„Sah ich goldene Lichtlein blitzen“

von | 28. Dezember 2009

Nussknacker, Weihnachtsbaum und Lichterketten gehören in die Weihnachtszeit wie der Weihnachtsmann persönlich. Doch in den Städten wird die Tradition des Schmückens von Jahr zu Jahr immer mehr übertrieben.

Weihnachten ist das Fest der Liebe und der Besinnlichkeit. Es ist die Zeit des Plätzchenbackens, der Adventskaffees und der Heimlichkeiten. Ruhe und Besinnung stehen im Vordergrund; Bratapfel, Stollen und Glühwein auf dem Tisch. Während draußen eisige Temperaturen herrschen, wird drinnen alles weihnachtlich dekoriert. Nussknacker, Räuchermänner und Pflaumentoffel werden für ihren Auftritt des Jahres rausgeputzt. Auch der Tannenbaum mit Kerzen, ob im Wohnzimmer oder im Garten darf natürlich nicht fehlen. Soviel zur Theorie.

Tatsächlich sind Ruhe und Besinnlichkeit wohl das Letzte, woran die Menschen im Dezember denken. In Massen pilgern sie an den sieben Tagen der Woche durch die Einkaufstempel der Innenstädte. Als Engel verkleidete Studenten verteilen Geschenkvorschläge, und mitten über die Straße kullern sich lachend kleine Weihnachtmannfiguren – der letzte Schrei. Da sich also das (vor-)weihnachtliche Leben nicht mehr im gemütlichen Wohnzimmer, sondern in den ebenso häuslichen Einkaufsmeilen abspielt, ist es nur selbstverständlich, dass auch dort eine stimmungsvolle Dekoration nicht fehlen darf. Gemäß dem Motto„Mehr ist manchmal mehr“ oder„Klotzen und Protzen“ überbieten sich die Dekorateure der Innenstädte und Konsumfabriken jedes Jahr mit neuen, gewagten„Eyecatchern“. Das nimmt leider oft absurde Ausmaße an. Eine kleine Auswahl:

Beispiel 1: Weihnachtsbaum 2.0

Wie bereits erwähnt gehört der Christbaum zum festen und liebgewonnen Requisit im Dekorationsfundus. Da der natürliche Baum an sich aber heutigen Standards nicht mehr entsprechen zu scheint, gibt es diverse„Relaunches“, die dem Naturprodukt ein neues, zeitgemäßes Leben einhauchen sollen. Am häufigsten zu finden sind dabei„die Monströsen“. Dabei ist„finden“ relativ, denn gesucht wurden sie ja eigentlich gar nicht. Sie stehen einfach vor einem – in Bahnhofshallen, Kaufhäusern und überall sonst. Groß, oder eher riesig und mit Unmengen von Kugeln und Glitzerzeug behangen. Das ursprünglich der Baum mit Kugeln bestückt wurde und nicht umgekehrt, scheint ebenfalls veraltet zu sein. Schon länger bekannt, aber ebenfalls geeignet, um die Natur zu verhöhnen: der Kunstbaum.

Zumindest von weitem sieht er einem Tannenbaum ähnlich. Bei näherer Betrachtung offenbaren sich die Zweige aber oft als gefärbter„Klobürstenverschnitt“. Den gibt es bei Bedarf auch in den jeweiligen Firmenfarben der Kaufhäuser. Da der Baum schon künstlich ist, kann es auch der Schnee sein, der ihm sein winterliches Aussehen verleiht. Wahlweise etwas beschneit, oder ganz in weiß. Ich gebe zu: gegen silber oder blau wirkt ein weißer Baum schon wieder richtig natürlich.

Beispiel 2:epilepsieauslösende Beleuchtung“

Damit mich keiner missversteht: Ich finde Lichterketten wunderschön – besonders in der Weihnachtszeit. Doch es gibt einen Unterschied zwischen einer einfachen, warmleuchtenden Lichterkette und wild farbig blinkenden Lichtschläuchen, die aus allem, was sie„schmücken“ eine unfreiwillige Diskothekausstattung machen. Neben Bäumen wird aber auch alles andere damit behangen. In Einkaufpassagen baumeln sie von der Decke und simulieren mit ihren weiß aufblitzenden LEDs einen Goldregen. Plasteröhren mit weißen Lauflichtern sind die neuen Eiszapfen, die – raffiniert angebracht – sogar nach oben„tropfen“. Egal wo Lichterketten sind: Hauptsache es blinkt; es ist etwas in Bewegung. Auch vor den Kopfbedeckungen macht die Hektik keinen Halt. Eine einfache rote Weihnachtsmannmütze ist längst nicht mehr genug. Ein beleuchteter Miniaturweihnachtsmann statt der Bommel oder ein rotes Lauflicht an der Stirn zählt inzwischen zur Grundausstattung. Das Beste aber sind die kürzlich gesehenen weißen Mützen mit rosa blinkenden Hasenohren – die gibt es auf dem Weihnachtsmarkt.

Beispiel 3:Zwei-Kilometer-Weihnachtsmarkt“

Kein Witz. In Dresden kann ich von einem Ende der Innenstadt zum anderen spazieren und muss dabei fast nie auf den Weihnachtsmarkt verzichten. Kein Meter ohne die Original„Ein-Meter-Bratwurstbude“; es könnte sich ja jeden Augenblick der Hunger melden. Während der, mit blinkender Mütze geschützte, gesättigte Kunde mit den restlichen 50 Zentimetern seiner Wurst kämpft, versuchen die nächsten tüchtigen Geschäftetreiber ihn für„Omas Glühwein“,„Kathys Glühwein“ oder „Ottos Glühwein“ zu begeistern. Neugierig, welcher denn der beste ist, werden alle getestet.

Lallend am nächsten Stehtisch endend, kommt er zu dem Schluss, dass der Weihnachtsmarkt auch dieses Jahr wieder sehr schön ist. Ob er wohl den prächtigen Schwibbogen am Eingang gesehen hat? Der ist so groß, dass er ins Guinness-Buch der Rekorde soll. Es ist auch schon eine wahrhaft künstlerische Meisterleistung, aus ein paar Brettern einen großen Bogen zusammen zu kleben. Jeder Schnitzer wird neidisch, wenn er sich die filigran ausgearbeiteten und detailliert bemalten Figuren anschaut, die den Bogen schmücken. Ein wahrer Weltrekord. Wenn einen das noch nicht in Weihnachtsstimmung bringt, dann bestimmt die Weihnachtlieder, die pausenlos über die Märkte schallen. Selbst in den Bäumen wurden Lautsprecher aufgehangen, um möglichst jeden Ruhepunkt, soweit der bei den vielen Buden und Leuten überhaupt entstehen kann, auszulöschen.

Natürlich ist das alles Geschmacksache. Doch ich bin sicher, ich bin nicht der einzige, der Jahr für Jahr weniger gern zur Weihnachtszeit in die Stadt fährt. Weihnachtsmärkte könnten doch gemütlich sein, kalte Straßen durch dezente Beleuchtung ihre ganze Pracht offenbaren. Neben allem amerikanischen Prunk, Geblinke und„Partygemache“ könnte wieder etwas zur Ruhe gekommen werden. Zum Nachdenken. Zum Besinnen. Doch wem will ich einen Vorwurf machen? Den Firmen und der Stadt, die mit ihrer Dekoration den weihnachtlichen Geist immer mehr verwaschen oder den Menschen, die dies dankend annehmen? All die Glühweinfeten, Tannenbäume und vor allem die nimmer ruhenden Lichter sind Spiegel unserer Zeit. Besinnung sieht anders aus.

<h3>Jakob Ihde</h3>

Jakob Ihde