugängliche Informationen nutzen – etwa Parteitagsreden, Wahlprogramme oder Social-Media-Beiträge.
- Verdachtsfall: Zweite Stufe. Der Anfangsverdacht verdichtet sich. Nun darf der Verfassungsschutz auch nachrichtendienstliche Mittel einsetzen, z. B. V-Leute, Observation oder Kommunikationsauswertung.
- Gesichert rechtsextremistisch: Höchste Stufe. Es liegt aus Sicht des Verfassungsschutzes eine erwiesene und systematische Verfassungsfeindlichkeit vor. Diese Bewertung gilt für Organisationen oder Personen, die nachweislich gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung arbeiten.
Die AfD hat gegen die Einstufung als „gesichert rechtsextremistisch“ juristische Schritte eingeleitet. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat zwar eine sogenannte Stillhaltezusage abgegeben, die Einstufung bis zum Abschluss des Eilverfahrens formell nicht zu vollziehen – politisch aber ist sie längst Realität. Das über 1100 Seiten starke Gutachten liegt vor, ist öffentlich und zeigt, wie sehr sich die AfD von der freiheitlich-demokratischen Grundordnung entfernt hat. Widersprüchlich wirkt dieser Einspruch zudem vor dem Hintergrund, dass auf Landesebene in mehreren Bundesländern, darunter Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg, die jeweiligen Landesverbände der AfD innerhalb der letzten zwei Jahren als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuft wurden – ohne dass dies erfolgreich angefochten worden wäre.
Was macht die AfD verfassungsfeindlich?
Die AfD ist längst keine gewöhnliche Oppositionspartei mit scharfer Rhetorik mehr. Sie hat sich in den vergangenen Jahren zu einer politischen Kraft gewandelt, die laut Verfassungsschutz in zentralen Punkten nicht mehr auf dem Boden des Grundgesetzes steht. Ein zentrales Element ihrer Ideologie ist die Unterscheidung zwischen sogenannten „Biodeutschen“ und „Passdeutschen“. Das Verfassungsschutzgutachten spricht von einem „ethnisch-abstammungsmäßigen Volksverständnis“, das gezielt völkische Trennlinien zieht zwischen sogenannten „indigenen“ Deutschen und solchen mit Migrationsgeschichte. Einzelne AfD-Politiker fordern ein „Wahlrecht nach Abstammung“ oder sprechen im Zusammenhang mit der Migrationspolitik von einem „schleichenden Genozid“ oder einem „Bevölkerungsaustausch“. Der sächsische AfD-Landesvorsitzende Jörg Urban erklärte etwa, es gebe ein „deutsches Volk unabhängig vom Pass“ – ein Ausdruck, der direkt aus dem völkisch-nationalistischen Milieu stammt. Solche Aussagen machen deutlich: Die AfD vertritt nicht nur rechte Positionen, sie untergräbt die Grundlagen unserer Demokratie.
„Wenn es dann Remigration heißen soll, dann heißt es eben Remigration.“ – Alice Weidel, AfD-Bundestagsfraktionsvorsitzende, auf dem Parteitag 2025 in Riesa
Die Parteispitze duldet und integriert gezielt rechtsextreme Ideologien. In Reden, Interviews, Social-Media-Beiträgen und Parteitagsbeschlüssen finden sich regelmäßig Begriffe und Konzepte der „Identitären Bewegung“, etwa „Bevölkerungsaustausch“ oder „Remigration“. Letzteres wurde sogar offiziell ins Wahlprogramm aufgenommen, obwohl Gerichte das Konzept als verfassungswidrig und menschenrechtswidrig eingestuft haben. Der ideologische Vordenker Martin Sellner wurde nicht etwa ausgegrenzt, sondern seine Thesen beziehungsweise sein Masterplan zur „Remigration“ auf Parteitagen gewürdigt. Dies zeigt eindrücklich, wie nahe sich Teile der AfD an völkisch-rassistische Ideologien begeben und die Grenzlinie zur systematischen Ausgrenzung überschreiten.
Martin Sellner und das Potsdamer „Geheimtreffen“
Ende November 2023 lud der österreichische Identitären-Aktivist Martin Sellner nach Correctiv-Recherche zu einem als vertraulich deklarierten Treffen bei Potsdam in der Villa Adlonein. Unter den Teilnehmenden befanden sich auch zahlreiche AfD-Politiker. Dort präsentierte er einen sogenannten „Masterplan zur Remigration“, der die Rückführung von Asylbewerbern, ausländischen Bleibeberechtigten und „nicht-assimilierten“ deutscher Staatsbürger vorsah.
Auch innerhalb der AfD zeigt die Partei keine ernsthaften Konsequenzen gegenüber extremen Äußerungen. Der Bundestagsabgeordnete Maximilian Krah relativierte im Mai 2024 NS-Verbrechen, als er sagte, „nicht jeder SS-Mann sei ein Verbrecher gewesen“ – eine Aussage, die sogar in der europäischen Rechtsextremismus-Fraktion zu Protesten führte, ihn zum Rückzug aus Parteiführungsfunktionen zwang und ihn aus der Europafraktion „Identität & Demokratie“ ausschloss. Fast zeitgleich wurde öffentlich, dass sein ehemals engster Mitarbeiter Jian G. 2024 wegen Spionage für China festgenommen wurde, nachdem er über 500 vertrauliche Dokumente aus dem EU-Parlament weitergegeben hatte. Zudem geriet Krah ins Visier von Ermittlern wegen möglicher Kontakte zu pro-russischen Netzwerken und angeblicher Zahlungen durch den pro-russischen Oligarchen Oleg Woloschyn. Trotz dieser schweren Vorwürfe wurde Krah 2025 in den Bundestag gewählt und aus der Partei nicht ausgeschlossen.
Zugleich verbreitet die Partei weiter Verschwörungsnarrative wie die Erzählung von einer „Deutschland GmbH“ oder einem Staat, der durch „globale Eliten“ gesteuert werde. All das unterminiert bewusst das Vertrauen in Demokratie und Rechtsstaat. Die AfD ist damit nicht mehr nur ein Sammelbecken rechter Unzufriedenheit. Sie hat sich in zentralen Teilen von den Prinzipien des Grundgesetzes entfernt und das systematisch, strategisch und öffentlich dokumentiert.
Warum kann ein Verbot sinnvoll sein?
Ein Verbot der AfD wäre ein klares Signal: Die Demokratie schützt sich gegen ihre Feinde. Die Partei untergräbt zentrale Verfassungswerte wie Menschenwürde, Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit. Sie arbeitet offen mit rechtsextremen Vordenkern zusammen, deren Konzepte schon von Gerichten verworfen wurden. Die Eskalation ist längst kein Randphänomen mehr. In Thüringen ist die AfD stärkste Kraft, in Sachsen und Brandenburg zweitstärkste. In mehreren Landtagen verfügt sie nun über eine Sperrminorität. Sie kann also Richterwahlen blockieren oder Verfassungsänderungen verhindern.
Thüringen‑Projekt
Das vom Verfassungsblog initiierte „Thüringen-Projekt“ analysierte, welche Machtinstrumente eine autoritär-populistische Partei auf Landesebene in Thüringen offenstehen und wie demokratische und rechtsstaatliche Strukturen davon betroffen sein könnten. Die Ergebnisse zeigen:
- Sperrminorität: Ab etwa 33 Prozent der Stimmen kann eine autoritär-populistische Partei im Landtag zentrale Entscheidungen wie Richter- und Verfassungsrichterwahlen blockieren – selbst ohne Regierungsverantwortung.
- Institutionelle Kontrolle: Sie kann den Landtag lähmen, indem sie notwendige Zweidrittelmehrheiten verweigert – oder Schlüsselpositionen wie das Landtagspräsidium oder das Innenministerium gezielt besetzt.
- Schlussfolgerung: Eine solche Partei kann die Justiz von ihrem politischen Programm abhängig machen und so die Gewaltenteilung faktisch außer Kraft setzen. Ihr Ziel ist es, Staat und Gesellschaft so umzubauen, dass sie irgendwann nicht mehr abgewählt werden kann.
Wer sich in das Herz der Institutionen vorarbeitet, um sie von innen heraus zu schwächen, ist keine normale Partei mehr. Die Strategie erinnert an autoritäre Entwicklungen in anderen Ländern und sie funktioniert auch in Deutschland. Deshalb sehen viele ein Verbot nicht als Maßnahme gegen eine Meinung, sondern als Notwehr gegen eine organisierte, systematische Verfassungsbedrohung. Ein Verbot hätte zudem handfeste Auswirkungen: Die Partei dürfte keine Mittel mehr erhalten, nicht mehr zu Wahlen antreten und ihre Strukturen müssten sich auflösen. Auch eine Nachfolgepartei müsste sich neu legitimieren, unter strenger Beobachtung.
Ein oft genannter Einwand lautet, dass bereits das NPD-Verbotsverfahren 2017 scheiterte. Doch lässt sich dieser Fall auf die AfD überhaupt übertragen? Anders als im Fall der NPD, deren Verbot 2017 am Kriterium der konkreten Gefährdung scheiterte, ist die AfD heute politisch einflussreich und in mehreren Bundesländern stärkste Kraft. Sie verfügt über Sperrminoritäten, Einfluss auf Gesetzgebungsverfahren und parlamentarische Präsenz auf Landes-, Bundes- und EU-Ebene. Zudem liegt mit dem aktuellen Verfassungsschutzgutachten eine über 1100 Seiten starke, öffentlich zugängliche Analyse vor, die die verfassungsfeindlichen Tendenzen der Partei detailliert dokumentiert. Damit ist die rechtliche Grundlage für ein Verbot deutlich belastbarer als im Fall der NPD.
Warum ist ein Verbot problematisch?
Ein Parteiverbot ist jedoch ein massiver Eingriff in die politische Ordnung, gerade in einer Demokratie. Wer Parteien verbieten will, muss gut begründen können, dass hier nicht bloß politische Auseinandersetzung, sondern ein gezielter Angriff auf die Verfassungsordnung vorliegt. Die CDU hat betont, dass man einen politischen Konkurrenten nicht mit juristischen Mitteln „loswerden“ dürfe, sondern ihn im demokratischen Streit stellen müsse. Die Gefahr ist groß, dass die AfD ein Verbotsverfahren propagandistisch ausschlachtet. Schon heute inszeniert sie sich als Opfer eines autoritären „Systems“, das sie zum Schweigen bringen wolle. Ein Verbot könnte diese Erzählung weiter befeuern und ihre Anhängerschaft festigen oder gar radikalisieren.
Gesetz Parteiverbot
Nach Art. 21 Abs. 2 Grundgesetz (GG) sind Parteien verfassungswidrig, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden. Sie können durch das Bundesverfassungsgericht verboten werden
Befürworter eines Verbots verweisen auf die reale Gefahr, die von der AfD im Gegensatz zur NPD ausgeht, etwa durch Wahlerfolge, Sperrminoritäten und strukturelle Stärke. Doch ob diese Faktoren ausreichen, um die extrem hohen rechtlichen Hürden eines Verbotsverfahrens zu überwinden, ist juristisch offen. Selbst ein gescheitertes Verfahren könnte der AfD einen symbolischen Sieg verschaffen und ihre Position weiter stärken.
Schließlich stellt sich die Frage: Was passiert nach einem Verbot? Die Probleme, die zur Radikalisierung geführt haben – soziale Ungleichheit, politische Entfremdung, Unsicherheit verschwinden dadurch nicht. Ein Parteiverbot ist kein politisches Allheilmittel. Es würde die Wurzeln des Problems nicht beseitigen, die tiefe Unzufriedenheit vieler Menschen, die sich von der Politik der Mitte abgewendet haben. Solange keine überzeugenden Alternativen angeboten sind, bahnen sich radikale Haltungen auch ohne Parteistruktur ihren Weg. Möglicherweise treten sie dabei in noch zersplitterterer und schwerer greifbarer Form auf. Ein Verbot bekämpft also das Symptom, nicht die Ursache.
So denkt Deutschland über ein Parteiverbotsverfahren. Quelle: IPSOS
Ist Abwarten noch eine Option?
Ein AfD-Verbot ist möglich. Es ist rechtlich vorgesehen, demokratisch legitim und inhaltlich gut begründet und es ist vielleicht sogar notwendig– zumindest wenn man die Einschätzung des Verfassungsschutzes ernst nimmt. Die Partei propagiert ein ethnisch-völkisches Staatsverständnis, grenzt Millionen Mitbürger systematisch aus, diffamiert demokratische Institutionen und lässt ihre führenden Vertreter regelmäßig mit verfassungsfeindlichen Aussagen folgenlos davonkommen. Ihre Nähe zu rechtsextremen Ideologien ist dokumentiert, ihr Einfluss auf Parlamente real und ihr Ziel erkennbar: den Umbau des Staates in eine autoritär-nationalistische Ordnung.
Gleichzeitig gilt: Wer erwiesenermaßen die Grundwerte des Staates angreift, darf nicht erwarten, auf Dauer durch eben jene Grundwerte geschützt zu bleiben. Die Demokratie ist kein Selbstbedienungsladen für ihre Gegner, sondern eine Verpflichtung auf Freiheit, Gleichheit und Menschenwürde. Wer diese Prinzipien systematisch untergräbt, muss damit rechnen, dass der Rechtsstaat wehrhaft reagiert, im Rahmen des Grundgesetzes und mit den Mitteln, die es selbst vorsieht.
Ein Parteiverbot wäre daher kein symbolischer Akt, sondern ein Eingriff aus Verantwortung: zum Schutz der demokratischen Ordnung vor einer Partei, die sie gezielt unterwandert. Das allein reicht jedoch nicht. Die Ursachen für die Erfolge der AfD – soziale Spaltung, politische Frustration, gefühlte Entfremdung bleiben bestehen. Und wenn die demokratische Mitte weiterhin in vielen Fragen zaudert oder sprachlos bleibt, wird das Gedankengut der AfD über ihre Strukturen hinaus weiter wirken.
Weimar‑Lehre – Der verpasste Stopp
Ein Verbot kann die politischen Ursachen der Radikalisierung nicht beheben, aber es kann die Demokratie vor dem Schlimmsten bewahren. Es verschafft Zeit – Zeit, um Vertrauen zurückzugewinnen, um glaubwürdige politische Alternativen zu entwickeln und um die Verfassung zu schützen, bevor sie systematisch ausgehöhlt wird. Das Verbotsverfahren ist kein Allheilmittel, aber vielleicht das letzte Instrument, um eine Entwicklung zu stoppen, die sich längst nicht mehr nur in Worten, sondern in politischer Realität zeigt. Wer die Demokratie bewahren will, darf nicht zusehen, wie sie von innen zerstört wird – sondern muss handeln, solange sie noch wehrhaft ist.