Es ist der zweite Dienstag des Monats, das heißt nur eins – es ist wieder Zeit für den Stammtisch des Chemnitzer FC im gemütlichen Gartenheim „Erdenglück“ in Chemnitz. Diesmal ist es kein gewöhnlicher Stammtisch, sondern der Weihnachtsstammtisch mit traditioneller Tombola und Versteigerung von Spieler-Trikots, welcher „immer besonders gut besucht wird“, erzählt Lokalbesitzer und Mitinitiator Axel Salzmann.
Nahe der Garderobe sitzt eine nette Gruppe älterer Herren. Die rüstigen Rentner erzählen von ihren Erlebnissen mit dem Club. „Früher war es schöner, man war einfach näher am Geschehen, denn damals gab es noch keine Umzäunung um das Spielfeld“, berichtet einer von ihnen am Tisch. Das Abtasten durch Sicherheitskräfte vor dem Stadion hat ebenfalls zugenommen. „Kein Respekt vor dem Alter“, ergänzt in diesem Zusammenhang ein weiterer Herr in der Runde. Dennoch sind die Männer sich einig, dass die zahlreichen Fanprojekte, zu denen auch der „Stammtisch“ zählt, zur Erhöhung der Sicherheit und des Zusammenhaltes positiv beitragen. „Die Einstellung zum Sport ist eine Generationsfrage geworden“, während er früher selbst alle Hymnen mitgesungen hatte, hat er heute kein Verständnis mehr für anstößige Parolen, wenn er beispielsweise mit seinem Enkel im Stadion ist, so der Älteste der Runde.
„Wenn du Fan bist – bist du Fan“
Eine witzige, lockere Atmosphäre, eine Mischung aus Spielern, Funktionären und vor allem Fans. Ein paar Tische weiter sitzt ein Mann allein am Tisch. Der Mann stellt sich als Horst Kluge vor, bekannt sowohl unter Fans als auch unter Spielern als „Kalle Malle“. Der aufgeschlossene 58-Jährige wohnt und arbeitet in der Region Chemnitz und ist auch hier aufgewachsen. „Es ging in diesem Verein immer fair, sachlich und vor allem sportlich zu, selbst in Krisenzeiten“, so der langjährige Fan. Auch wenn Horst Kluge mit der Leistung seines Vereins auf dem Rasen nicht immer zufrieden ist, geht er trotzdem zu jedem Spiel, denn „wenn du Fan bist – bist du Fan“. „Kalle Malle“ trägt ein kleines himmelblaues, mit dem Logo des Chemnitzer FC verziertes, Räuchermännchen bei sich. Es sei schon über zehn Jahre alt und begleite ihn seither zu jedem Stammtisch-Treffen des „Clubs“, er habe damals, eines von gerademal 30 Stück für 30 DM erworben. Stolz präsentiert er den kleinen Räuchermann, welcher auch von anderen Fans mit neidischem Blick begutachtet wird.
Die Frage nach dem emotionalsten Moment mit und für den Verein, konnte Horst Kluge in einem Satz nicht beantworten: „Natürlich der Einzug ins Achtelfinale des UEFA-Pokals 1989/1990″, wo man knapp am späteren Pokalgewinner Juventus Turin scheiterte. Ebenso nicht aus dem Gedächtnis zu streichen ist: „Das 4:4 gegen Dynamo Dresden 1973, in dem man zur Halbzeit bereits 0:3 zurücklag und dann doch noch einmal zurück ins Spiel kam – sowas vergisst du nicht.“ Horst Kluge betonte das Abstiegsspiel des Chemnitzer FC 2001 aus der 2. Bundesliga, welches zugleich das Aufstiegsspiel von Gegner Borussia Mönchengladbach war. „Wir verloren 3:0 am letzten Spieltag, unser Abstieg stand bereits fest, dennoch haben wir uns mit den Gladbachern gefreut.
Horst Kluge erzählt, dass es im Fußball nicht nur Feindschaften zwischen zwei Fangemeinschaften geben kann, sondern auch Freundschaften und solch eine besteht zwischen den Fans des Chemnitzer FC und Borussia Mönchengladbach. Stolz weist er auf sein Trikot, welches er heute Abend trägt – es ist ein dunkelgrünes Trikot der Borussia. Einfach beeindruckend, dass dieser Mann zum Stammtisch des Chemnitzer FC mit dem Trikot der „Freunde“ erscheint, während der Rest des Raumes von himmelblauen Fanartikeln übervölkert ist. Horst Kluge erzählt weiter: „Nachdem das Spiel abgepfiffen war, gingen alle Fans hinunter auf das Spielfeld und gaben sich die Hand, selbst die härtesten Kerle verloren dabei eine Träne.“ Diese Fan-Freundschaft haben wir zum Teil Hans Meyer zu verdanken. Er war viele Jahre Trainer der, damals noch als FC Karl-Marx-Stadt auftretenden Chemnitzer. In dieser Saison war Meyer jedoch Trainer der Borussia und feierte den Aufstieg mit seiner Mannschaft.
Nachwuchsförderung mal anders
Es kommt zum ersehnten Höhepunkt des Abends – Der Versteigerung von ausgewählten Spielertrikots und anderen Einzelstücken der aktuellen Saison aber auch aus vergangenen Jahren. „Der Erlös der Versteigerung sowie der Gewinn für die Lose der Tombola gehen komplett in die Förderung des Nachwuchszentrums des Vereins“, so Fanbeauftrage Peggy Schellenberger. Die Nachwuchsarbeit des Vereins hat unter anderem Weltfußballer Michael Ballack hervorgebracht und verfügt über ein zertifiziertes Leistungszentrum, welches jungen Talenten das Lernen an einer Eliteschule ermöglicht. Der Höhepunkt des Abends beginnt, bereits jetzt haben zwei Trikots für je 42 Euro einen neuen Besitzer gefunden, das Trikots mit der Nummer 20, von Stürmerstar Sfeffen Kellig, der selbst anwesend ist, geht sogar für 64 Euro in die Fanmenge am anderen Ende des Gastraumes.
Nun kommen ein nagelneuer Spielball und ein Fanwimpel der Partie FC Karl-Marx-Stadt gegen Juventus Turin aus dem Jahre 1990 unter den Hammer, scheinbar hat auch Horst Kluge ein Auge darauf geworfen und bietet munter mit, da wird er kurz vor dem Ende noch einmal überboten, damit hatte er wohl nicht gerechnet, ohne weiteres Überlegen erhöht Kluge noch einmal auf 42 Euro und war damit Gewinner dieser Auktion. „Der Wimpel ist für meine Sammlung, dieser hatte mir noch gefehlt“, verriet er nach der Versteigerung. Insgesamt wurde an diesem Abend durch die Tombola, die Versteigerung und die großzügigen Spenden der Sponsoren eine Summe von 1.390 Euro zugunsten des Nachwuchses eingespielt.
Nach der Tombola in einer anderen Ecke des urigen Lokals berichteten die Betreiber der Chemnitzer FC Fan-Website: „Der Chemnitzer FC zählt seit 1990 zu allen Pflicht-Heimspielen immer eine vierstellige Zuschauerzahl im Stadion – sowas ist in Sachsen und in dieser Liga einmalig.“ Mit ihnen am Tisch sitz Steffen Kellig, die Chemnitzer Stürmerhoffnung. Er erzählt: „Ich habe ein sehr gutes Verhältnis zu den Fans, ohne eine Beziehung zu ihnen wäre eine gute Arbeit im Fußball gar nicht möglich.“